L 4 KR 172/18 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 15 KR 4490/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 172/18 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 11. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten auch des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird endgültig auf EUR 65.267,59 festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über eine europaweite Hilfsmittelausschreibung der Antragsgegnerin. Die Antragstellerin begehrt eine einstweilige Untersagung der Zuschlagserteilung, hilfsweise für den Fall der Zuschlagerteilung der Versorgung der Versicherten der Antragsgegnerin gemäß der Ausschreibung.

Die antragstellende KG betreibt ein seit vielen Jahren als Leistungserbringer im Gesundheitsbereich tätiges Sanitätshaus, das auch Versicherte der Antragsgegnerin versorgt.

Die Antragsgegnerin führt derzeit europaweit ein offenes Vergabeerfahren zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen über die Versorgung ihrer Versicherten mit Stomaartikeln der Produktgruppe 29 sowie mit Inkontinenzhilfen der Produktgruppe 15 zur ergänzenden Versorgung mit Urostomaanlagen des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für zunächst zwei bis maximal vier Jahre durch. Am 3. November 2017 sandte die Antragsgegnerin den streitigen Lieferauftrag an das europaweite Vergabeportal ab. Die Ausschreibung wurde mit Fassung vom 24. November 2017 aktualisiert. Wegen des Inhalts der Auftragsbekanntmachung wird auf Bl. 62 ff, wegen der Leistungsbeschreibung auf Bl. 111 und wegen der Präqualifizierungsvoraussetzungen der Antragstellerin i.S.d. § 126 SGB V auf Bl. 89 ff. der Verfahrensakten des Sozialgerichts Freiburg (SG) Bezug genommen.

Am 28. November 2017 stellte die Antragstellerin beim SG einen Antrag auf vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin gestellt, die Ausschreibung der Versorgung mit Hilfsmitteln zur Stomaversorgung der Produktgruppen 29 und in diesem Zusammenhang gegebenenfalls erforderlichen Hilfsmitteln zur Inkontinenz der Produktgruppe 15 gemäß § 127 Abs. 1 SGB V zu unterlassen, hilfs¬weise für den Fall der Zuschlagserteilung der Antragsgegnerin zu untersagen, ihre, der Antragsgegnerin, Versicherten gemäß der genannten Ausschreibung zu versorgen. Die ausgeschriebene Versorgung mit Stomaartikeln weise einen besonders hohen Dienstleistungsanteil auf, so dass eine Ausschreibung gemäß § 127 Abs. 1 Satz 6 SGB V nicht zweckmäßig und daher rechtswidrig sei. Aufgrund der fehlenden Zweckmäßigkeit sei es der Antragsgegnerin nicht möglich, einen Vertrag im Wege der Ausschreibung zu schließen. Durch die Ausschreibung greife die Antragsgegnerin in ihre, der Antragstellerin, Rechte nach § 127 Abs. 2, 2a SGB V ein, wonach ihr ein Anspruch auf die Aufnahme von Vertragsverhandlungen bzw. auf den Beitritt zu einem abgeschlossenen Rahmenvertrag zustehe. Infolge des zu erwartenden Kundenverlustes seien erhebliche Umsatzeinbußen zu erwarten. Derzeit versorge sie etwa 70 Versicherte der Antragsgegnerin mit Stomaartikeln; der Umsatz betrage EUR 130.535,18.

Die Antragsgegnerin trat dem entgegen. Bereits der Rechtsweg zu den Sozialgerichten sei nicht gegeben. Die Antragstellerin sei des Weiteren nicht antragsbefugt. Jedenfalls sei die Zweckmäßigkeit der Ausschreibung gegeben.

Mit Beschluss vom 11. Dezember 2017 verwarf das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unzulässig. Für den Hauptantrag sei der Sozialrechtsweg eröffnet, da sich die Antragstellerin noch nicht am Ausschreibungsverfahren beteiligt habe. Der Antrag sei jedoch mangels Antragsbefugnis der Antragstellerin nicht zulässig. § 127 Abs. 1 SGB V normiere Pflichten der Krankenkassen im öffentlichen Interesse, biete aber keine drittschützende Wirkung zugunsten der Antragstellerin. Für den Hilfsantrag sei der Sozialrechtsweg nicht eröffnet. Eine Verweisung an die zuständige Vergabekammer sei jedoch mangels rechtlicher Grundlage nicht möglich.

Gegen diesen ihr am 13. Dezember 2017 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 12. Januar 2018 Beschwerde beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt, zu deren Begründung sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft hat. Insbesondere hat sie ausgeführt, in einem Verfahren der vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen werde die von ihr gerügte fehlende Zweckmäßigkeit der Ausschreibung gerade nicht geprüft. Ohne die begehrte einstweilige Anordnung wäre sie unter Verstoß gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) nicht in der Lage, ihre Rechte aus § 127 SGB V geltend zu machen. Mittlerweile habe das Bundesversicherungsamt im Wege der Rechtsaufsicht die Antragsgegnerin durch Bescheid vom 20. März 2018 verpflichtet, die streitige Ausschreibung wegen fehlender Zweckmäßigkeit aufzuheben. Dieser Bescheid entfalte Tatbestandswirkung. Mit Schriftsatz vom 28. März 2018 hat sie ihren Antrag neu gefasst.

Die Antragstellerin beantragt zuletzt,

den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 11. Dezember 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, in der Ausschreibung der Versorgung mit Hilfsmitteln zur Stomaversorgung der Produktgruppe 29 und den gegebenenfalls in diesem Zusammenhang erforderlichen Hilfsmitteln zur Inkontinenz der Produktgruppe 15 gemäß § 127 Abs. 1 SGB V gemäß der Bekanntmachung der Antragsgegnerin vom 3. November 2017 keinen Zuschlag bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu erteilen, hilfsweise, für den Fall der Zuschlagserteilung der Antragsgegnerin zu untersagen, ihre Versicherten gemäß der vorgenannten Ausschreibung zu versorgen.

Die Antragsgegnerin beantragt (sachdienlich gefasst),

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hat weiter die Ansicht vertreten, der Rechtsweg sei nicht gegeben. § 69 Abs. 3 SGB V verweise auf den gesamten 4. Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und damit auch auf die Zuständigkeiten der Vergabekammern und Oberlandesgerichte nach §§ 155 ff GWB. In solchen Nachprüfungsverfahren könne auch die Unterlassung von Handlungen begehrt werden. Subjektive Rechte habe die Antragstellerin nicht, insbesondere keinen Anspruch auf Vertragsverhandlungen oder Vertragsbeitritt. Mittlerweile sei beim Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf (Vergabesenat) ein Verfahren anhängig, so dass schon deshalb derzeit ein Zuschlagsverbot bestehe. Das Bundesversicherungsamt sei zuständig für sozialrechtliche Verstöße, die keine geschützte Rechtsposition eines Anbieters beträfen. Außerdem sei die Eilbedürftigkeit derzeit nicht gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte des Senats und des SG Bezug genommen.

II.

1. Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist auch sonst zulässig, insbesondere statthaft nach § 172 SGG.

Die Eröffnung des Rechtswegs zu den Sozialgerichten für den Hauptantrag folgt bereits daraus, dass das SG ihn als gegeben erachtet hat und dies gemäß § 17a Abs. 5 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) von den weiteren Instanzen im Rechtsmittelzug hinzunehmen ist. § 17a Abs. 5 GVG verbietet dem Gericht, das über ein Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs. Die Bindungswirkung gilt unabhängig davon, ob ein Beteiligter die Zulässigkeit des Rechtswegs im erstinstanzlichen Verfahren in Frage gestellt hat. Sie gilt auch dann, wenn das erstinstanzlich befasste Sozialgericht den Rechtsweg nur inzident bejaht hat (Bundessozialgericht, Urteil vom 23. März 2011 – B 6 KA 11/10 R – juris, Rn. 15). Diese Bindungswirkung des § 17a Abs. 5 GVG greift hier ein; denn das SG hat über das Begehren der Antragstellerin hinsichtlich des Hauptantrags in der Sache entschieden und den Rechtsweg zu den Sozialgerichten (§ 51 SGG) somit inzident für gegeben erachtet.

2. Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat den Antrag im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

a) Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit – wie hier – nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).

aa) Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die – summarische – Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung[ZPO]). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache können auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden, solange jedenfalls nicht schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären (Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschlüsse vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – juris, Rn. 23 ff. und vom 25. Februar 2009 – 1 BvR 120/09 – juris, Rn. 11). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.

bb) Vorliegend fehlt es bereits an einem Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit. Eine solche ist gegeben, wenn es dem jeweiligen Antragsteller nicht zuzumuten ist, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, weil ihm ansonsten wesentlicher Nachteile drohen. Durch das Erfordernis des Vorliegens eines Anordnungsgrundes wird gewährleistet, dass einstweilige Anordnungen nur in den Fällen erlassen werden, in denen es zu vermeiden gilt, dass der jeweilige Antragsteller vor vollendete Tatsachen gestellt wird, bevor er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann.

(1) Der Annahme eines glaubhaft gemachten Anordnungsgrundes im beschriebenen Sinn steht bereits entgegen, dass in der vorliegenden Konstellation ein Verfahren der Hauptsache vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht anhängig gemacht werden kann, da der Rechtsweg zu diesen weder für den Haupt-, noch für den Hilfsantrag eröffnet ist.

Nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit u.a. in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Nach § 51 Abs. 3 SGG sind jedoch von der Zuständigkeit nach den Absätzen 1 und 2 ausgenommen Streitigkeiten in Verfahren nach dem GWB, die Rechtsbeziehungen nach § 69 SGB V betreffen. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB V werden vom Anwendungsbereich dieser Norm abschließend u.a. die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und sonstiger Leistungserbringer, zu denen die Antragstellerin gehört, umfasst. Insoweit bestimmt § 69 Abs. 3 SGB V, dass auf öffentliche Aufträge nach dem SGB V die Vorschriften des 4. Teils des GWB anzuwenden sind. Durch § 127 Abs. 1 Satz 7 SGB V (in der ab 11. April 2017 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 10 Buchst. a DBuchst. cc des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes vom 4. April 2017, BGBl. I, S. 778) hat der Gesetzgeber für die Hilfsmittelbeschaffung durch die gesetzlichen Krankenkassen klargestellt, dass für öffentliche Aufträge im Sinne des § 103 Abs. 1 GWB, deren geschätzter Auftragswert ohne Umsatzsteuer den maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 106 GWB erreicht oder überschreitet, nach Maßgabe des 4. Teils des GWB zu vergeben sind. Damit ist die Überprüfung von öffentlichen Aufträgen nach der Sonderzuweisung in § 69 Abs. 3 SGB V auch hinsichtlich der von der Antragstellerin in den Mittelpunkt gestellten Frage der Zweckmäßigkeit i.S.d. § 127 Abs. 1 Satz 6 SGB V von der Zuständigkeit der Sozialgerichte gemäß § 51 Abs. 3 SGG ausgenommen (ausführlich hierzu Bayerisches LSG, Beschluss vom 21. März 2018 – L 5 KR 81/18 B ER –; ebenso LSG für das Saarland, Beschluss vom 3. April 2018 – L 2 KR 2/18 B ER –). Die Voraussetzungen des § 69 Abs. 3 SGB V sind vorliegend erfüllt, insbesondere handelt es sich bei der Ausschreibung durch die Antragsgegnerin um einen öffentlichen Auftrag i.S.d. § 99 Abs. 1 GWB. Entscheidend ist insoweit allein die konkret gewählte Vorgehensweise der Antragsgegnerin.

Mithin kann der Zweck des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens, die Sicherung von Rechten bis zur Erlangung wirksamen Rechtsschutzes im Hauptsacheverfahren, durch die begehrte einstweilige Anordnung nicht verwirklicht werden; insofern bedarf es des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung des vermeintlichen Anspruchs bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht.

(2) Die Antragstellerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, ihr drohe ohne die begehrte einstweilige Anordnung ein irreversibler Rechtsverlust, weil die Zweckmäßigkeit i.S.d. § 127 Abs. 1 Satz 6 SGB V in einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren nicht geprüft werde.

Zunächst trifft es nicht zu, dass im Nachprüfungsverfahren nur Verstöße gegen vergaberechtliche Vorschriften zu prüfen seien. Die Berechtigung eines Vergabeverfahrens ist inzidenter von den Nachprüfungsinstanzen zu entscheiden (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18. Juni 2012 – X ZB 9/11 – juris, Rn. 14). Dies wird von den Vergabekammern auch praktiziert. Dies ergibt sich u.a. aus dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 5. April 2018 (VK 1-17/18), in dem ausführlich darstellt wird, weshalb die streitige Ausschreibung nicht gegen das Zweckmäßigkeitsgebot des § 127 Abs. 1 Satz 6 SGB V verstoße (vgl. dort unter II. 2. a). Dies entspricht auch der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 21. Dezember 2016 – VII-Verg 26/16 – juris, Rn. 40). Dieses hat diese Regelung überprüft, aber europarechtskonform dahingehend ausgelegt, dass die Durchführung eines geregelten Vergabeverfahrens nicht von Zweckmäßigkeits- bzw. Ermessenserwägungen abhängig gemacht werden dürfe. Die Antragstellerin ist daher nicht gehindert, diese sie nicht überzeugende Rechtsprechung in einem Verfahren vor den zuständigen vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen überprüfen zu lassen. Ein solches Nachprüfungsverfahren könnte sie auch dann einleiten, wenn sie zuvor kein Angebot auf die Ausschreibung abgegeben hat (Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 12. Februar 2004 – C-230/02 – juris, Rn. 28).

(3) Auch im Übrigen hat die Antragstellerin einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Die Annahme, dass Nachteile zu befürchten stehen, ist dann gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die auf eine unmittelbar bevorstehende Veränderung schließen lassen; es muss also eine konkrete und objektive Gefahr vorliegen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b, Rn. 27a). Nachteile in diesem Sinne können zwar auch in drohenden erheblichen wirtschaftlichen Gründen erblickt werden, indes steht derzeit nicht zu befürchten, dass sich die von der Antragstellerin angeführte Umsatzeinbuße bei (vollständigem) Verlust der von ihr versorgten 70 Versicherten in Höhe von EUR 130.535,18 aktuell realisiert. Dies gründet darin, dass das Bundesversicherungsamt in seinem aufsichtsrechtlichen Verpflichtungsbescheid nach §§ 89 Abs. 1 Satz 2, 90 Abs. 1 Satz 1 SGB V vom 20. März 2018 die Antragsgegnerin verpflichtet hat, die Ausschreibung über die Versorgung mit Stomaartikeln der Produktgruppe 29 und den ggf. in diesem Zusammenhang erforderlichen Inkontinenzhilfen der Produktgruppe 15 gemäß § 127 Abs. 1 SGB V aufzuheben. Da das Bundesversicherungsamt gleichzeitig nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG die sofortige Vollziehung der Verpflichtung angeordnet hat, ist dieser Verpflichtung zur Aufhebung der Ausschreibung ohne Rücksicht auf ein eingelegtes oder auf ein noch einzulegendes Rechtsmittel sofort Folge zu leisten. Die Antragsgegnerin ist hiernach zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats, jedenfalls bis zu einer gegebenenfalls anderslautenden Entscheidung des LSG Hamburg in dem dort anhängigen Verfahren gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit (L 1 KR 34/18 KL ER), verpflichtet, die Ausschreibung aufzuheben. Mithin steht in Ansehung dessen, dass die Antragsgegnerin als Körperschaft des öffentlichen Rechts an die bestehende Rechtslage gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 GG), derzeit nicht zu befürchten, dass die Antragstellerin dadurch eine Gewinneinbuße erleidet, als die Antragsgegnerin die Versorgung ihrer Versicherten durch einen anderen Leistungserbringer gewährleistet.

b) Hinsichtlich des Hilfsantrags hat das SG den Rechtsweg zu den Sozialgerichten aus den oben genannten Gründen zutreffend verneint. Eine Verweisung an die zuständige Vergabekammer nach § 98 SGG in Verbindung mit § 17a Abs. 2 GVG ist rechtlich nicht möglich (vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 22. April 2008 – B 1 SF 1/08 R – juris, Rn. 37ff.: Vergabekammern sind Verwaltungsbehörden und keine Gerichte; LSG für das Saarland, a.a.O., m.w.N.: auch keine Verweisung an den Vergabesenat als Gericht).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

4. Die endgültige Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 3 Satz 1 und 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz. Die aktive Vertragslaufzeit des streitbefangenen ausgeschriebenen Lieferauftrags der Antragsgegnerin beträgt zunächst zwei Jahre. Der von der Antragstellerin angegebene, durch die Versorgung der Versicherten mit den fraglichen Hilfsmitteln zuletzt erzielte Jahresumsatz betrug EUR 130.535,18, hochgerechnet auf zwei Jahre mithin EUR 261.070,36. Dieser Betrag ist der Wertfestsetzung zugrunde zu legen, wegen des nur vorläufigen Charakters des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens jedoch nur zu einem Viertel (vgl. zu Streitigkeiten über Beitragsforderungen Beschluss des Senats vom 19. November 2014 – L 4 R 3936/14 ER-B – nicht veröffentlicht; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Juli 2015 – L 11 R 2693/15 ER-B – juris, Rn. 21) und damit vorliegend EUR 65.267,59.

5. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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