L 7 SO 4158/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 961/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 4158/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 10. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt im vorliegenden Verfahren von der Beklagten als Sozialhilfeträger die Übernahme einer Bürgschaft zum Erwerb eines Hauses.

Der 1968 geborene Kläger ist auf Grund einer psychischen Erkrankung seelisch behindert. Vom Versorgungsamt ist seit Februar 2006 ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt. Der Kläger bewohnt eine Wohnung in dem im Eigentum seiner Mutter stehenden Mehrfamilienhaus im J ... in H ... Für die Kosten der Unterkunft und Heizung kommt die Beklagte im Rahmen der dem Kläger gewährten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) auf.

Am 28. Juni 2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Berufung auf die Bestimmungen der §§ 67, 68 und 73 SGB XII Leistungen der "Eingliederungshilfe und/oder Hilfe in besonderen Lebenslagen", wobei er dies mit dem beabsichtigten Erwerb einer Immobilie begründete, wofür Kreditverpflichtungen anfielen, die er durch eine Bürgschaft der Beklagten absichern wolle.

Nach Durchführung eines Hausbesuchs am 16. Juli 2015 lehnte die Beklagte den Antrag durch Bescheid vom 29. September 2015 ab, weil nach den Feststellungen des Sozialen Dienstes die Voraussetzungen für eine Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§§ 67, 68 SGB XII) unter Beachtung der Anspruchskriterien (fehlende oder unzureichende Wohnung, ungesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlage, gewaltgeprägte Lebensumstände) nicht vorlägen. In Betracht kämen allenfalls Hilfen im Haushalt, Hilfen in einer fachlich betreuten Wohnform oder Hilfen in einer stationären Einrichtung. Das alles werde vom Kläger jedoch abgelehnt; stattdessen habe er erklärt, dass er seine jetzige Wohnung nur für eine größere Wohnung oder ein Haus verlassen wolle. Ferner seien die Voraussetzungen für eine Hilfe in sonstigen Lebenslagen (§ 73 SGB XII) nicht gegeben, weil eine "fehlende Kreditwürdigkeit" unter diese Bestimmung nicht gefasst werden könne. Auch bestehe für den Erwerb eines eigenen Hauses oder einer eigenen Wohnung kein sozialhilferechtlich zu berücksichtigender Bedarf, da die Wohnsituation geordnet und der unmittelbare Lebensbedarf durch Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII gedeckt sei.

Gegen diese Entscheidung formulierte der Kläger, der auf Nachfrage nach dem Verfahrensstand von der Beklagten mit Schreiben vom 17. November 2015 auf den Bescheid vom 29. September 2015 hingewiesen worden war, einen "Widerspruch" sowie einen "Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand", machte zugleich jedoch geltend, diesen Bescheid nicht erhalten zu haben. Die Beklagte erließ darauf unter dem 30. November 2015 einen inhaltlich wortgleich lautenden Bescheid, der dem Kläger mittels Postzustellungsurkunde am 2. Dezember 2015 zugestellt wurde.

Den hiergegen vom Kläger am 18. Dezember 2015 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 2016 (dem Kläger mittels Postzustellungsurkunde zugestellt am 1. März 2016) zurück, wobei sie zur Begründung ausführte, allein die vom Kläger geschilderten Schwierigkeiten und Konflikte im häuslichen Umfeld rechtfertigten weder eine Hilfe nach den §§ 67, 68 SGB XII noch eine solche nach § 73 SGB XII, denn für den Erwerb eines Hauses bestehe kein besonderer und unabweisbarer Bedarf. Zudem stelle die Übernahme einer Kreditbürgschaft schon für sich genommen keine typische Leistung der Sozialhilfe dar und sei auch mit den allgemeinen Regelungen des Sozialhilferechts nicht vereinbar.

Deswegen hat der Kläger am 31. März 2016 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben, zu der er ein umfangreiches Anlagenkonvolut eingereicht hat. Das SG hat das Anliegen des Klägers dahingehend gewertet, dass es dem Kläger unter Anfechtung des Bescheids vom 30. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Februar 2016 um die Übernahme einer Kreditbürgschaft durch die Beklagte für den Erwerb eines Eigenheims gehe. Mit Gerichtsbescheid vom 10. Oktober 2016 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Gründen hat es im Wesentlichen ausgeführt, insoweit schieden Hilfen nach dem Achten Kapitel des SGB XII aus grundsätzlichen Erwägungen aus; ferner sei der Anwendungsbereich des § 73 SGB XII vorliegend nicht eröffnet.

Gegen diesen dem Kläger am 13. Oktober 2016 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich seine am 13. November 2016 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegte Berufung, mit der er sein Begehren auf die Übernahme einer Kreditbürgschaft durch die Beklagte weiterverfolgt hat.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 22. Februar 2018 beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 10. Oktober 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2016 zu verurteilen, ihm eine Kreditbürgschaft für die Anschaffung eines Hauses im Rahmen eines Gesamtplanes zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend. Eine Anspruchsgrundlage, wonach sie verpflichtet sei, eine Kreditbürgschaft für den Erwerb einer Immobilie zu übernehmen, existiere nicht. Der Kläger sei aus ihrer Sicht in der Lage, seine Angelegenheiten selbst zu regeln. Es bestehe aus ihrer Sicht auch kein Anlass, eine Betreuung anzuregen. Das Mietverhältnis im Haus der Mutter bestehe fort.

Der Senat hat vom Amtsgericht Heidelberg – Betreuungsgericht – (AG) Heidelberg die über den Kläger geführten Betreuungsakten (40 XVII O 53/99, 40 XVII O 147/06, 40 XVII O 169/07, O 40 XVII 712/14, O 40 XVII 1095/15, 4006 AR 135/16 und O 4006 XVII 896/17) beigezogen.

Zur weiteren Darstellung wird auf die beigezogenen Akten, die Verwaltungsakten der Beklagten, die Klageakte des SG (S 9 SO 916/16), die Berufungsakte des Senats (L 7 SO 4158/16), die weiteren Senatsakten (L 7 SO 1762/16 ER-B, L 7 SO 2364/16 RG) und die Akte des LSG (L 2 SO 2352/16 ER-B) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

1. Der Senat konnte über die Berufung des Klägers entscheiden, ohne dass diesem zuvor ein besonderer Vertreter zu bestellen war. Nach § 72 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann der Vorsitzende für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen. Für die Bestellung eines besonderen Vertreters reicht es aus, wenn nicht ausräumbare Zweifel an der Prozessfähigkeit des Beteiligten bestehen (B. Schmidt in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Auflage 2017, § 72 Rdnr. 2 (m.w.N.)). In einem solchen Fall kann von der Bestellung eines besonderen Vertreters nur abgesehen werden, wenn das Rechtsmittel eines Prozessunfähigen derart haltlos ist, dass die Genehmigung der Prozessführung durch den gesetzlichen oder besonderen Vertreter von vornherein ausgeschlossen erscheint (Bundessozialgericht (BSG) BSGE 5, 176, 178 f.; BSGE 91, 146, 149 = SozR 4-1500 § 72 Nr. 1).

Die vorliegenden Unterlagen rechtfertigen eine Prozessunfähigkeit des Klägers indessen nicht. Prozessunfähig sind gemäß § 71 Abs. 1 SGG Personen, die sich nicht durch Verträge verpflichten können, die also nicht geschäftsfähig im Sinne des § 104 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sind (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr. 32 (juris Rdnr. 7)). Nach § 104 Nr. 2 BGB ist geschäftsunfähig, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn ein Betroffener nicht mehr in der Lage ist, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Es reicht nicht aus, dass der Betroffene seit längerem an geistigen oder seelischen Störungen leidet (BSG, Beschluss vom 14. August 2017 – B 12 KR 103/14 B - (juris Rdnr. 4)).

Diese sehr strengen Voraussetzungen für die Annahme von Geschäfts- und damit Prozessunfähigkeit sind beim Kläger für das vorliegende Verfahren zu verneinen. Der Kläger leidet zwar an einer psychischen Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis; dies ergibt sich aus den vom Senat beigezogenen Betreuungsakten des AG Heidelberg einschließlich der dort enthaltenen ärztlichen Äußerungen, und zwar zuletzt aus der Stellungnahme der Gesundheitsamtsärztin Priv.-Doz. Dr. D. vom 10. Oktober 2017, die vom AG Heidelberg im Verfahren O 4006 XVII 896/17 mit der erneuten Begutachtung des Klägers beauftragt war. Die Gesundheitsamtsärztin hat nach Aktenlage durchaus Anhaltspunkte dafür gesehen, dass der Kläger die Vor- und Nachteile einer Betreuung erkennen und auch das Für und Wider sinnvoll gegeneinander abwägen kann. Dass die freie Willensbestimmung infolge der Erkrankung des Klägers erheblich beeinträchtigt oder gar aufgehoben wäre, ergibt sich aus dieser Stellungnahme nicht. Das AG Heidelberg hat auf der Grundlage der Stellungnahme der Priv.-Doz. Dr. D. mit Beschluss vom 13. Oktober 2017 das vorbezeichnete, (auf Anregung der Berichterstatterin) erneut eingeleitete Verfahren auf Anordnung einer Betreuung eingestellt. Dass der Kläger – trotz eigener Rechtsvorstellungen zum Sozialhilferecht - auch mit Blick auf gerichtliche Verfahren zu einer überlegten Einschätzung der Situation in der Lage ist, wird im Übrigen durch sein Handeln in einer beim 2. Senat des LSG aktenmäßig angelegten Beschwerdesache (L 2 SO 2352/16 ER-B) bestätigt. Dort hat er nach Mitteilung des Aktenzeichens durch die Geschäftsstelle bereits am 30. Juni 2016 in einem eigeninitiativ herbeigeführten Ferngespräch mit dem Berichterstatter telefonisch sowie am 1. Juli 2016 auf dessen Bitte hin auch schriftlich dargelegt, dass das zum 2. Senat gelangte Schreiben vom 14. Mai 2016 nicht eine weitere Beschwerde gegen einen Beschluss des SG vom 11. April 2016 (S 9 SO 978/16 ER) betreffe, sondern vielmehr klargestellt, dass es sich hierbei um die einer Anhörungsrüge beigefügte Anlage gegen den Senatsbeschluss vom 17. Juni 2016 (L 7 SO 1762/16 ER-B) handele, der auf den Beschluss des SG vom 11. April 2016 ergangen war. Auch das BSG hat im Beschluss vom 18. August 2016 (B 8 SO 12/16 AR) keine Bedenken gegen die Prozessfähigkeit des Klägers geäußert. Dieser nach den aktenkundigen Unterlagen gewonnene Eindruck hat sich für den Senat in der mündlichen Verhandlung vom 22. Februar 2018 bestätigt, zu der der Kläger überpünktlich erschienen ist, sich insoweit voll orientiert gezeigt hat und wo er in der Lage war, sein Anliegen verständlich vorzutragen.

Nach allem geht der Senat davon aus, dass beim Kläger die Schwelle zur Prozessunfähigkeit während des gesamten vorliegenden Gerichtsverfahrens nicht überschritten gewesen ist. Das Begehren des Klägers ist allerdings schlechthin aussichtslos (vgl. hierzu unter 3.).

2. Die Berufung des Klägers ist statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufungsausschlussgründe des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht eingreifen. Die Berufung ist ferner form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Abs. 1 SGG). Die Berufung des Klägers ist jedoch in der Sache ohne Erfolg.

3. Sein prozessuales Begehren hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat konkretisiert. Er hat mit seinem dort gestellten Sachantrag deutlich gemacht, dass er sich (sinngemäß) gegen den – den Bescheid vom 29. September 2015 ersetzenden, jedoch inhaltsgleichen - Bescheid der Beklagten vom 30. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Februar 2016 wendet, mit dem sein am 28. Juni 2015 gestellter Antrag abgelehnt worden ist. Mit der Anfechtung dieser Verwaltungsentscheidung hat der Kläger von der Beklagten die Gewährung einer Kreditbürgschaft für die Anschaffung eines Hauses "im Rahmen eines Gesamtplanes" begehrt. Ersichtlich geht es ihm darum, eine Zusicherung der Beklagten dahingehend zu erreichen, dass diese für den Fall des Erwerbs einer Immobilie die Finanzierung derselben durch die Übernahme einer Kreditbürgschaft sichert. Die anzuschaffende Immobilie ist allerdings noch nicht einmal hinreichend konkretisiert.

Für das Anliegen des Klägers gibt es indessen im Sozialhilferecht von vornherein keine materiell-rechtliche Grundlage. Weder in den vom Kläger angeführten §§ 67, 68 SGB XII und § 73 SGB XII noch in sonstigen normativen Regelungen des Sozialhilferechts ist eine solche Hilfe vorgesehen. Die Übernahme einer Kreditbürgschaft für den Erwerb einer Immobilie durch den Sozialhilfeträger ist dem Sozialhilferecht vielmehr vollkommen fremd; sie ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger in der Berufungsschrift vom 12. November 2016 herangezogenen Sozialstaatsprinzip. Die Sozialhilfe dient nicht der Vermögensbildung.

Der Kläger bewohnt im Übrigen eine von seiner Mutter, einer pensionierten Oberstudienrätin, an ihn vermietete Wohnung in deren Mehrfamilienhaus in H ... Die Mutter des Klägers stellt ihm sonach trotz wiederholter Mietrückstände sowie wiederkehrender – wohl seiner gesundheitlichen Verfassung geschuldeter – Konfliktlagen mit der Wohnung in dem Mehrfamilienhaus, in dem er nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 22. Februar 2018 bereits seine Kindheit verbracht hat, eine gesicherte Bleibe zur Verfügung. Auf Alternativvorschläge der Beklagten, z.B. das Wohnen in einer betreuten Wohnform, möchte er sich nicht einlassen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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