Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 142 AS 7839/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 25 AS 2931/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. § 85 SGG sieht zwei Arten der Erledigung eines Widerspruchs durch eine behördliche Entscheidung vor: die Abhilfe in Absatz 1 und den Widerspruchsbescheid in Absatz 2.
2. Bei einem Leistungsbegehren des Widerspruchführers erschöpft sich die Abhilfe nicht in der Aufhebung des angefochtenen Ablehnungsbescheides. Vielmehr ist das Vorverfahren erst dann durch Abhilfe erledigt, wenn dem streitgegenständlichen Leistungsbegehren in vollem Umfang entsprochen worden ist.
3. Der Bescheid über die Aufhebung des Ablehnungsbescheides ersetzt diesen und wird seinerseits durch einen erneuten Ablehnungsbescheid ersetzt, soweit gegen den ersten Ablehnungsbescheid ein Widerspruchsverfahren anhängig ist. Dies folgt aus § 86 SGG.
2. Bei einem Leistungsbegehren des Widerspruchführers erschöpft sich die Abhilfe nicht in der Aufhebung des angefochtenen Ablehnungsbescheides. Vielmehr ist das Vorverfahren erst dann durch Abhilfe erledigt, wenn dem streitgegenständlichen Leistungsbegehren in vollem Umfang entsprochen worden ist.
3. Der Bescheid über die Aufhebung des Ablehnungsbescheides ersetzt diesen und wird seinerseits durch einen erneuten Ablehnungsbescheid ersetzt, soweit gegen den ersten Ablehnungsbescheid ein Widerspruchsverfahren anhängig ist. Dies folgt aus § 86 SGG.
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 11. November 2016 aufgehoben und die Sache an das Sozialgericht Berlin zurückverwiesen. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. November 2014 bis zum 28. Februar 2015.
Der 1963 geborene Kläger bezog von dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bis zum 30. April 2014. Auf einen Weiterbewilligungsantrag vom 25. März 2014 versagte der Beklagte Leistungen mit Bescheid vom 30. Mai 2014 ab dem 1. Mai 2014. Hintergrund hierfür waren fehlende Mitwirkungshandlungen des Klägers in Bezug auf eine von dem Beklagten vermutete eheähnliche Gemeinschaft des Klägers mit Frau R (R). Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch hob der Beklagte den Versagungsbescheid vom 30. Mai 2014 mit Bescheid vom 7. Juli 2014 aus formalen Gründen auf und kündigte an, über den Weiterbewilligungsantrag vom 25. März 2014 gesondert zu entscheiden. Mit Bescheid vom 11. August 2014 lehnte der Beklagte den Antrag vom 25. März 2014 ab. Auch hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein.
Mit Beschluss vom 22. September 2014 verpflichtete das Sozialgericht den Beklagten im Wege einstweiliger Anordnung, dem Kläger für den Zeitraum vom 22. September 2014 bis zum 28. Februar 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von monatlich 362,- Euro zu gewähren (S 114 AS 19841/14 ER). Der Beklagte setzte den Beschluss um und den Kläger darüber mit Schreiben vom 29. September 2014 in Kenntnis.
Mit Schreiben an den Beklagten vom 29. Oktober 2014 (Eingang bei dem Beklagten am 30. Oktober 2014) beantragte der Kläger die Gewährung von Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 625,24 Euro. Beigefügt war diesem Schreiben ein Formular für einen Weiterbewilligungsantrag.
Mit Schreiben vom 5. Dezember 2014 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Überprüfung des Bescheides vom 11. August 2014 gemäß § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 11. Dezember 2014 ab. Auch hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, der durch Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2015 zurückgewiesen wurde.
Mit einem Schreiben vom 22. Januar 2015 fragte der Kläger unter anderem bei dem Beklagten nach, was mit seinem "Weiterbewilligungsantrag ab November 2014" vom 30. Oktober 2014 passiert sei.
In dem Eilverfahren vor dem Sozialgericht Berlin S 142 AS 3179/15 ER fragte das Sozialgericht den Beklagten, ob über den Leistungsantrag von Oktober 2014 entschieden worden sei. Der Beklagte lehnte daraufhin den Antrag des Klägers vom 30. Oktober 2014 mit Bescheid vom 4. März 2015 ab, wogegen der Kläger mit Schreiben vom 18. März 2015 am 19. März 2015 Widerspruch einlegte. Der Beklagte hob den Ablehnungsbescheid mit Bescheid vom 9. April 2015 auf und erklärte, damit dem Widerspruch in vollem Umfang entsprochen zu haben. Über den Antrag vom 30. Oktober 2014 werde erneut entschieden. Zwischenzeitlich hatte der Kläger bei dem Beklagten am 19. März 2015 einen weiteren Weiterbewilligungsantrag gestellt und das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 27. März 2015 den Beklagten dazu verpflichtet, dem Kläger vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum vom 2. März 2015 bis 31. August 2015 in Höhe von monatlich 581,24 Euro zu gewähren (S 142 AS 3179/15 ER). Der Beklagte setzte den Beschluss um und den Kläger darüber mit Schreiben vom 14. April 2015 in Kenntnis.
In einem weiteren Eilverfahren vor dem Sozialgericht Berlin wurden in einer nichtöffentlichen Sitzung der Kläger persönlich angehört und R als Zeugin vernommen. Mit Beschluss in diesem Verfahren vom 3. Dezember 2015 wurde der Beklagte erneut im Wege der einstweiligen Anordnung zur Leistungserbringung für den Zeitraum vom 7. Oktober 2015 bis zum 28. Februar 2016 verpflichtet (S 144 AS 20622/15 ER).
Am 18. November 2015 hat der Kläger Untätigkeitsklage beim Sozialgericht erhoben mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, den Antrag des Klägers vom 30. Oktober 2014 zu bescheiden (S 108 AS 23845/15). In einem Schriftsatz vom 4. Februar 2016 in diesem Verfahren hat er erklärt, es gehe insoweit um den Zeitraum ab November 2014.
Am 28. Dezember 2015 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, einen Antrag des Klägers von März 2015 zu bescheiden (S 65 AS 26524/15). In diesem Klageverfahren hat der Kläger klargestellt, es gehe um den Zeitraum ab dem 1. März 2015 (Schriftsatz vom 5. Februar 2016).
Mit Bescheid vom 4. Februar 2016 hat der Beklagte den Antrag des Klägers vom 19. März 2015 für den Zeitraum vom 1. März bis 31. August 2015 abgelehnt. Nach mehrmaligen Aufforderungen durch das Sozialgericht hat der Kläger die Untätigkeitsklage S 65 AS 26524/15 mit Schriftsatz vom 23. Mai 2016 für erledigt erklärt und darum gebeten, "sein Schreiben" als neue Klage zu registrieren.
Mit Bescheid vom 10. März 2016 hat der Beklagte den Antrag des Klägers vom 30. Oktober 2014 abgelehnt. Der Kläger hat im gerichtlichen Verfahren S 108 AS 23845/15 mit Schriftsatz vom 11. April 2016, eingegangen bei dem Sozialgericht am 20. April 2016, erklärt, die Klage als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage weiterführen zu wollen, dabei indes fälschlich den Bescheid vom 4. Februar 2016 benannt. Nach Aufforderung des Sozialgerichts hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23. Mai 2016 das Verfahren S 108 AS 23845/15 in der Hauptsache für erledigt erklärt, darum gebeten, dass "sein Schreiben" als neue Klage registriert werden soll, und die Rechtsauffassung geäußert, mit seinem Schriftsatz vom 11. April 2016 Widerspruch gegen den Bescheid vom 10. März 2016 eingelegt zu haben.
Ein Schriftsatz in dem Verfahren S 65 AS 26524/15 vom 18. März 2016 ist als neue Klage gegen den Bescheid vom 4. Februar 2016 unter dem Aktenzeichen S 128 AS 7604/16 erfasst worden.
Der Schriftsatz vom 11. April 2016 ist als neue Klage erfasst worden, die dem hiesigen Berufungsverfahren zugrunde liegt.
Mit Schreiben vom 19. August 2016 hat das Sozialgericht die Beteiligten über seine Absicht angehört, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden und darauf hingewiesen, dass Klagegegenstand hier der Bescheid vom 10. März 2016 sei. Die Klage dürfte keine Aussicht auf Erfolg haben, weil der Kläger gegen den Bescheid vom 10. März 2016 keinen Widerspruch eingelegt habe und dieser Bescheid daher bestandskräftig geworden sein dürfte.
Mit Gerichtsbescheid vom 11. November 2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Sie sei unzulässig, weil der Kläger gegen den wirksamen Bescheid vom 10. März 2016 keinen, in Bezug auf den Schriftsatz vom 11. April 2016 in dem Verfahren S 108 AS 23845/15 jedenfalls keinen rechtzeitigen Widerspruch eingelegt habe.
Gegen den ihm am 17. November 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 15. Dezember 2016 Berufung eingelegt.
Nach Anhörung der Beteiligten hat der Senat die Berufung durch Beschluss vom 21. August 2017 gemäß § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) dem Berichterstatter übertragen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 11. November 2016 und den Bescheid des Beklagten vom 10. März 2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 1. November 2014 bis zum 28. Februar 2015 zu gewähren,
hilfsweise,
den Rechtsstreit an das Sozialgericht Berlin zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst Beistücken, der Gerichtsakte S 108 AS 23845/15 sowie der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts vom 11. November 2016 und der Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht begründet.
Rechtsgrundlage für diese Entscheidung ist § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Hiernach kann das Landessozialgericht (LSG) die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Der Kernanwendungsbereich dieser Regelung betrifft den Fall, dass das Sozialgericht zu Unrecht die Klage durch Prozessurteil abgewiesen hat, obwohl es eine Sachentscheidung hätte treffen müssen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Rechtsstreit in der Sache zum Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts bereits spruchreif gewesen ist, vielmehr ist allein maßgeblich, dass das Sozialgericht überhaupt zu einer Entscheidung in der Sache verpflichtet war, auch wenn für diese noch weitere Ermittlungen erforderlich gewesen wären. Dem steht die Konstellation gleich, dass das Sozialgericht prozessrechtlich verpflichtet gewesen wäre, bestehende Sachentscheidungshindernisse zu beseitigen und sodann in der Sache zu entscheiden. Der Wortlaut des § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG lässt insoweit ausreichen, dass tatsächlich (zu Unrecht) keine Sachentscheidung getroffen worden ist. Ein Fall der im Einzelnen umstrittenen entsprechenden Anwendung (etwa im Fall einer falschen Weichenstellung in einer rechtlichen Vorfrage, die dem Sozialgericht den Zugang zum Kern des Streites versperrt hat; vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 26. Januar 2012 – 3 C 8/11 - juris) liegt hier nicht vor.
Die dargelegten tatbestandlichen Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG sind erfüllt. Denn das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Das Sozialgericht war nicht befugt, die Klage als unzulässig abzuweisen, ohne den Beteiligten Gelegenheit zu geben, das vorliegend noch nicht abgeschlossene Vorverfahren nachzuholen (vgl. eingehend hierzu LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Januar 2017 - L 11 SB 295/16 - WzS 2017, 155).
Das Vorverfahren bezogen auf den Bescheid vom 10. März 2016 ist entgegen der Einschätzung des Beklagten und des Sozialgerichts noch nicht abgeschlossen. Denn der Bescheid ist seinerseits gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 4. März 2015 geworden, das nicht durch den Bescheid vom 9. April 2015 beendet worden ist.
Das mit dem fristgerechten Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 4. März 2015 eröffnete Vorverfahren ist durch den Bescheid vom 9. April 2015 nicht beendet worden. § 85 SGG sieht – ungeachtet sonstiger verfahrensbeendender Möglichkeiten wie etwa der Rücknahme – zwei Arten der Erledigung eines Widerspruchs durch eine behördliche Entscheidung vor: die Abhilfe in Absatz 1 und den Widerspruchsbescheid in Absatz 2. Eine Zurückweisung des Widerspruchs ist ersichtlich nicht erfolgt, was auch der Beklagte nicht anzweifelt. Aber auch eine Abhilfe des Widerspruchs ist hier nicht erfolgt und zwar insbesondere auch nicht durch den Bescheid vom 9. April 2015, mit dem der Beklagte lediglich den Ablehnungsbescheid vom 4. März 2015 aufgehoben hat. Abgeholfen ist dem Widerspruch, wenn dem Begehren des Widerspruchsführers in vollem Umfang stattgegeben wird (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 85, Rn. 2b). Ob und inwieweit einem Widerspruch abgeholfen ist, ergibt sich aus dem Vergleich zwischen beantragter und bewilligter Regelung (Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 85, Rn. 5). Gemessen daran kann hier von einer Vollabhilfe keine Rede sein. Der Kläger hat mit seinem Widerspruch erkennbar ein kombiniertes Anfechtungs- und Leistungsbegehren miteinander verknüpft. Bei einem Leistungsbegehren des Widerspruchsführers - wie hier - erschöpft sich die Abhilfe nicht in der Aufhebung des angefochtenen Ablehnungsbescheids. Vielmehr ist das Vorverfahren erst dann durch Abhilfe erledigt, wenn dem streitgegenständlichen Leistungsbegehren in vollem Umfang entsprochen worden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. September 2011 - 1 WB 48/10 –; Verwaltungsgericht Leipzig, Urteil vom 4. März 2015 - 4 K 783/12 – beide bei juris; Dolde/Porsch in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, § 72 VwGO, Rn. 16a). Das BVerwG hat sich in dem genannten Beschluss gegen die abweichende Auffassung gewandt, nach der in Fällen, in denen der mit einem Widerspruch angegriffene Bescheid noch während des laufenden Widerspruchsverfahrens durch einen neuen Bescheid geändert, wiederholt oder ersetzt wird, der Widerspruchsführer zur Vermeidung der Bestandskraft des Änderungsbescheids tätig werden müsse, indem er entweder durch Änderung des Widerspruchs analog § 91 der Verwaltungsgerichtsordnung den Änderungsbescheid in das Widerspruchsverfahren einbeziehe oder das Widerspruchsverfahren hinsichtlich des ersten Bescheids für erledigt erkläre und gegen den Änderungsbescheid gesondert Widerspruch einlege. Diese Erwägungen müssen umso mehr im sozialgerichtlichen Vorverfahren gelten, in dem Verwaltungsakte, die einen mit Widerspruch angegriffenen Bescheid ändern oder ersetzen (vgl. zu letzteren Schmidt, a. a. O., § 86, Rn. 3), gemäß § 86 SGG automatisch Gegenstand des Vorverfahrens werden. Es ist auch nicht "technisch" betrachtet der Gegenstand des Vorverfahrens mit der Aufhebung des Ablehnungsbescheides entfallen, weil der Gesetzgeber der Behörde – wie eingangs genannt – nur zwei Möglichkeiten der Verfahrensbeendigung an die Seite gestellt hat, die Abhilfe und den Widerspruchsbescheid (die Teilabhilfe stellt keine dritte Möglichkeit dar, sondern ist nur die Kombination der zwei bestehenden Alternativen). Die Behörde hat es also nicht in der Hand, im Leistungs- oder im Verpflichtungswiderspruch durch bloße Aufhebung ihres Ablehnungsbescheides eine Verfahrensbeendigung herbeizuführen, zumal sie sich, was der Kläger zutreffend andeutet, auf diese Weise einer Sachentscheidung über das eigentliche Begehren dauerhaft entziehen könnte.
Nichts anderes folgt aus einer Entscheidung des BVerwG, wonach eine Vollabhilfe stets gegeben sei, wenn die Behörde den durch einen Widerspruch angegriffenen Bescheid auf eben diesen Widerspruch hin in vollem Umfang aufhebe. Treffe das zu, sei es ohne Belang, ob die Behörde gleichzeitig mit der Aufhebung oder später einen inhaltlich ähnlichen oder sogar gleichen Bescheid erlasse (BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1991 - 8 C 83/88 – juris). Der Senat kann offen lassen, ob sich diese Ausführungen auf das SGG übertragen lassen. Denn die Entscheidung des BVerwG betraf einen Beitragsbescheid, in Bezug auf den sich das Rechtsschutzbegehren anders als vorliegend in der reinen Aufhebung erschöpfte (das verkennt LSG Sachsen, Beschluss vom 4. August 2015 - L 3 AS 1030/11 B PKH – juris).
Bei der skizzierten Sach- und Rechtslage hat mithin der Bescheid vom 9. April 2015 nach § 86 SGG den Ablehnungsbescheid vom 4. März 2015 in dem Sinne "ersetzt", als er an dessen Stelle getreten ist. Seinerseits ist der Bescheid vom 9. April 2015 durch den (erneuten) Ablehnungsbescheid vom 10. März 2016 ersetzt worden. Bei auch nach aktueller Rechtslage bestehender Möglichkeit einer analogen Anwendung des § 86 SGG (vgl. dazu Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 9. Dezember 2016 - B 8 SO 14/15 R – juris) lässt der Senat dabei offen, ob das hier gefundene Ergebnis auf einer unmittelbaren oder einer entsprechenden Anwendung des § 86 SGG beruht. Das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 4. März 2015 – nunmehr in der Fassung des Bescheides vom 10. März 2016 - war und ist daher noch offen.
Die Klage durfte nach alledem nicht als unzulässig abgewiesen werden. Das Verfahren ist vor Abschluss des Vorverfahrens auszusetzen und den Beteiligten ist Gelegenheit zur Nachholung des Vorverfahrens zu geben. Diese Verpflichtung ergibt sich nach der Rechtsprechung des BSG aus einer analogen Anwendung des § 114 Abs. 2 SGG (vgl. BSG, Beschluss vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 99/13 B – juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Januar 2017 – L 11 SB 295/16 - WzS 2017, 155, 156). Da hier ein zulässiger Widerspruch vorliegt und die Klage – abgesehen von dem noch nicht abgeschlossenen Widerspruchsverfahren – auch sonst zulässig ist, kann der Senat offen lassen, ob es zutrifft, dass eine Aussetzung analog § 114 Abs. 2 SGG nicht in Betracht kommt, wenn die Widerspruchsfrist verstrichen oder die Klage sonst offensichtlich unzulässig ist (so Guttenberger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage 2017, § 114, Rn. 43). Jedenfalls für die Fallkonstellation des verfristeten Widerspruchs dürfte dies aber zweifelhaft sein, weil die Behörde einen verfristeten Widerspruch wegen der Verfristung als unzulässig verwerfen kann, dies aber in der Regel nicht muss (Schmidt, a. a. O., § 85, Rn. 4).
Im Rahmen der gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG zu treffenden Ermessensentscheidung hat sich der Senat veranlasst gesehen, die Sache an das Sozialgericht zurückzuverweisen, weil er dem Erhalt des Instanzenzuges im vorliegenden Fall den Vorrang gegenüber dem Interesse der Beteiligten an einer möglicherweise geringfügig schnelleren Sachentscheidung eingeräumt hat. Insoweit war das objektive Interesse des Klägers an dem Erhalt beider Tatsacheninstanzen zur Prüfung seines Begehrens in der Sache – nach Durchführung des Vorverfahrens – zu berücksichtigen. Der Kläger hat eine Zurückverweisung ausdrücklich hilfsweise beantragt. Einzuräumen ist, dass die Zurückverweisung früher hätte erfolgen können. Andererseits fällt die Verfahrensdauer vor dem Hintergrund eines lange in der Vergangenheit liegenden streitigen Zeitraums, der zudem relativ kurz ist, zurück, zumal der Kläger die Leistungen überwiegend bereits erhalten hat, wenn auch nur vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung.
Eine Kostenentscheidung war durch den Senat nicht zu treffen. Sie muss der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten bleiben (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 159, Rn. 5f).
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. November 2014 bis zum 28. Februar 2015.
Der 1963 geborene Kläger bezog von dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bis zum 30. April 2014. Auf einen Weiterbewilligungsantrag vom 25. März 2014 versagte der Beklagte Leistungen mit Bescheid vom 30. Mai 2014 ab dem 1. Mai 2014. Hintergrund hierfür waren fehlende Mitwirkungshandlungen des Klägers in Bezug auf eine von dem Beklagten vermutete eheähnliche Gemeinschaft des Klägers mit Frau R (R). Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch hob der Beklagte den Versagungsbescheid vom 30. Mai 2014 mit Bescheid vom 7. Juli 2014 aus formalen Gründen auf und kündigte an, über den Weiterbewilligungsantrag vom 25. März 2014 gesondert zu entscheiden. Mit Bescheid vom 11. August 2014 lehnte der Beklagte den Antrag vom 25. März 2014 ab. Auch hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein.
Mit Beschluss vom 22. September 2014 verpflichtete das Sozialgericht den Beklagten im Wege einstweiliger Anordnung, dem Kläger für den Zeitraum vom 22. September 2014 bis zum 28. Februar 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von monatlich 362,- Euro zu gewähren (S 114 AS 19841/14 ER). Der Beklagte setzte den Beschluss um und den Kläger darüber mit Schreiben vom 29. September 2014 in Kenntnis.
Mit Schreiben an den Beklagten vom 29. Oktober 2014 (Eingang bei dem Beklagten am 30. Oktober 2014) beantragte der Kläger die Gewährung von Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 625,24 Euro. Beigefügt war diesem Schreiben ein Formular für einen Weiterbewilligungsantrag.
Mit Schreiben vom 5. Dezember 2014 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Überprüfung des Bescheides vom 11. August 2014 gemäß § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 11. Dezember 2014 ab. Auch hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, der durch Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2015 zurückgewiesen wurde.
Mit einem Schreiben vom 22. Januar 2015 fragte der Kläger unter anderem bei dem Beklagten nach, was mit seinem "Weiterbewilligungsantrag ab November 2014" vom 30. Oktober 2014 passiert sei.
In dem Eilverfahren vor dem Sozialgericht Berlin S 142 AS 3179/15 ER fragte das Sozialgericht den Beklagten, ob über den Leistungsantrag von Oktober 2014 entschieden worden sei. Der Beklagte lehnte daraufhin den Antrag des Klägers vom 30. Oktober 2014 mit Bescheid vom 4. März 2015 ab, wogegen der Kläger mit Schreiben vom 18. März 2015 am 19. März 2015 Widerspruch einlegte. Der Beklagte hob den Ablehnungsbescheid mit Bescheid vom 9. April 2015 auf und erklärte, damit dem Widerspruch in vollem Umfang entsprochen zu haben. Über den Antrag vom 30. Oktober 2014 werde erneut entschieden. Zwischenzeitlich hatte der Kläger bei dem Beklagten am 19. März 2015 einen weiteren Weiterbewilligungsantrag gestellt und das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 27. März 2015 den Beklagten dazu verpflichtet, dem Kläger vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum vom 2. März 2015 bis 31. August 2015 in Höhe von monatlich 581,24 Euro zu gewähren (S 142 AS 3179/15 ER). Der Beklagte setzte den Beschluss um und den Kläger darüber mit Schreiben vom 14. April 2015 in Kenntnis.
In einem weiteren Eilverfahren vor dem Sozialgericht Berlin wurden in einer nichtöffentlichen Sitzung der Kläger persönlich angehört und R als Zeugin vernommen. Mit Beschluss in diesem Verfahren vom 3. Dezember 2015 wurde der Beklagte erneut im Wege der einstweiligen Anordnung zur Leistungserbringung für den Zeitraum vom 7. Oktober 2015 bis zum 28. Februar 2016 verpflichtet (S 144 AS 20622/15 ER).
Am 18. November 2015 hat der Kläger Untätigkeitsklage beim Sozialgericht erhoben mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, den Antrag des Klägers vom 30. Oktober 2014 zu bescheiden (S 108 AS 23845/15). In einem Schriftsatz vom 4. Februar 2016 in diesem Verfahren hat er erklärt, es gehe insoweit um den Zeitraum ab November 2014.
Am 28. Dezember 2015 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, einen Antrag des Klägers von März 2015 zu bescheiden (S 65 AS 26524/15). In diesem Klageverfahren hat der Kläger klargestellt, es gehe um den Zeitraum ab dem 1. März 2015 (Schriftsatz vom 5. Februar 2016).
Mit Bescheid vom 4. Februar 2016 hat der Beklagte den Antrag des Klägers vom 19. März 2015 für den Zeitraum vom 1. März bis 31. August 2015 abgelehnt. Nach mehrmaligen Aufforderungen durch das Sozialgericht hat der Kläger die Untätigkeitsklage S 65 AS 26524/15 mit Schriftsatz vom 23. Mai 2016 für erledigt erklärt und darum gebeten, "sein Schreiben" als neue Klage zu registrieren.
Mit Bescheid vom 10. März 2016 hat der Beklagte den Antrag des Klägers vom 30. Oktober 2014 abgelehnt. Der Kläger hat im gerichtlichen Verfahren S 108 AS 23845/15 mit Schriftsatz vom 11. April 2016, eingegangen bei dem Sozialgericht am 20. April 2016, erklärt, die Klage als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage weiterführen zu wollen, dabei indes fälschlich den Bescheid vom 4. Februar 2016 benannt. Nach Aufforderung des Sozialgerichts hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23. Mai 2016 das Verfahren S 108 AS 23845/15 in der Hauptsache für erledigt erklärt, darum gebeten, dass "sein Schreiben" als neue Klage registriert werden soll, und die Rechtsauffassung geäußert, mit seinem Schriftsatz vom 11. April 2016 Widerspruch gegen den Bescheid vom 10. März 2016 eingelegt zu haben.
Ein Schriftsatz in dem Verfahren S 65 AS 26524/15 vom 18. März 2016 ist als neue Klage gegen den Bescheid vom 4. Februar 2016 unter dem Aktenzeichen S 128 AS 7604/16 erfasst worden.
Der Schriftsatz vom 11. April 2016 ist als neue Klage erfasst worden, die dem hiesigen Berufungsverfahren zugrunde liegt.
Mit Schreiben vom 19. August 2016 hat das Sozialgericht die Beteiligten über seine Absicht angehört, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden und darauf hingewiesen, dass Klagegegenstand hier der Bescheid vom 10. März 2016 sei. Die Klage dürfte keine Aussicht auf Erfolg haben, weil der Kläger gegen den Bescheid vom 10. März 2016 keinen Widerspruch eingelegt habe und dieser Bescheid daher bestandskräftig geworden sein dürfte.
Mit Gerichtsbescheid vom 11. November 2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Sie sei unzulässig, weil der Kläger gegen den wirksamen Bescheid vom 10. März 2016 keinen, in Bezug auf den Schriftsatz vom 11. April 2016 in dem Verfahren S 108 AS 23845/15 jedenfalls keinen rechtzeitigen Widerspruch eingelegt habe.
Gegen den ihm am 17. November 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 15. Dezember 2016 Berufung eingelegt.
Nach Anhörung der Beteiligten hat der Senat die Berufung durch Beschluss vom 21. August 2017 gemäß § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) dem Berichterstatter übertragen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 11. November 2016 und den Bescheid des Beklagten vom 10. März 2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 1. November 2014 bis zum 28. Februar 2015 zu gewähren,
hilfsweise,
den Rechtsstreit an das Sozialgericht Berlin zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst Beistücken, der Gerichtsakte S 108 AS 23845/15 sowie der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts vom 11. November 2016 und der Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht begründet.
Rechtsgrundlage für diese Entscheidung ist § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Hiernach kann das Landessozialgericht (LSG) die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Der Kernanwendungsbereich dieser Regelung betrifft den Fall, dass das Sozialgericht zu Unrecht die Klage durch Prozessurteil abgewiesen hat, obwohl es eine Sachentscheidung hätte treffen müssen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Rechtsstreit in der Sache zum Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts bereits spruchreif gewesen ist, vielmehr ist allein maßgeblich, dass das Sozialgericht überhaupt zu einer Entscheidung in der Sache verpflichtet war, auch wenn für diese noch weitere Ermittlungen erforderlich gewesen wären. Dem steht die Konstellation gleich, dass das Sozialgericht prozessrechtlich verpflichtet gewesen wäre, bestehende Sachentscheidungshindernisse zu beseitigen und sodann in der Sache zu entscheiden. Der Wortlaut des § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG lässt insoweit ausreichen, dass tatsächlich (zu Unrecht) keine Sachentscheidung getroffen worden ist. Ein Fall der im Einzelnen umstrittenen entsprechenden Anwendung (etwa im Fall einer falschen Weichenstellung in einer rechtlichen Vorfrage, die dem Sozialgericht den Zugang zum Kern des Streites versperrt hat; vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 26. Januar 2012 – 3 C 8/11 - juris) liegt hier nicht vor.
Die dargelegten tatbestandlichen Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG sind erfüllt. Denn das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Das Sozialgericht war nicht befugt, die Klage als unzulässig abzuweisen, ohne den Beteiligten Gelegenheit zu geben, das vorliegend noch nicht abgeschlossene Vorverfahren nachzuholen (vgl. eingehend hierzu LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Januar 2017 - L 11 SB 295/16 - WzS 2017, 155).
Das Vorverfahren bezogen auf den Bescheid vom 10. März 2016 ist entgegen der Einschätzung des Beklagten und des Sozialgerichts noch nicht abgeschlossen. Denn der Bescheid ist seinerseits gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 4. März 2015 geworden, das nicht durch den Bescheid vom 9. April 2015 beendet worden ist.
Das mit dem fristgerechten Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 4. März 2015 eröffnete Vorverfahren ist durch den Bescheid vom 9. April 2015 nicht beendet worden. § 85 SGG sieht – ungeachtet sonstiger verfahrensbeendender Möglichkeiten wie etwa der Rücknahme – zwei Arten der Erledigung eines Widerspruchs durch eine behördliche Entscheidung vor: die Abhilfe in Absatz 1 und den Widerspruchsbescheid in Absatz 2. Eine Zurückweisung des Widerspruchs ist ersichtlich nicht erfolgt, was auch der Beklagte nicht anzweifelt. Aber auch eine Abhilfe des Widerspruchs ist hier nicht erfolgt und zwar insbesondere auch nicht durch den Bescheid vom 9. April 2015, mit dem der Beklagte lediglich den Ablehnungsbescheid vom 4. März 2015 aufgehoben hat. Abgeholfen ist dem Widerspruch, wenn dem Begehren des Widerspruchsführers in vollem Umfang stattgegeben wird (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 85, Rn. 2b). Ob und inwieweit einem Widerspruch abgeholfen ist, ergibt sich aus dem Vergleich zwischen beantragter und bewilligter Regelung (Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 85, Rn. 5). Gemessen daran kann hier von einer Vollabhilfe keine Rede sein. Der Kläger hat mit seinem Widerspruch erkennbar ein kombiniertes Anfechtungs- und Leistungsbegehren miteinander verknüpft. Bei einem Leistungsbegehren des Widerspruchsführers - wie hier - erschöpft sich die Abhilfe nicht in der Aufhebung des angefochtenen Ablehnungsbescheids. Vielmehr ist das Vorverfahren erst dann durch Abhilfe erledigt, wenn dem streitgegenständlichen Leistungsbegehren in vollem Umfang entsprochen worden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. September 2011 - 1 WB 48/10 –; Verwaltungsgericht Leipzig, Urteil vom 4. März 2015 - 4 K 783/12 – beide bei juris; Dolde/Porsch in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, § 72 VwGO, Rn. 16a). Das BVerwG hat sich in dem genannten Beschluss gegen die abweichende Auffassung gewandt, nach der in Fällen, in denen der mit einem Widerspruch angegriffene Bescheid noch während des laufenden Widerspruchsverfahrens durch einen neuen Bescheid geändert, wiederholt oder ersetzt wird, der Widerspruchsführer zur Vermeidung der Bestandskraft des Änderungsbescheids tätig werden müsse, indem er entweder durch Änderung des Widerspruchs analog § 91 der Verwaltungsgerichtsordnung den Änderungsbescheid in das Widerspruchsverfahren einbeziehe oder das Widerspruchsverfahren hinsichtlich des ersten Bescheids für erledigt erkläre und gegen den Änderungsbescheid gesondert Widerspruch einlege. Diese Erwägungen müssen umso mehr im sozialgerichtlichen Vorverfahren gelten, in dem Verwaltungsakte, die einen mit Widerspruch angegriffenen Bescheid ändern oder ersetzen (vgl. zu letzteren Schmidt, a. a. O., § 86, Rn. 3), gemäß § 86 SGG automatisch Gegenstand des Vorverfahrens werden. Es ist auch nicht "technisch" betrachtet der Gegenstand des Vorverfahrens mit der Aufhebung des Ablehnungsbescheides entfallen, weil der Gesetzgeber der Behörde – wie eingangs genannt – nur zwei Möglichkeiten der Verfahrensbeendigung an die Seite gestellt hat, die Abhilfe und den Widerspruchsbescheid (die Teilabhilfe stellt keine dritte Möglichkeit dar, sondern ist nur die Kombination der zwei bestehenden Alternativen). Die Behörde hat es also nicht in der Hand, im Leistungs- oder im Verpflichtungswiderspruch durch bloße Aufhebung ihres Ablehnungsbescheides eine Verfahrensbeendigung herbeizuführen, zumal sie sich, was der Kläger zutreffend andeutet, auf diese Weise einer Sachentscheidung über das eigentliche Begehren dauerhaft entziehen könnte.
Nichts anderes folgt aus einer Entscheidung des BVerwG, wonach eine Vollabhilfe stets gegeben sei, wenn die Behörde den durch einen Widerspruch angegriffenen Bescheid auf eben diesen Widerspruch hin in vollem Umfang aufhebe. Treffe das zu, sei es ohne Belang, ob die Behörde gleichzeitig mit der Aufhebung oder später einen inhaltlich ähnlichen oder sogar gleichen Bescheid erlasse (BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1991 - 8 C 83/88 – juris). Der Senat kann offen lassen, ob sich diese Ausführungen auf das SGG übertragen lassen. Denn die Entscheidung des BVerwG betraf einen Beitragsbescheid, in Bezug auf den sich das Rechtsschutzbegehren anders als vorliegend in der reinen Aufhebung erschöpfte (das verkennt LSG Sachsen, Beschluss vom 4. August 2015 - L 3 AS 1030/11 B PKH – juris).
Bei der skizzierten Sach- und Rechtslage hat mithin der Bescheid vom 9. April 2015 nach § 86 SGG den Ablehnungsbescheid vom 4. März 2015 in dem Sinne "ersetzt", als er an dessen Stelle getreten ist. Seinerseits ist der Bescheid vom 9. April 2015 durch den (erneuten) Ablehnungsbescheid vom 10. März 2016 ersetzt worden. Bei auch nach aktueller Rechtslage bestehender Möglichkeit einer analogen Anwendung des § 86 SGG (vgl. dazu Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 9. Dezember 2016 - B 8 SO 14/15 R – juris) lässt der Senat dabei offen, ob das hier gefundene Ergebnis auf einer unmittelbaren oder einer entsprechenden Anwendung des § 86 SGG beruht. Das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 4. März 2015 – nunmehr in der Fassung des Bescheides vom 10. März 2016 - war und ist daher noch offen.
Die Klage durfte nach alledem nicht als unzulässig abgewiesen werden. Das Verfahren ist vor Abschluss des Vorverfahrens auszusetzen und den Beteiligten ist Gelegenheit zur Nachholung des Vorverfahrens zu geben. Diese Verpflichtung ergibt sich nach der Rechtsprechung des BSG aus einer analogen Anwendung des § 114 Abs. 2 SGG (vgl. BSG, Beschluss vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 99/13 B – juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Januar 2017 – L 11 SB 295/16 - WzS 2017, 155, 156). Da hier ein zulässiger Widerspruch vorliegt und die Klage – abgesehen von dem noch nicht abgeschlossenen Widerspruchsverfahren – auch sonst zulässig ist, kann der Senat offen lassen, ob es zutrifft, dass eine Aussetzung analog § 114 Abs. 2 SGG nicht in Betracht kommt, wenn die Widerspruchsfrist verstrichen oder die Klage sonst offensichtlich unzulässig ist (so Guttenberger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage 2017, § 114, Rn. 43). Jedenfalls für die Fallkonstellation des verfristeten Widerspruchs dürfte dies aber zweifelhaft sein, weil die Behörde einen verfristeten Widerspruch wegen der Verfristung als unzulässig verwerfen kann, dies aber in der Regel nicht muss (Schmidt, a. a. O., § 85, Rn. 4).
Im Rahmen der gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG zu treffenden Ermessensentscheidung hat sich der Senat veranlasst gesehen, die Sache an das Sozialgericht zurückzuverweisen, weil er dem Erhalt des Instanzenzuges im vorliegenden Fall den Vorrang gegenüber dem Interesse der Beteiligten an einer möglicherweise geringfügig schnelleren Sachentscheidung eingeräumt hat. Insoweit war das objektive Interesse des Klägers an dem Erhalt beider Tatsacheninstanzen zur Prüfung seines Begehrens in der Sache – nach Durchführung des Vorverfahrens – zu berücksichtigen. Der Kläger hat eine Zurückverweisung ausdrücklich hilfsweise beantragt. Einzuräumen ist, dass die Zurückverweisung früher hätte erfolgen können. Andererseits fällt die Verfahrensdauer vor dem Hintergrund eines lange in der Vergangenheit liegenden streitigen Zeitraums, der zudem relativ kurz ist, zurück, zumal der Kläger die Leistungen überwiegend bereits erhalten hat, wenn auch nur vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung.
Eine Kostenentscheidung war durch den Senat nicht zu treffen. Sie muss der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten bleiben (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 159, Rn. 5f).
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
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