L 9 AL 223/16 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 31 SF 290/16 E
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 223/16 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1.
Zur Frist der Einlegung einer Erinnerung durch die Staatskasse nach § 56 RVG.
2.
Für die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach der Vorbemerkung zu § 3 Abs. 4 RVG kommt es auf die entstandene und nicht auf die tatsächlich gezahlte Gebühr an.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 02.11.2016 wird zurückgewiesen. Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts.

Der Beschwerdeführer war Prozessbevollmächtigter der Klägerin des dem vorliegenden Kostenrechtsstreit vorausgegangenen Klageverfahrens bei dem Sozialgericht Köln gegen die Bundesagentur für Arbeit unter dem Az.: S 31 AL 191/15. Streitgegenstand war die Aufhebung der Bewilligung und Erstattung von Arbeitslosengeld. Mit Beschluss des Sozialgerichts vom 21.10.2015 wurde der Klägerin ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und ihr der Beschwerdeführer beigeordnet.

Das Klageverfahren endete durch Urteil des Sozialgerichts vom 18.02.2016, mit dem es die Klage abwies und die Beklagte - als Folge eines im Verhandlungstermin erklärten Teil-Anerkenntnisses - zur Übernahme der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1/8 verpflichtete.

Mit Beschluss vom 09.03.2016 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle auf entsprechenden Antrag des Beschwerdeführers die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen zunächst auf insgesamt 675,33 EUR fest. Mit Schreiben vom gleichen Tag machte der Urkundsbeamte gegenüber der beklagten Bundesagentur einen Forderungsübergang in Höhe von 84,42 EUR, also 1/8 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin von 675,33 EUR, geltend.

Mit Schreiben vom 21.03.2016 reichte der Beschwerdeführer gegenüber dem Sozialgericht eine weitere Kostenrechnung ein und machte unter Anrechnung bereits gezahlter 675,33 EUR eine weitere Vergütung von 179,61 EUR geltend. Statt der Anrechnung der Geschäftsgebühr in Höhe der Hälfte von 345 EUR (172,50 EUR) sei gemäß der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG nur die Hälfte von 43,13 EUR (1/8 von 345 EUR), also 21,56 EUR, anzurechnen.

Diesem Antrag gab der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle statt und setzte mit Beschluss vom 02.05.2016 weitere Gebühren und Auslagen, die aus der Staatskasse zu zahlen sind, in Höhe von 179,61 EUR fest. Mit Schreiben ebenfalls vom 02.05.2016 machte der Urkundsbeamte gegenüber der Bundesagentur für Arbeit einen weiteren Forderungsübergang in Höhe von 1/8 der weiteren Belastung der Landeskasse von 179,61 EUR und damit 22,45 EUR geltend. Die weitere Festsetzung sei berechtigt gewesen, weil durch den Klägervertreter die Anrechnung gemäß Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG im ersten Vergütungsantrag zu hoch angesetzt worden sei. Hiergegen machte die Beklagte mit Schriftsätzen vom 06.05.2016 und 27.05.2016 Einwände geltend. Sie habe nur ein 1/8 der Gesamtheit der geltend gemachten Kosten zu tragen. Es sei somit unzutreffend, bei der Verfahrensgebühr VV Nr. 3102 nur 50 % der bereits auf 1/8 geminderten Geschäftsgebühr des Vorverfahrens abzuziehen. Bei einer solchen Rechenweise erhalte der Bevollmächtigte eine höhere Kostenerstattung, als es dem Kostenanteil von 1/8 entspreche. Es sei auch unzutreffend, dass bei der Anrechnung der Geschäftsgebühr nur die tatsächlich von der Beklagten gezahlte Gebühr nach VV Nr. 2302 abzuziehen sei. Auf entsprechende Nachfrage des Sozialgerichts stellte die Beklagte mit Schriftsatz vom 06.07.2016 klar, dass ihr Schriftsatz vom 06.05.2016 als Erinnerung gegen die Höhe des Forderungsübergangs zu werten sei.

Mit Beschluss vom 02.08.2016 (Az.: S 31 SF 224/16 E) gab das Sozialgericht der Erinnerung der Beklagten gegen die Geltendmachung des Forderungsübergangs durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 09.03.2016/02.05.2016 insoweit statt, als der im Wege des Forderungsübergangs von der Beklagten insgesamt zu zahlende Betrag abweichend auf 84,42 EUR festgesetzt wurde. Zur Begründung führte das Sozialgericht im Wesentlichen aus, dass der Urkundsbeamte den von der Beklagten im Wege des Forderungsübergangs zu zahlenden Betrag zu Unrecht auf insgesamt 106,87 EUR (84,42 EUR zuzüglich weiterer 22,45 EUR) festgesetzt habe. Die von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin geltend gemachten anwaltlichen Gebühren seien insoweit als unbillig anzusehen. Auf die Verfahrensgebühr, die in nicht zu beanstandender Weise in Höhe der Mittelgebühr festgesetzt worden sei, sei die im Widerspruchsverfahren entstandene Geschäftsgebühr von 345 EUR zur Hälfte und damit in Höhe von 175 EUR (richtig 172,50 EUR) in Ansatz zu bringen. Die Anrechnung folge hierbei aus der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG. Diese Anrechnung sowie ihr Umfang seien ihrem Wortlaut nach nicht davon abhängig, dass und in welchem Umfang an die Klägerin bereits tatsächlich Zahlungen auf die Geschäftsgebühr für das Widerspruchsverfahren durch die Beklagte erbracht worden seien. Eine andere rechtliche Bewertung, nämlich die Kürzung der Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG um lediglich die Hälfte der tatsächlich gezahlten und nicht der entstandenen Geschäftsgebühr, würde dazu führen, dass der Rechtsanwalt, dem - gerade lediglich für das gerichtliche Verfahren - Prozesskostenhilfe bewilligt werde, sowie dessen Mandant gegenüber demjenigen Rechtsanwalt, der Prozesskostenhilfe nicht erhalte, sowie dessen Mandant ungerechtfertigt bessergestellt werde. Denn eine Anrechnung nur der hälftigen gezahlten Geschäftsgebühr anstatt der hälftigen geltend gemachten würde zu einer Vergütung letztlich nicht nur der Aufwendungen des Rechtsanwalts im gerichtlichen Verfahren durch die Staatskasse führen, für die allein Prozesskostenhilfe bewilligt werde, sondern quasi "durch die Hintertür" auch der Aufwendungen im Widerspruchsverfahren, weil der Teil der Kosten des Widerspruchsverfahrens, welche der Widerspruchsgegner/Beklagte nicht zu übernehmen habe und daher von den jeweiligen Kläger seinem Bevollmächtigten geschuldet werde, ungerechtfertigt statt vom Kläger von der Staatskasse getragen würde. Derjenige Kläger dagegen, dem Prozesskostenhilfe nicht gewährt werde, erhielte hinsichtlich der Kosten des Widerspruchsverfahrens, welche Prozesskostenhilfe nicht umfasse, nur einen Teil der Kosten erstattet, hätte im Übrigen die Kosten des Widerspruchsverfahrens in Form von Kosten für die Beauftragung seines Bevollmächtigten zu tragen. Damit würde letztlich die Staatskasse (lediglich) bei einem über Prozesskostenhilfe geführten Mandat Belastungen des Klägers im Bereich der Kosten des Widerspruchsverfahrens tragen. Eine solche Besserstellung von Klägern, denen Prozesskostenhilfe bewilligt werde und deren Rechtsanwälten sei nicht gerechtfertigt. Etwas Anderes folge weder aus der Vorschrift des § 15a Abs. 1 RVG, noch des § 55 Abs. 2 Satz 2 bis 4 RVG, weil sich beide Normen sowie die entsprechenden Gesetzesbegründungen gerade nicht zu der hier entscheidenden Fragestellung des Umfangs der Anrechnung der Geschäftsgebühr verhielten.

Es ergebe sich daher folgende Gebührenberechnung:

- Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG: 300,00 EUR
- Anrechnung der Geschäftsgebühr Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG: -172,50 EUR
- Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG: 20,00 EUR
- Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG: 420,00 EUR
- 19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG: 107,83 EUR
- Summe: 675,33 EUR

Es ergebe sich ein vom Beklagten im Wege des Forderungsübergangs zu zahlender Betrag von insgesamt 675,33 EUR x 1/8 = 84,42 EUR.

Die Entscheidung sei endgültig gemäß § 197 Abs. 2 SGG i.V.m. § 59 Abs. 2 Satz 1 RVG.

Der Beschluss des Sozialgerichts wurde der Beklagten am 08.08.2016 und dem Bezirksrevisor für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Nordrhein-Westfalen am 04.08.2016 zugestellt.

Mit einem am 09.09.2016 bei dem Sozialgericht eingegangenen Schriftsatz vom 07.09.2016 hat der Bezirksrevisor Erinnerung "gegen die PKH-Festsetzungen vom 09.03.2016 und 02.05.2016" gemäß § 56 RVG eingelegt und sich zur Begründung auf den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 02.08.2016 (S 31 SF 224/16 E) bezogen. Es bestehe ein Rückforderungsanspruch der Staatskasse gegen den PKH-Anwalt in Höhe von 179,61 EUR.

Das Sozialgericht hat dieser Erinnerung mit Beschluss vom 02.11.2016 stattgegeben und die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen unter Abänderung der Prozesskostenhilfefestsetzung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 09.03.2016/02.05.2016 auf 675,33 EUR festgesetzt. Die zulässige Erinnerung sei begründet, die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen seien zu Unrecht auf einen Gesamtbetrag von 854,94 EUR festgesetzt worden. Zur Begründung werde auf die Ausführungen im Beschluss der Kammer vom 02.08.2016 - S 31 SF 224/16 E - verwiesen.

Es ergebe sich somit folgende Gebührenberechnung:

- Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG: 300,00 EUR
- Anrechnung der Geschäftsgebühr Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG: -172,50 EUR
- Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG: 20,00 EUR
- Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG: 420,00 EUR
- 19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG: 107,83 EUR
- Summe: 675,33 EUR

Gegen diesen ihm am 04.11.2016 zugestellten Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit der am 10.11.2016 eingelegten und von dem Sozialgericht zugelassenen Beschwerde. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, dass das Sozialgericht die Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG falsch interpretiert haben. Entweder sei die Norm so zu verstehen, dass nur tatsächlich erhaltene Geschäftsgebühren auf die Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG anzurechnen seien, also keine Fiktiv-Gebühren, so wie es das HessLSG bereits entschieden habe (Beschl. v. 03.02.2015 - L 2 AS 605/14 B -), oder es sei bei Mittellosigkeit der Partei, eine Situation, in der der Anwalt ohnehin nicht die Geschäftsgebühr gegenüber der Partei realisieren könne, darauf zu schauen, wie die Landeskasse unter dem Strich insgesamt belastet werde. Denn angesichts der Einkommens- und Vermögenssituation seiner Mandantin habe eigentlich ein Anspruch auf Beratungshilfe bestanden, was zur Folge gehabt hätte, dass sich die Anrechnung der Beratungshilfegebühr auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 2503 VV RVG auf 45,20 EUR belaufen hätte. Diesen Betrag habe die Landeskasse aber gar nicht ausgegeben, da Beratungshilfe tatsächlich nicht in Anspruch genommen worden sei. Insofern scheide diese Fiktiv-Anrechnung logischerweise aus.

Der Beschwerdegegner hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.

II.

Die nach bindender Zulassung durch das Sozialgericht statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde des Rechtsanwalts (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 2 und 3 RVG) gegen den der Erinnerung des Beschwerdegegners stattgebenden Beschluss des Sozialgerichts vom 02.11.2016 ist unbegründet. Das Sozialgericht hat der zulässigen Erinnerung des Beschwerdegegners im tenorierten Umfang zu Recht stattgegeben.

1.) Über die Beschwerde entscheidet der Senat in der Zusammensetzung der 3 Berufsrichter gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG, nachdem der Berichterstatter das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung auf den Senat übertragen hat. Ehrenamtliche Richter wirken nicht mit (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).

2.) Antragsteller und Beschwerdeführer ist in Verfahren, die - wie hier - die Höhe der Rechtsanwaltsvergütung bei gewährter PKH betreffen, der Rechtsanwalt selbst. Beschwerdegegner ist in diesen Verfahren die Landeskasse, vertreten durch den Bezirksrevisor. Die durch die Prozesskostenhilfe begünstigte Partei ist am Verfahren nicht beteiligt (vgl. Beschl. des Senats v. 14.05.2009 - L 9 B 220/07 AS -, und v. 31.05.2010 - L 9 B 59/09 AS -).

3.) Die Beschwerde des beschwerdeführenden Rechtsanwalts ist unbegründet. Das Erinnerungsrecht der Landesskasse gegen die Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 09.03.2016 und 02.05.2016 ist weder verfristet noch verwirkt (unter a.). Dazu ist die Erinnerung im von dem Sozialgericht tenorierten Umfang begründet, weil die im Widerspruchsverfahren entstandene Geschäftsgebühr von 345 EUR zur Hälfte und damit in Höhe von 172,50 EUR auf die Verfahrensgebühr anzurechnen war. Diese Anrechnung sowie ihr Umfang sind insbesondere nicht davon abhängig, dass und in welchem Umfang an die Klägerin des diesem Kostenstreit vorausgegangenen Klageverfahrens bereits tatsächlich Zahlungen auf die Geschäftsgebühr für das Widerspruchsverfahren durch die Beklagte erbracht worden sind (unter b.).

a) Das Erinnerungsrecht der Landeskasse ist zunächst weder verfristet, noch dadurch verwirkt, dass der Bezirksrevisor gegen die ursprünglichen Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 09.03.2016 und 02.05.2016 erst am 09.09.2016 Erinnerung eingelegt hat.

aa) Die Erinnerung nach § 56 RVG ist nicht fristgebunden. Dies folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG. Danach gilt im Verfahren über die Erinnerung § 33 Abs. 4 Satz 1, Abs. 7 und 8 und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Entscheidung über die Erinnerung § 33 Abs. 3 bis 8 RVG entsprechend. Aus § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG ergibt sich wiederum, dass die Beschwerde innerhalb von zwei Wochen einzulegen ist. Für das Verfahren der Erinnerung wird ausweislich § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG gerade nicht auf die Frist des § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG Bezug genommen (s. BayLSG, Beschl. v. 04.10.2012 - L 15 SF 131/11 B E -, juris Rn. 19; OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.09.2009 - 2 Ws 125/09 -, juris Rn. 15; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 04.02.2016 - I-10 W 5 - 14/16 u.a. -, juris Rn. 3).

bb) Auch eine - rechtlich mögliche - Verwirkung des Erinnerungsrechts der Staatskasse ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Zwar trifft es zu, dass das Erinnerungsrecht der Staatskasse nicht "bis in alle Ewigkeit" bestehen kann (s. BayLSG, Beschl. v. 04.10.2012 - L 15 SF 131/11 B E -, juris Rn. 20). Es ist durch das auch außerhalb des Zivilrechts und auch im Prozessrecht Anwendung findende Rechtsinstitut der Verwirkung als Unterfall von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zeitlich begrenzt (s. BGHZ 43, 289, 292). Hierbei trägt die Verwirkung eines Rechts sowohl ein Zeit- als auch ein Umstandsmoment in sich, wobei die Erfüllung des Verwirkungstatbestandes nicht einheitlich zu beantworten ist, sondern sich als Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung aus den Eigentümlichkeiten entweder des zu Grunde liegenden materiellen Rechts oder - wie im vorliegenden Fall - des Verfahrensrechts speziell bei Kostenfestsetzungsentscheidungen ergibt. Gerade was Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelfristen anbelangt muss hinsichtlich einer "Verwirkungsfrist" jedoch der Grundsatz Beachtung finden, dass eine derartige Frist immer länger sein muss als vergleichbare, ausdrücklich normierte Rechtsbehelfsfristen (ebenso BayLSG, Beschl. v. 04.10.2012 - L 15 SF 131/11 B E -, juris Rn. 21).

In der (ober-)gerichtlichen Rechtsprechung bestehen indes unterschiedliche Auffassungen darüber, ab welchem Zeitpunkt von einer Verwirkung des Erinnerungsrechts der Staatskasse auszugehen ist. Während teilweise die Auffassung vertreten wird, dass eine solche Verwirkung "spätestens nach einem Jahr nach dem Wirksamwerden der Kostenfestsetzungsentscheidung" regelmäßig eintritt und in Ausnahmefällen auch eine kürzere Verwirkungsfrist nicht ausgeschlossen wird (vgl. BayLSG, Beschl. v. 29.11.2016 - L 15 SF 97/16 E -, juris Rn. 28 f.), spricht sich eine andere Ansicht unter Bezugnahme auf die allgemeine Verjährungsregelung des § 195 BGB für den Eintritt einer Verwirkung regelmäßig erst nach Ablauf einer Frist von drei Jahren aus (LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 08.08.2016 - L 4 AS 334/16 B -, juris Rn. 22). Nach Auffassung des erkennenden Senats dürfte es sich bei der Jahresfrist um die absolute Untergrenze handeln. Außerdem müsste zu dem reinen Zeitablauf auch ein weiteres Umstandsmoment zur Bejahung der Verwirkung hinzukommen (so zutr. Schütz, in: jurisPR-SozR 4/2017 Anm. 6; ebenso LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 27.09.2017 - L 5 AS 585/15 B -, juris Rn. 22). Im vorliegenden Fall kann dies letzten Endes dahinstehen, da der Bezirksrevisor 6 bzw. 4 Monate nach Ergehen der streitgegenständlichen Kostenfestsetzungsbeschlüsse vom 09.03.2016 und 02.05.2016 Erinnerung eingelegt hat, so dass es bereits am sog. Zeitmoment fehlt. Im Übrigen liegt auch das sog. Umstandsmoment nicht vor, da der Beschwerdeführer ausweislich der über das Sozialgericht wechselseitig ausgetauschten Schriftsätze zwischen ihm und der Beklagten wusste, dass die Beklagte im Rahmen des Forderungsübergangs nach § 59 RVG die Kostenrechnung des Rechtsanwalts hinsichtlich der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr beanstandet hatte; auch nahm der Beschwerdeführer hierzu mit Schriftsätzen vom 12.05.2016 und 09.06.2016 Stellung. Ist dem Rechtsanwalt jedoch bekannt, dass zwischen der regressierenden Staatskasse und dem Sozialleistungsträger ein Erinnerungsverfahren nach § 59 RVG schwebt, muss er je nach Ausgang des Verfahrens damit rechnen, dass dies zum Anlass für eine Erinnerung auch hinsichtlich der das "reine" PKH-Verfahren betreffenden Kostenfestsetzungsbeschlüsse genommen werden könnte (vgl. hierzu auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 27.09.2017 - L 5 AS 585/15 B -, juris Rn. 22). Da der Bezirksrevisor nach der am 04.08.2016 erfolgten Zustellung des Beschlusses des Sozialgerichts vom 02.08.2016 (S 31 SF 224/16 E) bereits am 09.09.2016 Erinnerung "gegen die PKH Festsetzungen vom 09.03.2016 und 02.05.2016" gemäß § 56 RVG eingelegt hat, kann auch diesbezüglich weder von einem Zeit-, noch einem Umstandsmoment für den Eintritt einer Verwirkung des Erinnerungsrechts gesprochen werden.

b) In der Sache ist das Rechtsmittel des Beschwerdeführers unbegründet. Das Sozialgericht hat auf die Erinnerung der Landeskasse zu Recht die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen unter Abänderung der Prozesskostenhilfefestsetzung vom 09.03.2016/02.05.2016 auf 675,33 EUR festgesetzt und dabei zutreffend die im Widerspruchsverfahren entstandene Geschäftsgebühr in Form der Mittelgebühr von 345 EUR (Nr. 2302 VV RVG) zur Hälfte und damit in Höhe von 172,50 EUR gemäß der Vorbem. 3 Abs. 4 RVG auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG angerechnet. Zur Begründung nimmt der Senat nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage auf die überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts im angegriffenen Beschluss Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Auch weist der Senat darauf hin, dass er in seinem Beschluss vom 23.03.2018 - L 9 AL 201/17 B -, juris Rn. 7 zur gleichen Problematik ausgeführt hat, dass es - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - bei der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nicht auf die tatsächlich erhaltene, sondern die entstandene Geschäftsgebühr ankommt. Er hat sich insoweit der Rechtsprechung des 19. Senats des LSG NRW angeschlossen, der zur streitgegenständlichen Problematik das Folgende ausgeführt hat (LSG NRW, Beschl. v. 01.02.2017 - L 19 AS 1408/16 B -, juris Rn. 38):

"Nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG wird im Fall von Betragsrahmengebühren - wie im vorliegenden Fall - die Hälfte der Gebühr, höchstens jedoch 175,00 EUR angerechnet [ ]. Der Senat folgt nicht der in der Rechtsprechung teilweise vertretenen Auffassung, dass die Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG dahingehend auszulegen ist, dass nur die Hälfte der tatsächlich gezahlten Geschäftsgebühr bis zu einem Betrag von 175,00 EUR - vorliegend also ein Betrag von 75,00 EUR [ ] auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG anzurechnen ist. Dies ist dem Wortlaut der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG nicht zu entnehmen. Der Wortlaut stellt nicht auf die tatsächlich erhaltene, sondern auf die entstandene Geschäftsgebühr ab, die der Beschwerdeführer vorliegend gegenüber dem Beklagten auf 300,00 EUR beziffert hat. Allein die Tatsache, dass der Beklagte aufgrund der Kostenquotelung die entstandene Geschäftsgebühr für das Betreiben des Widerspruchsverfahren nicht vollständig, sondern nur teilweise zu erstatten - vorliegend die Hälfte - und entsprechend seiner Kostentragungspflicht Zahlungen auf die Gebühr geleistet hat, rechtfertigt es nicht, die Anrechnungsvorschrift der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 55f RVG einschränkend auszulegen. Das Abstellen auf den gezahlten Betrag hätte zur Folge, dass ein Prozessbevollmächtigter im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 55f RVG eine höhere Verfahrensgebühr von der Staatskasse erstattet erhält, als im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 197 SGG berücksichtigt werden kann. Denn im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 197 SGG kann sich der Beklagte gegenüber dem Kläger als Dritter i.S.v. § 15a Abs. 2 RVG darauf berufen, dass die für das Betreiben des Widerspruchsverfahrens entstandene Geschäftsgebühr zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist. Denn ein Dritter soll nicht über den Betrag hinaus auf Ersatz oder Erstattung in Anspruch genommen werden, den der Rechtsanwalt von seinem Auftraggeber verlangen kann (BT-Drs. 16/12717 S. 59). Dies gilt auch für den Fall, dass der Beklagte nur teilweise die Kosten zu erstatten hat. Durch das Geltendmachen der anteiligen Geschäftsgebühr gegenüber dem Beklagten hat der Beschwerdeführer sein Wahlrecht aus § 15a Abs. 1 RVG dahingehend ausgeübt, dass er beide Gebühren fordert und er entsprechend der Kostentragungspflicht den Beklagten als Schuldner einer Gebühr anteilig in Anspruch nimmt. Damit kann die Staatskasse, die an die Stelle des Auftraggebers getreten ist, dem Beschwerdeführer die Anrechnung entgegenhalten. Sie kann sich darauf berufen, dass der Beschwerdeführer nicht insgesamt mehr als den Betrag verlangen kann, der sich aus der Summe der beiden Gebühren nach Abzug des anzurechnenden Betrags ergibt. Zwar hat ein Rechtsanwalt ein Wahlrecht, ob er wegen seiner Vergütung zuerst die erstattungspflichtige Gegenpartei oder zuerst die Staatskasse in Anspruch nehmen will oder beide nur zu einem Teil; der Gesamtbetrag darf seine gesetzliche Vergütung jedoch nicht übersteigen (LSG Bayern, Beschluss vom 19.05.2015 - L 15 SF 72/14 E; Müller-Rabe, in Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl., § 45, Rn. 51). Auch ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte im Verfahren nach § 59 RVG, in dem die Staatskasse im Fall der Befriedigung des Rechtsanwalts den auf sie übergegangenen Anspruch des Rechtsanwalts auf Kostenerstattung gegenüber dem erstattungspflichtigen Beklagten im eigenen Namen aus § 126 Abs. 1 ZPO [ ] geltend macht, sich der erstattungspflichtige Beklagte nach § 15a Abs. 2 RVG hinsichtlich der Berechnung der Verfahrensgebühr auf die Anrechnungsvorschrift der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG berufen kann, wenn er auf die anzurechnende Gebühr - die Geschäftsgebühr - gezahlt hat. Denn § 15a Abs. 2 RVG soll sicherstellen, dass ein Dritter nicht über den Betrag hinaus auf Ersatz oder Erstattung in Anspruch genommen wird, den der Rechtsanwalt von seinem Auftraggeber verlangen kann."

Diese Ausführungen macht sich der erkennende Senat nochmals uneingeschränkt zu Eigen. Auch im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass der Beschwerdeführer sein Wahlrecht aus § 15a Abs. 1 RVG durch Übersendung einer Rechnung über die Gebühren des Widerspruchsverfahrens gegenüber der Beklagten des Ausgangsverfahrens bereits ausgeübt hat (Schreiben vom 04.03.2016). Diese hat er lediglich, worauf auch der Beschwerdeführer im betreffenden Schreiben ausdrücklich hingewiesen hat, der Einfachheit halber an die Beklagte und nicht an seine Mandantin als seine Gebührenschuldnerin übersandt. Durch die Geltendmachung der (vollen) Geschäftsgebühr Nr. 2302 Nr. VV RVG i.H.v. 345 EUR hat der Beschwerdeführer somit sein Wahlrecht dahingehend ausgeübt, dass er beide Gebühren fordert und er (für die eigentlich ihm gegenüber zahlungspflichtige, aber gegenüber der Beklagten erstattungsberechtigte Klägerin) entsprechend der Kostentragungspflicht die Beklagte als Schuldner einer Gebühr in Anspruch nimmt. Damit kann die Staatskasse, die hinsichtlich des im Gerichtsverfahren entstandenen Gebührenanspruchs in die Schuldnerstellung des Mandanten eingetreten ist, dem Beschwerdeführer die Anrechnung entgegenhalten. Hiervon ist der Beschwerdeführer im Übrigen zu Beginn des Kostenfestsetzungsverfahren noch selbst ausgegangen, indem er - richtigerweise - im Zusammenhang mit seiner ersten Kostenrechnung die Beklagte im o.a. Schreiben vom 04.03.2016 darauf hinwies, dass er in seinem (ersten) PKH-Festsetzungsantrag an das Sozialgericht 172,50 EUR auf die Verfahrensgebühr angerechnet habe. Damit bleibt es auch im vorliegenden Fall dabei, dass sich die Staatskasse darauf berufen kann, dass der Beschwerdeführer nicht insgesamt mehr als den Betrag verlangen kann, der sich aus der Summe der beiden Gebühren nach Abzug des anzurechnenden Betrages ergibt (s. Senat, Beschl. v. 23.03.2018 - L 9 AL 201/17 B -, juris Rn. 7).

Soweit der Beschwerdeführer hiergegen einwendet, dass er aufgrund der Einkommens- und Vermögenssituation seiner Mandantin eigentlich einen Anspruch auf Beratungshilfe mit der Folge gehabt habe, dass sich die Anrechnung der Beratungshilfegebühr auf die Verfahrensgebühr auf 45,20 EUR belaufen hätte, die Landeskasse diesen Betrag aber gar nicht ausgegeben habe, da Beratungshilfe tatsächlich nicht in Anspruch genommen worden sei, ergibt sich hieraus keine andere rechtliche Bewertung. Soweit der Beschwerdeführer hiermit in der Sache auf den Forderungsübergang auf die Beratungsperson nach § 9 Satz 2 des Beratungshilfegesetzes - (BerHG) anspielt, kann er damit nicht gehört werden. Denn der Forderungsübergang tritt nur ein, soweit Beratungshilfe bewilligt worden ist, was nach den eigenen Ausführungen des Beschwerdeführers vorliegend jedoch nicht der Fall war (vgl. hierzu Senat, Beschl. v. 23.03.2018 - L 9 AL 201/17 B -, juris Rn. 8; s. auch LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 06.05.2015 - L 6 AS 34/15 -, juris Rn. 21; SG Hannover, Urt. v. 20.02.2014 - S 31 AS 3217/11 -, juris Rn. 21).

4.) Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).

5.) Dieser Beschluss ist unanfechtbar, §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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