L 4 SO 69/17

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 28 SO 114/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 SO 69/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 21. August 2017 (S 28 SO 114/16) wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den Umfang der dem Kläger nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) gewährten Haushaltshilfe.

Der 1942 geborene Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 80 sowie den Merkzeichen G, RF und B und bezieht neben seiner Altersrente von der Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Mit Bescheid vom 27. Juli 2015 gewährte die Beklagte dem Kläger Leistungen der Haushaltshilfe für den Monat Juli 2015 im Umfang von sechs Stunden wöchentlich sowie 10 Stunden Grundreinigung im Rahmen der Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 27 Abs. 3 SGB XII bzw. der Hilfen zur Weiterführung des Haushalts nach § 70 SGB XII. Der Bescheid enthielt eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung. In der Folgezeit, also über den 31. Juli 2015 hinaus, gewährte die Beklagte Leistungen der Haushaltshilfe im Umfang von sechs Wochenstunden ohne erneuten schriftlichen Bescheid weiter. Die Abrechnungen erfolgten dabei direkt zwischen der Beklagten und dem beim Kläger tätigen Pflegedienst.

Mit Schreiben vom 12. Oktober 2015 wandte sich der Kläger an die Beklagte und bemängelte die aus seiner Sicht nicht erfolgte Verlängerung der Haushaltshilfe über den 31. Juli 2015 hinaus. Die Beklagte wertete dies als Widerspruch gegen den Bescheid vom 27. Juli 2015, den sie mit Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2016 als unzulässig, weil verfristet, zurückwies.

Der Kläger hat am 10. März 2016 Klage zum Sozialgericht erhoben und erklärt, dass er mit der bewilligten Anzahl von sechs Stunden seinen Haushalt "nicht schaffe". Von der Seniorenberatung sei ihm zugesichert worden, dass die Anzahl ab 2016 auf acht Stunden wöchentlich erhöht werde. Dies sei bisher aber nicht geschehen.

Das Sozialgericht hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 21. August 2017 (S 28 SO 114/16) abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, Gegenstand des Verfahrens sei allein der Bescheid vom 27. Juli 2015, der aber wegen nicht rechtzeitigen Widerspruchs in Bestandskraft erwachsen sei. Im Übrigen würde der Kläger nachzuweisen haben, dass ihm tatsächlich höhere Aufwendungen entstanden seien. Letztlich stehe es dem Kläger frei, einen Antrag auf Erhöhung der Stundenzahl zu stellen.

Der Kläger hat am 18. September 2017 Berufung eingelegt.

Er trägt vor, er habe seit 2007 acht Stunden Haushaltshilfe erhalten. Ohne Begründung sei diese dann auf sechs Stunden reduziert worden. Zudem sei eine Weitergewährung ohne Bescheid nicht rechtmäßig. Der Widerspruch sei nur deshalb so spät eingereicht worden, weil die Beklagte telefonisch nie erreichbar gewesen sei, um den Sachverhalt zu klären.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid vom 21. August 2017 (S 28 SO 114/16) aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 27. Juli 2015 sowie der konkludenten Bewilligungen für die Monate August 2015 bis Februar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2016 (M/RA 3-1874/15) zu verurteilen, ihm für den Zeitraum von Juli 2015 bis einschließlich Februar 2016 eine Haushaltshilfe im Umfang von 8 Stunden wöchentlich zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Gerichtsbescheid.

Mit Beschluss vom 5. Dezember 2017 hat der Senat die Berufung gegen den Gerichtsbescheid nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Am 15. Januar 2018 hat ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll, die Prozessakte und die Leistungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats waren.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entscheiden, da der Senat das Verfahren nach § 153 Abs. 5 SGG übertragen hatte.

Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Zwar ist das Sozialgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass lediglich der Bescheid vom 27. Juli 2015 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.2.2016) Klagegegenstand ist. Denn die Beklagte hat über den 31. Juli 2015 hinaus Leistungen der Haushaltshilfe gewährt, wenn auch ohne schriftlichen Bescheid. Insoweit war der Widerspruch vom 12. Oktober 2015 nicht nur auf den Bescheid vom 27. Juli 2015 zu beziehen, sondern auch auf die nachfolgend ohne schriftlichen Bescheid geleistete Haushaltshilfe, insbesondere da der Bescheid vom 27. Juli 2015 auf Seite 2 den ausdrücklichen Hinweis enthielt, dass die Bewilligung nur für den angegebenen Zeitraum gelte, eine weitere Bewilligung bei Vorliegen der Bewilligungsvoraussetzungen aber in Aussicht gestellt und diese "ggf. durch weitere Zahlungen nach Ablauf des Bewilligungszeitraums auch ohne erneuten schriftlichen Bescheid erfolgen" könne. Die Beklagte hat durch die faktische Weitergewährung der Leistung den entsprechenden Rechtshandlungswillen verdeutlicht. In diesem Fall erfüllt die Weiterzahlung die Merkmale des Verwaltungsaktes i.S.v. § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X auch "in anderer Weise" erlassen werden kann, hier als konkludenter Verwaltungsakt (vgl. Pattar, in: jurisPK-SGB X, Stand: 1.12.2017, § 33 Rn. 89, m.w.N.).

Bezog sich der Widerspruch vom 12. Oktober 2015 demnach auch auf die Leistungsbewilligungen für die Monate August, September und Oktober 2015, gilt für die nachfolgende Weitergewährung in den Monaten ab November 2015 bis Februar 2016 Entsprechendes. Auch hier handelt es sich um konkludente, jeweils monatlich ergangene Verwaltungsakte. Sie sind nach Einlegung des Widerspruchs bis zur Entscheidung durch den Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2016 gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden.

Eine Verfristung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 27. Juli 2015 (dazu sogleich) hindert eine Entscheidung über den Widerspruch gegen über § 86 SGG einbezogene Bescheide nicht (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86 Rn. 4).

Es wurde damit insgesamt der Zeitraum von Juli 2015 bis Februar 2016 Gegenstand des Widerspruchsverfahrens.

Dass die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2016 nur über den Monat Juli 2015 entschieden hat, steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen. Bei Nichtberücksichtigung eines neuen Verwaltungsaktes durch die Widerspruchsbehörde ist der Widerspruchsbescheid fehlerhaft, das Vorverfahren nicht durchgeführt. Die Klage ist also grundsätzlich unzulässig, soweit über den Widerspruch noch nicht unter Einbeziehung des Folgebescheides entschieden ist. Allerdings muss das Sozialgericht bei nicht vollständig durchgeführtem Vorverfahren in der Regel das Verfahren aussetzen, bis die Widerspruchsbehörde über den neuen VA entschieden hat (B. Schmidt, a.a.O., Rn. 5 und § 78 Rn. 3a). Es ist jedoch anerkannt, dass es der Nachholung eines förmlichen Widerspruchsverfahrens nicht bedarf, wenn die prozessführende Behörde mit der Widerspruchsbehörde identisch ist, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes im gerichtlichen Verfahren verteidigt wird und Fragen des Ermessens oder der Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns keine Rolle spielen, so dass das Prozessvorbringen seinem Inhalt nach einer Widerspruchsentscheidung entspricht oder daraus jedenfalls mit Sicherheit zu entnehmen ist, dass auch bei Nachholung des Widerspruchsverfahrens eine gerichtliche Auseinandersetzung nicht zu vermeiden ist. In diesen Fällen könnte das Widerspruchsverfahren seinen Zweck, die Verwaltung in die Lage zu versetzen, ihr Handeln im Wege der Selbstkontrolle zu überprüfen und die Gerichte vor unnötiger Inanspruchnahme zu schützen, nicht mehr erreichen. Seine Durchführung wäre ein reiner Formalismus. Das Ziel der Verfahrensbeschleunigung hat in solchen Fällen Vorrang vor der Einhaltung der Förmlichkeiten (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.11.2010 – L 5 AS 2214/08, unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 27.8.1998 – B 9 SB 13/97 R –, vom 15.8.1996 – 9 RVs 10/94 – und vom 12.12.1985 – 7 RAr 23/84).

Vorliegend sind Widerspruchs- und prozessführende Behörde identisch. Es spricht deshalb nichts dagegen, neben dem Bescheid vom 27. Juli 2015 auch die nachfolgenden konkludenten Bewilligungen für die Monate August 2015 bis Februar 2016, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2016, zum Gegenstand des Berufungsverfahrens zu machen.

Die Klage ist aber unbegründet.

Die folgt für den Monat Juli 2015 bereits daraus, dass der Bescheid vom 27. Juli 2015 in Bestandskraft erwachsen ist (vgl. § 77 SGG), da der Kläger erst mit Schreiben vom 12. Oktober 2015 und daher nicht innerhalb der Monatsfrist des § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG Widerspruch eingelegt hatte.

Keine Bestandskraft erlangt haben indes die nachfolgenden schlüssigen Bewilligungen betreffend die Monate August bis Oktober 2015. Denn wegen fehlender Rechtsbehelfsbelehrung galt gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG für die Einlegung des Widerspruchs die Jahresfrist.

Die Klage bleibt aber auch für die damit zur sachlichen Überprüfung stehende Zeit von August 2015 bis einschließlich Februar 2016 ohne Erfolg.

Ein Anspruch des Klägers, der sich nach Ablauf des streitigen Zeitraums nicht mehr auf die Haushaltshilfe als Sachleistung, sondern nur auf eine Erstattung von entstandenen Aufwendungen richten kann, würde (unabhängig davon, ob die Anspruchsgrundlage in § 27 Abs. 3 SGB XII oder in § 70 SGB XII zu finden wäre) voraussetzen, dass der Kläger im streitigen Zeitraum überhaupt weitergehende Kosten für eine Haushaltshilfe aufgewendet hat, also im Wege der zulässigen "Selbstbeschaffung" eine Haushaltshilfe für die geltend gemachten zwei weiteren Stunden eingeschaltet und diese bezahlt hat oder dass er der Haushaltshilfe die Bezahlung noch schuldet. Aufgabe der Sozialhilfe ist es nämlich nicht, nachträglich Leistungen zu erbringen, wenn der Bedarf hierfür mittlerweile entfallen ist (BSG, Urteil vom 11.12.2007 – B 8/9b SO 12/06 R). An einer Selbstbeschaffung mangelt es aber vorliegend. Dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärt.

Der vom Kläger beantragten Vernehmung von Zeugen zu den damaligen Umständen in seiner Wohnung bedurfte es daher nicht. Auch kann die Erläuterung des Klägers, er wolle die ihm zustehenden Leistungen dazu verwenden, zukünftige Haushaltshilfe zu bezahlen, nicht das rechtliche Hindernis der fehlenden Selbstbeschaffung beseitigen.

Letztlich fehlt es für eine denkbare Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 131 Abs. 1 Satz 3 SGG) am erforderlichen Feststellungsinteresse.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, da kein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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