L 10 U 4516/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 20 U 1578/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 4516/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 26.10.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Weiterzahlung einer abgefundenen Verletztenrente wegen einer wesentlichen Verschlimmerung des Gesundheitszustandes.

Der am 1958 geborene Kläger ist p. Staatsangehöriger und war in Deutschland von 1993 bis März 2009 und von April 2011 bis 25.11.2012 in einem Forstbetrieb beschäftigt. Dabei war er Lärmeinwirkungen durch Motorsägen und durch Freischneider bzw. Rasenmäher im Rahmen der Friedhofspflege ausgesetzt. Von April 2009 bis März 2011 war der Kläger nicht beruflich tätig ausgesetzt. Seit 26.11.2012 übt der Kläger keine berufliche Tätigkeit mehr aus.

Auf der Grundlage eines beim Arzt für HNO-Heilkunde Dr. K. eingeholten Gutachtens (Hörverlust im November 2006 auf Grund des Tonaudiogramms nach der Tabelle von Röser 1980 rechts 35 %, links 50 %; nach dem Sprachaudiogramm Hörverlust rechts 30 %, links gewichtet 90 %, nicht gewichtet = einfaches Gesamtwortverstehen 70 %; da keine anderen Ursachen erkennbar seien, sei auch die links höhergradig ausgeprägte Hörstörung lärmbedingt; die Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - betrage nach beiden Audiogrammen - so Dr. K. - 20 v.H.) anerkannte die Beklagte mit Bescheid vom 24.01.2007 eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV; nachfolgend BK 2301 = Lärmschwerhörigkeit) und als BK-Folge "linksbetonte Innenohrschwerhörigkeit beidseits" und gewährte eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H.

Wegen eines im Jahr 2007 aufgetretenen Ohrgeräusches beidseits überprüfte die Beklagte die Höhe der Verletztenrente. Der HNO-Arzt Dr. K. ermittelte im Tonaudiogramm einen Hörverlust rechts von 40 %, links von 50 % und im Sprachaudiogramm (einfaches Gesamtwortverstehen) einen Hörverlust rechts von 30 % und links von 40 % (Bl. 46/4 VA) und bewertete die MdE unter Anwendung der sogenannten Symmetrieregel (bei Lärmschwerhörigkeit sei eine symmetrische Ausprägung der Schädigung zu erwarten, so dass bei der Beurteilung die links höhergradig ausgeprägte Hörstörung der rechten Seite gleichzusetzen sei) einschließlich des Tinnitus mit 15 v.H. Daraufhin lehnte die Beklagte eine Erhöhung der Verletztenrente mit Bescheid vom 18.02.2008 ab.

Nachfolgende Erhöhungsanträge blieben ebenfalls erfolglos. Grundlage für die letzte dieser Entscheidungen (Bescheid vom 09.07.2010) war eine beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für HNO-Krankheiten Dr. J. , der die vom behandelnden HNO-Arzt erstellten Tonaudiogramme von Februar 2009 und - geringfügig besser als jenes vom Jahr zuvor - Februar 2010 (vgl. Bl. 70/1 VA) auswertete (für Februar 2009 Hörverlust nach Röser 1980 rechts 55 %, links 65 %, Bl. 75/4 VA) und angesichts der zum Teil scheinbar besseren Ergebnisse im Vergleich der Befunde von Dr. K. und Dr. K. , was bei einer Lärmschädigung objektiv nicht möglich sei, bzw. geringfügig ungünstigerer Ergebnisse im gesamten Verlauf eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung um mehr als fünf Prozentpunkte verneinte.

Mit Bescheid vom 18.09.2012 wurde die Rente nach einer MdE von 20 v.H. antragsgemäß mit Wirkung ab Oktober 2012 auf Lebenszeit und mit einem Betrag von 20.145,31 EUR abgefunden (Bl. 134/1 VA).

Im Januar 2013 beantragte der Kläger die erneute Gewährung der abgefundenen Verletztenrente und legte u.a. ein für seine private Unfallversicherung erstelltes Gutachten des Dr. K. vor, der im Juni 2012 einen Hörverlust im Tonaudiogramm nach der Tabelle von Röser 1980 rechts von 50 %, links von 75 % und im Sprachaudiogramm rechts von 50 % und links von 70 % ermittelte (Bl. 137/35 VA). Daraufhin veranlasste die Beklagte eine erneute Begutachtung bei Dr. K. , der auf Grund Untersuchung im November 2013 einen prozentualen Hörverlust im Sprachaudiogramm (einfaches Gesamtwortverstehen) rechts von 20 % und links von 40 % dokumentierte (Bl. 172/4 VA), im Vergleich zu den von ihm im Jahr 2008 erhobenen Befunde, wiederum unter Anwendung der Symmetrieregel, keine richtungsweisende Verschlimmerung annahm und die MdE unter Einbeziehung des Tinnitus mit 20 v.H. einschätzte.

Mit Bescheid vom 22.11.2013 lehnte die Beklagte eine Erhöhung der auf Lebenszeit abgefundenen Rente und damit eine erneute Gewährung einer Rente ab. Im Widerspruchsverfahren holte sie eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. J. ein, der die von Dr. K. für November 2013 dokumentierten Ergebnisse des Sprachaudiogramms für unglaubwürdig erachtete, weil eine Besserung eingetreten sei. Er führte dies auf ein mögliches besseres Verständnis der deutschen Sprache beim Kläger zurück. Nach seiner Auswertung des von Dr. K. zuletzt erstellten Tonaudiogramms nach der Tabelle von Röser 1980 mit einem Hörverlust rechts von 45 % und links von 75 % (Bl. 185/5 VA) ging er von einer Verschlechterung des Hörvermögens aus, was - unabhängig von der Frage der Kausalität in Bezug auf die linksseitig höhergradige Schädigung - eine MdE um 30 v.H. (einschließlich des Tinnitus) bedinge. Mit Widerspruchsbescheid vom 09.07.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und folgte den Ausführungen von Dr. K ...

Im April 2015 beantragte der Kläger die Überprüfung seines Hörschadens und machte geltend, die Untersuchung bei Dr. K. im November 2013 sei nicht ordnungsgemäß, weil - sinngemäß - von einer Auszubildenden durchgeführt worden. Diesen Antrag legte die Beklagte als Überprüfungsantrag in Bezug auf den Bescheid vom 22.11.2013 aus und lehnte die Rücknahme dieses Bescheides durch Bescheid vom 01.10.2015 ab. Im Widerspruchsverfahren erstattete Prof. Dr. Dr. L. , Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für HNO-Heilkunde F. , ein Gutachten auf Grund Untersuchung des Klägers im April 2016. In der Anamnese gab der Kläger an, eine Verschlechterung seines Hörvermögens sei insbesondere in den letzten drei Jahren eingetreten. Prof. Dr. Dr. L. ging auf Grund der ermittelten Hörverluste im Sprachaudiogramm beim einfachen Gesamtwortverstehen von rechts 40 % und links 80 % von einer MdE um 40 v.H. aus (Bl. 211/31 VA) und bemaß die MdE unter Einbeziehung des Tinnitus mit 45 v.H.

Der Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. S. führte in seiner hierzu eingeholten beratungsärztlichen Stellungnahme aus, dass zwischen der aktenkundigen Untersuchung im Juni 2013 in der HNO-Universitätsklinik F. (im Tonaudiogramm prozentualer Hörverlust nach Röser 1980 rechts 70 % und links 55 %, Bl. 217/4 VA) bis zur Untersuchung durch Prof. Dr. Dr. L. im April 2016 (im Tonaudiogramm entsprechender prozentualer Hörverlust rechts 40 % und links 90 %) eine nicht unerhebliche Abweichung aufgetreten sei. Insbesondere links sei es zu einer deutlichen Verschlechterung des Hörvermögens gekommen, was durch die Angaben des Klägers bestätigt werde. Da jedoch eine Verschlechterung des Hörvermögens nach Aufgabe der hörschädigenden Tätigkeit nicht möglich sei, könnten die Untersuchungsergebnisse von Prof. Dr. Dr. L. nicht Grundlage der Bewertung sein. Er empfehle, die Ergebnisse der tonaudiometrischen Untersuchung vom Juni 2013 zur Grundlage zu machen und damit unter Einbeziehung des Tinnitus von einer MdE um 35 % auszugehen.

Hierzu holte die Beklagte die beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für HNO-Heilkunde Prof. Dr. M. ein, der darauf hinwies, dass das Expositionsende bereits am 25.11.2012 gewesen sei. Der nächstliegende Befund sei jener von Dr. K. vom Juni 2012. Insgesamt ergebe sich ein asymmetrischer Verlauf der Befunde, was für eine bifaktorielle Kausalität spreche. Die MdE auf Grund der Befunde des Dr. K. von Juni 2012 bemaß er einschließlich des Tinnitus mit 25 v.H. Auf dieser Grundlage wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.04.2017 zurück. Der abgefundenen Rente habe eine MdE von 20 v.H. zu Grunde gelegen. Eine wesentliche Verschlimmerung um mehr als fünf Prozentpunkte sei nicht eingetreten.

Das hiergegen am 25.04.2017 angerufene Sozialgericht Freiburg hat ein Gutachten des Facharztes für HNO-Heilkunde Dr. D. eingeholt. Ihm gegenüber hat der Kläger bei der Untersuchung im August 2017 angegeben, seine Schwerhörigkeit hätte sich auf der linken Seite auch nach Beendigung seiner Berufstätigkeit verschlechtert. Im Tonaudiogramm hat sich nach der Tabelle von Röser 1980 rechts ein Hörverlust von 50 % und links von 65 %, im Sprachaudiogramm beim einfachen Gesamtwortverstehen rechts ein Hörverlust von 40 % und links von 60 % ergeben. Da die audiometrischen Befunde unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Tonaudiometrie meist einen höheren Hörverlust ergebe, eine sehr gute Korrelation aufwiesen, seien - so der Sachverständige - die Daten des einfachen Gesamtwortverstehens zu Grunde zu legen. Unter Anwendung der sogenannten Symmetrieregel hat er eine MdE um 20 v.H. ermittelt, die er unter Berücksichtigung des Tinnitus mit einer MdE um 10 v.H. auf eine Gesamt-MdE von 25 v.H. erhöht hat.

Mit Gerichtsbescheid vom 26.10.2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat sich den Ausführungen von Dr. D. angeschlossen und darauf hingewiesen, dass eine Erhöhung der MdE um lediglich fünf Prozentpunkte keine wesentliche Verschlechterung im Sinne des Gesetzes darstellt.

Gegen den am 28.10.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 28.11.2017 Berufung eingelegt. Er verweist auf die Bewertungen von Prof. Dr. Dr. L. (MdE 45 v.H.) bzw. Dr. S. (MdE 35 v.H.). Im Übrigen ist er der Auffassung, dass die von Dr. D. geschätzte MdE mit 25 v.H. gegenüber der bewilligten Rente mit einer MdE um 20 v.H. einen Anspruch auf höhere Rente begründe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 26.10.2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2017 zu verpflichten, den Bescheid vom 22.11.2013 zurückzunehmen und ihm die abgefundene Rente in Höhe der eingetretenen Verschlimmerung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 01.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2017, mit dem die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 22.11.2013 ablehnte. Mit diesem Bescheid vom 22.11.2013 lehnte die Beklagte die Erhöhung der auf Lebenszeit abgefundenen Rente wegen einer wesentlichen Verschlimmerung der BK-Folgen und die erneute Gewährung einer Rente ab. Dementsprechend erstreckt sich die materiell-rechtliche Prüfung des Senats allein auf die Frage, inwieweit die mit dem Bescheid vom 18.09.2012 mit Wirkung ab Oktober 2012 abgefundene Rente wegen einer wesentlichen Verschlimmerung der BK-Folgen erneut zu zahlen ist.

Nicht Gegenstand der Prüfung ist dagegen, ob und inwieweit seit der erstmaligen Bewilligung der Verletztenrente durch den Bescheid vom 24.01.2007 eine wesentliche Änderung der BK-Folgen i.S. eines höheren Anspruchs auf Verletztenrente eintrat. Denn hierüber und damit auch darüber, ob bis zur Abfindung ein höherer Rentenanspruch zustand und damit auch ein höherer Abfindungsbetrag hätte gewährt werden müssen, entschied die Beklagte in dem hier zur Prüfung anstehenden Bescheid vom 22.11.2013 nicht. Regelungsgegenstand des Bescheides war allein die Weiterzahlung der abgefundenen Rente. Dies ergibt sich aus dem Verfügungssatz des Bescheides und zeigt sich auch daran, dass die Beklagte ihre Prüfung gerade nicht auf die inhaltliche Richtigkeit des Bescheides vom 18.09.2012 über die Abfindung der Rente und die Höhe des Abfindungsbetrages erstreckte. Soweit die Beklagte daher im Widerspruchsbescheid vom 09.04.2014, mit dem der Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.11.2013 zurückgewiesen wurde, eine wesentliche Änderung seit dem Bescheid vom 24.01.2007 thematisierte, ging dies an der damals durchzuführenden Prüfung vorbei.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Bestimmung ermöglicht eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte. Nach § 44 Abs. 4 SGB X werden im Falle der Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme bzw. Antragstellung erbracht. Der Zeitpunkt der Rücknahme wird dabei von Beginn des Jahres angerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Bei einer Rücknahme auf Antrag tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den die Leistungen rückwirkend zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X).

Hier beantragte der Kläger im April 2015 sinngemäß die Rücknahme des Bescheides vom 22.11.2013. Indessen liegen die Voraussetzungen für eine solche Rücknahme nicht vor. Denn der Bescheid vom 22.11.2013, mit dem die Beklagte die erneute Gewährung der abgelehnten Rente wegen einer Verschlechterung des Hörvermögens ablehnte, war rechtmäßig. Eine lärmbedingte Verschlechterung des Hörvermögens des Klägers seit Abfindung der Rente war nicht eingetreten.

Maßgebend für die Beurteilung ist - wie sich aus dem Wortlaut des § 44 Abs.1 Satz 1 SGB X ergibt - allein die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 22.11.2013. Die beim Kläger damals vorliegenden Hörstörungen führten indessen - unabhängig von der Frage, ob und inwieweit die Hörverluste auf die anerkannte Lärmschwerhörigkeit zurückzuführen waren - zu keinem höheren Anspruch auf Verletztenrente.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - dies sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Einen solchen Rentenanspruch nach einer MdE um 20 v.H. anerkannte die Beklagte mit Bescheid vom 24.01.2007.

Indessen wurde diese Rente antragsgemäß mit Wirkung ab Oktober 2012 gemäß § 76 Abs. 1 SGB VII auf Lebenszeit abgefunden (Bescheid vom 18.09.2012), so dass der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Verletztenrente erloschen ist.

Allerdings wird nach § 76 Abs. 3 SGB VII die nach Abs. 1 der Bestimmung abgefundene Rente insoweit gezahlt, als nach der Abfindung eine wesentliche Verschlimmerung der Folgen des Versicherungsfalles (§ 73 Abs. 3 SGBVII) eintritt. Vorliegend ist deshalb maßgebend, ob zwischen der zum 01.10.2012 erfolgten Abfindung der Verletztenrente durch Bescheid vom 18.09.2012 bis zum zur Überprüfung nach § 44 Abs. 1 SGB X stehenden, die erneute Zahlung der Rente nach erfolgter Abfindung ablehnenden Bescheid vom 22.11.2013 - also im Zeitraum Oktober 2012 bis November 2013 - eine wesentliche Verschlimmerung des lärmbedingten Hörschadens beim Kläger eintrat. Wegen der Bezugnahme des § 76 SGB VII auf § 73 Abs. 3 SGB VII liegt eine wesentliche Verschlimmerung der Folgen des Versicherungsfalles nur vor, wenn sie mehr als 5 v.H. beträgt und länger als drei Monate andauert. Eine solche wesentliche Verschlimmerung der BK-Folgen im genannten Zeitraum verneint der Senat.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Grundlage der Beurteilung - sowohl was die Frage eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Lärmbelastung und Hörstörung als auch was die Ermittlung der MdE anbelangt - ist die von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung unter Mitwirkung der ärztlichen Fachverbände im März 2012 herausgegebene Empfehlung für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit (Königsteiner Empfehlung). Danach ist für die quantitative Bewertung der Schwerhörigkeit - und damit für die Einschätzung der MdE - das Sprachaudiogramm vorrangig (Königsteiner Empfehlung S. 30 ff.). Unterschieden wird dabei zwischen dem gewichteten und dem einfachen Gesamtwortverstehen, wobei letzteres bei Hörverlusten von mehr als 40 % maßgebend ist. Eine Berechnung des prozentualen Hörverlustes aus dem Tonaudiogramm erfolgt, wenn kein Sprachaudiogramm vorliegt oder diese Werte nicht verlässlich sind, z.B. bei mangelnden Sprachkenntnissen. Dann wird der Hörverlust "hilfsweise" nach der Drei-Frequenz-Tabelle von Röser 1980 ermittelt (Königsteiner Empfehlung S. 33), wobei zu berücksichtigen ist, dass diese Werte gegenüber jenen des Sprachaudiogramms meist einen höheren Hörverlust ergeben. Anhand der so gewonnenen Bewertung des Hörverlustes erfolgt dann die Einschätzung der MdE anhand der Tabelle von Feldmann 1995 (Königsteiner Empfehlung S. 34).

Dies zu Grunde gelegt, lässt sich eine wesentliche Verschlechterung der MdE um mehr als fünf Prozentpunkte zwischen der Abfindung der Rente (September 2012) und dem Erlass des Bescheides vom 22.11.2013 nicht feststellen. Tatsächlich trat keine Verschlechterung der BK-Folgen ein.

Die zeitlich nächstliegende Dokumentation des Hörvermögens des Klägers vor der erfolgten Abfindung ist die Untersuchung im Juni 2012 bei Dr. K ... Dort ergab sich ein Hörverlust im Sprachaudiogramm rechts von 50 % und links von 70 %, im Tonaudiogramm nach Röser 1980 rechts von 50 % und links von 75 %. Vergleicht man diese Werte mit den nachfolgend erhobenen Befunden, ist eine wesentliche Verschlechterung des Hörvermögens - unabhängig von dessen Ursache - nicht feststellbar. Aktenkundig ist insoweit eine Untersuchung im Juni 2013 in der HNO-Universitätsklinik F. (Bl. 182/3 VA). Nach der gutachterlichen Auswertung durch Dr. S. ergab sich - bei gutachterlich nicht verwertbarem Sprachaudiogramm - nach der Tabelle von Rösler 1980 ein Hörverlust rechts von 70 % und links von 55 %. Allerdings liegt dieser Beurteilung eine Seitenverwechslung zu Grunde. So weist die Hörkurve im Tonaudiogramm (Bl. 182/4 VA) eine deutlich ausgeprägter abfallende Hörkurve für das linke gegenüber dem rechten Ohr aus. Entsprechend bewertete Prof. Dr. Dr. L. in seinem Gutachten von 2016 in Bezug auf dieses Tonaudiogramm den prozentualen Hörverlust rechts mit 56% und links mit 78 %, allerdings nach der Tabelle von Röser 1973. Indessen korrespondieren diese Werte im Wesentlichen mit den von Dr. S. ermittelten Werten, so dass der Senat - entsprechend der Auswertung des Audiogramms vom Juni 2013 durch Dr. S. nach der Tabelle von Röser 1980 und somit entsprechend der Königsteiner Empfehlung, aber unter Korrektur der Seitenverwechslung - für das rechte Ohr einen Hörverlust von 55 % und für das linke Ohr einen Hörverlust von 70 % annimmt. Damit steht zugleich fest, dass es zwischen beiden Untersuchungen zu keiner wesentlichen Verschlechterung des Hörvermögens kam. Die zeitnächste Untersuchung zum Bescheid vom 22.11.2013 erfolgte durch Dr. K. am 13.11.2013. Er beschrieb im einfachen Gesamtwortverstehen einen Hörverlust rechts von 20 % und links von 40 %, im Tonaudiogramm nach der Tabelle von Röser 1980 ergab sich nach der (von Dr. K. nicht vorgenommenen) gutachterlichen Auswertung durch Dr. J. ein Hörverlust rechts von 45 % und links von 75 % (Bl. 185/5 VA). Auch insoweit lässt sich somit eine Verschlechterung gegenüber den von Dr. K. im Juni 2012 erhobenen Befunden (Hörverlust rechts 50 %, links 75 %) nicht feststellen. Soweit der Kläger die von Dr. K. erhobenen Befunde anzweifelt (so im Überprüfungsantrag vom April 2015), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Dass die Hörprüfung durch eine Auszubildende durchgeführt wurde, die - so der Kläger - immer wieder Rücksprache mit dem Arzt nahm, rechtfertigt als solches keine Zweifel an der Validität der Befunde. Im Übrigen weichen die von Dr. K. erhobenen Befunde, bei Annahme einer entsprechenden Messtoleranz, in Bezug auf das Tonaudiogramm nicht auffällig von den zuvor erhobenen Befunden ab, sondern entsprechen im Wesentlichen den dargelegten Vorbefunden. Aber selbst wenn die von Dr. K. erhobenen Werte außer Betracht blieben, ließe sich eine Verschlechterung nicht feststellen. Denn dann verbliebe es mangels zeitnah zum Bescheid vom 22.11.2013 erhobener weiterer Befunde beim Vergleich der Audiogramme des Dr. K. vom Juni 2012 und der HNO-Universitätsklinik F. vom Juni 2013. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger seit 25.11.2012 keinen Lärmbelastungen mehr ausgesetzt war. Da nach dem allgemeinen medizinischen Kenntnisstand (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S.349), und hierauf hat insbesondere Dr. S. hingewiesen, eine Verschlechterung des Hörvermögens nach Expositionsende - hier endgültig ab dem 25.11.2012 - nicht mehr auf lärmbedingte Einwirkungen zurückgeführt werden kann, wären nachfolgende Verschlechterungen des Hörvermögens, insbesondere nach der Untersuchung vom Juni 2013 in der HNO-Universitätsklinik, nicht mehr als berufsbedingt anzusehen und ohne Auswirkung auf die Höhe der MdE.

In Bezug auf das Ausmaß der beim Kläger vorliegenden Hörstörung kam es somit zwischen der Abfindung der Verletztenrente und dem zur Überprüfung stehenden Bescheid vom 22.11.2013 zu keiner Verschlechterung der Befunde. In Bezug auf den beim Kläger vorliegenden Tinnitus gilt Gleiches. Keiner mit der Begutachtung des Klägers befassten Ärzte hat insoweit eine Verschlimmerung thematisiert und auch der Kläger stützt seinen Anspruch nicht auf eine Verschlechterung des Tinnitus, sondern er behauptet eine Verschlechterung des Hörvermögens.

Im Übrigen kam es auch in der Folgezeit zu keiner objektivierbaren Verschlechterung. Nachfolgend ermittelte Prof. Dr. Dr. L. in seiner Untersuchung im April 2016 einen Hörverlust im Sprachaudiogramm rechts von 40 % und links von 80 %, die er der Beurteilung zu Grunde legte (keine Auswertung des Tonaudiogramms nach der Tabelle Röser 1980). Bereits Dr. K. hatte aber für Juni 2012 einen Hörverlust im Sprachaudiogramm rechts von 50 % und links von 70 % dokumentiert, sodass insoweit von keiner wesentlichen Verschlechterung des Hörvermögens auszugehen ist. Bestätigt wird dies durch das vom Sozialgericht eingeholte Gutachten des Dr. D ... Er hat im Sprachaudiogramm einen Hörverlust rechts von 40 % und links von 60 % ermittelt und damit sogar bessere Werte als Prof. Dr. Dr. L. im April 2016 und Dr. K. im Juni 2012, was, da sich eine Lärmschwerhörigkeit nicht bessert (so Dr. J. und Dr. S. übereinstimmend), möglicherweise auf ein besseres Verständnis der deutschen Sprache zurückgeführt werden kann (so bereits Dr. J. ). Allerdings waren auch die Werte des Tonaudiogrammes bei der Untersuchung durch Dr. D. etwas besser als im Juni 2012. So ermittelte Dr. D. einen Hörverlust nach Röser 1980 rechts von 50 % und links von 65 %, während Dr. K. diesen Hörverlust rechts ebenfalls mit 50 %, links aber mit 75 % dokumentierte. Inwieweit dies mit Messtoleranzen oder einer Tagesformabhängigkeit zu erklären ist, kann offen bleiben. Jedenfalls lässt sich - unabhängig von der Frage des ursächlichen Zusammenhangs - eine Verschlechterung des Hörvermögens seit der Abfindung der Rente nicht feststellen. Ist aber nach der Abfindung eine wesentliche Verschlimmerung des Hörvermögens nicht eingetreten, besteht auch kein Anspruch auf erneute Zahlung der Rente nach § 76 Abs. 3 SGB VII.

Hieran vermögen die Bewertungen der MdE durch Prof. Dr. Dr. L. in seinem Gutachten aus dem Jahre 2016 und Dr. S. in seiner nachfolgenden beratungsärztlichen Stellungnahme, auf die sich der Kläger jeweils beruft, nichts zu ändern. Denn diese Fachärzte beurteilten gerade nicht die - hier allein maßgebende - Verschlechterung des Hörvermögens zwischen dem Zeitpunkt der Abfindung der Rente und dem Ablehnungsbescheid vom 22.11.2013. Dementsprechend kommt ihren Beurteilungen, insbesondere zur Höhe der MdE, keine maßgebliche Bedeutung zu. Lediglich am Rande weist der Senat darauf hin, dass sich auch eine BK-bedingte, also lärmbedingte Verschlechterung des Hörvermögens seit dem Bescheid vom 24.01.2007 nicht feststellen lässt. Dies zeigt schon allein der Vergleich der dieser Bescheiderteilung zu Grunde liegenden Befunde im Gutachten des Dr. K. (Hörverlust im Tonaudiogramm nach Röser 1980 rechts 35 %, links 50 %, im Sprachaudiogramm rechts 30 %, links, nicht gewichtet, 70 %) was insgesamt zu einer MdE nach Tabelle nach Feldmann 1995 um 20 v.H. führte (bestandskräftiger Bescheid vom 24.01.2007). Vergleichbare, ebenfalls zu einer MdE um 20 v.H. führende Befunde hat Dr. D. im August 2017 erhoben. So dokumentierte er im Tonaudiogramm einen Hörverlust nach Röser 1980 rechts von 50 % und links von 65 % und im Sprachaudiogramm rechts von 40 % und links von 60 %. Da nach den Königsteiner Empfehlungen dem Sprachaudiogramm (soweit verwertbar, was Dr. D. überzeugend bejaht hat) bei der Ermittlung der MdE der Vorzug zu geben ist, hat Dr. D. hieraus zutreffend eine MdE um 20 v.H. ermittelt. Es bedarf keiner Erläuterung, dass die von ihm vorgenommene Anwendung der Symmetrieregel im vorliegenden Fall insoweit Bedenken begegnet, als die Beklagte im ursprünglichen Anerkennungsbescheid vom 24.01.2007 eine linksbetonte Innenohrschwerhörigkeit beidseits ausdrücklich anerkannte und damit auch die aufgetretene Asymmetrie im Hörschaden. Denn selbst ohne die Anwendung dieser Symmetrieregel ergäbe sich nach der erwähnten Tabelle lediglich eine MdE um 20 v.H. für den eigentlichen Hörschaden. Soweit Dr. D. - entsprechend der Königsteiner Empfehlung S. 37 - unter Einbeziehung des Tinnitus mit einer Einzel-MdE um 10 v.H. die Gesamt-MdE auf 25 v.H. erhöht hat, folgt hieraus - anders als der Kläger meint - kein für ihn günstiges Ergebnis. Denn eine zur erneuten Gewährung von Rente führende wesentliche Verschlimmerung läge - wie dargelegt - erst mit einer Erhöhung der MdE um mehr als fünf Prozentpunkte vor (§ 73 Abs. 3 SGB VII).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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