L 6 U 151/17 B

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 8 U 93/17
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 U 151/17 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Unfallversicherung - Beiladung eines anderen Unternehmens in einem beitragsrechtlichen Klageverfahren
Die einfache Beiladung nach § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG steht im Ermessen des Gerichts, ein Rechtsanspruch besteht nicht.
Das Beschwerdegericht hat eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen.
Von einer einfachen Beiladung nach § 75 Abs. 1 SGG kann abgesehen werden, wenn es zur Wahrung der Belange des Betroffenen keiner eigenständigen Interessenverfolgung durch eine Prozessbeteiligung bedarf und eine Partei bereits gleichgerichtete Interessen verfolgt.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 07.07.2017 wird zurückgewiesen.

II. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

I.

Mit der Klageerhebung am 12.04.2017 zum Sozialgericht Chemnitz (SG) wandte sich die Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten über Beitragszuschläge und -nachlässe vom 23.11.2016, gegen den Vorschussbescheid für 2017 vom 05.12.2016, gegen den Gefahrtarif-Veranlagungsbescheid und Rücknahmebescheid für den Zeitraum 01.01.2016 bis zum 31.12.2016 vom 12.12.2016 sowie den Gefahrtarif-Veranlagungsbescheid ab 01.01.2017 vom 12.12.2016.

Am 30.05.2017 hat die Bf. die Beiladung zum Rechtsstreit beantragt und zur Begründung ausgeführt, dass durch die Entscheidung in dem Klageverfahren die berechtigten Interessen der Bf. berührt würden. Da sie in demselben Gefahrtarif veranlagt sei, hätte sie wegen des Umlageprinzips nach § 152 SGB VII die wirtschaftlichen Folgen der von der Klägerin erstrebten Beitragsentlastung zu tragen. Allein für das Jahr 2016 sei mit einer Beitragssteigerung um einen hohen sechsstelligen Betrag zu rechnen. Die massive Betroffenheit gebiete die beantragte Beiladung.

Die Beklagte hat ausgeführt, keine Einwände gegen die beantragte Beiladung zu haben. Bei einem Erfolg der Klage sei ein Betrag in Höhe von ca. 8.000.000 Euro auf die anderen Umlageteilnehmer umzulegen. Der Streitwert betrage nach jeder möglichen Betrachtungsweise mehr als 2.500.000 Euro.

Die Klägerin hat der beantragten Beiladung widersprochen. Die Voraussetzungen einer einfachen Beiladung lägen nicht vor. Aus einem Klageerfolg folge nicht zwingend eine Beitragserhöhung seitens der Bf., Folge einer erfolgreichen Klage wäre der Erlass eines neuen Gefahrtarifs mit Geltung ausschließlich für die Klägerin. Neue Bescheide gegenüber der Bf. seien reine Spekulation. Eine daraus zu rechtfertigende Beiladung jedes BG-Mitglieds in einer Beitragsstreitigkeit sei einzugrenzen. Betroffene Interessen seien nur in denjenigen Fällen gegeben, in denen der Beizuladende zum Rechtsstreit sinnvoll beitragen könne oder unmittelbar oder ausreichend mittelbar von der Entscheidung betroffen wäre. Beides sei bezogen auf die Bf. nicht der Fall.

Das SG hat mit Beschluss vom 07.07.2017 den Antrag auf Beiladung abgelehnt. Durch die Entscheidung im Rechtsstreit würden noch keine Interessen der Bf. berührt, erst durch die Reaktion der Bekl. auf die Klagestattgabe. Der Rechtsgedanke von § 75 Abs. 2a SGG sei bei der Ermessensausübung bzgl. der einfachen Beiladung zu beachten.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Bf. vom 26.07.2017. Entgegen der Entscheidung des SG würden ihre berechtigten Interessen berührt, ein wirtschaftliches Interesse genüge. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass ein Klageerfolg unmittelbare wirtschaftliche Auswirkungen auf die Bf. habe, eine Beiladung sei nicht nur zulässig, sondern auch geboten. Unter Darlegung einer Berechnung hat sie ergänzt, dass eine Beitragsentlastung bei der Klägerin zwingend steigende Beiträge u.a. bei ihr zur Folge hätte. Der Erlass der Beitragsbescheide 2016 ändere an dieser Wertung nichts, da einerseits ggf. in den Folgejahren eine entsprechende Umlage erfolgen würde, andererseits richte sich die Klage auch auf die Beitragsjahre 2017 und 2018. Die wirtschaftlichen Interessen würden in erheblichem Umfang berührt. Auch etwaige Rechtsschutzmöglichkeiten gegenüber den Beitragsbescheiden würden das wirtschaftliche Interesse nicht entfallen lassen. Zudem habe die Bf. wegen der in der Vergangenheit fehlerhaften Gefahrklassenfeststellung gegen die Beitragsbescheide für die Jahre 2014 und 2015 Widerspruch eingelegt, wobei das Widerspruchsverfahren wegen der vorliegenden Klage ruhe. Es handele sich nicht um eine übliche Veranlagungsstreitigkeit, sondern um ein Grundsatzverfahren mit enormer Bedeutung für die Branche Bergbau. Auch bestehe ein Interesse der Beklagten an der Beiladung zur Vermeidung divergierender Entscheidungen zu identischen Sachzusammenhängen.

Die Beklagte hat im Beschwerdeverfahren den Vortrag der Bf. bestätigt und zum Vortrag der Klägerin ausgeführt, dass abhängig vom Ausgang des Klageverfahrens zukünftig die anderen Mitglieder der Beklagten der Branche Bergbau durch entsprechende Beiträge belastet werden würden. Jedenfalls mittelbar würden die Interessen der Bf. berührt. Dies gelte für alle Mitgliedsunternehmen der Branche Bergbau. Die Voraussetzungen der einfachen Beiladung würden vorliegen. Inwiefern eine einfache Beiladung zu erfolgen habe, stehe im Ermessen des Gerichts.

Die Klägerin hat ausgeführt, dass für die Beiladung ein berechtigtes Interesse erforderlich sei. Dies sei abzugrenzen von einem allgemeinen oder sachfremden Interesse am Ausgang des Verfahrens. Die Bf. werde nicht unmittelbar von der Entscheidung berührt. Erst eine Folgeentscheidung der Beklagten könnte die Bf. belasten. Die theoretische Möglichkeit, durch einen zukünftigen Normsetzungsakt der Beklagten in der Zukunft belastet zu werden, reiche für eine Beiladung nicht aus, wobei diese theoretische Möglichkeit ca. 33.200 Mitgliedsunternehmen der Beklagten betreffen würde. Nach der Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 18.03.2009 – L 11 R 5494/08) sei eine Beiladung selbst bei einem möglichen Regressanspruch abzulehnen.

Hierzu hat die Bf. erwidert, dass die infrage stehende Belastung der Bf. nicht hochtheoretisch, sondern nach den Ausführungen der Beklagten konkret sei.

Die Beklagte hat die Darlegungen der Klägerin zu den möglichen Belastungen als fehlerhaft bezeichnet, eine Beitragserhöhung sei praktisch die einzige Möglichkeit.

II.

Die gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Das Gericht kann nach § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG von Amts wegen oder auf Antrag andere, deren berechtigte Interessen durch die Entscheidung berührt werden, beiladen. Gemäß § 75 Abs. 2 SGG sind Dritte beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann oder sich im Verfahren ergibt, dass bei der Ablehnung des Anspruchs ein anderer Versicherungsträger in Betracht kommt.

Im vorliegenden Zusammenhang ist die Bf. – entsprechend der Auffassung der Beteiligten – nicht notwendig im Sinne des § 75 Abs. 2 SGG beizuladen. Eine notwendige Beiladung setzt voraus, dass die zu erwartende Entscheidung in die Rechtsphäre des Dritten unmittelbar eingreift, d.h. gleichzeitig, unmittelbar und zwangsläufig Rechte des Beizuladenden gestaltet, bestätigt, feststellt, verändert oder aufhebt (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.03.2009 – L 11 R 5494/08 B –, juris, m.w.N.). Die Bf. hat die Beiladung beantragt, weil sie bei einem Klageerfolg Auswirkungen auf ihre Beitragslast befürchtet. Sie ist damit an dem Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten nicht derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Vielmehr betrifft die Frage der Rechtmäßigkeit der von der Klägerin angefochtenen Bescheide konkret das Verhältnis zwischen den Klageparteien, ohne dass von diesen Bescheiden eine unmittelbare Drittwirkung bezogen auf die Bf. resultiert. Die Bf. wird unmittelbar weder berechtigt noch verpflichtet.

Ebenso wenig sieht der Senat Anlass zu einer sogenannten einfachen Beiladung im Sinne des § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG. Voraussetzung für eine einfache Beiladung nach § 75 Abs. 1 SGG ist, dass berechtigte Interessen eines Dritten durch die Entscheidung berührt werden. Zu den berechtigten Interessen gehören nicht nur rechtliche, sondern auch wirtschaftliche, tatsächliche, kulturelle, soziale oder ideelle Interessen (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.06.2016 – L 11 KA 22/16 B –, juris, m.w.N.). Zwar sind durch das vorliegende Klageverfahren wirtschaftliche Interessen der Bf. dergestalt betroffen, dass (ausgehend von einem Erfolg der Klägerin im Ausgangsverfahren) die Bf. in der Zukunft eine höhere Beitragslast treffen könnte. Ob diesbezüglich für die Annahme eines berechtigten Interesses ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit solcher negativen Umstände ausreicht oder vielmehr der Nachweis (also eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit) des Eintritts solcher mittelbaren Folgen zu fordern ist, kann vorliegend dahinstehen.

Selbst unter der Annahme, dass die Bf. entsprechend Ihrer Darlegungen ein berechtigtes Interesse an der Beiladung haben sollte, resultiert daraus keine Beiladung. Die einfache Beiladung nach § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG steht im Ermessen des Gerichts, ein Rechtsanspruch besteht nicht (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 75 Rdn. 8b). Im Fall der Beschwerde gegen die abgelehnte Beiladung hat das Beschwerdegericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, a.a.O., m.w.N.). Die Entscheidung ergeht im pflichtgemäßen Ermessen, da insoweit kein Rechtsanspruch auf Beiladung besteht.

Nach diesen Grundsätzen übt der Senat sein Ermessen dahingehend aus, dass von einer Beiladung der Bf. abgesehen wird. Eine Beiladung ist zur Wahrung ihrer Interessen nicht erforderlich. Von einer einfachen Beiladung nach § 75 Abs. 1 SGG kann abgesehen werden, wenn es zur Wahrung der Belange des Betroffenen keiner eigenständigen Interessenverfolgung durch eine Prozessbeteiligung bedarf und eine Partei bereits gleichgerichtete Interessen verfolgt (vgl. zu der Parallelvorschrift in § 65 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO] Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.04.2004 – 20 B 419/04 –, juris). So liegt es hier. Die Beklagte wendet sich ebenso wie die Bf. gegen eine Änderung der von der Klägerin angefochtenen Bescheide. Die Interessen der Bf. werden damit im vorliegenden Verfahren bereits von der Beklagten wahrgenommen. Die Bf. hat weder im Beiladungsantrag noch im Rahmen des Beschwerdeverfahrens angedeutet, inwieweit sie über den Vortrag der Beklagten hinaus das Verfahren sachdienlich fördern könnte; auch die Notwendigkeit eines juristischen Beistandes über die Rechtskundigkeit der Beklagten hinaus erschließt sich dem Senat nicht.

Eine Prozessbeteiligung der Bf. ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis der Bf. auf ein ruhendes Widerspruchsverfahren. Der damit verbundene Gedanke der Prozessökonomie, also die Vermeidung weiterer Prozesse durch die infolge einer Beiladung gemäß § 141 Abs. 1 SGG eintretende Rechtskrafterstreckung, spielt vorliegend – soweit ersichtlich auch nicht im Hinblick auf das ohne nähere Einzelheiten angeführte Widerspruchsverfahren – keine Rolle.

Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass die Bf. durch eine Beiladung einen tiefen Einblick in den Gerichtsprozess und damit möglicherweise detaillierte Kenntnisse von den Einzelheiten der Klägerin erhalten würde, die sie sonst nicht erlangen könnte. Dieser Umstand zum Nachteil der Klägerin wird nicht durch den Vortrag der Bf. aufgewogen. Eine mittelbare wirtschaftliche Drittbetroffenheit genügt hierfür nicht. Auch die von der Bf. hervorgehobene absolute Höhe der infrage stehenden zusätzlichen Beitragsbelastung rechtfertigt die Beiladung nicht, da die Beitragsbelastung nicht unabhängig von sonstigen Unternehmenszahlen – insbesondere der Summe der Arbeitsentgelte – steht, so dass allenfalls die prozentuale (Mehr-)Belastung einen relevanten Wert darstellen könnte. Nach den von der Bf. dargestellten Berechnungen (die sie ausdrücklich als vereinfachte Beispielrechnung mit gerundeten Zahlen bezeichnet hat) würde die Beitragsmehrbelastung bezogen auf die Arbeitsentgelte (Bereich Salz) bei ca. 5 ‰ liegen. Die Beklagte hat die Berechnung dahingehend bestätigt, dass sich diese nur abhängig von Festsetzungen in den Folgejahren (durch eine dann vorzunehmende Erhöhung des Umlagesolls) realisieren ließe.

Der Argumentation der Bf. folgend, wäre wegen der nach § 152 SGB VII zu befürchtenden Auswirkungen auf andere (gleichartig veranlagte) Unternehmen der jeweiligen Branche in jedem unfallversicherungsrechtlichen Beitragsstreit grundsätzlich eine Beiladung dieser Unternehmen in Betracht zu ziehen. Soweit diesbezüglich das SG im hier angefochtenen Beschluss ausgeführt hat, dass dies den Verfahrensverlauf deutlich verkomplizieren und verlängern würde, entspricht dies auch den Erwägungen des Senats, zumal über die Vornahme oder Unterlassung der einfachen Beiladung auch aufgrund von Zweckmäßigkeitserwägungen entschieden werden kann (vgl. Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24.04.2017 – 2 O 21/17 –, juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO, da weder die Beteiligten des Ausgangsverfahrens noch die Bf. zu dem in § 183 SGG genannten Personenkreis gehören. Eine eigenständige Kostenentscheidung war erforderlich, da das Beschwerdeverfahren von einem an der Hauptsache nicht Beteiligten betrieben wurde (vgl. Leitherer, a.a.O., § 176 Rn. 5).

Für die Festsetzung der Gerichtskosten ist eine Streitwertfestsetzung nach § 197a Abs. 1 SGG entbehrlich, da die in Betracht kommende Gebühr nach dem Kostenverzeichnis nicht von einem Kostenstreitwert abhängt (Nr. 7504 Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

Petschel Strahn Guericke
Rechtskraft
Aus
Saved