L 4 R 2484/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 2647/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 2484/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 1. Juni 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 1. März 2017.

Der 1970 geborene Kläger war zuletzt vom 18. Dezember 2007 bis 2. Februar 2008, 1. Juni bis 31. Juli sowie vom 17. Oktober bis 30. November 2011 versicherungspflichtig beschäftigt. Im Übrigen war er arbeitslos und bezog – wie auch aktuell – Arbeitslosengeld II. Frühere Anträge auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung vom 27. Juni 2013 und 27. August 2015 blieben erfolglos. Zuletzt wurde er im Rahmen eines weiteren – letztlich erfolglosen – Verfahrens auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung im Auftrag der Beklagten am 10. Juni 2016 von Dr. M., Internist und Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde, untersucht. In seinem Gutachten vom selben Tag diagnostizierte dieser eine Kniegelenksarthrose beidseits, rechts mehr als links bei X-Bein-Fehlstellung, ein überwiegend exogen-allergisches Asthma bronchiale, zurzeit gut kontrolliert, eine deutliche kyphoskoliotische Fehlhaltung der Wirbelsäule bei chronischen Rückenbeschwerden, eine ängstliche Anpassungsstörung sowie Übergewicht. Der Kläger könne leichte, zeitweise mittelschwere Tätigkeiten ständig oder überwiegend im Sitzen mehr als sechs Stunden am Tag verrichten. Bücken, Heben und Tragen von Lasten, die Exposition zu unspezifischen inhalativen Noxen sowie geistig komplexere Tätigkeiten seien ausgeschlossen.

Am 8. März 2017 beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Er sei seit Oktober 2016 erwerbsgemindert wegen Rückenbeschwerden, Verkrümmung der Wirbelsäule, starken Kniebeschwerden, Abnützung beider Knöchel. Er könne nicht lange gehen, stehen und nicht treppenlaufen. Sein Asthma habe sich seit Oktober 2016 verschlechtert. Er leide unter Heuschnupfen und Neurodermitis. Nachdem Befundanforderungen ergeben hatten, dass seit 2015 keine ärztlichen Behandlungen mehr stattgefunden hätten (Stellungnahme des Arztes K., Sozialmedizinischer Dienst der Beklagten, vom 21. März 2017), lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 27. März 2017 mangels Erwerbsminderung ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 3. August 2017 als unbegründet zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 30. August 2017 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG), zu deren Begründung er insbesondere vortrug, nicht unter den üblichen Bedingungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig werden zu können. Es sei keine Erwerbstätigkeit denkbar, zu der er noch in der Lage sei. Die Beklagte habe die wechselseitigen Auswirkungen der bestehenden Gesundheitsstörungen nicht berücksichtigt. Er sei aufgrund der Beschwerden in den Sprunggelenken und Kniegelenken weder in der Lage treppenzusteigen noch könne er größere Strecken zu Fuß am Stück zurücklegen. Aufgrund der Rückenbeschwerden, des Hustens und der degenerativen Veränderungen des Bewegungsapparates sei er nicht mehr in der Lage, sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Auch vom Jobcenter sei ihm mitgeteilt worden, dass er nicht mehr vermittelbar sei.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie legte die sozialmedizinische Stellungnahme der Internistin Dr. H.-Z. vom 11. Januar 2018 vor, wonach den Angaben der sachverständigen Zeugen (dazu sogleich) kein neuer Inhalt zu entnehmen sei.

Das SG holte schriftliche Aussagen der vom Kläger angegebenen behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen ein. Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. O. teilte in ihrer Auskunft ein Asthma bronchiale und eine Adipositas mit und gab an, der Kläger habe zum 14. Dezember 2016 seinen Hausarzt gewechselt. Dr. C., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, gab in seiner Auskunft vom 15. November 2017 aufgrund der dort zuletzt erfolgten Vorstellung am 9. Juni 2016 als Gesundheitsstörungen von länger als sechsmonatiger Dauer eine Wirbelsäulenfehlhaltung, rezidivierende Dorsalgie, einen Hohlrundrücken mit eingeschränkter Beweglichkeit der Brust- und Lendenwirbelsäule ohne neurologische Ausfallerscheinungen an. Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie Dr. Be. bezeichnete in seiner Auskunft vom 15. November 2017 aufgrund einer letzten Vorstellung des Klägers vom Oktober 2015 ein Asthma bronchiale (vorgelegter Arztbrief vom 16. Oktober 2015). HNO-Arzt Dr. Ga. berichtete unter dem 17. November 2017 über Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers im März, Mai und Oktober 2017 wegen Seitenstrangangina und verneinte Gesundheitsstörungen von mehr als sechsmonatiger Dauer. Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Wa. gab in seiner Auskunft vom 7. Dezember 2017 insbesondere eine Osteochondrose der Brustwirbelsäule (BWS) aufgrund der letzten Vorstellung des Klägers vom Dezember 2014 an.

Mit Gerichtsbescheid vom 1. Juni 2018 wies das SG die Klage ab. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung lägen nicht vor. Der Einschätzung von Dr. M. folgend bestehe auch unter Berücksichtigung der sachverständigen Zeugenauskünfte ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bestehe schon aufgrund des Alters des Klägers nicht.

Gegen diesen ihm am 14. Juni 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 13. Juli 2018 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung vorgetragen, das Gutachten von Dr. M. und die sachverständigen Zeugenaussagen seien überholt. Er habe seine Arztbesuche seit 2015 eingestellt, da ihm die Ärzte nicht hätten helfen können. Aktuell sei er durch Schäden an den Knien und Sprunggelenken so beeinträchtigt, dass er nicht einmal kürzeste Wegstrecken zurücklegen oder öffentliche Verkehrsmittel nutzen könne. Die Asthmaerkrankung sei so schwer, dass er unter massivster Atemnot sowie ständigen Hustenanfällen leide. Das SG wäre zur Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens verpflichtet gewesen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 1. Juni 2018 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2017 zu verurteilen, ihm ab dem 1. März 2017 Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise auf Zeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verfahrensakten des Senats und des SG sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat nach § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist auch sonst zulässig. Insbesondere bedurfte sie nicht der Zulassung, da der Kläger laufende Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Streitgegenstand ist das Begehren des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer, hilfsweise auf Zeit ab dem 1. März 2017 (vgl. § 99 Abs. 1 SGG). Gegenstand des Berufungsverfahrens ist damit der Bescheid vom 27. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2017.

3. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. März 2017.

a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

b) Nach diesen Maßstäben steht für den Senat aufgrund der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass der Kläger in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens sechs Stunden täglich zu verrichten. Zwar liegen beim Kläger gesundheitliche und daraus resultierende funktionelle Einschränkungen vor. Diese mindern seine berufliche Leistungsfähigkeit jedoch nur in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht.

(1) Beim Kläger bestehen eine Kniegelenksarthrose beidseits, rechts mehr als links bei X-Bein-Fehlstellung, eine Fehlhaltung der Wirbelsäule bei chronischen Rückenbeschwerden, ein überwiegend exogen-allergisches Asthma bronchiale sowie eine ängstliche Anpassungsstörung. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Dr. M., das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte (vgl. etwa Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51) sowie den Aussagen der sachverständigen Zeugen Dr. C. und Dr. Be ... Weitere relevante Gesundheitsstörungen liegen nicht vor. Dr. O. informierte lediglich über einen Hausarztwechsel des Klägers zum 14. Dezember 2016. Einen neuen Hausarzt hat der Kläger aber nicht bezeichnet. Dr. Ga. berichtete über Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers im März, Mai und Oktober 2017 wegen Seitenstrangangina. Gesundheitsstörungen von mehr als sechsmonatiger Dauer lagen nach seiner Auskunft jedoch nicht vor. Der Gesundheitszustand hat sich danach seit Juni 2016 nicht verschlechtert. Arzt Wa. gab eine letzte Vorstellung des Klägers im Dezember 2014 an, so dass neuere, die behauptete Verschlechterung belegende Befunde auch auf orthopädischem Fachgebiet nicht vorliegen.

(2) Die festgestellten Gesundheitsstörungen schränken das berufliche Leistungsvermögen des Klägers in qualitativer Hinsicht ein. Ausgeschlossen sind wegen der orthopädischen Gesundheitsstörungen das Bücken, das Heben und Tragen von Lasten sowie wegen des Asthmas die Exposition zu unspezifischen inhalativen Noxen. Geistig komplexere Tätigkeiten sind nicht leidensgerecht. Dies entnimmt der Senat der überzeugenden Einschätzung von Dr. M ... Abweichendes ergibt sich auch nicht aus den Stellungnahme der sachverständigen Zeugen.

(3) Die beim Kläger als rentenrelevant zu berücksichtigen Gesundheitsstörungen führen jedoch nicht zu einem Absinken des tatsächlichen Restleistungsvermögens auf ein unter sechsstündiges Maß; er ist weiterhin in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Der Senat stützt sich auch insoweit auf das überzeugende Gutachten von Dr. M ...

Hinsichtlich der Kniegelenksarthrose beidseits konnte klinisch ein deutliches Reiben festgestellt werden, aber keine Funktionsminderung. Die Sprunggelenke waren unauffällig. Der Kläger gab an, eine halbe Stunde durchaus laufen zu können oder in die Innenstadt zu gehen. Hinsichtlich der Fehlhaltung der Wirbelsäule bei chronischen Rückenbeschwerden schloss Dr. M. bei fehlendem Klopfschmerz, einer nur leicht eingeschränkten Entfaltbarkeit (Finger-Boden-Abstand 16 cm; Zeichen nach Schober 10/15,5 cm, nach Ott 30/31) und insbesondere fehlenden Nervenwurzelreizzeichen (Lasègue beidseits negativ; keine sensomotorischen Defizite) überzeugend eine relevante Funktionsbeeinträchtigung aus. Dieser Befund wird von Dr. C. in seiner Auskunft als sachverständiger Zeuge bestätigt. Dieser gab aufgrund der dort zuletzt erfolgten Vorstellung am 9. Juni 2016 als Gesundheitsstörungen von länger als sechsmonatiger Dauer eine Wirbelsäulenfehlhaltung, rezidivierende Dorsalgie, einen Hohlrundrücken mit eingeschränkter Beweglichkeit der Brust- und Lendenwirbelsäule ohne neurologische Ausfallerscheinungen an.

Das überwiegend exogen-allergisches Asthma bronchiale beschrieb Dr. M. als zurzeit gut kontrolliert. Diese Einschätzung beruhte auf einer im Oktober 2015 durchgeführten Lungenfunktionsprüfung. Bei dieser zeigten sich eine nur leichte zentrale Obstruktion und eine leichte Überblähung. Es fand sich aber keine auffällige Einschränkung der Lungenfunktion mit einer Rückwirkung auf den Gasaustausch. Die Leistungseinschätzung von Dr. M. ist daher nachvollziehbar. Der von Dr. Be. vorgelegte Arztbrief über die letzte dort erfolgte Untersuchung vom 16. Oktober 2015 (Asthma bronchiale, unter Therapie stabiler Verlauf) beschreibt gerade die von Dr. M. einbezogene Lungenfunktionsprüfung. Neuere Befunde, die die vom Kläger behauptete Verschlechterung belegten, liegen auch insoweit nicht vor.

Die diagnostizierte ängstliche Anpassungsstörung bezog sich auf eine Angst vor Treppen nach einem Treppensturz. Insgesamt lag aber nach anschaulicher Feststellung durch Dr. M. keine wesentliche Beeinträchtigung in den Alltagsverrichtungen vor.

(4) Ob dem Kläger ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob der Kläger mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, sie also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, wovon im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R – juris, Rn. 31). Dies bejaht der Senat wie zuvor dargelegt.

(5) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten (siehe – auch zum Folgenden – etwa Urteil des Senats vom 21. November 2014 – L 4 R 4797/13 – nicht veröffentlicht). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.

Dies ist hier nicht der Fall. Die qualitativen Leistungseinschränkungen des Klägers (siehe oben) sind nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände – beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R – juris, Rn. 28 m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist hier gegeben. Der Ausschluss geistig komplexerer Tätigkeiten begründet nicht die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes. Nach Überzeugung des Senats ist es dem Kläger noch möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert werden, z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. (vgl. BSG, Urteile vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 – juris, Rn. 36 und 9. Mai 2012, a.a.O.).

(6) Auch die Wegefähigkeit des Klägers war und ist gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 73/90 – juris, Rn. 16 ff.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 21/10 R – juris, Rn. 21 f.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R – juris, Rn. 19 f.). Der Kläger ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Eine rentenrechtlich relevante Einschränkung der Wegefähigkeit ist nach den oben genannten Befunden und den Angaben des Klägers gegenüber Dr. M. nicht gegeben. Für die behauptete Verschlechterung liegen keine Belege vor.

(7) Anlass zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen besteht nicht. Der pauschale Vortrag des Klägers über eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes an Knien und Sprunggelenken sowie hinsichtlich des Asthma bronchiale ist nicht belegt. Dass der Kläger keine ärztliche Behandlung in Anspruch genommen hat, spricht gegen einen erheblichen Leidensdruck. Wie die Behandlung durch Dr. Ga. im Jahr 2017 zeigt, begibt sich der Kläger bei akuter Erkrankung durchaus in ärztliche Behandlung. Soweit er vorträgt, er erwarte von einer weiteren Behandlung keine Besserung, ist dies nicht plausibel. Hinsichtlich des Asthma bronchiale ist gerade dokumentiert, dass dieses unter Therapie stabil war. Ohne Durchführung einer ärztlichen Behandlung kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei der – behaupteten – Verschlechterung um einen rentenrechtlich relevanten dauerhaften Zustand handelt. Dies gilt ebenso für die angegebenen Funktionsbeeinträchtigungen der Knie und Sprunggelenke.

c) Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ist schon deshalb nicht erfüllt, weil der Kläger 1970 und damit nicht vor dem 2. Januar 1961 (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI) geboren ist.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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