Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KR 933/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3154/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 13 Abs 3a SGB V begründet einen eigenen Anspruch der Berechtigten, den ihnen das Gesetz kraft Genehmigungsfiktion durch fingierten Verwaltungsakt zuerkennt. Die Rechtmäßigkeit der
fingierten Genehmigung hängt nicht davon ab, ob dem Versicherten
auch ohne die Fiktion ein Anspruch auf diese Leistungen zustehen würde.
fingierten Genehmigung hängt nicht davon ab, ob dem Versicherten
auch ohne die Fiktion ein Anspruch auf diese Leistungen zustehen würde.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 06.07.2017 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch im Berufungsverfahren die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Streitig ist, ob für von der Klägerin beantragte Straffungsoperationen die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) eingetreten ist.
Die 1970 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Wegen Adipositas per magna fand am 04.02.2015 eine Schlauchmagenoperation statt, in deren Folge es zu einem Gewichtsverlust von 57kg, von 147kg auf 90kg kam.
Am 18.05.2016 bat der Facharzt für plastische Chirurgie Dr. R. die Beklagte um Stellungnahme betreffend die Kostenübernahme für eine Bauchdeckenplastik, eine Brust- und Oberschenkelstraffung jeweils beidseits für die Klägerin. Die Maßnahmen seien medizinisch indiziert, da nach einer Schlauchmagenoperation eine generalisierte Erschlaffung des Hautweichteilmantels sowie eine ausgeprägte Hautfettschürzenbildung vorliege. Am 07.07.2016 beantragte die Klägerin förmlich den empfohlenen Eingriff bei der Beklagten.
Am 29.08.2016 beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Erstellung eines Gutachtens (mit dem Vermerk: "Eilauftrag, da nach dem PRG bereits verfristet") und teilte dies der Klägerin mit Schreiben vom selben Tag mit.
Im Gutachten vom 07.09.2016 führte Dr. Re. aus, der Eingriff könne nicht empfohlen werden, da die medizinischen Voraussetzungen für die Leistungen nicht erfüllt seien.
Mit Bescheid vom 12.09.2016 (Bl 11 Verwaltungsakte) lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der hiergegen erhobene Widerspruch vom 10.10.2016 wurde mit Hinweis auf den Eintritt der Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Absatz 3a SGB V begründet.
Mit Bescheid vom 15.11.2016 verfügte die Beklagte hierauf Folgendes: "1. Die durch Fiktion eingetretene Bewilligung der Bodylift Operation an Brust, Bauch und Oberschenkel bsd. wird aufgehoben. 2. Dem Widerspruch vom 10.10.2016 wird abgeholfen. Der Ablehnungsbescheid vom 12.09.2016 wird aufgehoben. 3. Soweit bisher Kosten im Widerspruchsverfahren entstanden sind, werden diese erstattet. 4. Im Übrigen wird die beantragte Bodylift Operation an Brust, Bauch und Oberschenkel bds. abgelehnt." Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Genehmigungsfiktion zwar eingetreten, aber mangels Vorliegens der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf eine Bodylift-Operation wieder zurückgenommen werde.
Hiergegen erhob die Klägerin am 17.11.2016 mit Hinweis auf die eingetretene Genehmigungsfiktion Widerspruch.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.02.2017 (Bl 29 Verwaltungsakte) wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Da die gesetzlichen Voraussetzungen zur Bewilligung der von der Klägerin begehrten Leistung nicht vorlägen, habe der Antrag auf Straffungsoperationen abgelehnt werden müssen.
Hiergegen hat die Klägerin am 27.03.2017 Klage zum Sozialgericht Mannheim erhoben. Sie hat ihr bisheriges Vorbringen aufrechterhalten. Anspruchsgrundlage sei § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Begründung des Widerspruchsbescheids Bezug genommen. Die Genehmigungsfiktion habe zurückgenommen werden müssen, da materiell-rechtlich kein Anspruch auf die Leistung bestehe.
Mit Urteil vom 06.07.2017 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 12.09.2016 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 15.11.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.07.2017 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin drei vollstationäre Straffungsoperationen (Abdominalplastik, Bruststraffung beidseits, Oberschenkelstraffung beidseits) als Sachleistung zu gewähren. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten. Aufgrund des Eintritts der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V habe die Klägerin einen Anspruch auf Durchführung der begehrten Straffungsoperationen. Der Antrag der Klägerin sei hinreichend bestimmt gewesen und die Klägerin habe die begehrten Leistungen subjektiv für erforderlich halten dürfen. Die von der Beklagten auf § 45 SGB X gestützte Rücknahme der Genehmigung im Änderungsbescheid vom 15.11.2016 sei rechtswidrig gewesen, da die Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 SGB X nicht vorgelegen hätten. In Fällen an fiktiven Genehmigung habe sich deren Rechtmäßigkeit allein nach den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 Abs 3a SGB V und nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs zu beurteilen.
Gegen das ihr am 26.07.2017 zugestellte Urteil des SG hat die Beklagte am 11.08.2017 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat sie auf ihr bisheriges Vorbringen Bezug genommen. Die Rücknahme der fingierten Genehmigung nach § 45 SGB X komme gerade bei materieller Rechtswidrigkeit in Betracht. Die Beklagte sei daher berechtigt gewesen, die Genehmigungsfiktion wieder aufzuheben, da der Anspruch materiell-rechtlich nicht bestanden habe. Der Rechtsprechung des 1. Senats des Bundessozialgerichts (Urteil vom 07.11.2017, B 1 KR 24/17 R) werde nicht gefolgt. Der 3. Senat des Bundessozialgerichts habe am 11.05.2017 (B 3 KR 30/15 R) entschieden, dass die durch § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V gesetzlich fingierte Genehmigung grundsätzlich nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften der §§ 44 ff SGB X aufgehoben werden könne, wobei die Voraussetzungen der Genehmigung an dem materiell-rechtlich genehmigten Leistungsanspruch zu bemessen seien. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht berufen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 06.07.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf ihr bisheriges Vorbringen und die ständige Rechtsprechung des 1. Senats des Bundessozialgerichts zu § 13 Abs 3a SGB V Bezug.
Mit Beschluss vom 01.09.2017 hat der Senat den Antrag der Beklagten auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil abgelehnt (Bl 14 ff Senatsakte).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft, zulässig aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind insoweit rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, als die beantragten Straffungsoperationen abgelehnt und die eingetretene Genehmigungsfiktion aufgehoben werden. Zu Recht hat das SG der Klage stattgegeben. Der Klägerin steht der geltend gemachte Leistungsanspruch wegen der eingetretenen Genehmigung ihres Antrags zu.
Nicht mehr Streitgegenstand ist entgegen der Auffassung des SG der Bescheid vom 12.09.2016, da die Beklagte diesen mit Bescheid vom 15.11.2016 aufgehoben hat.
Der Naturalleistungsanspruch auf Erstattung der Kosten für die beantragten drei vollstationären Straffungsoperationen (Abdominalplastik, Bruststraffung beidseits, Oberschenkelstraffung beidseits) ergibt sich aus § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V. Nach § 13 Abs 3a Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Hält die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Nach § 13 Abs 3a Satz 5 SGB V hat die Krankenkasse, sofern sie Fristen nach Satz 1 nicht einhalten kann, dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mitzuteilen. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6).
Der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Versorgung mit den beantragten Straffungsoperationen als Naturalleistung (BSG 07.11.2017, B 1 KR 7/17 R RdNr 12 mwN) ist kraft fingierter Genehmigung des Antrags entstanden (§ 13 Abs 3a S 6 SGB V). Der Senat schließt sich der neueren Rechtsprechung des ersten Senats des Bundessozialgerichts zu § 13 Abs 3a SGB V (Urteile vom 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R, BSGE 121, 40, SozR 4-2500 § 13 Nr 33; 11.07.2017, B 1 KR 1/17 R; 26.09.2017, B 1 KR 8/ 17 R und Urteil vom 02.11.2017, B 1 KR 7/17 R, B 1 KR 24/17 R) an.
Gilt eine beantragte Leistung als genehmigt, erwächst dem Antragsteller hieraus ein Naturalleistungsanspruch als eigenständig durchsetzbarer Anspruch. Der Anspruch ist entsprechend den allgemeinen Grundsätzen auf Freistellung von der Zahlungspflicht gerichtet, wenn die fingierte Genehmigung eine Leistung betrifft, die nicht als Naturalleistung erbracht werden kann (BSG 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R, RdNr 12 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Ausdrücklich regelt das Gesetz, dass, wenn keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes erfolgt, die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt gilt (§ 13 Abs 3a Satz 6 SGB V). Die Klägerin ist als bei der Beklagten Versicherte leistungsberechtigt im Sinne der Regelung. "Leistungsberechtigter" ist derjenige, der berechtigt ist, Leistungen nach dem SGB V zu beanspruchen. Hierzu zählen ua in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Versicherte im Verhältnis zu ihrer jeweiligen Krankenkasse (vgl BSG 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R, RdNr 16 mwN).
Die Klägerin beantragte befundgestützt (Attest des Dr. R. vom 18.05.2016) als Leistung hinreichend bestimmt unter Vorlage des Angebots/Kostenvoranschlags der ausführenden Klinik die Versorgung mit drei vollstationären Straffungsoperationen (Abdominalplastik, Bruststraffung beidseits, Oberschenkelstraffung beidseits). Es genügt hierfür, dass das Behandlungsziel klar ist (vgl BSG 11.07.2017, B 1 KR 1/17 R, juris RdNr 19; BSG 26.09.2017, B 1 KR 8/17 R RdNr 17). Der Beklagten war der Antrag auch hinreichend klar, denn sie hat in ihren Bescheiden über die beantragten Straffungsoperationen entschieden.
Der Antrag der Klägerin betraf eine Leistung, die sie subjektiv für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegt. Die von der Klägerin begehrten Straffungsoperationen liegen nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV (vgl zur bariatrischen Operation BSG 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R, für BSGE und SozR 4 vorgesehen; zur Liposuktion vgl BSG 11.07.2017, B 1 KR 1/17 R; BSG 26.09.2017, B 1 KR 8/17 R). Die Klägerin durfte die beantragten Straffungsoperationen aufgrund der fachlichen Befürwortung durch ihren Arzt Dr. R. auch für erforderlich halten.
Die Beklagte beschied den Antrag weder innerhalb der ab 08.07.2016 beginnenden Drei-Wochen-Frist (§ 13 Abs 3a Satz 1 Alt 1 SGB V) noch innerhalb der Fünf-Wochen-Frist (§ 13 Abs 3a Satz 1 Alt 2 SGB V), sondern erst nach Fristablauf (28.07.2016 bzw 11.08.2016, § 26 Abs 1 SGB X iVm § 188 Abs 2 BGB) mit Bescheid vom 12.09.2016. Maßgeblich für den Fristbeginn war der Eingang des Antrags bei der Beklagten. Hierbei ist es unerheblich, ob die betroffene Krankenkasse meint, der maßgebliche Sachverhalt sei noch aufzuklären (BSG 26.09.2017, B 1 KR 8/17 R, RdNr 24).
Die entstandene Genehmigung ist auch nicht später erloschen. Die Rücknahme der Genehmigung ist aufzuheben, denn sie ist rechtswidrig. Die Genehmigung hat sich auch nicht auf andere Weise erledigt.
Die Rücknahme der fiktiven Genehmigung nach § 45 SGB X mit Bescheid vom 15.11.2016 verletzt die Klägerin in ihrem Anspruch auf Versorgung mit den beantragten Straffungsoperationen. Die Rücknahmevoraussetzungen nach § 45 Abs 1 SGB X sind schon deshalb nicht erfüllt, weil die Genehmigung rechtmäßig ist. Maßstab der Rechtmäßigkeit der Genehmigung ist § 13 Abs 3a SGB V (BSG 07.11.2017, B 1 KR 24/17 R, RdNr 38, für BSGE und SozR 4 vorgesehen). Die Rücknahmeentscheidung ist weder mittels Umdeutung noch anderweitig aufrechtzuerhalten.
§ 13 Abs 3a SGB V begründet einen eigenen Anspruch der Berechtigten, den ihnen das Gesetz kraft Genehmigungsfiktion durch fingierten Verwaltungsakt zuerkennt. Der Gesetzgeber ging damit bewusst über den bisher mittels sachleistungsersetzender Kostenerstattung gewährten Schutz hinaus (vgl dazu § 13 Abs 3 SGB V). Während dort die Berechtigten im Streitfall bei auf eigene Kosten selbstbeschafften Leistungen das Risiko der Nichterweislichkeit der Voraussetzungen ihres Leistungsanspruchs tragen, genügt in den Fällen des § 13 Abs 3a SGB V der Eintritt der Genehmigungsfiktion, weil deren Voraussetzungen erfüllt sind. Mit § 13 Abs 3a SGB V begegnet der Gesetzgeber einem spezifischen Systemversagen, der nicht zeitgerechten Entscheidung der Krankenkasse über einen hiervon erfassten Leistungsantrag. Der berechtigte Antragsteller soll schnell Gewissheit erlangen, ob ihm die beantragte Leistung endgültig zusteht. Der gesetzliche Regelungszweck würde verfehlt, wollte man einen rechtmäßig nach § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V fingierten Verwaltungsakt als einen eine Leistung rechtswidrig bewilligenden Verwaltungsakt ansehen (BSG 07.11.2017, B 1 KR 24/17 R, für BSGE und SozR 4 vorgesehen). Die Gesamtregelung bezweckt, das Interesse aller Berechtigten an einem beschleunigten Verwaltungsverfahren zu schützen und zögerliche Antragsbearbeitung der Krankenkassen zu sanktionieren. Eine Genehmigung ist dementsprechend rechtmäßig, wenn die oben aufgezeigten Voraussetzungen der Norm erfüllt sind (s. oben vgl BSG 07.11.2017, B 1 KR 24/17 R; 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R, RdNr 11 ff, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). So lag es hier, wie oben dargelegt.
Es widerspräche der Regelung des § 45 Abs 1 SGB X, für die Rücknahme einer nach § 13 Abs 3a SGB V fingierten Genehmigung nicht auf deren Voraussetzungen abzustellen, sondern auf die Voraussetzungen des mit dem ursprünglichen Leistungsantrag Begehrten (BSG 07.11.2017, B 1 KR 24/17 R). Soweit die Beklagte meint, es sei erheblich, ob die fingierte Genehmigung im Widerspruch zum materiellen Recht hinsichtlich der Voraussetzungen des mit dem ursprünglichen Leistungsantrag Begehrten stehe, verkennt sie, dass auch die Regelung des § 13 Abs 3a SGB V zum materiellen Recht gehört. Sie hat nämlich materiell-rechtliche genehmigte Leistungsansprüche zum Gegenstand. Eine Abkehr von der Regelung des § 45 Abs 1 SGB X ist damit nicht zu rechtfertigen (BSG 07.11.2017, B 1 KR 24/17 R).
Soweit der 3. Senat des BSG im Urteil vom 11.05.2017 (B 3 KR 30/15 R, Rn 50) auf die gesetzliche Regelung der Genehmigungsfiktion in § 42a VwVfG Bezug nimmt und in dieser Vorschrift eine Generalnorm sieht, aus der sich auch im Hinblick auf die Aufhebbarkeit der Genehmigungsfiktion Erkenntnisse für die Auslegung des § 13 Abs 3a SGB V gewinnen lassen, folgt der erkennende Senat dem nicht. Damit würde der Regelung des § 42a VwVfG eine Bedeutung beigemessen, die ihr im SGB V tatsächlich nicht zukommt, was sich aus Wortlaut und Systematik der § 42a VwVfG und § 13 Abs 3a SGB V ergibt (BSG 07.11.2017, B 1 KR 24/17 R, RdNr 40 ff.; Harich, jurisPR-SozR 2/2018 Anm 3). Nach § 42a Abs 1 S 1 VwVfG gilt eine beantragte Genehmigung nach Ablauf einer für die Entscheidung festgelegten Frist als erteilt (Genehmigungsfiktion), wenn dies durch Rechtsvorschrift angeordnet und der Antrag hinreichend bestimmt ist. Gegenstand dieser Fiktionswirkung ist lediglich das ordnungsgemäße Zustandekommen und die Bekanntgabe. Dem nicht erfüllten Tatbestandsmerkmal ("erteilt") wird durch Fiktion eine andere Tatsache (Fristablauf) gleichgestellt (vgl BVerwG 14.02.1969, IV C 39.68, BVerwGE 31, 274; BVerwG 28.02.1975, IV C 77.74, BVerwGE 48, 87). Der Wortlaut des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V unterscheidet sich von § 42a VwVfG, indem nicht nur "die Genehmigung als erteilt", sondern "die Leistung als genehmigt" gilt. Das BSG hat diesbezüglich ausgeführt: "Beantragt ein Versicherter, ihm eine bestimmte Kranken-, nicht Rehabilitationsbehandlung zu gewähren, die er für erforderlich halten darf, und entscheidet die Krankenkasse hierüber nicht fristgerecht, ohne ihm hinreichende Gründe hierfür mitzuteilen, gilt die Leistung als genehmigt, wenn sie nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegt" (BSG 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R aaO). Zu § 18 Abs 3 Satz 1 SGB IX in der Fassung des BTHG vom 23.12.2016 (BGBl I 2016, 3234), der die Fiktion ebenfalls auf "die beantragte Leistung" erstreckt, führt die Gesetzesbegründung aus, durch die Genehmigungsfiktion werde keine behördliche Entscheidung ersetzt, sondern "eine Rechtsposition sui generis" geschaffen (BT-Drs 18/9522, S. 238). Der Senat hat unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung zu § 18 SGB IX nF, die auch die Rechtsprechung des BSG zu § 13 Abs 3a SGB V in den Blick genommen hat, bereits entschieden, dass eine Prüfung des Leistungsanspruchs nach den §§ 27 ff SGB V nach Eintritt der Genehmigungsfiktion nicht mehr zu erfolgen hat (vgl Senatsbeschluss 20.02.2017, L 11 KR 308/17 unter Hinweis auf BT-Drs 18/9522, 238 zu § 18 SGB IX nF).
Die vom ersten Senat des BSG vorgenommene Auslegung des § 13 Abs 3a S 6 SGB V wird damit bestätigt durch die Neuregelung des § 18 SGB IX durch das Bundesteilhabegesetz, in die der Gesetzgeber eine an § 13 Abs 3a SGB V anknüpfende Regelung aufgenommen und in der Gesetzesbegründung ausdrücklich auf die Rechtsprechung zu § 13 Abs 3a SGB V Bezug genommen und weitere Hinweise zur Auslegung der Normen gegeben hat (vgl Senatsbeschluss 20.02.2017, L 11 KR 308/17). Mit der Änderung des § 18 SGB IX ist die Auffassung des 1. Senats des BSG bestätigt worden (so auch Harich aaO; Ulmer, SGb 2017, 567).
Die Genehmigung der beantragten Straffungsoperationen hat sich auch nicht auf andere Weise erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X). Umstände, die die Genehmigung hätten entfallen lassen können, liegen nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Die Beklagte trägt auch im Berufungsverfahren die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Streitig ist, ob für von der Klägerin beantragte Straffungsoperationen die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) eingetreten ist.
Die 1970 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Wegen Adipositas per magna fand am 04.02.2015 eine Schlauchmagenoperation statt, in deren Folge es zu einem Gewichtsverlust von 57kg, von 147kg auf 90kg kam.
Am 18.05.2016 bat der Facharzt für plastische Chirurgie Dr. R. die Beklagte um Stellungnahme betreffend die Kostenübernahme für eine Bauchdeckenplastik, eine Brust- und Oberschenkelstraffung jeweils beidseits für die Klägerin. Die Maßnahmen seien medizinisch indiziert, da nach einer Schlauchmagenoperation eine generalisierte Erschlaffung des Hautweichteilmantels sowie eine ausgeprägte Hautfettschürzenbildung vorliege. Am 07.07.2016 beantragte die Klägerin förmlich den empfohlenen Eingriff bei der Beklagten.
Am 29.08.2016 beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Erstellung eines Gutachtens (mit dem Vermerk: "Eilauftrag, da nach dem PRG bereits verfristet") und teilte dies der Klägerin mit Schreiben vom selben Tag mit.
Im Gutachten vom 07.09.2016 führte Dr. Re. aus, der Eingriff könne nicht empfohlen werden, da die medizinischen Voraussetzungen für die Leistungen nicht erfüllt seien.
Mit Bescheid vom 12.09.2016 (Bl 11 Verwaltungsakte) lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der hiergegen erhobene Widerspruch vom 10.10.2016 wurde mit Hinweis auf den Eintritt der Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Absatz 3a SGB V begründet.
Mit Bescheid vom 15.11.2016 verfügte die Beklagte hierauf Folgendes: "1. Die durch Fiktion eingetretene Bewilligung der Bodylift Operation an Brust, Bauch und Oberschenkel bsd. wird aufgehoben. 2. Dem Widerspruch vom 10.10.2016 wird abgeholfen. Der Ablehnungsbescheid vom 12.09.2016 wird aufgehoben. 3. Soweit bisher Kosten im Widerspruchsverfahren entstanden sind, werden diese erstattet. 4. Im Übrigen wird die beantragte Bodylift Operation an Brust, Bauch und Oberschenkel bds. abgelehnt." Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Genehmigungsfiktion zwar eingetreten, aber mangels Vorliegens der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf eine Bodylift-Operation wieder zurückgenommen werde.
Hiergegen erhob die Klägerin am 17.11.2016 mit Hinweis auf die eingetretene Genehmigungsfiktion Widerspruch.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.02.2017 (Bl 29 Verwaltungsakte) wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Da die gesetzlichen Voraussetzungen zur Bewilligung der von der Klägerin begehrten Leistung nicht vorlägen, habe der Antrag auf Straffungsoperationen abgelehnt werden müssen.
Hiergegen hat die Klägerin am 27.03.2017 Klage zum Sozialgericht Mannheim erhoben. Sie hat ihr bisheriges Vorbringen aufrechterhalten. Anspruchsgrundlage sei § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Begründung des Widerspruchsbescheids Bezug genommen. Die Genehmigungsfiktion habe zurückgenommen werden müssen, da materiell-rechtlich kein Anspruch auf die Leistung bestehe.
Mit Urteil vom 06.07.2017 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 12.09.2016 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 15.11.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.07.2017 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin drei vollstationäre Straffungsoperationen (Abdominalplastik, Bruststraffung beidseits, Oberschenkelstraffung beidseits) als Sachleistung zu gewähren. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten. Aufgrund des Eintritts der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V habe die Klägerin einen Anspruch auf Durchführung der begehrten Straffungsoperationen. Der Antrag der Klägerin sei hinreichend bestimmt gewesen und die Klägerin habe die begehrten Leistungen subjektiv für erforderlich halten dürfen. Die von der Beklagten auf § 45 SGB X gestützte Rücknahme der Genehmigung im Änderungsbescheid vom 15.11.2016 sei rechtswidrig gewesen, da die Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 SGB X nicht vorgelegen hätten. In Fällen an fiktiven Genehmigung habe sich deren Rechtmäßigkeit allein nach den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 Abs 3a SGB V und nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs zu beurteilen.
Gegen das ihr am 26.07.2017 zugestellte Urteil des SG hat die Beklagte am 11.08.2017 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat sie auf ihr bisheriges Vorbringen Bezug genommen. Die Rücknahme der fingierten Genehmigung nach § 45 SGB X komme gerade bei materieller Rechtswidrigkeit in Betracht. Die Beklagte sei daher berechtigt gewesen, die Genehmigungsfiktion wieder aufzuheben, da der Anspruch materiell-rechtlich nicht bestanden habe. Der Rechtsprechung des 1. Senats des Bundessozialgerichts (Urteil vom 07.11.2017, B 1 KR 24/17 R) werde nicht gefolgt. Der 3. Senat des Bundessozialgerichts habe am 11.05.2017 (B 3 KR 30/15 R) entschieden, dass die durch § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V gesetzlich fingierte Genehmigung grundsätzlich nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften der §§ 44 ff SGB X aufgehoben werden könne, wobei die Voraussetzungen der Genehmigung an dem materiell-rechtlich genehmigten Leistungsanspruch zu bemessen seien. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht berufen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 06.07.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf ihr bisheriges Vorbringen und die ständige Rechtsprechung des 1. Senats des Bundessozialgerichts zu § 13 Abs 3a SGB V Bezug.
Mit Beschluss vom 01.09.2017 hat der Senat den Antrag der Beklagten auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil abgelehnt (Bl 14 ff Senatsakte).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft, zulässig aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind insoweit rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, als die beantragten Straffungsoperationen abgelehnt und die eingetretene Genehmigungsfiktion aufgehoben werden. Zu Recht hat das SG der Klage stattgegeben. Der Klägerin steht der geltend gemachte Leistungsanspruch wegen der eingetretenen Genehmigung ihres Antrags zu.
Nicht mehr Streitgegenstand ist entgegen der Auffassung des SG der Bescheid vom 12.09.2016, da die Beklagte diesen mit Bescheid vom 15.11.2016 aufgehoben hat.
Der Naturalleistungsanspruch auf Erstattung der Kosten für die beantragten drei vollstationären Straffungsoperationen (Abdominalplastik, Bruststraffung beidseits, Oberschenkelstraffung beidseits) ergibt sich aus § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V. Nach § 13 Abs 3a Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Hält die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Nach § 13 Abs 3a Satz 5 SGB V hat die Krankenkasse, sofern sie Fristen nach Satz 1 nicht einhalten kann, dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mitzuteilen. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6).
Der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Versorgung mit den beantragten Straffungsoperationen als Naturalleistung (BSG 07.11.2017, B 1 KR 7/17 R RdNr 12 mwN) ist kraft fingierter Genehmigung des Antrags entstanden (§ 13 Abs 3a S 6 SGB V). Der Senat schließt sich der neueren Rechtsprechung des ersten Senats des Bundessozialgerichts zu § 13 Abs 3a SGB V (Urteile vom 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R, BSGE 121, 40, SozR 4-2500 § 13 Nr 33; 11.07.2017, B 1 KR 1/17 R; 26.09.2017, B 1 KR 8/ 17 R und Urteil vom 02.11.2017, B 1 KR 7/17 R, B 1 KR 24/17 R) an.
Gilt eine beantragte Leistung als genehmigt, erwächst dem Antragsteller hieraus ein Naturalleistungsanspruch als eigenständig durchsetzbarer Anspruch. Der Anspruch ist entsprechend den allgemeinen Grundsätzen auf Freistellung von der Zahlungspflicht gerichtet, wenn die fingierte Genehmigung eine Leistung betrifft, die nicht als Naturalleistung erbracht werden kann (BSG 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R, RdNr 12 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Ausdrücklich regelt das Gesetz, dass, wenn keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes erfolgt, die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt gilt (§ 13 Abs 3a Satz 6 SGB V). Die Klägerin ist als bei der Beklagten Versicherte leistungsberechtigt im Sinne der Regelung. "Leistungsberechtigter" ist derjenige, der berechtigt ist, Leistungen nach dem SGB V zu beanspruchen. Hierzu zählen ua in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Versicherte im Verhältnis zu ihrer jeweiligen Krankenkasse (vgl BSG 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R, RdNr 16 mwN).
Die Klägerin beantragte befundgestützt (Attest des Dr. R. vom 18.05.2016) als Leistung hinreichend bestimmt unter Vorlage des Angebots/Kostenvoranschlags der ausführenden Klinik die Versorgung mit drei vollstationären Straffungsoperationen (Abdominalplastik, Bruststraffung beidseits, Oberschenkelstraffung beidseits). Es genügt hierfür, dass das Behandlungsziel klar ist (vgl BSG 11.07.2017, B 1 KR 1/17 R, juris RdNr 19; BSG 26.09.2017, B 1 KR 8/17 R RdNr 17). Der Beklagten war der Antrag auch hinreichend klar, denn sie hat in ihren Bescheiden über die beantragten Straffungsoperationen entschieden.
Der Antrag der Klägerin betraf eine Leistung, die sie subjektiv für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegt. Die von der Klägerin begehrten Straffungsoperationen liegen nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV (vgl zur bariatrischen Operation BSG 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R, für BSGE und SozR 4 vorgesehen; zur Liposuktion vgl BSG 11.07.2017, B 1 KR 1/17 R; BSG 26.09.2017, B 1 KR 8/17 R). Die Klägerin durfte die beantragten Straffungsoperationen aufgrund der fachlichen Befürwortung durch ihren Arzt Dr. R. auch für erforderlich halten.
Die Beklagte beschied den Antrag weder innerhalb der ab 08.07.2016 beginnenden Drei-Wochen-Frist (§ 13 Abs 3a Satz 1 Alt 1 SGB V) noch innerhalb der Fünf-Wochen-Frist (§ 13 Abs 3a Satz 1 Alt 2 SGB V), sondern erst nach Fristablauf (28.07.2016 bzw 11.08.2016, § 26 Abs 1 SGB X iVm § 188 Abs 2 BGB) mit Bescheid vom 12.09.2016. Maßgeblich für den Fristbeginn war der Eingang des Antrags bei der Beklagten. Hierbei ist es unerheblich, ob die betroffene Krankenkasse meint, der maßgebliche Sachverhalt sei noch aufzuklären (BSG 26.09.2017, B 1 KR 8/17 R, RdNr 24).
Die entstandene Genehmigung ist auch nicht später erloschen. Die Rücknahme der Genehmigung ist aufzuheben, denn sie ist rechtswidrig. Die Genehmigung hat sich auch nicht auf andere Weise erledigt.
Die Rücknahme der fiktiven Genehmigung nach § 45 SGB X mit Bescheid vom 15.11.2016 verletzt die Klägerin in ihrem Anspruch auf Versorgung mit den beantragten Straffungsoperationen. Die Rücknahmevoraussetzungen nach § 45 Abs 1 SGB X sind schon deshalb nicht erfüllt, weil die Genehmigung rechtmäßig ist. Maßstab der Rechtmäßigkeit der Genehmigung ist § 13 Abs 3a SGB V (BSG 07.11.2017, B 1 KR 24/17 R, RdNr 38, für BSGE und SozR 4 vorgesehen). Die Rücknahmeentscheidung ist weder mittels Umdeutung noch anderweitig aufrechtzuerhalten.
§ 13 Abs 3a SGB V begründet einen eigenen Anspruch der Berechtigten, den ihnen das Gesetz kraft Genehmigungsfiktion durch fingierten Verwaltungsakt zuerkennt. Der Gesetzgeber ging damit bewusst über den bisher mittels sachleistungsersetzender Kostenerstattung gewährten Schutz hinaus (vgl dazu § 13 Abs 3 SGB V). Während dort die Berechtigten im Streitfall bei auf eigene Kosten selbstbeschafften Leistungen das Risiko der Nichterweislichkeit der Voraussetzungen ihres Leistungsanspruchs tragen, genügt in den Fällen des § 13 Abs 3a SGB V der Eintritt der Genehmigungsfiktion, weil deren Voraussetzungen erfüllt sind. Mit § 13 Abs 3a SGB V begegnet der Gesetzgeber einem spezifischen Systemversagen, der nicht zeitgerechten Entscheidung der Krankenkasse über einen hiervon erfassten Leistungsantrag. Der berechtigte Antragsteller soll schnell Gewissheit erlangen, ob ihm die beantragte Leistung endgültig zusteht. Der gesetzliche Regelungszweck würde verfehlt, wollte man einen rechtmäßig nach § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V fingierten Verwaltungsakt als einen eine Leistung rechtswidrig bewilligenden Verwaltungsakt ansehen (BSG 07.11.2017, B 1 KR 24/17 R, für BSGE und SozR 4 vorgesehen). Die Gesamtregelung bezweckt, das Interesse aller Berechtigten an einem beschleunigten Verwaltungsverfahren zu schützen und zögerliche Antragsbearbeitung der Krankenkassen zu sanktionieren. Eine Genehmigung ist dementsprechend rechtmäßig, wenn die oben aufgezeigten Voraussetzungen der Norm erfüllt sind (s. oben vgl BSG 07.11.2017, B 1 KR 24/17 R; 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R, RdNr 11 ff, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). So lag es hier, wie oben dargelegt.
Es widerspräche der Regelung des § 45 Abs 1 SGB X, für die Rücknahme einer nach § 13 Abs 3a SGB V fingierten Genehmigung nicht auf deren Voraussetzungen abzustellen, sondern auf die Voraussetzungen des mit dem ursprünglichen Leistungsantrag Begehrten (BSG 07.11.2017, B 1 KR 24/17 R). Soweit die Beklagte meint, es sei erheblich, ob die fingierte Genehmigung im Widerspruch zum materiellen Recht hinsichtlich der Voraussetzungen des mit dem ursprünglichen Leistungsantrag Begehrten stehe, verkennt sie, dass auch die Regelung des § 13 Abs 3a SGB V zum materiellen Recht gehört. Sie hat nämlich materiell-rechtliche genehmigte Leistungsansprüche zum Gegenstand. Eine Abkehr von der Regelung des § 45 Abs 1 SGB X ist damit nicht zu rechtfertigen (BSG 07.11.2017, B 1 KR 24/17 R).
Soweit der 3. Senat des BSG im Urteil vom 11.05.2017 (B 3 KR 30/15 R, Rn 50) auf die gesetzliche Regelung der Genehmigungsfiktion in § 42a VwVfG Bezug nimmt und in dieser Vorschrift eine Generalnorm sieht, aus der sich auch im Hinblick auf die Aufhebbarkeit der Genehmigungsfiktion Erkenntnisse für die Auslegung des § 13 Abs 3a SGB V gewinnen lassen, folgt der erkennende Senat dem nicht. Damit würde der Regelung des § 42a VwVfG eine Bedeutung beigemessen, die ihr im SGB V tatsächlich nicht zukommt, was sich aus Wortlaut und Systematik der § 42a VwVfG und § 13 Abs 3a SGB V ergibt (BSG 07.11.2017, B 1 KR 24/17 R, RdNr 40 ff.; Harich, jurisPR-SozR 2/2018 Anm 3). Nach § 42a Abs 1 S 1 VwVfG gilt eine beantragte Genehmigung nach Ablauf einer für die Entscheidung festgelegten Frist als erteilt (Genehmigungsfiktion), wenn dies durch Rechtsvorschrift angeordnet und der Antrag hinreichend bestimmt ist. Gegenstand dieser Fiktionswirkung ist lediglich das ordnungsgemäße Zustandekommen und die Bekanntgabe. Dem nicht erfüllten Tatbestandsmerkmal ("erteilt") wird durch Fiktion eine andere Tatsache (Fristablauf) gleichgestellt (vgl BVerwG 14.02.1969, IV C 39.68, BVerwGE 31, 274; BVerwG 28.02.1975, IV C 77.74, BVerwGE 48, 87). Der Wortlaut des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V unterscheidet sich von § 42a VwVfG, indem nicht nur "die Genehmigung als erteilt", sondern "die Leistung als genehmigt" gilt. Das BSG hat diesbezüglich ausgeführt: "Beantragt ein Versicherter, ihm eine bestimmte Kranken-, nicht Rehabilitationsbehandlung zu gewähren, die er für erforderlich halten darf, und entscheidet die Krankenkasse hierüber nicht fristgerecht, ohne ihm hinreichende Gründe hierfür mitzuteilen, gilt die Leistung als genehmigt, wenn sie nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegt" (BSG 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R aaO). Zu § 18 Abs 3 Satz 1 SGB IX in der Fassung des BTHG vom 23.12.2016 (BGBl I 2016, 3234), der die Fiktion ebenfalls auf "die beantragte Leistung" erstreckt, führt die Gesetzesbegründung aus, durch die Genehmigungsfiktion werde keine behördliche Entscheidung ersetzt, sondern "eine Rechtsposition sui generis" geschaffen (BT-Drs 18/9522, S. 238). Der Senat hat unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung zu § 18 SGB IX nF, die auch die Rechtsprechung des BSG zu § 13 Abs 3a SGB V in den Blick genommen hat, bereits entschieden, dass eine Prüfung des Leistungsanspruchs nach den §§ 27 ff SGB V nach Eintritt der Genehmigungsfiktion nicht mehr zu erfolgen hat (vgl Senatsbeschluss 20.02.2017, L 11 KR 308/17 unter Hinweis auf BT-Drs 18/9522, 238 zu § 18 SGB IX nF).
Die vom ersten Senat des BSG vorgenommene Auslegung des § 13 Abs 3a S 6 SGB V wird damit bestätigt durch die Neuregelung des § 18 SGB IX durch das Bundesteilhabegesetz, in die der Gesetzgeber eine an § 13 Abs 3a SGB V anknüpfende Regelung aufgenommen und in der Gesetzesbegründung ausdrücklich auf die Rechtsprechung zu § 13 Abs 3a SGB V Bezug genommen und weitere Hinweise zur Auslegung der Normen gegeben hat (vgl Senatsbeschluss 20.02.2017, L 11 KR 308/17). Mit der Änderung des § 18 SGB IX ist die Auffassung des 1. Senats des BSG bestätigt worden (so auch Harich aaO; Ulmer, SGb 2017, 567).
Die Genehmigung der beantragten Straffungsoperationen hat sich auch nicht auf andere Weise erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X). Umstände, die die Genehmigung hätten entfallen lassen können, liegen nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
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