L 10 R 3438/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 2433/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3438/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 30.08.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eines Zugunstenverfahrens streitig, ob die Beklagte dem Kläger Altersrente wegen Arbeitslosigkeit abschlagsfrei zu gewähren hat.

Der am 1939 geborene Kläger war bis Januar 1998 beim Landschaftsverband R. beschäftigt und nachfolgend arbeitslos. Sein Versicherungsverlauf weist insgesamt 525 Monate Pflichtbeiträge aus. (Versicherungsverlauf Bl. 143 Rs. 2. Teil Verwaltungsakten - VA, Prüfung der Wartezeiten Bl. 141 Rs. 2. Teil VA) zurück.

Der Landschaftsverband R. bot seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit, mit dem 58. Lebensjahr vorzeitig aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. In einem entsprechenden Regelungspapier legte er die Grundsätze für ein solches Ausscheiden fest. Voraussetzung für ein vorzeitiges Ausscheiden bei Vollendung des 58. Lebensjahrs war danach u.a. ein schriftlicher Antrag beim Personalamt des Arbeitgebers, die dauerhafte Einsparung einer besetzten Stelle und der Abschluss eines schriftlichen Auflösungsvertrags (Punkt 1.2 sowie Punkt 5 Regelung über ein vorzeitiges Ausscheiden von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus dem Dienst des Landschaftsverbands R. sowie deren soziale Absicherung - 58er Regelung -, hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 19 ff. LSG-Akte Bezug genommen.

Hintergrund für diese Regelung war die in § 105c Arbeitsförderungsgesetz (in der Fassung vom 26.07.1994, BGBl. I 1994, 1786) geregelte Möglichkeit, Arbeitslosengeld nach Vollendung des 58. Lebensjahrs auch dann in Anspruch zu nehmen, wenn der Versicherte sich dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stellte. Nach § 38 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der damals geltenden Fassung vom 15.12.1995 (BGBl. I 1995, 1824) hatten Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet hatten, arbeitslos waren und innerhalb der eineinhalb Jahre vor Beginn der Rente insgesamt 52 Wochen arbeitslos gewesen waren, in den letzten zehn Jahren vor Beginn der Rente acht Jahre Pflichtbeiträge hatten und die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt hatten.

Mit Gesetz vom 23.07.1996 (BGBl. I 1996, 1467) wurde in § 41 Abs. 1a SGB VI mit Wirkung ab 01.08.1996 die Altersgrenze für Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit schrittweise angehoben. Personen, die im Juli 1939 geboren waren, konnten nunmehr mit 62 Jahren und sieben Monaten (Anhebung um 31 Monate) die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit in Anspruch nehmen. Eine vorzeitige Inanspruchnahme ab 60 Jahren war möglich, führte aber gemäß § 77 Abs. 2 SGB VI zu einer Minderung des für die Höhe der Rente maßgeblichen Zugangsfaktors um 0,003 für jeden Kalendermonat der vorzeitigen Inanspruchnahme, so dass Personen, die diese Rente vorzeitig in Anspruch nahmen einen Abschlag bei der Rente hinnehmen mussten. Eine Ausnahme war in § 237 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI für Personen geregelt, die bis zum 14.02.1941 geboren und am 14.02.1996 arbeitslos waren oder deren Arbeitsverhältnis auf Grund einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14.02.1996 erfolgt war, nach dem 13.02.1996 beendet wurde und die daran anschließend arbeitslos wurden.

Der Kläger beantragte unter dem 03.01.1996 bei seinem Arbeitgeber die Vereinbarung eines Auflösungsvertrags mit Vollendung des 58. Lebensjahrs. Am Folgetag sprach er mit dem Leiter seiner Dienststelle über das vorzeitige Ausscheiden und die Schwierigkeit, eine wegzufallende Stelle zu finden. Negative Auswirkungen habe dies, so der Dienstellenleiter nach Angaben des Klägers, nicht, es gelte Vertrauensschutz. Eine schriftliche Bestätigung lehnte der Dienstellenleiter ab. Der Antrag des Klägers ging beim Personalamt des Arbeitgebers am 16.01.1996 ein. Unter dem 25.01.1996 teilte die Dienststelle des Klägers dem Personalamt mit, dass gegen die Inanspruchnahme der sog. 58er Regelung grundsätzlich keine Bedenken bestünden, aber auf die dadurch freiwerdende Stelle nicht verzichtet werden könne (Bl. 123, 17 2. Teil VA). Nachdem im August 1997 eine wegfallende Stelle gefunden war, schloss der Kläger am 14.01.1998 einen Auflösungsvertrag zum 31.01.1998 mit dem Landschaftsverband R. (Bl. 81 2. Teil VA). In der Zeit vom 26.04.1998 bis 31.07.1999 bezog der Kläger Arbeitslosengeld (Bl. 144 2. Teil VA).

Im April 1999 beantragte der Kläger die Gewährung einer Altersrente ab 01.08.1999. Mit Bescheid vom 15.06.1999 lehnte die Beklagte (vormals Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) die Anwendung der Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 2 SGB VI (in der Fassung vom 29.04.1997, BGBl I 1997, 968 - a.F. - =Abs. 4 der derzeitigen Fassung) ab, weil die Voraussetzungen nicht nachgewiesen seien. Mit Bescheid vom 26.08.1999 (Bl. 40 VA) bewilligte die Beklagte dem Kläger Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder bei Altersteilzeit ab 01.08.1999 in Höhe von 2.164,28 DM brutto. Bei der Rentenberechnung verminderte sie den für diese Rente geltenden Zugangsfaktor von 1,000 für jeden Kalendermonat, für den er die Rente vorzeitig in Anspruch nahm, um 0,003, damit für insgesamt 31 Kalendermonate um 0,093 und berücksichtigte bei der Rentenberechnung einen Zugangsfaktor von 0,907. Ausgehend von den ermittelten Entgeltpunkten im Umfang von 49,4139 legte sie der Rentenberechnung danach 44,8184 (49,4139 x 0,907) persönliche Entgeltpunkte zugrunde (Anlage 6 zum Bescheid vom 26.08.1999, Bl. 17 1. Teil VA). Der dagegen gerichtete Widerspruch und die zum Sozialgericht (SG) Aachen erhobene Klage hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 08.12.1999, Bl. 24 1. Teil VA, Gerichtsbescheid vom 01.03.2000, S 4 RA 7/00, Bl. 42 1. Teil VA). Die Berufung zum Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen erklärte der Kläger für erledigt (Bl. 61 Rs 1. Teil VA, Az. L 8 RA 73/00).

Verschiedene Überprüfungsanträge betreffend die Minderung des Zugangsfaktors hatten keinen Erfolg. Auf einen weiteren Überprüfungsantrag berechnete die Beklagte die Rente des Klägers wegen Berücksichtigung weiterer Zeiten mit Bescheid vom 11.03.2015 (Bl. 141 ff. 2. Teil VA) ab 01.01.2011 neu (Nachzahlungsbetrag 354,84 EUR) und gewährte ab 01.05.2015 eine Rente in Höhe 1.296,19 EUR brutto. Beim geminderten Zugangsfaktor blieb es, die Beklagte legte nunmehr 45,0334 persönliche Entgeltpunkte zugrunde.

Einen vom Kläger im März 2016 sinngemäß erneut gestellten Antrag, die Rente abschlagsfrei zu gewähren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23.03.2016 (Bl. 173 2. Teil VA) und Widerspruchsbescheid vom 20.05.2016 (Bl. 177 2. Teil VA) sowie der Begründung ab, dass die Voraussetzungen des § 237 Abs. 4 SGB VI nicht gegeben seien.

Dagegen hat der Kläger am 16.06.2016 mit der Begründung Klage zum SG Freiburg erhoben, von seiner Dienststelle beim Arbeitgeber falsch beraten worden zu sein. Mit Gerichtsbescheid vom 30.08.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat sich auf die angefochtenen Bescheide bezogen und ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 237 Abs. 2 SGB VI a.F. nicht erfüllt seien. Dem Kläger stehe auch kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch dergestalt zu, dass er so gestellt werden müsste, als ob er die Voraussetzungen erfülle, denn die Beklagte müsse sich eine eventuelle Fehlberatung des Arbeitgebers des Klägers nicht zurechnen lassen. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Grundgesetz (GG) hat es mangels Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Stichtagsregelung abgelehnt.

Gegen den ihm am 01.09.2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 12.09.2016 Berufung eingelegt und vorgetragen, eine bessere Kooperation zwischen seinem Arbeitgeber und der Beklagten hätte die lange Bearbeitungszeit verhindern können. Bereits vor dem 14.02.1996 sei ihm von seiner ehemaligen Dienststelle mitgeteilt worden, er werde aufgrund einer mündlich getroffenen Vereinbarung den Vertrauensschutz erhalten.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 30.08.2016 und den Bescheid der Beklagten vom 23.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.05.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Bescheide vom 15.06.1999 und 26.08.1999 sowie vom 11.03.2015 abzuändern und ihm eine höhere Altersrente wegen Arbeitslosigkeit unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den Gerichtsbescheid für zutreffend.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Gegenstand der zulässigen Anfechtungsklage ist der Bescheid vom 23.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.05.2016, mit denen die Beklagte eine Änderung der bisherigen Entscheidungen und die Gewährung einer höheren Rente unter Verzicht auf die Minderung des Zugangsfaktors nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ablehnte. Gegenstand der damit gemäß § 54 Abs. 1 SGG zulässig kombinierten Verpflichtungsklage ist die Abänderung der Bescheide vom 15.06.1999 und 26.08.1999, die sich als einheitliche Entscheidung über die erstmalige Gewährung einer Altersrente mit Abschlägen aufgrund einer Minderung des Zugangsfaktors darstellen, und der Bescheid vom 11.03.2015. Letzterer ersetzte die Bescheide vom 15.06.1999 und 26.08.1999 im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X für die Zeit ab 01.01.2011, weil die Beklagte die Höhe der Altersrente unter Berücksichtigung weiterer persönlicher Entgeltpunkte aufgrund der Anerkennung weiterer Zeiten für die Zeit ab 01.01.2011 neu berechnete.

Ein in den Akten erwähnter weiterer Bescheid vom 25.04.2000 ist schon deshalb nicht Gegenstand der begehrten Verpflichtung der Beklagten zur Änderung bestandskräftiger Bescheide, weil sich kein Hinweis darauf ergibt, dass ein Bescheid dieses Datums existiert. Die Beklagte hat ihn trotz Aufforderung nicht vorgelegt. Darüber hinaus ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass mit diesem Bescheid eine Entscheidung über den hier allein streitigen Zugangsfaktor einging. Keiner der Beteiligten behauptet dies.

Der angefochtene Bescheid vom 23.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.05.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht kein Anspruch auf (teilweise) Rücknahme der Bescheide vom 15.06.1999 und 26.08.1999 sowie vom 11.03.2015 und Zahlung einer Rente unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 1,0 zu.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Bestimmung ermöglicht eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte. Nach § 44 Abs. 4 SGB X werden im Falle der Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme bzw. Antragstellung erbracht. Der Zeitpunkt der Rücknahme wird dabei von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Bei einer Rücknahme auf Antrag tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den die Leistungen rückwirkend zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X).

Die Voraussetzungen für eine (teilweise) Rücknahme der bestandskräftigen Altersrentenbescheide liegen nicht vor. Denn die Beklagte berechnete die Altersrente des Klägers zu Recht mit einem geminderten Zugangsfaktor.

Die Höhe der Altersrente des Klägers bestimmt sich nach den Regelungen der §§ 63 ff. SGB VI. Danach richtet sich die Höhe der Rente zunächst nach der in Entgeltpunkte umgerechneten Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§ 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich gemäß § 64 SGB VI, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn vervielfältigt werden.

Der Zugangsfaktor richtet sich gemäß § 77 Abs. 1 SGB VI nach dem Alter des Versicherten bei Rentenbeginn oder bei Tod und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind. Nach Abs. 2 Nr. 1 dieser Regelung ist der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen Alters, die mit Ablauf des Kalendermonats des Erreichens der Regelaltersgrenze oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnt, 1,0; bei Renten wegen Alters, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, ist er für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0 (Nr. 2 Buchst. a).

Auf dieser Grundlage legte die Beklagte der Rentenberechnung zutreffend einen auf 0,907 geminderten Zugangsfaktor zu Grunde. Der Kläger nahm die bewilligte Rente im Sinne des § 77 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI nämlich nicht mit Ablauf des Kalendermonats des Erreichens der Regelaltersgrenze oder eines für ihn maßgebenden niedrigeren Rentenalters in Anspruch, was die Zugrundelegung des Zugangsfaktors von 1,0 erlaubt hätte, sondern im Sinne des § 77 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB VI vorzeitig.

Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VI (Nachfolgeregelung zu dem oben erwähnten § 41 Abs. 1a SGB VI) in der im Zeitpunkt der Rentenbewilligung geltenden und daher hier maßgeblichen Fassung vom 06.04.1998 (BGBl I 1998, 688) wurde die Altersgrenze von 60 Jahren bei Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit für Versicherte angehoben, die nach dem 31.12.1936 geboren sind. Nach Satz 3 bestimmte sich die Anhebung der Altersgrenzen und die Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrenten nach Anlage 19. Danach betrug die Altersgrenze für Altersrenten bei Arbeitslosigkeit für im Juli 1939 geborene Versicherte 62 Jahre und sieben Monate (Anlage 19 SGB VI in der Fassung vom 25.09.1996, BGBl. I 1996, S. 1467). Der im Juli 1939 geborene Kläger nahm die Rente vorzeitig zum 01.08.1999 mit Vollendung des 60. Lebensjahrs damit 31 Monate vor Erreichen der maßgeblichen Altersgrenze in Anspruch.

Die Vertrauensschutzregel des § 237 Abs. 2 Satz 1 SGB VI a.F. kam ihm nicht zugute. Nach Nr. 1 dieser Vorschrift wurde die Altersgrenze von 60 Jahren bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit für Versicherte nicht angehoben, die bis zum 14.02.1941 geboren sind und - soweit hier maßgeblich - deren Arbeitsverhältnis auf Grund einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14.02.1996 erfolgt war, nach dem 13.02.1996 beendet worden war und die daran anschließend arbeitslos geworden waren oder (Nr. 3) die vor dem 01.01.1942 geboren sind und 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hatten.

Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor. Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde nicht vor dem 14.02.1996 mit Wirkung nach dem 13.02.1996 beendet. Nach dem insofern eindeutigen Wortlaut des § 237 Abs. 2 SGB VI a.F. musste das Arbeitsverhältnis (soweit hier einschlägig) aufgrund einer gegenseitigen Vereinbarung beendet worden sein. Die sog. 58er Regelung des Landschaftsverbands R. beendete als solche das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht. Betriebliche Vereinbarungen, die wegen eines beabsichtigten Personalabbaus vorsehen, dass die einzelnen Arbeitsverhältnisse im Wege der Auflösungsvereinbarung beendet werden, sind keine Vereinbarungen im Sinne des § 237 Abs. 2 SGB VI (Gürtner in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand April 2015, § 237 SGB VI, Rdnr. 35 m.w.N. zur Rechtsprechung des BSG), weil die betriebliche Regelung in diesen Fällen lediglich die Bedingungen für den Abschluss einer individuellen Auflösungsvereinbarung definiert, aber nicht selbst die Beendigung konkreter Arbeitsverhältnisse festlegt. So verhält es sich hier. Die sog. 58er Regelung des Landschaftsverbands beendete nicht selbst das Arbeitsverhältnis des Klägers, sondern regelte die Bedingungen, unter denen eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich war. Für die Beendigung des konkreten Arbeitsverhältnisses bedurfte es einer individuellen, schriftlichen Auflösungsvereinbarung (Punkt 5 der 58er Regelung).

Einen individuellen Auflösungsvertrag schloss der Kläger vor dem 14.02.1996 nicht. Ausgehend vom arbeitsrechtlichen Normalfall eines Arbeitsvertrags auf unbestimmte Dauer (Dauerschuldverhältnis) muss das konkrete Arbeitsverhältnis durch eine einseitige Willenserklärung (Kündigung) oder ein mehrseitiges Rechtsgeschäft (Vereinbarung) beendet werden (vgl. BSG vom 05.07.2005, B 4 RA 45/04 R, juris Rdnr. 16). Ein gegenseitiges Rechtsgeschäft setzt gemäß §§ 145 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) Antrag (Angebot) und Annahme voraus. Solche gegenseitige Willenserklärungen wurden (erst) in der schriftlichen Auflösungsvereinbarung vom 14.01.1998 abgegeben, mit der das Arbeitsverhältnis zum 31.01.1998 beendet wurde.

Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses wurde vor dem 14.02.1996 weder im Gespräch mit dem Dienststellenleiter im Januar 1996 noch sonst vereinbart. In dem im Januar 1996 geführten Gespräch des Klägers mit dem Leiter seiner Dienststelle gab dieser keine auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers gerichtete Willenserklärung ab. Nach dem vom Kläger im Berufungsverfahren (Bl. 17R LSG Akte) wiedergegebenen Inhalt des Gesprächs machte der Dienststellenleiter lediglich allgemeine Äußerungen zu den Schwierigkeiten, eine wegfallende Stelle zu finden. Er lehnte aber die Bestätigung der Geltung einer - damals noch gar nicht in Rede stehenden gesetzlichen - Vertrauensschutzregelung mit der Begründung ab, dass erst eine wegfallende Stelle gefunden und jeder Einzelfall geprüft werden müsse. Damit machte er schon nach dem Vortrag des Klägers deutlich, dass er keine verbindliche Erklärung, schon gar nicht betreffend die Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers, abgeben wollte. Im Übrigen ist nicht erkennbar, dass er zum Abschluss einer Auflösungsvereinbarung befugt war (vgl. Nr. 5 der 58er Regelung: Antrag beim Personalamt). Eine Willenserklärung gerichtet auf die Annahme eines Angebots des Klägers auf Abschluss einer Auflösungsvereinbarung ist daraus nicht erkennbar.

Soweit der Kläger sinngemäß vorträgt, dass sein Antrag vom 03.01.1996 bereits ausreiche, um eine Auflösungsvereinbarung anzunehmen, übersieht er wiederum, dass die Auflösungsvereinbarung der gegenseitigen Willenserklärungen bedurfte und eine Willenserklärung seines Arbeitgebers gerade fehlte. Insofern kann dahingestellt bleiben, ob der Antrag des Klägers beim Personalamt bereits die Voraussetzungen eines Antrags im Sinne des § 145 BGB (Angebot) erfüllte, jedenfalls fehlte die notwendige schriftliche (vgl. Punkt 5 der 58er Regelung) Annahme (vgl. §§ 147 ff. BGB).

Für den Kläger kommt die Vertrauensschutzregel des § 237 Abs. 2 SGB VI a.F. auch nicht unter dem Aspekt einer langjährigen Versicherung zur Anwendung. Nach Nr. 3 der Vorschrift verbleibt es bei der Altersgrenze von 60 Jahren auch für vor dem 01.01.1942 geborene Versicherte die 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht. Zwar ist er vor dem 01.01.1942 geboren, jedoch hat er keine 45 Pflichtbeitragsjahre (540 Monate) erfüllt. Der dem Bescheid vom 11.03.2015 beigefügten Versicherungsverlauf weist lediglich 525 Pflichtbeitragsmonate aus, von denen 16 Monate auf den Bezug von Arbeitslosengeld vor Beginn der Rente entfielen und deshalb nach dem Wortlaut des § 237 Abs. 2 SGB VI a.F. - Ausschluss der Anwendung des § 38 Satz 2 SGB VI, soweit dieser eine Gleichstellung von Anrechnungszeiten, für die Beiträge durch Leistungsträger mit getragen wurden, mit Pflichtbeitragszeiten vorsah - ohnehin nicht berücksichtigungsfähig waren.

Die Vorschriften über die Bestimmung von Abschlägen bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit (§ 237 Abs. 2 iVm § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI) sind mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 25.02.2004, B 5 RJ 44/02 R in SozR 4-2600 § 237 Nr. 1 Rdnr. 30 ff.) und des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 05.02.2009,1 BvR 1220/04, Beschluss vom 11.11.2008, 1 BvL 3/05, 1 BvL 4/05, 1 BvL 5/05, 1 BvL 6/05, 1 BvL 7/05 in SozR 4-2600 § 237 Nr. 16) hierzu an. Sie verstoßen als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung weder gegen Art. 14 GG noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG (so schon Beschluss des Senats vom 27.10.2011, L 10 R 3587/10).

Soweit der Kläger den Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einschlagen möchte und damit sinngemäß einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) rügt, ist hierfür angesichts der Verfassungsmäßigkeit der §§ 77, 237 SGB VI (vgl. zur Heranziehung der EMRK bei der Auslegung des GG BVerfG, Urteil vom 04.05.2011, 2 BvR 2333/08, u.a. in juris) nichts ersichtlich und vom Kläger auch nichts vorgetragen. Im Übrigen sind die Beurteilungskriterien des EGMR betreffend Änderungen von Sozialleistungsansprüchen denjenigen des Grundgesetzes vergleichbar (vgl. EGMR, Entscheidung vom 02.02.2006, Aktenzeichen 51466/99, 70130/01, in juris).

Zutreffend hat das SG auch entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch darauf hat, so gestellt zu werden, als ob er die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt. Das von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches greift im Sinne eines öffentlich-rechtlichen Nachteilsausgleichs ein, wenn ein Leistungsträger durch die Verletzung einer ihm aus dem Sozialleistungsverhältnis obliegenden Haupt- oder Nebenpflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung, nachteilige Folgen für die Rechtsposition des Betroffenen herbeigeführt hat und diese Rechtsfolgen durch ein rechtmäßiges Verwaltungshandeln wieder beseitigt werden können. Zwischen der Pflichtverletzung und dem Nachteil für den Betroffenen muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen; auf ein Verschulden des Trägers kommt es dagegen nicht an (vgl. BSG, Urteil vom 17.08.2000, B 13 RJ 87/98 R).

Rechtsgrundlage für die Beratungspflicht in Form einer Hinweispflicht sind die in den §§ 14, 15 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) genannten allgemeinen Hinweis- und Auskunftspflichten der Sozialleistungsträger. Dabei besteht eine umfassende Beratungspflicht des Sozialversicherungsträgers zunächst regelmäßig bei einem entsprechenden Beratungs- und Auskunftsbegehren des Versicherten. Ausnahmsweise besteht jedoch auch dann eine Hinweis- und Beratungspflicht des Versicherungsträgers, wenn anlässlich einer konkreten Sachbearbeitung dem jeweiligen Mitarbeiter eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit ersichtlich ist, die ein verständiger Versicherter wahrnehmen würde, wenn sie ihm bekannt wäre (sog. Spontanberatung). Die Frage, ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zutage tritt, ist dabei alleine nach objektiven Merkmalen zu beurteilen. (vgl. BSG, Urteil vom 08.02.2007, B 7a AL 22/06 R in SozR4-4300 § 324 Nr. 3).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Kläger behauptet noch nicht einmal, dass er sich vor dem 14.02.1996 oder wenigstens vor Abschluss der Auflösungsvereinbarung im Januar 1998 an die Beklagte oder einen anderen Sozialversicherungsträger wandte, um sich betreffend seine vorgezogene Altersrente beraten zu lassen. Es fand damals auch keine konkrete Sachbearbeitung in Bezug auf einen Rentenanspruch statt. Auch der Kläger behauptet dies nicht.

Soweit der Kläger vorträgt, dass sein Arbeitgeber nicht schnell genug reagiert habe, und insofern möglicherweise Beratungspflichten nicht nachgekommen sei, führt das, selbst wenn man diese Angaben als wahr unterstellt, nicht zur Erfüllung der Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Eine fehlerhafte Beratung des Arbeitgebers ist nämlich der Beklagten nicht zuzurechnen. Der Arbeitgeber ist insofern weder von der Beklagten mit der Beratung beauftragt noch sonst als im Lager der Beklagten angesiedelt anzusehen. Es ergeben sich auch keine Rechtsvorschriften, die eine Zurechnung fehlerhafter Beratung des Arbeitgebers zur Beklagten vorschreiben würden.

Soweit der Kläger eine fehlende bzw. nicht rechtzeitige Kooperation des Arbeitgebers mit der Beklagten rügt, ergibt sich keine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Kooperation mit der Beklagten betreffend betriebsinterne Regelungen. Noch weniger ergibt sich eine Verpflichtung der Beklagten ohne Anlass nach Regelungen zum vorzeitigen Ausscheiden aus dem Arbeitsleben bei potentiellen Arbeitgebern zu forschen und ihre Kooperation aufzudrängen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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