Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 15 AL 66/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 (9) AL 220/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7a/7 AL 68/04 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 18. September 2003 geändert und die Klage abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe vom 24.02.2003 bis 15.12.2003.
Der am 00.00.1954 geborene Kläger bezog nach seiner am 31.12.1993 endenden Tätigkeit als Baumaschinenführer Arbeitslosengeld, Krankengeld und ab 24.02.1997 Anschlussarbeitslosenhilfe unter Berücksichtigung der von ihm von der LVA Baden ab 29.02.1996 bezogenen Berufsunfähigkeitsrente. Bis zum Ende des Bewilligungsabschnitts am 23.02.2003 betrug der wöchentliche Leistungssatz 200,34 Euro. Der Kläger hatte am 01.01.1987 eine Kapitallebensversicherung mit einer Versicherungssumme von 82.951,00 DM und eine zweite am 01.12.1999 mit einer Versicherungssumme von 19.438,00 DM abgeschlossen. Die erste Kapitallebensversicherung wird am 01.10.2013 und die zweite am 11.12.2019 fällig. Am 01.01.2001 betrug der Rückkaufswert für die zuerst abgeschlossene Versicherung 43.614,78 DM bei eingezahlten Beiträgen in Höhe von 28.925,50 DM und für die zweite Versicherung 423,38 DM bei eingezahlten Beiträgen in Höhe von 372,71 DM. Zum 01.03.2003 beliefen sich die Rückkaufswerte über 29.054,99 EUR und 1.450,59 EUR.
Mit Bescheid vom 27.02.2003 lehnte die Beklagte den geltend gemachten Anspruch auf Arbeitslosenhilfe mangels Bedürftigkeit ab. Sie führte hierzu aus: Der Kläger verfüge gemeinsam mit seiner Ehegattin über ein Vermögen in Höhe von 30.505,58 EUR, das verwertbar und dessen Verwertung zumutbar sei. Unter Berücksichtigung der beiden Freibeträge in Höhe von 9.600,00 EUR und 9.200,00 EUR verbleibe ein Betrag von 11.705,58 EUR, der bei der Prüfung der Bedürftigkeit zu berücksichtigen sei.
Hiergegen erhob der Kläger am 11.03.2003 mit der Begründung Widerspruch, die von der Beklagten berücksichtigten Lebensversicherungen stellten kein anrechenbar verwertbares Vermögen dar, weil sie der Alterssicherung dienten. Weil er wegen seiner in recht jungen Jahren eingetretenen Berufsunfähigkeit keine Möglichkeit habe, seine Rentenanwartschaften zu steigern, sei er darauf angewiesen, sich durch private Initiative eine Altersversorgung aufzubauen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2003 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück und verblieb bei ihrer Auffassung, dass das Vermögen zu berücksichtigen sei. Es sei nur dann als der Alterssicherung dienend anzusehen, wenn der Arbeitslose oder sein Ehegatte von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 231 SGB VI befreit sei, was im Falle des Klägers aber nicht der Fall sei.
Am 01.04.2003 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Aachen Klage erhoben und darauf hingewiesen, bislang seien seine Lebensversicherungen nie angerechnet worden. Eine Anrechnung der Lebensversicherungen dürfe nicht dazu führen, dass erarbeitete Lebensgrundlagen verloren gingen und der Arbeitslose auch den Zugriff auf die letzten finanziellen Reserven dulden müsse. Bisher habe er seinen Lebensunterhalt von den Rentenzahlungen und der Überziehung seines Kontos bestritten. Dieses befinde sich mit 4.200,00 EUR im Minus.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2003 zu verurteilten, ihm Arbeitslosenhilfe ab 24.02.2003 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat an ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung festgehalten.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 18.09.2003 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 24.02.2003 Arbeitslosenhilfe nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Arbeitslosenhilfeverordnung vom 13.12.2001 (AlhiV 2002), die statt 520,00 EUR nur noch einen Freibetrag in Höhe von 200,00 EUR je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners vorsehe, sei mit höherrangigem Recht nicht vereinbar. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
Gegen das ihr am 21.10.2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12.11.2003 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, gegen die AlhiV 2002 bestünden keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 18.09.2003 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger, der das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend hält, beantragt,
die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der von ihm geltend gemachte Anspruch auf Arbeitslosenhife auf die Zeit vom 24.02. bis 15.12.2003 beschränkt wird.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unzulässig, soweit es die Beklagte versäumt hat, die Beru
fung zurückzunehmen, soweit sich die Klage nicht mehr auf Zeiträume nach dem 15.12.2003 bezieht.
Der Senat hat im Berufungsverfahren nur noch über den zulässigerweise verfolgten Anspruch des Klägers auf Gewährung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 24.02. bis 15.12.2003 zu entscheiden. Soweit der Kläger noch vor dem Sozialgericht auch für einen darüber hinausgehenden Zeitraum Arbeitslosenhilfe begehrt hat, hat sich der Rechtsstreit durch Rücknahme der sich auf diesen Teil des Anspruchs beziehenden Klage in der Hauptsache erledigt (§ 102 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Dadurch ist das Urteil des Sozialgerichts, soweit es auch der ursprünglich erhobenen weitergehenden Klage ebenfalls stattgegeben hatte, wirkungslos geworden, ohne dass es einer ausdrücklichen Aufhebung hierzu bedarf (§ 202 SGG i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz Zivilprozessordnung - ZPO -). Dem Umstand, dass hierdurch die Berufungsbeschwer teilweise weggefallen ist, hat die Beklagte nicht durch eine entsprechende teilweise Berufungsrücknahme Rechnung getragen, so dass die Berufung teilweise unzulässig ist.
Hinsichtlich des zulässigen Teils ist die Berufung indes begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe vom 24.02. bis 15.12.2003.
Gemäß § 190 Abs. 1 Nr. 5 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches - Arbeitsförderung - (SGB III) hat Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, wer - neben weiteren Voraussetzungen - bedürftig ist. Nach § 193 Abs. 2 SGB III ist der Arbeitslose nicht bedürftig im Sinne des § 190 Abs. 1 Nr. 5 SGB III, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen, das Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder das Vermögen einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, die Erbringung von Arbeitslosenhilfe nicht gerechtfertigt ist. Unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen dies der Fall ist, konkretisieren im Einzelnen die aufgrund der Ermächtigung in § 206 Nr. 1 SGB III zu beachtenden Vorschriften der AlhiV 2002 vom 13.12.2001 (BGBl I S. 3734), die hier in der am 01.01.2003 in Kraft getretenen Fassung anzuwenden ist, die sie durch Artikel 11 des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl I S. 4607) erhalten hat.
Gemäß § 1 Abs. 1 AlhiV 2002 ist das gesamte verwertbare Vermögen des Arbeitslosen und seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt (Partner), zu berücksichtigen, soweit der Wert des Vermögens den Freibetrag übersteigt. Nach Absatz 2 dieser Vorschrift ist Freibetrag ein Betrag von 200,00 EUR je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners; dieser darf für den Arbeitslosen und seinen Partner jeweils 13.000,00 EUR nicht übersteigen. Der in Absatz 1 ermittelte Betrag mindert sich zu Beginn eines neuen Bewilligungsabschnitts in Höhe
1. des durch die Bescheinigung des Vorjahres nach § 92 Nr. 5 des Einkommenssteuergesetzes nachgewiesenen Altersvorsorgevermögens,
2. der nach Abs. 3 Nr. 4 für die Alterssicherung bestimmten Sachen und Rechte, höchstens jedoch in der Höhe, dass ein Betrag von jeweils 4.100,00 EUR nicht unterschritten wird.
Gemäß § 1 Abs. 3 AlhiV 2002 ist als Vermögen unter anderem nicht zu berücksichtigen das nach § 10a oder dem XI. Abschnitt des Einkommenssteuergesetzes (EStG) geförderte Altersvorsorgevermögen einschließlich seiner Erträge und der geförderten laufenden Altersvorsorgebeiträge, soweit der Inhaber das Altersvorsorgevermögens nicht vorzeitig steuerschädlich verwendet (Nr. 3), ferner Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist (Nr. 6). Nach Absatz 4 dieser Vorschrift ist das Vermögen ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften mit seinem Verkehrswert zu berücksichtigen. Für die Bewertung ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Antrag auf Bewilligung oder erneute Bewilligung der Arbeitslosenhilfe gestellt wird, bei späterem Erwerb von Vermögen der Zeitpunkt des Erwerbs.
Mit der Beklagten ist vorliegend von einem verwertbaren Vermögen des Klägers und seiner Ehefrau in Höhe von insgesamt 30.505,58 EUR am Beginn des neuen Bewilligungsabschnitts (24.02.2003) auszugehen. Dieses ergibt sich aus den Rückkaufswerten der Kapitallebensversicherungen des Klägers (29.054,99 EUR plus 1.450,59 EUR = 30.505,58 EUR). Unter Berücksichtigung der Lebensjahre des Klägers (48) und seiner Ehefrau (46) am 24.02.2003 ergibt sich ein Freibetrag von 18.800,00 EUR (94 x 200,00 EUR), so dass von einem zumutbar verwertbaren Vermögen in Höhe von 11.705,58 EUR auszugehen ist.
Der Freibetrag ist nicht nach § 1 Abs. 2 Satz 2 AlhiV 2002 zu mindern, denn der Berücksichtigung des oben genannten Vermögens stehen keine Tatbestände des § 1 Abs. 3 AlhiV 2002 entgegen. Insbesondere handelt es sich bei dem berücksichtigten Vermögen nicht um Altersvorsorgevermögen i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 3 AlhiV 2002 oder um für die Alterssicherung bestimmte Sachen und Rechte i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 4 AlhiV 2002. Weder der Kläger noch seine Ehefrau sind von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit (vgl. § 231 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - [SGB VI]), wie es von § 1 Abs. 3 Nr. 4 AlhiV 2002 vorausgesetzt wird.
Die Verwertung der berücksichtigten Vermögenswerte ist nicht offensichtlich unwirtschaftlich im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 6 AlhiV 2002. Offensichtlich unwirtschaftlich ist eine Verwertung nämlich nur dann, wenn der dadurch erlangte bzw. zu erzielende Gegenwert in einem (deutlichen) Mißverhältnis zum wirklichen Wert des verwerteten bzw. zu verwertenden Vermögensgegenstandes steht oder stehen würde (BSG, Urteil vom 17.10.1990 - 11 RAr 133/88 -, DBlR Nr. 3785 a zu § 137 AFG). Umgekehrt ist offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Vermögensverwertung nicht gegeben, wenn das Ergebnis der Verwertung vom wirklichen Wert nur geringfügig abweicht (BSG SozR 3 - 4100 § 137 Nr. 7). Vorliegend überstiegen zum 01.03.2003 nach eigenem Bekunden des Klägers die Rückkaufswerte die bis zu diesem Zeitpunkt eingezahlten Beiträge.
Eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Verwertung der Lebensversicherungen folgt auch nicht daraus, dass sie zur Alterssicherung bestimmt waren und diese durch die Verwertung erschwert werden könnte. Dies ausreichen zu lassen würde nämlich bedeuten, dass § 1 Abs. 3 Nr. 6 AlhiV 2002 auch die Bedeutung einer Angemessenheits- oder Billigkeitsklausel hätte. Der Senat geht davon aus, dass die Vorschrift eine solche Billigkeitsklausel nicht enthält. Den Tatbestand der Berücksichtigungsfreiheit derjenigen Vermögenswerte, die der Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung dienen (§ 6 Abs. 3 Nr. 3 AlhiV vom 07.08.1974), hat der Gesetzgeber aufgegeben, den "Unwirtschaftlichkeits"-Tatbestand dagegen in die AlhiV 2002 übernommen. Der Begriff der Unwirtschaftlichkeit ist damit in dem Sinne verobjektiviert worden, dass Erwägungen zur individuellen Zumutbarkeit der Verwertung und zur Billigkeit des Ansinnens, vorhandenes Vermögen zur Abwendung der Bedürftigkeit einzusetzen, bei der AlhiV 2002 nicht mehr anzustellen sind (vgl. LSG Berlin, Urteil vom 02.09.2003 - L 6 AL 16/03; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 13 Rdn. 204 f.).
Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der AlhiV 2002 bestehen entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht (so bereits Urteile des Senats vom 10.03.2004 - L 12 AL 156/03 - und 07.04.2004 - L 12 (9) AL 265/03 -).
Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG -) wird verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 87, 234, 255 = SozR 3-4100 § 137 Nr 3). Auf dem Gebiet des Sozialrechts ist wegen der fortwährenden schnellen Veränderungen des Arbeits-, Wirtschafts- und Soziallebens eine besonders weite Gestaltungsfreiheit eingeräumt (vgl BVerfGE 81, 156, 204). Dies bedeutet, dass nicht zu überprüfen ist, ob im Einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gefunden worden ist.
Aus der Regelung des § 1 Abs. 3 Nr. 3 AlhiV 2002 ("Riester-Renten") resultiert derzeit bereits deshalb kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, weil keine Ungleichbehandlung der Arbeitslosen, die Altersvorsorgevermögen unter Inanspruchnahme einer Förderung nach § 10a oder dem XI. Abschnitt des EStG ansparen, im Vergleich zu denjenigen besteht, die bereits über Vorsorgekapital verfügen. In beiden Fällen findet eine Anrechnung auf den Freibetrag nach § 1 Abs. 3 S. 1 AlhiV 2002 statt. Zu einem Privileg entwickelt sich die Freistellung der "Riester-Renten" erst, wenn das angesparte Kapital den Freibetrag übersteigt. Was die zukünftige unterschiedliche Anrechnung angeht, bestehen zwischen staatlich gefördertem Vermögen zur zusätzlichen Altersvorsorge und ausschließlich aus privaten Mitteln angespartem Vermögen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen. Bei den in § 1 Abs.3 Nr. 3 AlhiV 2002 vom Einsatz ausgenommenen "Riester-Renten" handelt es sich um anerkannte Versorgungsvereinbarungen, bei denen die Zweckbestimmung durch die Zertifizierung sichergestellt wird. Dagegen sind private Lebensversicherungen nicht an den Zweck der Altersvorsorge gebunden. Sie versichern zunächst das Risiko des Todesfalles. Dienen sie darüber hinaus - wie hier - der Vermögensbildung, können sie zwar vom Arbeitslosen zu einer angemessenen Altersvorsorge verwandt werden. Diese Verwendung zur Altersvorsorge ist aber nicht zwingend. Der Arbeitslose kann sich die Lebensversicherung auch bereits vorher auszahlen lassen oder nach Versicherungsende die ausgezahlte Versicherungssumme anderweitig verwenden. Mit der Freistellung der "Riester-Rente" von der Verwertung wird darüber hinaus im Sinne einer sachlich gebotenen Ausnahme die Zweckbestimmung der staatlichen Fördermittel abgesichert (vgl. zum Ganzen LSG Berlin a.a.O. unter 5.)
Der Gleichheitssatz ist auch nicht dadurch verletzt, dass die AlhiV 2002 keine dem § 88 Abs. 3 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) entsprechende Härteklausel enthält, obwohl auf der Tatbestandsseite keine sachlichen Unterschiede zwischen der Vermögensanrechnung im Rahmen der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe vorliegen, die begründen könnten, dass in dem einen Regelungszusammenhang eine Härteklausel verzichtbar ist, im anderen dagegen nicht. Mit dem LSG Berlin (a.a.O. unter 3.) ist davon auszugehen, dass dieses "strukturelle Defizit" dadurch gerechtfertigt ist, dass die Freibeträge nach der AlhiV 2002 höher sind als die Freibeträge nach dem BSHG und dies einen hinreichenden Ausgleich darstellt. Zwar hatte das LSG Berlin noch über die bis zum 31.12.2002 geltende Fassung der AlhiV 2002 zu befinden, in der mit 520 EUR pro Lebensjahr noch höhere Freibeträge vorgesehen waren, als im vorliegenden Fall berücksichtigt werden konnten. Nach Auffassung des Senats gilt das Argument aber ebenso für die Regelung ab 01.01.2003 mit den niedrigeren Freibeträgen von nur noch 200 EUR pro Lebensjahr. Denn im Vergleich zu den durch Rechtsverordnung festgelegten Freibeträgen nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG (aktuell 1.279 Euro für den Hilfsbedürftigen und 614 Euro für den Ehegatten; vgl. Spellbrink in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 13 Rdnr. 29) sind diese Vermögensfreibeträge noch immer deutlich höher. Würde man dies anders beurteilen, wäre eine verfassungskonforme Rechtsanwendung durch analoges Heranziehen der Härteklausel im BSHG bzw. durch eine allgemeine Billigkeitsprüfung entsprechend der Rechtslage nach § 6 Abs. 3 Satz 1 AlhiV 1974 zu erwägen. Zu einer Unzumutbarkeit der Vermögensverwertung würde dies vorliegend jedoch nicht führen, da weder beim Kläger noch bei dessen Ehefrau Lücken in der Alterssicherung ersichtlich sind. Soweit der Kläger auf mögliche Auswirkungen seiner gesundheitlichen Einschränkungen in der Zukunft hinweist, ist dies hypothetisch und deshalb ohne maßgebliche Bedeutung. Auch gehört weder der Kläger (1954 geboren) noch seine Ehefrau (1957 geboren) den rentennahen Jahrgängen an.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts verletzt die AlhiV 2002 auch nicht das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Die AlhiV 2002 erfüllt die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen, unter denen eine unechte Rückwirkung in Fällen zulässig ist, in denen auf den noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt für die Zukunft zum Nachteil des Betroffenen eingewirkt wird. Denn eine unechte Rückwirkung ist grundsätzlich auch unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes verfassungsrechtlich zulässig, da es keinen allgemeinen Anspruch auf den Fortbestand einer bestimmten Regelung gibt, es sei denn, dass der Betroffene mit dem gesetzlichen Eingriff nicht zu rechnen brauchte und diesen nicht bei seinen Dispositionen berücksichtigen konnte oder sein Vertrauenschutz würdiger als das mit dem Erlass der Regelung verfolgte Anliegen ist (ausführlich dazu: LSG Berlin a.a.O. unter 4. m.w.N.). Gemessen an diesen Kriterien kann sich der Kläger nicht erfolgreich auf Vertrauen in den Fortbestand der AlhiV 1974 berufen. Ebensowenig ist erkennbar, dass das Vertrauen des Klägers schutzwürdiger ist als das Anliegen des Verordnungsgebers, durch Pauschalierungen sowohl zeitraubende Ermittlungen zur Frage der Vermögensanrechnung als auch Streitfragen bei der Auslegung der Billigkeitsklausel zu vermeiden und damit das Verwaltungsverfahren zu vereinfachen und zu straffen (vgl. auch LSG Berlin a.a.O. unter 4.).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe vom 24.02.2003 bis 15.12.2003.
Der am 00.00.1954 geborene Kläger bezog nach seiner am 31.12.1993 endenden Tätigkeit als Baumaschinenführer Arbeitslosengeld, Krankengeld und ab 24.02.1997 Anschlussarbeitslosenhilfe unter Berücksichtigung der von ihm von der LVA Baden ab 29.02.1996 bezogenen Berufsunfähigkeitsrente. Bis zum Ende des Bewilligungsabschnitts am 23.02.2003 betrug der wöchentliche Leistungssatz 200,34 Euro. Der Kläger hatte am 01.01.1987 eine Kapitallebensversicherung mit einer Versicherungssumme von 82.951,00 DM und eine zweite am 01.12.1999 mit einer Versicherungssumme von 19.438,00 DM abgeschlossen. Die erste Kapitallebensversicherung wird am 01.10.2013 und die zweite am 11.12.2019 fällig. Am 01.01.2001 betrug der Rückkaufswert für die zuerst abgeschlossene Versicherung 43.614,78 DM bei eingezahlten Beiträgen in Höhe von 28.925,50 DM und für die zweite Versicherung 423,38 DM bei eingezahlten Beiträgen in Höhe von 372,71 DM. Zum 01.03.2003 beliefen sich die Rückkaufswerte über 29.054,99 EUR und 1.450,59 EUR.
Mit Bescheid vom 27.02.2003 lehnte die Beklagte den geltend gemachten Anspruch auf Arbeitslosenhilfe mangels Bedürftigkeit ab. Sie führte hierzu aus: Der Kläger verfüge gemeinsam mit seiner Ehegattin über ein Vermögen in Höhe von 30.505,58 EUR, das verwertbar und dessen Verwertung zumutbar sei. Unter Berücksichtigung der beiden Freibeträge in Höhe von 9.600,00 EUR und 9.200,00 EUR verbleibe ein Betrag von 11.705,58 EUR, der bei der Prüfung der Bedürftigkeit zu berücksichtigen sei.
Hiergegen erhob der Kläger am 11.03.2003 mit der Begründung Widerspruch, die von der Beklagten berücksichtigten Lebensversicherungen stellten kein anrechenbar verwertbares Vermögen dar, weil sie der Alterssicherung dienten. Weil er wegen seiner in recht jungen Jahren eingetretenen Berufsunfähigkeit keine Möglichkeit habe, seine Rentenanwartschaften zu steigern, sei er darauf angewiesen, sich durch private Initiative eine Altersversorgung aufzubauen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2003 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück und verblieb bei ihrer Auffassung, dass das Vermögen zu berücksichtigen sei. Es sei nur dann als der Alterssicherung dienend anzusehen, wenn der Arbeitslose oder sein Ehegatte von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 231 SGB VI befreit sei, was im Falle des Klägers aber nicht der Fall sei.
Am 01.04.2003 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Aachen Klage erhoben und darauf hingewiesen, bislang seien seine Lebensversicherungen nie angerechnet worden. Eine Anrechnung der Lebensversicherungen dürfe nicht dazu führen, dass erarbeitete Lebensgrundlagen verloren gingen und der Arbeitslose auch den Zugriff auf die letzten finanziellen Reserven dulden müsse. Bisher habe er seinen Lebensunterhalt von den Rentenzahlungen und der Überziehung seines Kontos bestritten. Dieses befinde sich mit 4.200,00 EUR im Minus.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2003 zu verurteilten, ihm Arbeitslosenhilfe ab 24.02.2003 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat an ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung festgehalten.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 18.09.2003 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 24.02.2003 Arbeitslosenhilfe nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Arbeitslosenhilfeverordnung vom 13.12.2001 (AlhiV 2002), die statt 520,00 EUR nur noch einen Freibetrag in Höhe von 200,00 EUR je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners vorsehe, sei mit höherrangigem Recht nicht vereinbar. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
Gegen das ihr am 21.10.2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12.11.2003 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, gegen die AlhiV 2002 bestünden keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 18.09.2003 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger, der das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend hält, beantragt,
die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der von ihm geltend gemachte Anspruch auf Arbeitslosenhife auf die Zeit vom 24.02. bis 15.12.2003 beschränkt wird.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unzulässig, soweit es die Beklagte versäumt hat, die Beru
fung zurückzunehmen, soweit sich die Klage nicht mehr auf Zeiträume nach dem 15.12.2003 bezieht.
Der Senat hat im Berufungsverfahren nur noch über den zulässigerweise verfolgten Anspruch des Klägers auf Gewährung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 24.02. bis 15.12.2003 zu entscheiden. Soweit der Kläger noch vor dem Sozialgericht auch für einen darüber hinausgehenden Zeitraum Arbeitslosenhilfe begehrt hat, hat sich der Rechtsstreit durch Rücknahme der sich auf diesen Teil des Anspruchs beziehenden Klage in der Hauptsache erledigt (§ 102 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Dadurch ist das Urteil des Sozialgerichts, soweit es auch der ursprünglich erhobenen weitergehenden Klage ebenfalls stattgegeben hatte, wirkungslos geworden, ohne dass es einer ausdrücklichen Aufhebung hierzu bedarf (§ 202 SGG i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz Zivilprozessordnung - ZPO -). Dem Umstand, dass hierdurch die Berufungsbeschwer teilweise weggefallen ist, hat die Beklagte nicht durch eine entsprechende teilweise Berufungsrücknahme Rechnung getragen, so dass die Berufung teilweise unzulässig ist.
Hinsichtlich des zulässigen Teils ist die Berufung indes begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe vom 24.02. bis 15.12.2003.
Gemäß § 190 Abs. 1 Nr. 5 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches - Arbeitsförderung - (SGB III) hat Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, wer - neben weiteren Voraussetzungen - bedürftig ist. Nach § 193 Abs. 2 SGB III ist der Arbeitslose nicht bedürftig im Sinne des § 190 Abs. 1 Nr. 5 SGB III, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen, das Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder das Vermögen einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, die Erbringung von Arbeitslosenhilfe nicht gerechtfertigt ist. Unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen dies der Fall ist, konkretisieren im Einzelnen die aufgrund der Ermächtigung in § 206 Nr. 1 SGB III zu beachtenden Vorschriften der AlhiV 2002 vom 13.12.2001 (BGBl I S. 3734), die hier in der am 01.01.2003 in Kraft getretenen Fassung anzuwenden ist, die sie durch Artikel 11 des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl I S. 4607) erhalten hat.
Gemäß § 1 Abs. 1 AlhiV 2002 ist das gesamte verwertbare Vermögen des Arbeitslosen und seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt (Partner), zu berücksichtigen, soweit der Wert des Vermögens den Freibetrag übersteigt. Nach Absatz 2 dieser Vorschrift ist Freibetrag ein Betrag von 200,00 EUR je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners; dieser darf für den Arbeitslosen und seinen Partner jeweils 13.000,00 EUR nicht übersteigen. Der in Absatz 1 ermittelte Betrag mindert sich zu Beginn eines neuen Bewilligungsabschnitts in Höhe
1. des durch die Bescheinigung des Vorjahres nach § 92 Nr. 5 des Einkommenssteuergesetzes nachgewiesenen Altersvorsorgevermögens,
2. der nach Abs. 3 Nr. 4 für die Alterssicherung bestimmten Sachen und Rechte, höchstens jedoch in der Höhe, dass ein Betrag von jeweils 4.100,00 EUR nicht unterschritten wird.
Gemäß § 1 Abs. 3 AlhiV 2002 ist als Vermögen unter anderem nicht zu berücksichtigen das nach § 10a oder dem XI. Abschnitt des Einkommenssteuergesetzes (EStG) geförderte Altersvorsorgevermögen einschließlich seiner Erträge und der geförderten laufenden Altersvorsorgebeiträge, soweit der Inhaber das Altersvorsorgevermögens nicht vorzeitig steuerschädlich verwendet (Nr. 3), ferner Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist (Nr. 6). Nach Absatz 4 dieser Vorschrift ist das Vermögen ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften mit seinem Verkehrswert zu berücksichtigen. Für die Bewertung ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Antrag auf Bewilligung oder erneute Bewilligung der Arbeitslosenhilfe gestellt wird, bei späterem Erwerb von Vermögen der Zeitpunkt des Erwerbs.
Mit der Beklagten ist vorliegend von einem verwertbaren Vermögen des Klägers und seiner Ehefrau in Höhe von insgesamt 30.505,58 EUR am Beginn des neuen Bewilligungsabschnitts (24.02.2003) auszugehen. Dieses ergibt sich aus den Rückkaufswerten der Kapitallebensversicherungen des Klägers (29.054,99 EUR plus 1.450,59 EUR = 30.505,58 EUR). Unter Berücksichtigung der Lebensjahre des Klägers (48) und seiner Ehefrau (46) am 24.02.2003 ergibt sich ein Freibetrag von 18.800,00 EUR (94 x 200,00 EUR), so dass von einem zumutbar verwertbaren Vermögen in Höhe von 11.705,58 EUR auszugehen ist.
Der Freibetrag ist nicht nach § 1 Abs. 2 Satz 2 AlhiV 2002 zu mindern, denn der Berücksichtigung des oben genannten Vermögens stehen keine Tatbestände des § 1 Abs. 3 AlhiV 2002 entgegen. Insbesondere handelt es sich bei dem berücksichtigten Vermögen nicht um Altersvorsorgevermögen i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 3 AlhiV 2002 oder um für die Alterssicherung bestimmte Sachen und Rechte i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 4 AlhiV 2002. Weder der Kläger noch seine Ehefrau sind von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit (vgl. § 231 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - [SGB VI]), wie es von § 1 Abs. 3 Nr. 4 AlhiV 2002 vorausgesetzt wird.
Die Verwertung der berücksichtigten Vermögenswerte ist nicht offensichtlich unwirtschaftlich im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 6 AlhiV 2002. Offensichtlich unwirtschaftlich ist eine Verwertung nämlich nur dann, wenn der dadurch erlangte bzw. zu erzielende Gegenwert in einem (deutlichen) Mißverhältnis zum wirklichen Wert des verwerteten bzw. zu verwertenden Vermögensgegenstandes steht oder stehen würde (BSG, Urteil vom 17.10.1990 - 11 RAr 133/88 -, DBlR Nr. 3785 a zu § 137 AFG). Umgekehrt ist offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Vermögensverwertung nicht gegeben, wenn das Ergebnis der Verwertung vom wirklichen Wert nur geringfügig abweicht (BSG SozR 3 - 4100 § 137 Nr. 7). Vorliegend überstiegen zum 01.03.2003 nach eigenem Bekunden des Klägers die Rückkaufswerte die bis zu diesem Zeitpunkt eingezahlten Beiträge.
Eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Verwertung der Lebensversicherungen folgt auch nicht daraus, dass sie zur Alterssicherung bestimmt waren und diese durch die Verwertung erschwert werden könnte. Dies ausreichen zu lassen würde nämlich bedeuten, dass § 1 Abs. 3 Nr. 6 AlhiV 2002 auch die Bedeutung einer Angemessenheits- oder Billigkeitsklausel hätte. Der Senat geht davon aus, dass die Vorschrift eine solche Billigkeitsklausel nicht enthält. Den Tatbestand der Berücksichtigungsfreiheit derjenigen Vermögenswerte, die der Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung dienen (§ 6 Abs. 3 Nr. 3 AlhiV vom 07.08.1974), hat der Gesetzgeber aufgegeben, den "Unwirtschaftlichkeits"-Tatbestand dagegen in die AlhiV 2002 übernommen. Der Begriff der Unwirtschaftlichkeit ist damit in dem Sinne verobjektiviert worden, dass Erwägungen zur individuellen Zumutbarkeit der Verwertung und zur Billigkeit des Ansinnens, vorhandenes Vermögen zur Abwendung der Bedürftigkeit einzusetzen, bei der AlhiV 2002 nicht mehr anzustellen sind (vgl. LSG Berlin, Urteil vom 02.09.2003 - L 6 AL 16/03; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 13 Rdn. 204 f.).
Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der AlhiV 2002 bestehen entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht (so bereits Urteile des Senats vom 10.03.2004 - L 12 AL 156/03 - und 07.04.2004 - L 12 (9) AL 265/03 -).
Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG -) wird verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 87, 234, 255 = SozR 3-4100 § 137 Nr 3). Auf dem Gebiet des Sozialrechts ist wegen der fortwährenden schnellen Veränderungen des Arbeits-, Wirtschafts- und Soziallebens eine besonders weite Gestaltungsfreiheit eingeräumt (vgl BVerfGE 81, 156, 204). Dies bedeutet, dass nicht zu überprüfen ist, ob im Einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gefunden worden ist.
Aus der Regelung des § 1 Abs. 3 Nr. 3 AlhiV 2002 ("Riester-Renten") resultiert derzeit bereits deshalb kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, weil keine Ungleichbehandlung der Arbeitslosen, die Altersvorsorgevermögen unter Inanspruchnahme einer Förderung nach § 10a oder dem XI. Abschnitt des EStG ansparen, im Vergleich zu denjenigen besteht, die bereits über Vorsorgekapital verfügen. In beiden Fällen findet eine Anrechnung auf den Freibetrag nach § 1 Abs. 3 S. 1 AlhiV 2002 statt. Zu einem Privileg entwickelt sich die Freistellung der "Riester-Renten" erst, wenn das angesparte Kapital den Freibetrag übersteigt. Was die zukünftige unterschiedliche Anrechnung angeht, bestehen zwischen staatlich gefördertem Vermögen zur zusätzlichen Altersvorsorge und ausschließlich aus privaten Mitteln angespartem Vermögen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen. Bei den in § 1 Abs.3 Nr. 3 AlhiV 2002 vom Einsatz ausgenommenen "Riester-Renten" handelt es sich um anerkannte Versorgungsvereinbarungen, bei denen die Zweckbestimmung durch die Zertifizierung sichergestellt wird. Dagegen sind private Lebensversicherungen nicht an den Zweck der Altersvorsorge gebunden. Sie versichern zunächst das Risiko des Todesfalles. Dienen sie darüber hinaus - wie hier - der Vermögensbildung, können sie zwar vom Arbeitslosen zu einer angemessenen Altersvorsorge verwandt werden. Diese Verwendung zur Altersvorsorge ist aber nicht zwingend. Der Arbeitslose kann sich die Lebensversicherung auch bereits vorher auszahlen lassen oder nach Versicherungsende die ausgezahlte Versicherungssumme anderweitig verwenden. Mit der Freistellung der "Riester-Rente" von der Verwertung wird darüber hinaus im Sinne einer sachlich gebotenen Ausnahme die Zweckbestimmung der staatlichen Fördermittel abgesichert (vgl. zum Ganzen LSG Berlin a.a.O. unter 5.)
Der Gleichheitssatz ist auch nicht dadurch verletzt, dass die AlhiV 2002 keine dem § 88 Abs. 3 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) entsprechende Härteklausel enthält, obwohl auf der Tatbestandsseite keine sachlichen Unterschiede zwischen der Vermögensanrechnung im Rahmen der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe vorliegen, die begründen könnten, dass in dem einen Regelungszusammenhang eine Härteklausel verzichtbar ist, im anderen dagegen nicht. Mit dem LSG Berlin (a.a.O. unter 3.) ist davon auszugehen, dass dieses "strukturelle Defizit" dadurch gerechtfertigt ist, dass die Freibeträge nach der AlhiV 2002 höher sind als die Freibeträge nach dem BSHG und dies einen hinreichenden Ausgleich darstellt. Zwar hatte das LSG Berlin noch über die bis zum 31.12.2002 geltende Fassung der AlhiV 2002 zu befinden, in der mit 520 EUR pro Lebensjahr noch höhere Freibeträge vorgesehen waren, als im vorliegenden Fall berücksichtigt werden konnten. Nach Auffassung des Senats gilt das Argument aber ebenso für die Regelung ab 01.01.2003 mit den niedrigeren Freibeträgen von nur noch 200 EUR pro Lebensjahr. Denn im Vergleich zu den durch Rechtsverordnung festgelegten Freibeträgen nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG (aktuell 1.279 Euro für den Hilfsbedürftigen und 614 Euro für den Ehegatten; vgl. Spellbrink in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 13 Rdnr. 29) sind diese Vermögensfreibeträge noch immer deutlich höher. Würde man dies anders beurteilen, wäre eine verfassungskonforme Rechtsanwendung durch analoges Heranziehen der Härteklausel im BSHG bzw. durch eine allgemeine Billigkeitsprüfung entsprechend der Rechtslage nach § 6 Abs. 3 Satz 1 AlhiV 1974 zu erwägen. Zu einer Unzumutbarkeit der Vermögensverwertung würde dies vorliegend jedoch nicht führen, da weder beim Kläger noch bei dessen Ehefrau Lücken in der Alterssicherung ersichtlich sind. Soweit der Kläger auf mögliche Auswirkungen seiner gesundheitlichen Einschränkungen in der Zukunft hinweist, ist dies hypothetisch und deshalb ohne maßgebliche Bedeutung. Auch gehört weder der Kläger (1954 geboren) noch seine Ehefrau (1957 geboren) den rentennahen Jahrgängen an.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts verletzt die AlhiV 2002 auch nicht das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Die AlhiV 2002 erfüllt die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen, unter denen eine unechte Rückwirkung in Fällen zulässig ist, in denen auf den noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt für die Zukunft zum Nachteil des Betroffenen eingewirkt wird. Denn eine unechte Rückwirkung ist grundsätzlich auch unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes verfassungsrechtlich zulässig, da es keinen allgemeinen Anspruch auf den Fortbestand einer bestimmten Regelung gibt, es sei denn, dass der Betroffene mit dem gesetzlichen Eingriff nicht zu rechnen brauchte und diesen nicht bei seinen Dispositionen berücksichtigen konnte oder sein Vertrauenschutz würdiger als das mit dem Erlass der Regelung verfolgte Anliegen ist (ausführlich dazu: LSG Berlin a.a.O. unter 4. m.w.N.). Gemessen an diesen Kriterien kann sich der Kläger nicht erfolgreich auf Vertrauen in den Fortbestand der AlhiV 1974 berufen. Ebensowenig ist erkennbar, dass das Vertrauen des Klägers schutzwürdiger ist als das Anliegen des Verordnungsgebers, durch Pauschalierungen sowohl zeitraubende Ermittlungen zur Frage der Vermögensanrechnung als auch Streitfragen bei der Auslegung der Billigkeitsklausel zu vermeiden und damit das Verwaltungsverfahren zu vereinfachen und zu straffen (vgl. auch LSG Berlin a.a.O. unter 4.).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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