L 13 R 4112/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 6261/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 4112/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 21. September 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger bereits ab dem 1. Mai 2005 Anspruch auf Gewährung einer Regelaltersrente hat.

Der 1940 geborene Kläger, der auch rentenrechtliche Zeiten in der früheren CSSR zurückgelegt hatte, wandte sich mit Schreiben vom 3. November 1978 an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA - heute Deutsche Rentenversicherung Bund) und bat unter anderem um Auskunft, welche Zeiten für die Rentenversicherung angerechnet würden. Der Kläger teilte telefonisch mit, er befinde sich bis April 1979 im Ausland, er werde sich bis Mai 1979 wieder melden. Eine weitere Vorsprache oder Meldung des Klägers erfolgte nicht. In der Folge konnten Anfragen wegen Nichterreichbarkeit des Klägers bezüglich einer Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom 14. September 1982 der Stadt Frankfurt am Main nicht beantwortet werden. Am 28. Juni 1999 beantragte der Kläger bei der BfA die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung. Als Anschrift gab er die W.-Straße x in xyxyx M. an. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. März 2000 ab, nachdem der Kläger im Verwaltungsverfahren nicht mitgewirkt hatte. Mit Schreiben vom 18. Februar 2000 erfragte er, ab wann er eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beanspruchen könne. Um die zum damaligen Zeitpunkt festgestellten erheblichen Lücken im Versicherungskonto klären zu können, wurde ein Kontenklärungsverfahren eingeleitet. Hierzu wurde der Kläger mehrfach um Auskunft gebeten. Nachdem eine Antwort nicht eingegangen war, holte die Beklagte eine Auskunft des Einwohnermeldeamts ein, das die bisher bekannte Anschrift bestätigte. Der Kläger nahm danach keinen weiteren Kontakt zur BfA auf. Zum damaligen Zeitpunkt ergaben sich aus den vorliegenden Unterlagen lediglich Beitragszeiten vom 27. Januar 1969 bis 31. Dezember 1971 und vom 16. August 1996 bis zum 15. November 1996 (40 Monate). Aufgrund fehlenden Nachweises der Vertriebeneneigenschaft konnten Versicherungszeiten nach dem Fremdrentengesetz nicht anerkannt werden.

Der Kläger wandte sich anschließend erstmals mit E-Mail vom 25. Juni 2013 an die Deutsche Rentenversicherung Bund und bat "um Auskunft über die Höhe der zu erwartenden Rente". Nachdem die Beklagte diesen Vorgang als Rentenantrag auffasste, führte sie ein Kontenklärungsverfahren, auch bezüglich Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG), durch. Mit Bescheid vom 23. Juli 2014 bewilligte die Beklagte vorläufig (weil noch nicht alle rentenrechtlichen Zeiten geklärt waren) Regelaltersrente ab dem 1. Juni 2013. Mit Bescheid vom 20. April 2015 bewilligte die Beklagte dem Kläger (endgültig) Regelaltersrente ab dem 1. Juni 2013. Hiergegen erhob er am 28. April 2015 Widerspruch. Ihm stehe bereits mit Vollendung des 65. Lebensjahres Regelaltersrente zu. Eine Antragstellung sei bereits am 21. Februar 2000/25. Mai 2000 über die BfA Berlin erfolgt. Sein damaliger Wohnsitz sei in M. gewesen. Daher sei auch erstaunlich, warum man ihm die Rente erst ab 74 Jahren und nicht früher zahle. Nach Schließung seiner Firma in M., in der er gearbeitet habe, sei er 1999 in die Schweiz ausgewandert und habe im Jahr 2003 die Firma XX gegründet. Aufgrund von "Maßnahmen deutscher Behörden (CD Einkäufe)" habe sich "die Situation rapide geändert und die Auftragseingänge auf 0 gefallen".

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. November 2015 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Der Kläger habe sein 65. Lebensjahr bereits am 21. April 2005 vollendet. Der Antrag auf Gewährung der Regelaltersrente sei jedoch erst am 25. Juni 2013 gestellt worden, sodass der Rentenbeginn am 1. Juli 2013 gemäß § 99 Abs. 1 SGB VI nicht zu beanstanden sei. § 115 Abs. 6 SGB VI führe zwar aus, dass die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen sollten, dass sie eine Leistung erhalten könnten, wenn sie diese beantragen. Dies sei bei der Regelaltersrente regelmäßig dann der Fall, wenn ohne Rückfragen beim Versicherten der Anspruch festgestellt werden könne. Aus dem Versicherungskonto des Klägers seien aber die Leistungsvoraussetzungen nicht erkennbar gewesen.

Am 23. Dezember 2015 hat der Kläger wegen der ablehnenden Entscheidung der Beklagten Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und an seinem bisherigen Vorbringen festgehalten. Er habe sich mit einer Petition an den Deutschen Bundestag gewandt. Hierzu legte er das Schreiben des Bundesversicherungsamts vom 29. November 2016 an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags vor. Mit Gerichtsbescheid vom 21. September 2017 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es auf die Gründe des angefochtenen Widerspruchsbescheides Bezug genommen.

Gegen den am 23. September 2017 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 19. Oktober 2017 beim SG eingelegte Berufung des Klägers. Zur Begründung hat er vorgetragen, aus der Analyse des Bundesversicherungsamtes (Schreiben vom 29. November 2016) sei ein irreguläres Verhalten durch die BfA dokumentiert worden. Er habe die erforderlichen Dokumente bereits am 3. November 1978 an die BfA übersandt. Auch sein Wohnsitz in der Schweiz sei bekannt gewesen. Ebenso habe er an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte am 18. Februar 2000 Dokumente übersandt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 21. September 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 20. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. November 2015 zu verurteilen, ihm Regelaltersrente bereits ab dem 1. Mai 2005 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Aus dem Schreiben des Bundesversicherungsamts vom 29. November 2016 lasse sich ein früherer Anspruch des Klägers nicht ableiten.

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet im schriftlichen Verfahren gemäß § 124 Abs. 2 SGG, nachdem die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben.

Den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung einer Regelaltersrente vor dem 1. Juni 2013. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 20. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. November 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Die Beklagte hat gemäß § 99 Abs. 1 SGB VI dem Kläger Regelaltersrente zutreffend ab dem 1. Juni 2013 bewilligt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung der Regelaltersrente bereits mit Vollendung des 65. Lebensjahres. Er ist auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches so zu stellen, als hätte er die Regelaltersrente bereits mit Vollendung des 65. Lebensjahres (21. April 2005) beantragt.

Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt nach ständiger Rechtsprechung des BSG auf der Tatbestandsseite eine dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnende Pflichtverletzung voraus, durch welche dem Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden entstanden ist (etwa BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 1 KR 19/14 R – juris, Rn. 16; BSG, Urteil vom 11. Dezember 2014 – B 11 AL 2/14 R – juris, Rn. 39 m.w.N.; BSG, Urteil vom 4. September 2013 – B 12 AL 2/12 R – juris, Rn. 19). Rechtsfolge des Bestehens eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches ist der Anspruch gegen die Behörde auf Vornahme einer rechtlich zulässigen Amtshandlung, durch den der Zustand wiederhergestellt werden könnte, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre (etwa BSG, Urteil vom 11. Dezember 2014 – B 11 AL 2/14 R – juris, Rn. 39; BSG, Urteil vom 3. April 2014 – B 5 R 5/13 R – juris, Rn. 37; BSG, Urteil vom 11. März 2004 – B 13 RJ 16/03 R – juris, Rn. 24).

Zur Überzeugung des Senats hat die Beklagte keine Beratungs- und Hinweispflichten (§§ 14, 15 SGB I) verletzt. Auch die Hinweispflicht des § 115 Abs. 6 SGB VI ist durch die Beklagte nicht missachtet worden. Nach § 115 Abs. 6 SGB VI sollen die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen. Ein "geeigneter Fall" ist vorliegend nicht gegeben. Geeignetheit setzt für den Versicherungsträger voraus, dass keine einzelfallbezogene Sachaufklärung erforderlich sein muss. Ein geeigneter Fall kommt nur in Betracht, wenn die Adressaten derartiger Hinweise ohne weitere Nachfrage – d.h. insbesondere ohne Kontenklärung – bestimmbar sind und die Regelung den Schutz des Einzelnen bezweckt. Der Rentenversicherungsträger hat im Zusammenhang mit den genannten Gruppen Rechtsänderungen zu analysieren und ihren Versicherungsbestand zu beobachten ("reaktive Beobachtungspflicht"). Entscheidend ist, ob und wann der Rentenversicherungsträger mit seinen Mitteln erkennen kann, dass durch den Antrag eine Rentengewährung erreicht werden kann (vgl. BSG SozR 3-2600 § 115 Nr. 4). Dabei richtet sich die Geeignetheit einer Fallgruppe im Wesentlichen nach folgenden Merkmalen: Für den Versicherungsträger muss ohne einzelfallbezogene Sachaufklärung erkennbar sein, dass ein abgrenzbarer Kreis von Berechtigten die Anspruchsvoraussetzungen für eine Leistung erfüllt, die von solchen Personen im Regelfall in Anspruch genommen wird, und dass die Berechtigten den Rentenantrag aus Unwissenheit nicht stellen (vgl. Fichte in: Hauck/Noftz, SGB, 06/17, § 115 SGB VI; BSG SozR 3-2600 § 115 Nr. 5; BSGE 90, 118 = SozR 3-2600 § 115 Nr. 8).

Vor der Antragstellung im Jahr 2013 hatte der Kläger zuletzt im Februar 2000 ein Kontenklärungsverfahren veranlasst. Auf diesen Antrag ist er mehrfach unter der von ihm angegebenen Anschrift um weitere Auskunft gebeten worden. Der Kläger hat hierauf nicht reagiert. Daraufhin hat die Beklagte das Kontenklärungsverfahren beendet, nachdem sie noch eine Anfrage beim Einwohnermeldeamt veranlasst hatte, die die bisher bekannte Anschrift des Klägers bestätigt hatte. Der Kläger selbst hat die Kontenklärung somit vereitelt. Um seine Rentenansprüche realisieren zu können, ist jedoch zu erwarten, dass ein Versicherter an der Klärung der Voraussetzungen mitwirkt. Zu einer nochmaligen Nachfrage der Beklagten beim Kläger mit Erreichen des 65. Lebensjahres hat kein Anlass bestanden und war auch nicht geboten. Zum Zeitpunkt des Erreichens des 65. Lebensjahres des Klägers sind lediglich Beitragszeiten vom 27. Januar 1969 bis 31. Dezember 1971 und vom 16. August 1996 bis zum 15. November 1996 (40 Monate) festgestellt gewesen. Ohne weitere Kontenklärung ist mit Erreichen des 65. Lebensjahres im Jahr 2005 nicht festzustellen gewesen, ob die Wartezeit für die Bewilligung der Regelaltersrente erfüllt gewesen ist. Weil somit eine Pflichtverletzung der Beklagten nicht erkennbar ist, liegen die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke/Berchtold, a.a.O., § 193 Rdnr. 8; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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