Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 10 R 196/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 236/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 367/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 8. September 2016 wird im hier anhängigen Umfang zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin auch für dieses Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um den Zahlungsbeginn der Regelaltersrente.
Die 1948 geborene Klägerin beantragte am 24. Juni 2014 bei der Beklagten die Regelaltersrente. In ihrer Stellungnahme vom 22. Juli 2014 wies sie darauf hin, dass sie sich Anfang August 2013 telefonisch um einen Termin zur Antragstellung bemüht habe. Die Regelaltersgrenze sei der 5. September 2013. Der ihr genannte Termin am "24. Oktober 2014" sei mehr als einen Monat nach dem angegebenen Eintrittstermin. Sie habe erklärt, dass sie gesundheitliche Schwierigkeiten habe und am 18. Oktober 2013 operiert werde. Eine weitere Operation sei für Januar 2014 geplant gewesen. Es habe festgestanden, dass sie aus gesundheitlichen Gründen, nun erst erheblich verspätet, ihren Rentenantrag hätte stellen können.
Mit Bescheid vom 13. Oktober 2014 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine Regelaltersrente beginnend am 1. Juni 2014 in Höhe von 118,01 EUR monatlich.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein mit dem Ziel eines Rentenbeginns bereits ab dem 1. Oktober 2013. Des Weiteren machte sie die Berücksichtigung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten für die Zeit ab Geburt ihres Adoptivkindes geltend.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2015 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, da der Rentenzahlbeginn der gesetzlichen Regelung entspräche und mit dem Antragsmonat beginne. Die Klägerin sei mit Schreiben vom 25. September 2013 nach § 115 Abs. 6 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI) auf ihren Rentenanspruch hingewiesen worden. Ein Beratungsmangel sei nicht nachgewiesen. Eine Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungszeit könne erst nach Aufnahme des Kindes in den Haushalt der Klägerin am 28. September 1975 anerkannt werden.
Mit ihrer am 3. Juni 2015 erhobenen Klage verfolgte die Klägerin neben den Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten das Ziel eines früheren Rentenbeginns weiter. Sie war der Auffassung, dass sie fehlerhaft beraten worden sei, da ihr keine alternativen Möglichkeiten zur Beantragung der Rente und auch kein möglicher Ausweichtermin aufgezeigt worden sei. In der Broschüre der Beklagten werde ausgeführt, dass als Eingangsdatum des Rentenantrags das Datum der ersten Anfrage bei der Beklagten gelte. Da sie bereits vor dem Erreichen der Regelaltersrente Kontakt mit der Beklagten aufgenommen habe, sei ihre Rente spätestens ab dem 1. Oktober 2013 zu zahlen.
Die Beklagte legte dar, dass keine Unterlagen über eine telefonische Beratung Anfang August 2013 mit Vereinbarung eines Beratungstermins für den "23. Oktober 2014 (!)" vorhanden seien. Der Rentenantrag sei am 15. Juli 2014 eingegangen. Auch wenn erst zum 24. Oktober 2014 ein Beratungstermin möglich gewesen sein sollte, habe seitens der Klägerin durchaus die Möglichkeit bestanden, zunächst schriftlich einen formlosen Rentenantrag zu stellen. Die Klägerin sei nicht willens- und handlungsunfähig und daher außer Stande gewesen, die zur (formlosen) Antragstellung notwendigen Handlungen selbst vorzunehmen oder andere mit ihr zu beauftragen.
Mit Urteil vom 8. September 2016 hat das Sozialgericht Kassel die Klage abgewiesen, da die Klägerin weder eine frühere Antragstellung noch eine fehlerhafte Beratung der Beklagten nachgewiesen habe. Auch bestehe kein Anspruch auf die geltend gemachten Zeiten.
Gegen das am 12. Oktober 2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 9. November 2016 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt (Az.: L 5 R 335/16).
Zur Begründung trägt sie hinsichtlich der Antragstellung vor, dass die ihr zugemutete mangelhafte telefonische Aufklärung durch die Beklagte mit einem ordentlich erstellten Beratungsprotokoll der Beratungsstelle A-Stadt hätte ausgeschlossen werden können. Bezogen auf den von ihr rechtzeitig gewünschten Termin hätte auch mit einer ihr konkret zugesicherten Verfahrensmöglichkeit, den Rentenantrag fristgerecht schriftlich einreichen zu können, der "Beschwerdeweg" verhindert werden können.
Mit Beschluss vom 12. Juli 2017 ist das Verfahren abgetrennt worden, soweit die Frage des früheren Rentenbeginns streitig ist, und unter dem Aktenzeichen L 5 R 236/17 fortgeführt worden.
Die Klägerin beantragt (schriftlich),
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 8. September 2016 teilweise aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 13. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2015 zu verurteilen, ihr die Regelaltersrente bereits ab dem 1. Oktober 2013 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt (schriftlich),
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts Kassel für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 28. Juli 2017 und 28. August 2017 mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Rentenakte betreffend die Klägerin.
Entscheidungsgründe:
Über die Berufung konnte gemäß § 155 Abs. 3 und 4 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch die Berichterstatterin als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erteilt haben.
Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 SGG).
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 8. September 2016 ist im hier zu überprüfenden Umfang nicht zu beanstanden. Zu Recht hat es die Klage abgewiesen, soweit die Klägerin einen Rentenbeginn ab dem 1. Oktober 2013 geltend macht. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2015 (§ 95 SGG) ist insoweit rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Die Klägerin hat erst ab dem 1. Juli 2014 einen Anspruch auf Rentenzahlung. Die Voraussetzungen einer Regelaltersrente nach §§ 35, 235 Abs. 2 Satz 2 SGB VI liegen, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist, ab dem 1. Oktober 2013 vor.
Nach der gesetzlichen Regelung über den Rentenbeginn kann die Klägerin die Regelaltersrente aber erst ab dem 1. Juli 2014 beanspruchen. Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird (§ 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Zwar lagen die Voraussetzungen für die Regelaltersrente bereits ab dem 1. Oktober 2013 vor. Die Klägerin hat einen Rentenantrag nachweislich aber erst am 24. Juni 2014 gestellt, so dass die Rente gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI erst ab dem Monat der Antragstellung, mithin dem 1. Juni 2014, gezahlt werden kann.
Eine telefonische Rentenantragstellung im August 2013 konnte nicht festgestellt werden. Bei der Beklagten ist kein entsprechender Vermerk über einen telefonischen Kontakt vorhanden. Die Klägerin selber hat dafür ebenfalls keinen Nachweis und konnte auch keine konkreteren Angaben zum genauen Zeitpunkt des vorgetragenen Telefonats machen. Insoweit trägt sie aber die Beweislast der für sie günstigen, den Anspruch begründenden Umstände.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) wegen Versäumung der Frist des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI kann der Klägerin nicht zugebilligt werden. Ob eine Wiedereinsetzung bei Versäumung der Frist des § 99 Abs. 1 SGB VI überhaupt zulässig wäre, kann offen bleiben (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1996, 13 RJ 23/95 = SozR 3-2600 § 115 Nr. 1). Die Klägerin war nämlich nicht im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X ohne Verschulden gehindert, diese Frist einzuhalten, d.h., den Antrag auf Regelaltersrente bis zum 31. Dezember 2013 zu stellen. Zum einen gelten nach dem Grundsatz der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen diese mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt allen Normadressaten als bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann diese davon tatsächlich Kenntnis erlangt haben. Eine Unkenntnis solcher Rechte, deren befristete Ausübung im Gesetz ausdrücklich geregelt ist, kann eine Wiedereinsetzung daher grundsätzlich nicht rechtfertigen (vgl. BSG, Urteil vom 14. November 2002, B 13 RJ 39/01 R, juris, Rdnr. 28 = SozR 3-2600 § 115 Nr. 9). Zum anderen hatte die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag Kenntnis davon, dass sie einen Anspruch auf eine Regelaltersrente bereits ab dem 1. Oktober 2013 hat und diese Rente bei entsprechender Antragstellung beanspruchen kann. Diese Kenntnis ergibt sich aus dem Hinweis der Beklagten vom 25. September 2013 nach § 115 Abs. 6 SGB VI, dessen Zugang die Klägerin nicht bestreitet.
Die Klägerin ist auch nicht aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu behandeln, als hätte sie den Rentenantrag früher gestellt.
Das von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ergänzend zu den vorhandenen Korrekturmöglichkeiten bei fehlerhaftem Verwaltungshandeln entwickelte Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs greift – im Sinne des öffentlich-rechtlichen Nachteilsausgleichs – ein, wenn ein Leistungsträger durch Verletzung einer ihm aus dem Sozialleistungsverhältnis obliegenden Haupt- oder Nebenpflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung, nachteilige Folgen für die Rechtsposition des Betroffenen herbeigeführt hat und diese Rechtsfolgen durch ein rechtmäßiges Verwaltungshandeln wieder beseitigt werden können (st. Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 26. April 2005, B 5 RJ 6/04 R, juris, Rdnr. 21 m.w.N. = SozR 4-2600 § 4 Nr. 2). Zwischen der Pflichtverletzung und dem Nachteil für den Betroffenen muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen; auf ein Verschulden des Versicherungsträgers kommt es dagegen nicht an (vgl. BSG, Urteil vom 5. April 2000, B 5 RJ 50/98 R, juris, Rdnr. 18 = SozR 3-1200 § 14 Nr. 29). Demgemäß ist ein Herstellungsanspruch in ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 26. April 2005, B 5 RJ 6/04 R, juris, Rdnr. 21 m.w.N. = SozR 4-2600 § 4 Nr. 2) bejaht worden, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
1. Vorliegen einer Pflichtverletzung, die sich der Sozialleistungsträger im Verhältnis zum Berechtigten zurechnen lassen muss, 2. Eintritt eines rechtlichen Schadens beim Berechtigten, 3. Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadenseintritt, 4. Möglichkeit der Herstellung des Zustands, der ohne die Pflichtverletzung eingetreten wäre.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Es liegt schon keine Pflichtverletzung der Beklagten vor. Die Beklagte ist mit ihrem Hinweis nach § 115 Abs. 6 SGB VI ihrer Beratungspflicht für einen Rentenanspruch nachgekommen. § 115 Abs. 6 SGB VI ist als eine gesonderte Ausprägung der in den §§ 14, 15 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch (SGB I) genannten allgemeinen Hinweis- und Auskunftspflichten der Sozialleistungsträger zu verstehen. Diese Pflichten setzen im Regelfall ein Beratungs- und Auskunftsersuchen des Versicherten voraus. § 115 Abs. 6 SGB VI regelt einen Sonderfall der sogenannten Spontanberatung und begründet eine Hinweispflicht des Rentenversicherungsträgers nicht nur ohne ein konkretes Beratungsersuchen, sondern auch ohne den Anlass einer konkreten Sachbearbeitung (vgl. BSG, Urteil vom 14. November 2002, B 13 RJ 39/01 R, juris, Rdnr. 35 = SozR 3-2600 § 115 Nr. 9).
Auch der Einwand der Klägerin, sie sei nicht über andere Formen der Antragstellung informiert worden, führt zu keinem anderen Ergebnis. Unabhängig davon, dass sich eine telefonische Kontaktaufnahme der Klägerin zur Beklagten im August 2013 nicht feststellen lässt, hätte die Beklagte im Rahmen eines solchen Kontaktes auch nicht ihre Beratungspflicht verletzt, wenn sie die Klägerin nicht darauf hingewiesen hätte, dass ein Antrag auch formlos schriftlich gestellt werden kann. Dass Anträge auf Leistungen bei einer Behörde formlos schriftlich gestellt werden können, ist eine solche Selbstverständlichkeit, dass diesbezüglich keine Hinweispflicht besteht. Nur sofern der Antrag bestimmten Erfordernissen genügen muss, die nicht völlig selbstverständlich sind, müssen auch diese angegeben werden, da ein Antrag sonst möglicherweise sein Ziel nicht erreichen würde (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1996, 13 RJ 23/95, juris, Rdnr. 47 = SozR 3-2600 § 115 Nr. 1).
Nach alledem konnte die Berufung der Klägerin hinsichtlich eines früheren Rentenbeginns keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
II. Die Beklagte hat der Klägerin auch für dieses Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um den Zahlungsbeginn der Regelaltersrente.
Die 1948 geborene Klägerin beantragte am 24. Juni 2014 bei der Beklagten die Regelaltersrente. In ihrer Stellungnahme vom 22. Juli 2014 wies sie darauf hin, dass sie sich Anfang August 2013 telefonisch um einen Termin zur Antragstellung bemüht habe. Die Regelaltersgrenze sei der 5. September 2013. Der ihr genannte Termin am "24. Oktober 2014" sei mehr als einen Monat nach dem angegebenen Eintrittstermin. Sie habe erklärt, dass sie gesundheitliche Schwierigkeiten habe und am 18. Oktober 2013 operiert werde. Eine weitere Operation sei für Januar 2014 geplant gewesen. Es habe festgestanden, dass sie aus gesundheitlichen Gründen, nun erst erheblich verspätet, ihren Rentenantrag hätte stellen können.
Mit Bescheid vom 13. Oktober 2014 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine Regelaltersrente beginnend am 1. Juni 2014 in Höhe von 118,01 EUR monatlich.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein mit dem Ziel eines Rentenbeginns bereits ab dem 1. Oktober 2013. Des Weiteren machte sie die Berücksichtigung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten für die Zeit ab Geburt ihres Adoptivkindes geltend.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2015 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, da der Rentenzahlbeginn der gesetzlichen Regelung entspräche und mit dem Antragsmonat beginne. Die Klägerin sei mit Schreiben vom 25. September 2013 nach § 115 Abs. 6 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI) auf ihren Rentenanspruch hingewiesen worden. Ein Beratungsmangel sei nicht nachgewiesen. Eine Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungszeit könne erst nach Aufnahme des Kindes in den Haushalt der Klägerin am 28. September 1975 anerkannt werden.
Mit ihrer am 3. Juni 2015 erhobenen Klage verfolgte die Klägerin neben den Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten das Ziel eines früheren Rentenbeginns weiter. Sie war der Auffassung, dass sie fehlerhaft beraten worden sei, da ihr keine alternativen Möglichkeiten zur Beantragung der Rente und auch kein möglicher Ausweichtermin aufgezeigt worden sei. In der Broschüre der Beklagten werde ausgeführt, dass als Eingangsdatum des Rentenantrags das Datum der ersten Anfrage bei der Beklagten gelte. Da sie bereits vor dem Erreichen der Regelaltersrente Kontakt mit der Beklagten aufgenommen habe, sei ihre Rente spätestens ab dem 1. Oktober 2013 zu zahlen.
Die Beklagte legte dar, dass keine Unterlagen über eine telefonische Beratung Anfang August 2013 mit Vereinbarung eines Beratungstermins für den "23. Oktober 2014 (!)" vorhanden seien. Der Rentenantrag sei am 15. Juli 2014 eingegangen. Auch wenn erst zum 24. Oktober 2014 ein Beratungstermin möglich gewesen sein sollte, habe seitens der Klägerin durchaus die Möglichkeit bestanden, zunächst schriftlich einen formlosen Rentenantrag zu stellen. Die Klägerin sei nicht willens- und handlungsunfähig und daher außer Stande gewesen, die zur (formlosen) Antragstellung notwendigen Handlungen selbst vorzunehmen oder andere mit ihr zu beauftragen.
Mit Urteil vom 8. September 2016 hat das Sozialgericht Kassel die Klage abgewiesen, da die Klägerin weder eine frühere Antragstellung noch eine fehlerhafte Beratung der Beklagten nachgewiesen habe. Auch bestehe kein Anspruch auf die geltend gemachten Zeiten.
Gegen das am 12. Oktober 2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 9. November 2016 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt (Az.: L 5 R 335/16).
Zur Begründung trägt sie hinsichtlich der Antragstellung vor, dass die ihr zugemutete mangelhafte telefonische Aufklärung durch die Beklagte mit einem ordentlich erstellten Beratungsprotokoll der Beratungsstelle A-Stadt hätte ausgeschlossen werden können. Bezogen auf den von ihr rechtzeitig gewünschten Termin hätte auch mit einer ihr konkret zugesicherten Verfahrensmöglichkeit, den Rentenantrag fristgerecht schriftlich einreichen zu können, der "Beschwerdeweg" verhindert werden können.
Mit Beschluss vom 12. Juli 2017 ist das Verfahren abgetrennt worden, soweit die Frage des früheren Rentenbeginns streitig ist, und unter dem Aktenzeichen L 5 R 236/17 fortgeführt worden.
Die Klägerin beantragt (schriftlich),
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 8. September 2016 teilweise aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 13. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2015 zu verurteilen, ihr die Regelaltersrente bereits ab dem 1. Oktober 2013 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt (schriftlich),
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts Kassel für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 28. Juli 2017 und 28. August 2017 mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Rentenakte betreffend die Klägerin.
Entscheidungsgründe:
Über die Berufung konnte gemäß § 155 Abs. 3 und 4 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch die Berichterstatterin als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erteilt haben.
Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 SGG).
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 8. September 2016 ist im hier zu überprüfenden Umfang nicht zu beanstanden. Zu Recht hat es die Klage abgewiesen, soweit die Klägerin einen Rentenbeginn ab dem 1. Oktober 2013 geltend macht. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2015 (§ 95 SGG) ist insoweit rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Die Klägerin hat erst ab dem 1. Juli 2014 einen Anspruch auf Rentenzahlung. Die Voraussetzungen einer Regelaltersrente nach §§ 35, 235 Abs. 2 Satz 2 SGB VI liegen, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist, ab dem 1. Oktober 2013 vor.
Nach der gesetzlichen Regelung über den Rentenbeginn kann die Klägerin die Regelaltersrente aber erst ab dem 1. Juli 2014 beanspruchen. Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird (§ 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Zwar lagen die Voraussetzungen für die Regelaltersrente bereits ab dem 1. Oktober 2013 vor. Die Klägerin hat einen Rentenantrag nachweislich aber erst am 24. Juni 2014 gestellt, so dass die Rente gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI erst ab dem Monat der Antragstellung, mithin dem 1. Juni 2014, gezahlt werden kann.
Eine telefonische Rentenantragstellung im August 2013 konnte nicht festgestellt werden. Bei der Beklagten ist kein entsprechender Vermerk über einen telefonischen Kontakt vorhanden. Die Klägerin selber hat dafür ebenfalls keinen Nachweis und konnte auch keine konkreteren Angaben zum genauen Zeitpunkt des vorgetragenen Telefonats machen. Insoweit trägt sie aber die Beweislast der für sie günstigen, den Anspruch begründenden Umstände.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) wegen Versäumung der Frist des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI kann der Klägerin nicht zugebilligt werden. Ob eine Wiedereinsetzung bei Versäumung der Frist des § 99 Abs. 1 SGB VI überhaupt zulässig wäre, kann offen bleiben (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1996, 13 RJ 23/95 = SozR 3-2600 § 115 Nr. 1). Die Klägerin war nämlich nicht im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X ohne Verschulden gehindert, diese Frist einzuhalten, d.h., den Antrag auf Regelaltersrente bis zum 31. Dezember 2013 zu stellen. Zum einen gelten nach dem Grundsatz der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen diese mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt allen Normadressaten als bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann diese davon tatsächlich Kenntnis erlangt haben. Eine Unkenntnis solcher Rechte, deren befristete Ausübung im Gesetz ausdrücklich geregelt ist, kann eine Wiedereinsetzung daher grundsätzlich nicht rechtfertigen (vgl. BSG, Urteil vom 14. November 2002, B 13 RJ 39/01 R, juris, Rdnr. 28 = SozR 3-2600 § 115 Nr. 9). Zum anderen hatte die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag Kenntnis davon, dass sie einen Anspruch auf eine Regelaltersrente bereits ab dem 1. Oktober 2013 hat und diese Rente bei entsprechender Antragstellung beanspruchen kann. Diese Kenntnis ergibt sich aus dem Hinweis der Beklagten vom 25. September 2013 nach § 115 Abs. 6 SGB VI, dessen Zugang die Klägerin nicht bestreitet.
Die Klägerin ist auch nicht aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu behandeln, als hätte sie den Rentenantrag früher gestellt.
Das von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ergänzend zu den vorhandenen Korrekturmöglichkeiten bei fehlerhaftem Verwaltungshandeln entwickelte Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs greift – im Sinne des öffentlich-rechtlichen Nachteilsausgleichs – ein, wenn ein Leistungsträger durch Verletzung einer ihm aus dem Sozialleistungsverhältnis obliegenden Haupt- oder Nebenpflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung, nachteilige Folgen für die Rechtsposition des Betroffenen herbeigeführt hat und diese Rechtsfolgen durch ein rechtmäßiges Verwaltungshandeln wieder beseitigt werden können (st. Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 26. April 2005, B 5 RJ 6/04 R, juris, Rdnr. 21 m.w.N. = SozR 4-2600 § 4 Nr. 2). Zwischen der Pflichtverletzung und dem Nachteil für den Betroffenen muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen; auf ein Verschulden des Versicherungsträgers kommt es dagegen nicht an (vgl. BSG, Urteil vom 5. April 2000, B 5 RJ 50/98 R, juris, Rdnr. 18 = SozR 3-1200 § 14 Nr. 29). Demgemäß ist ein Herstellungsanspruch in ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 26. April 2005, B 5 RJ 6/04 R, juris, Rdnr. 21 m.w.N. = SozR 4-2600 § 4 Nr. 2) bejaht worden, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
1. Vorliegen einer Pflichtverletzung, die sich der Sozialleistungsträger im Verhältnis zum Berechtigten zurechnen lassen muss, 2. Eintritt eines rechtlichen Schadens beim Berechtigten, 3. Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadenseintritt, 4. Möglichkeit der Herstellung des Zustands, der ohne die Pflichtverletzung eingetreten wäre.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Es liegt schon keine Pflichtverletzung der Beklagten vor. Die Beklagte ist mit ihrem Hinweis nach § 115 Abs. 6 SGB VI ihrer Beratungspflicht für einen Rentenanspruch nachgekommen. § 115 Abs. 6 SGB VI ist als eine gesonderte Ausprägung der in den §§ 14, 15 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch (SGB I) genannten allgemeinen Hinweis- und Auskunftspflichten der Sozialleistungsträger zu verstehen. Diese Pflichten setzen im Regelfall ein Beratungs- und Auskunftsersuchen des Versicherten voraus. § 115 Abs. 6 SGB VI regelt einen Sonderfall der sogenannten Spontanberatung und begründet eine Hinweispflicht des Rentenversicherungsträgers nicht nur ohne ein konkretes Beratungsersuchen, sondern auch ohne den Anlass einer konkreten Sachbearbeitung (vgl. BSG, Urteil vom 14. November 2002, B 13 RJ 39/01 R, juris, Rdnr. 35 = SozR 3-2600 § 115 Nr. 9).
Auch der Einwand der Klägerin, sie sei nicht über andere Formen der Antragstellung informiert worden, führt zu keinem anderen Ergebnis. Unabhängig davon, dass sich eine telefonische Kontaktaufnahme der Klägerin zur Beklagten im August 2013 nicht feststellen lässt, hätte die Beklagte im Rahmen eines solchen Kontaktes auch nicht ihre Beratungspflicht verletzt, wenn sie die Klägerin nicht darauf hingewiesen hätte, dass ein Antrag auch formlos schriftlich gestellt werden kann. Dass Anträge auf Leistungen bei einer Behörde formlos schriftlich gestellt werden können, ist eine solche Selbstverständlichkeit, dass diesbezüglich keine Hinweispflicht besteht. Nur sofern der Antrag bestimmten Erfordernissen genügen muss, die nicht völlig selbstverständlich sind, müssen auch diese angegeben werden, da ein Antrag sonst möglicherweise sein Ziel nicht erreichen würde (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1996, 13 RJ 23/95, juris, Rdnr. 47 = SozR 3-2600 § 115 Nr. 1).
Nach alledem konnte die Berufung der Klägerin hinsichtlich eines früheren Rentenbeginns keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
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