L 16 KR 297/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 169/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 297/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 34/04 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Rev. d. Kl. werden zurückgewiesen.
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31. Juli 2003 wird zurückgewiesen. Die Kläger tragen auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert wird auf 1.015,71 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe des Abschlags auf Arzneimittelrechnungen.

Die Kläger, die Mitglieder des Apothekenverbandes Westfalen-Lippe e.V. sind, betreiben Apotheken in N und T. Die Abrechnung ihrer Arzneilieferungen mit der beklagten Krankenkasse erfolgte nach dem Arzneilieferungsvertrag (ALV) vom 1.1.1997. Dieser sieht vor, dass die Apotheken ihre Leistungen nach Ablauf des Kalendermonats, in dem die Lieferung erfolgt, bis zum Ende des folgenden Monats mit den Krankenkassen oder den von diesen benannten Stellen in einer Rechnung abrechnen (§ 13 Abs. 1). Die Rechnungen sind unter Verrechnung etwaiger Differenzen innerhalb von vier Wochen nach Rechnungseingang zu zahlen (§ 16 Abs. 1 ALV). Werden die Rechnungen unter Verrechnung etwaiger Differenzen innerhalb von 10 Tagen nach Rechnungseingang bezahlt, haben die Krankenkassen Anspruch auf den Abschlag nach § 130 SGB V auf den gesamten Rechnungsbetrag (§ 16 Abs. 2 Satz 1 ALV).

Für die Arzneilieferungen des Monats Januar 2001 übermittelte das Abrechnungszentrum Haan am 12.02.2002 eine Gesamtrechnung. Der Datenträger mit der entsprechenden Forderungsaufstellung ging am 01.03.2002 bei der Beklagten ein. Diese beglich den Restbetrag der Rechnung, auf die zuvor ein Abschlag gezahlt worden war, unter Abzug eines Rabatts in Höhe von 5 % am 22.02.2002. Aufgrund des am 22.02.2000 im Bundesgesetzblatt (Teil I S. 684) verkündeten Gesetzes zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (AABG), durch welches in § 130 Abs. 1 SGB V mit Wirkung vom 01.02.2002 der Satz angefügt worden war, dass "in den Jahren 2002 und 2003 abweichend von Satz 1 der Apothekenrabatt 6 v.H. beträgt", verrechnete die Beklagte einen Abschlag von einem weiteren Prozent für die Arzneilieferungen des Monats Januar 2002 mit den Rechnungen der Kläger für die Arzneilieferungen des Monats März. Die hieraus resultierenden Kürzungen betrugen bezüglich der Rechnungen des Klägers zu 1) 810,46 Euro, bezüglich der Rechnungen des Klägers zu 2) 205,25 Euro.

Die Kläger haben am 08.08.2002 Klage zunächst auf einen Teil und unter späterer Erhöhung des Antrages auf vollständigen Ausgleich dieser Beträge erhoben. Sie haben die Auffassung vertreten, die Beklagte habe lediglich einen Abschlag von 5 % beanspruchen können. Dem stehe der Wortlaut der Gesetzesneufassung, der von den Jahren 2002 und 2003 spreche, nicht entgegen, weil hierdurch nur die begrenzte Geltungsdauer im Gegensatz zum ursprünglichen Gesetzentwurf habe zum Ausdruck gebracht werden sollen. Schon verfassungsrechtliche Gründe ließen eine rückwirkende Anwendung des Gesetzes nicht zu, weil dies dem Verbot einer echten Rückwirkung widerspreche. Gegenteiliges sei auch vom Gesetzgeber nicht bezweckt worden, weil auf den für den Versicherten maßgeblichen Abgabepreis abgestellt werde. Da es insoweit auf den Zeitpunkt der Abgabe des Arzneimittels, der im Übrigen auch für die Fälligkeit maßgeblich sei, ankomme, könne der erhöhte Abschlag nicht mehr auf diesen früheren Zeitpunkt bezogen werden. Hätten sämtliche Arzneimittelabgabe-Vorgänge aus dem Jahr 2002 erfasst werden sollen, hätte es auch nicht der besonderen Regelung über das Inkrafttreten der Bestimmung des § 130 Abs. 1 Satz 2 SGB V in der Fassung des AABG bedurft. Da die Abrechnungen für den Monat Januar bei Verkündung des Gesetzes auch bereits abgeschlossen gewesen seien, könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber diese Rechnungen in die Neuregelung habe einbeziehen wollen, weil sich hierüber keinerlei Protokollnotiz fände. Schließlich könne nicht darauf abgestellt werden, dass die Arzneimittellieferungen jeweils erst im Folgemonat abgerechnet würden. Andernfalls könnten die Apotheker die Rechnungen für das Jahr 2003 erst im Jahr 2004 einreichen, um so den erhöhten Abschlag zu vermeiden, was ersichtlich dem Gesetzeszweck zuwiderlaufe. Da folglich der Beklagten ein entsprechender Aufrechnungsanspruch nicht zustehe, stünden die Klageforderungen nebst Zinsen zu.

Die Beklagte hat demgegenüber die Auffassung vertreten, der Rabattanspruch entstehe nicht mit der Belieferung, sondern sein Entstehen hänge von der Bezahlung der Rechnung innerhalb der 10-Tagesfrist ab.

Mit Urteil vom 31.07.2003 hat das SG die Klage unter Zulassung der Berufung abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihnen am 11.08.2003 zugestellte Urteil haben die Kläger am 10.09.2003 Berufung eingelegt. Sie halten an ihrer Auffassung fest und haben ergänzend vorgetragen, auch als im Jahr 1978 der Apothekenrabatt auf 5 % gesenkt worden sei, habe sich dies nur auf Abgaben ab dem damaligen Stichtag bezogen. Der Entwurf des AABG sei in der Erwartung erfolgt, dass das Gesetz zum 01.01.2002 in Kraft treten würde, was jedoch aufgrund von Verzögerungen im Gesetzgebungsverfahren nicht gelungen sei. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens am 01.02.2002 habe nur dazu gedient, nicht für die Arzneilieferungen des Monats Februar im Hinblick auf den Verkündungszeitpunkt am 22.02.2002 unterschiedliche Abrechnungserfordernisse zu begründen. Entsprechend habe Bundesgesundheitsministerin Schmidt erklärt, dass die Apotheker den Rabatt ab Februar zahlen müssten, und nicht formuliert, dass für das ganze Jahr 2002 oder ab Jahresbeginn ein solcher Abschlag Geltung habe. Auch der Staatssekretär Dr. Schröder habe darauf verwiesen, dass im Dezember 2003 abgegebene Arzneimittel noch der Neuregelung unterfielen. Daraus folge aber, dass maßgeblich der Abgabesachverhalt sei, was dann auch für den Beginn der Gesetzesgeltung Bedeutung haben müsse. Ob die Überlegungen des SG über die Möglichkeit einer verfassungsrechtlich zulässigen Rückwirkung zutreffend seien, könne dahinstehen, weil eine entsprechende Rückwirkungsabsicht in den Gesetzgebungsmaterialien nicht verankert sei. Ursprünglich habe hierüber selbst bei den Spitzenverbänden der Krankenkassen Einigkeit bestanden.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des SG Düsseldorf vom 31.07.2003 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1) 810,46 Euro und an den Kläger zu 2) 205,25 Euro nebst jeweils 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 22.04.2002 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und ist der Auffassung, auch für die Frage, ob der gesetzlichen Regelung eine Rückwirkung zukomme, sei der Zeitpunkt der Entstehung des Rabattanspruchs maßgeblich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist insgesamt statthaft, ohne dass es der Zulassung durch das SG bedurft hätte. Zwar erreicht der Klageantrag des Klägers zu 2) nicht den für die zulassungsfreie Berufung erforderlichen Wert von mehr als 500,- Euro (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), jedoch findet sowohl bei der objektiven wie der subjektiven Klagenhäufung die Zusammenrechnung der Streitwerte gemäß § 202 SGG i.V.m. § 5 Zivilprozessordnung (ZPO) statt (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Kommentar zur ZPO, 62. Aufl., Rdn. 3 zu § 5), so dass der gesamte Klageantrag auf mehr als 500,- Euro gerichtet ist.

Die auch im Übrigen zulässige Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil den Klägern der geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht zusteht.

Der durch das SG bindend festgestellte Rechtsweg zu den Sozialgerichten (§ 17a Abs. 5 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG -) ist unzweifelhaft gegeben, weil bei Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung auch soweit Dritte betroffen werden, mit Ausnahme bestimmter Fragen aus dem Krankenhausbereich, ausschließlich die Sozialgerichte nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG zuständig sind. Die Ansprüche sind zulässigerweise im Weg der allgemeinen Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG geltend gemacht worden, weil zwischen den Beteiligten ein Gleichordnungsverhältnis besteht, da das Gesetz eine vertragliche Regelung der Beziehungen zwischen Krankenkassen und Apothekern in § 129 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) vorsieht (vgl. BSG SozR 3-2500 § 129 Nr. 1 S. 4). Die Erweiterung des Klageanspruchs der Höhe nach vor dem SG stellt keine Klageänderung gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 1 SGG dar; eine solche wäre jedoch auch aufgrund der rügelosen Einlassung der Beklagten zulässig (§ 99 Abs. 2 SGG).

Mit der Neufassung des § 69 SGB V durch Art. 1 Nr. 26 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 vom 22.12.1999 (BGBl. I 2626) hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und der Leistungserbringer einschließlich der Apotheker in Zukunft öffentlichem Recht unterliegt (vgl. BSG SozR 3-2500 § 69 Nr. 1). Jedoch ordnet § 69 Satz 3 SGB V die entsprechende Anwendung der Vorschriften des Zivilrechts an, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 SGB V und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach dem 4. Kapitel SGB V vereinbar sind. Mit der Abgabe der vertragsärztlich verordneten Arznei- und Hilfsmittel an die Versicherten der Beklagten kommt zwischen dieser und dem Apotheker ein Kaufvertrag zustande, aus dem der Versicherte begünstigt wird (vgl. BSG a.a.O. S. 7). Die Modalitäten des Vergütungsanspruchs richten sich mangels einer Regelung in dem einschlägigen Rahmenvertrag nach dem ALV zwischen den Primärkassen und dem Apothekerverband Westfalen-Lippe e.V. vom 01.01.1997, der auch im Jahr 2002 Gültigkeit hatte. Aus den §§ 13, 16 ALV folgt, dass abweichend von § 271 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) der Kaufpreis frühestens im Monat nach dem Monat der Abgabe der Arzneimittel durch den Apotheker fällig wird. Zum einen bestimmt § 13 Abs. 1 ALV, dass die Apotheken ihre Leistungen nach Ablauf des Kalendermonats, in dem die Lieferung erfolgte, bis zum Ende des folgenden Monats mit den Krankenkassen oder den von diesen benannten Stellen in einer Rechnung abrechnet; zum anderen sind die Rechnungen unter Verrechnung etwaiger Differenzen innerhalb von vier Wochen nach Rechnungseingang zu zahlen und die Krankenkassen haben bei Bezahlung innerhalb von 10 Tagen nach Rechnungseingang Anspruch auf den Abschlag nach § 130 SGB V auf den gesamten Rechnungsbetrag (§ 16 Abs. 1 und 2 Satz 1 ALV). Ist danach der Apotheker aber nicht zur Abrechnung der Lieferung im Zeitpunkt der Abgabe berechtigt und die Krankenkasse erst auf diese Rechnung zur Zahlung verpflichtet, kann der Apotheker als Gläubiger der Kaufpreisschuld diese entgegen § 271 Abs. 1 BGB nicht sofort verlangen, auch wenn der Kaufpreisanspruch selbst unmittelbar mit der Lieferung entsteht.

Begleicht die Krankenkasse die Rechnung binnen 10 Tage, wie dies auch die Beklagte bezüglich der hier relevanten Rechnungen für die Monate Januar und März 2002 getan hat - was zwischen den Beteiligten unstreitig und woran zu zweifeln für den Senat kein Anlass besteht - so steht ihr der Rabatt gemäß § 130 SGB V zu. Dieser betrug nach der zuletzt gültigen Fassung der Reichsversicherungsordnung (RVO) 5 v.H. (§ 376 Abs. 1 Satz 1 RVO). § 130 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (GRG) vom 20.12.1988 (BGBl. I 2477) hat den Rabatt in dieser Höhe zunächst übernommen. Durch das AABG ist der Rabatt beschränkt auf die Jahre 2002/03 auf 6 v.H. erhöht worden (§ 130 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Die Beklagte hat allerdings die März-Rechnung über den vorgesehenen Rabatt von 6 v.H. hinaus um die streitigen Beträge gekürzt. Gleichwohl ist der Kaufpreisanspruch der Kläger auch in dieser Höhe durch Aufrechnung (§ 387 BGB) der Beklagten erloschen. Der Beklagten stand ein fälliger Gegenanspruch infolge der um diesen Betrag überhöhten Zahlung auf die Abrechnung für den Monat Januar 2002 zu. Von letzterem Rechnungsbetrag hat die Beklagte lediglich einen Abzug in Höhe von 5 % vorgenommen, obwohl auch für diesen Monat der Rabatt durch das AABG auf 6 v.H. angehoben worden ist. Daher sind die Kläger um einen entsprechenden Betrag zu Unrecht bereichert worden, so dass die Beklagte die Erstattung dieses Betrages nach § 812 Abs. 1 BGB verlangen konnte.

Entgegen der Ansicht der Kläger erfasste die Rabatterhöhung durch das AABG auch die Arzneimittellieferungen für den Monat Januar 2002. Der Wortlaut der Vorschrift ist eindeutig. Zum einen bezeichnet er "die Jahre 2002 und 2003" und umfasst daher deren gesamten Zeitraum. Zum anderen bestimmt Art. 1 Nr. 5 AABG, dass diese Regelung "abweichend von Satz 1" (des § 130 Abs. 1) gilt. Damit wird gerade entgegen der Auffassung der Kläger nicht an den nach § 130 Abs. 1 Satz 1 erheblichen Arzneimittelabgabepreis und den für diesen maßgeblichen Zeitpunkt angeknüpft, sondern der Rabatt beträgt für die Dauer der genannten Jahre unabhängig von der Höhe des Abgabepreises 6 v.H.

Auch die Entstehungsgeschichte der Norm spricht für diese Auslegung. Der Gesetzentwurf des AABG ist durch die Fraktionen der Regierungskoalition bereits im Oktober 2001 in den Bundestag eingebracht worden, wobei die Anhebung des Rabatts zunächst zeitlich unbefristet vorgesehen war (vgl. BT-Drucks. 14/7144). Der Ausschuss für Gesundheit (14. Ausschuss), an den der Bundestag den Entwurf überwiesen hat, hat empfohlen, die Erhöhung des Rabatts auf die Jahre 2002/03 zu beschränken unter Ergänzung des § 130 Abs. 1 SGB V um einen entsprechenden Satz 2 (vgl. BT-Drucks. 14/7827 S. 6, 9). Gleichzeitig ist das gesonderte Inkrafttreten letzterer Norm für den 01. Februar 2002 vorgesehen worden (Art. 4 Abs. 2 AABG), während das AABG insgesamt entsprechend des ursprünglichen Gesetzesentwurfs am Tag nach der Verkündung in Kraft treten sollte (Art. 4 Abs. 1 AABG). Damit trug der 14. Ausschuss dem Umstand Rechnung, dass das AABG nicht mehr wie geplant zum 01.01.2002 in Kraft treten konnte, weil die Länder einer vorgezogenen Beratung im Bundesrat nicht zugestimmt hatten und dessen nächste Sitzung für den 01.02.2002 angesetzt war (vgl. Beratungsprotokoll der 209. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 14.12.2001 S. 20732).

Das auf dieses Datum bezogene Wirksamwerden der Norm spricht nicht für den Willen des Gesetzgebers, die Rabatterhöhung für das Jahr 2002 zusätzlich auf 11 Monate zu beschränken. Zum einen hat der Ausschuss ausdrücklich auf das Einsparvolumen per anno infolge der Erhöhung des Rabatts verwiesen (BT-Drucks. 14/7828 S. 1). Um den Bedenken der Apothekerschaft Rechnung zu tragen, hat er die Erhöhung jedoch auf zwei Jahre beschränkt (BT-Drucks. 14/7827 S. 9). Da zum Zeitpunkt der Beschlussfassung bereits bekannt war, dass das AABG nicht mehr vor Februar 2002 den Bundesrat passieren konnte, wäre die Formulierung "für das Jahr 2002" im Gesetzestext jedoch unverständlich, wenn erst im Laufe dieses Jahres die Erhöhung wirksam werden sollte. Zum anderen wird dies durch die Begründung bezüglich der Wirksamkeitsregelung mit Art. 4 Abs. 2 AABG deutlich. Hierdurch sollte dem üblichen monatlichen Abrechnungszeitraum Rechnung getragen werden (BT-Drucks. 14/7827 S. 11). In Ansehung dieses Abrechnungsmodus konnte der Rabatt für das Jahr 2002 erstmals im Februar 2002 bezogen auf die Abrechnungen für den Monat Januar zugrundegelegt werden. Galt danach im Februar aber bereits die Neuregelung des § 130 Abs. 1 Satz 2 SGB V, erfasste sie auch die Rabatte für den Abrechnungszeitraum Januar 2002. Die Argumentation der Kläger, durch Art. 4 Abs. 2 AABG hätten nur die Lieferungen für den Monat Februar 2002 einheitlich erfasst werden sollen, überzeugt dagegen nicht. Es spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber aufgrund der bestehenden Abrechnungsvereinbarungen Zweifel daran gehabt haben könnte, dass die Fälligkeit der Vergütungsansprüche erst im Folgemonat der Arzneimittellieferungen eintrat. Um die Lieferungen des Monats Februar 2002 zu erfassen, hätte es daher einer besonderen Wirksamkeitsregelung nicht bedurft, da angesichts der bereits für den 01.02.2002 vorgesehenen Beratung im Bundesrat an der Verkündung des AABG noch im selben Monat kein Zweifel bestehen konnte. Dieses Ergebnis wird auch durch das genannte Beratungsprotokoll vom 14.12.2001 bestätigt. Dort hat die Bundesgesundheitsministerin erklärt, "dass die Apotheken nach der heutigen Verabschiedung des Gesetzes in 2. und 3. Lesung sehr genau wissen, dass sie diesen neuen Rabatt ab Februar zahlen müssen. Sie können jetzt mit den Vorbereitungen beginnen, so dass wir nach dem 01. Februar keine Zeitverzögerung mehr in Kauf nehmen müssen." Zu "zahlen" war im Februar 2002 aber der Rabatt für die Lieferungen des Monats Januar. Der Beginn der Vorbereitung bereits im Dezember 2001 wäre auch nicht erforderlich gewesen, wenn erst die Abrechnungen für den Monat Februar 2002 hätten betroffen sein sollen. Diese Auslegung führt entgegen der Auffassung der Kläger nicht dazu, dass Arzneilieferungen, die erst im Jahr 2004 abgerechnet werden, dem erhöhten Rabatt nicht mehr unterliegen. Vielmehr sind danach sämtliche Lieferungen, die in den Jahren 2002/03 erfolgt sind, unabhängig davon erfasst, wann die Fälligkeit des Vergütungsanspruchs eintritt.

Bei diesem Verständnis verstößt die Regelung des § 130 Abs. 1 Satz 2 SGB V auch nicht gegen Verfassungsrecht. Insbesondere im Hinblick auf das sog. Apothekenmonopol und die nach wie vor nicht übermäßige Belastung der Apotheker durch den Rabatt ist dessen Erhöhung um 1 % für die Dauer von zwei Jahren mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar (vgl. allgemein zur Verfassungsmäßigkeit des Apothekenrabatts BGHZ 54, 115, 120, 122; Henke, in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 19. Aufl., Rdn. 7 zu § 130; a.A. Schnapp, VSSR 2004, 343, der in dem Rabatt eine unzulässige Sonderabgabe sieht). Die Anwendung dieser Bestimmung auch auf die Kaufpreisforderungen, die aus den Lieferungen für den Monat Januar 2002 begründet sind, verstößt nicht gegen das Rückwirkungsverbot belastender Gesetze gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG. Dabei kann letztlich dahinstehen, ob das Gesetz eine echte oder sog. unechte Rückwirkung entfaltet. Erstere ist gegeben, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in bereits abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift (vgl. BVerfGE, 25, 371, 404; 30, 367, 386). Der Gesetzgeber hat, wie dies Art. 82 Abs. 2 Satz 1 GG vorsieht, bestimmt, wann das AABG in Kraft tritt. Art. 4 Abs. 1 AABG sieht vor, dass dies der Tag nach der Verkündung ist. Der Zeitpunkt der Verkündung wird durch die Ausgabe des Gesetzestextes im Bundesgesetzblatt bestimmt (vgl. Bryde in Münch/Kunig, GG-Kommentar, 5. Aufl., Rdn. 11 zu Art. 82 m.w.N.). Tag der Ausgabe war danach der 22.02.2002. Am maßgeblichen Folgetag waren die hier relevanten Arzneilieferungen für den Monat Januar 2003 bereits vollständig abgewickelt. Da Art. 4 Abs. 2 AABG das Inkrafttreten der Bestimmung des § 130 Abs. 1 Satz 2 SGB V jedoch abweichend zum 01.02.2000 regelte, fiel die Verkündung, die für die Existenz der Norm maßgeblich ist (BVerfGE 72, 200, 241), letzterer Bestimmung mit dem Tag der vollständigen Vergütung der Rechnungen für den Monat Januar zusammen. Ob auch insoweit von einem Eingriff in einen abgeschlossenen Sachverhalt in obigem Sinne auszugehen ist, kann auf sich beruhen, weil hier auch eine echte Rückwirkung Verfassungsrecht nicht verletzt.

Das Rückwirkungsverbot, das seine verfassungsrechtliche Grundlage vorrangig in den rechtsstaatlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit findet (BVerfGE 97, 67, 79 m.w.N.), hat ausnahmsweise dort keine Berechtigung, wo der Betroffene schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen war, nicht mit dem Fortbestand der (günstigeren) Regelung rechnen durfte (BVerfGE 88, 384, 404; 95, 64, 87; Sommermann in v. Mangoldt/Klein/ Starck, Bonner Grundgesetz, 4. Aufl., Rdn. 285 zu Art. 20 Abs. 3 m.w.N.). Dies gilt auch, wenn durch die Rückwirkung nur ein ganz unerheblicher Schaden verursacht würde (BVerfGE a.a.O.). Diese Voraussetzungen sind hier aber gegeben. Das Gesetz war bereits im Dezember 2001 abschließend im Bundestag und zuständigen Ausschuss beraten worden. Die beabsichtigte Erhöhung des Rabatts war schon im Oktober 2001 im Internet des Deutschen Bundestages bekanntgegeben worden und hatte zu einer entsprechenden Diskussion in den einschlägigen Fachkreisen geführt (vgl. z.B. Deutsches Ärzteblatt vom 26.10.2001, S. A-2774; BÄK-Intern, Heft Oktober 2001, S. 8). Angesichts des Umstandes, dass die Arzneimittelausgaben je Mitglied in der ersten Hälfte bzw. in den ersten drei Quartalen des Jahres 2001 um 11 bzw. 11,1 v.H. gestiegen waren (vgl. BT-Drucks. 14/7144 S. 1; 14/7827 S. 1), musste daher für die Apotheker offenkundig sein, dass sie im Jahr 2002 mit dem erhöhten Rabatt rechnen mussten. Sie konnten sich, da die Beratungen des entsprechenden Gesetzes bereits Mitte Dezember 2001 im Bundestag abgeschlossen waren, hierauf auch bezogen auf den Zeitraum ab dem 01. Januar 2002 einstellen. Sie waren auch nicht gehindert, nach Verkündung des Gesetzes durch eine veränderte gesamtwirtschaftliche Planung für das Jahr 2002 entsprechende Verluste auszugleichen. In Anbetracht der ohnehin moderaten Steigerung des Rabatts um 1 % verletzte die rückwirkende Erhöhung daher keine schützenswerte Vertrauensposition der Apotheker. Die Regelung trug als Maßnahme zur Stabilität des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung und damit einem überragenden Gemeinwohlziel (vgl. dazu BVerfGE 82, 209, 230; BVerfG, NJW 2001, 1779, 1780) Rechnung und entsprach im Hinblick auf die zeitlich beschränkte Wirkung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, zumal die Apotheker im vorausgegangenen Jahr erhebliche Einkommenszuwächse zu verzeichnen hatten.

Dem zur Aufrechnung gestellten Bereicherungsanspruch der Beklagten steht nicht § 814 BGB entgegen, wonach das zum Zweck der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden kann, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war, oder wenn die Leistung einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprach. Ist von dem rückwirkenden Wegfall des Vergütungsanspruchs durch die Gesetzesänderung auszugehen (§ 812 Abs. 1 Satz 2 BGB; condictio ob causam finitam), so findet diese Vorschrift ohnehin keine Anwendung (Sprau in Palandt, Kommentar zum BGB, 63. Aufl., Rdn. 2 zu § 814). Ansonsten mangelt es an der positiven Kenntnis der Beklagten, da nichts dafür ersichtlich ist, dass ihr bei Anweisung der Zahlung die Verkündung des AABG bereits bekannt war. Da weder der ALV noch das SGB V ein Aufrechnungsverbot vorsehen, ist der hier streitige Vergütungsanspruch für die Arzneimittel- und Hilfsmittellieferungen des Monats März 2002 durch die mit der Zahlungsanweisung im April 2002 konkludent erklärte Aufrechnung der Beklagten nach § 389 BGB erloschen.

Die Berufung war daher mit der auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 13 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG).

Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 SGG) die Revision zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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