L 4 KR 15/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 KR 87/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 15/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 42/04 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten wird mit der Massgabe zurückgewiesen, dass sie lediglich verpflichtet ist, die Klägerin von den Kosten der Katheterisierung für die Zeit vom 27.10.2002 bis 31.12.2002 ein Mal täglich an 4 Tagen der Woche freizustellen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten auch der Berufung zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist häusliche Krankenpflege (Katheterisierung der Blase) vom 27.10.2002 bis 31.12.2002.

Die 1983 geborene Klägerin war bis September 2002 bei der Beklagten familienversichert und ist seitdem deren Mitglied. Die Klägerin besuchte früher eine tagesstrukturierende Einrichtung in der P. Schule und arbeitete anschließend in einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen in S,. Sie wohnt zuhause bei ihren Eltern und Geschwistern; Betreuerin ist ihre Mutter.

Bei der Klägerin bestehen folgende Gesundheitsstörungen: 1. Zustand nach Verschluss einer thoracalen Meningomyelocele, 2. Shunt-versorgter Hydrocephalus, 3. Chiari-II-Fehlbildung, 4. Zustand nach Columnotomie 1992 und 5. Latexallergie (Arztbrief des Klinikum der Universität M. vom 19.02. 2002). Nach dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK) vom 09.6.1995 bestehen bei der Klägerin außerdem eine Blasen- und Mastdarmlähmung und eine Kyphoskoliose. Die Klägerin ist mit einem Rollstuhl versorgt. Sie erhält vom Landratsamt S. laufende Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz. Das Versorgungsamt Regensburg hat bei ihr einen GdB von 100 sowie die Merkzeichen G, aG, H und RF zuerkannt.

Das Gutachten des MDK, in dem Pflegebedürftigkeit nach der Pflegestufe III seit April 1995 festgestellt wird, enthält die Bemerkung, dass die Mutter der Klägerin bei der Darm- und Blasenentleerung hilft und fünfmal 20 Minuten täglich die Klägerin katheterisiert.

Der Allgemeinarzt Dr.B. verordnete (nach dem Inhalt der Akten seit September 2002) häusliche Krankenpflege zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung in Form von einmal täglicher Katheterisierung viermal wöchentlich. Auf die entsprechende vertragsärztliche Verordnung vom 13.09.2002, mit der die Katheterisierung vom 13. bis 30.09.2002 und anschließend bis 31.12.2002 für erforderlich gehalten wurde, hörte die Beklagte den MDK, der in der Stellungnahme vom 18.10.2002 einen weiteren Bedarf der Katheterisierung entsprechend der vorgelegten Verordnungen nicht für erforderlich hielt.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 23.10.2002 die für die Zeit vom 01.10. bis 31.12.2002 verordnete häusliche Krankenpflege in Form der Katheterisierung ab 27.10.2002 aus Mitteln der Krankenversicherung ab. Die Leistung sei bereits bei der Zuordnung zu der Pflegestufe in der Pflegeversicherung berücksichtigt worden und könne als Sachleistung der Pflegeversicherung beansprucht werden.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie müsse auf Grund der Blasen- und Mastdarmlähmung regelmäßig fünfmal täglich katheterisiert werden, um rezidivierenden Harnwegsinfekten, einem Reflux und somit letztlich einer Niereninsuffizienz vorzubeugen. Das Katheterisieren müsse im medizinischen Rahmen der Behandlungspflege durch einen Pflegedienst auch in der Werkstatt für behinderte Menschen regelmäßig durchgeführt werden. Die Maßnahme sei in der Werkstatt eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (häusliche Krankenpflege) und nicht eine Leistung der Pflegeversicherung.

Der nochmals von der Beklagten gehörte MDK hielt in der Stellungnahme vom 19.12.2002 die Katheterisierung medizinisch für erforderlich, die Maßnahme sei jedoch keine Behandlungspflege, sondern Teil der Pflegeleistungen.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 04.02.2003 unter Bezugnahme auf die höchstrichterliche Rechtsprechung und einen Beschluss des Bayer. Landessozialgerichts eine Kostenübernahme ab; es handle sich um eine Maßnahme der Grundpflege, die in die Leistungspflicht der Pflegeversicherung falle.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 27.02.2003 den Widerspruch zurück. Der Anspruch auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege sei ausgeschlossen, wenn die benötigten Maßnahmen der Behandlungspflege bereits bei den Leistungen der Pflegeversicherung berücksichtigt worden seien. Insoweit scheide ein dieselbe Maßnahme betreffender Anspruch auf häusliche Krankenpflege als Sachleistung der Krankenversicherung aus, weil es an der Notwendigkeit einer gesonderten Leistung der Krankenversicherung im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgebots fehle. Die Einmalkatheterisierung falle als eine mit der Grundpflege zeitlich notwendig zusammenhängende Maßnahme der Behandlungspflege in die Leistungspflicht der Pflegeversicherung. Zur Leistungspflicht der Pflegeversicherung zähle die Behandlungspflege nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung dann, wenn es sich um eine Maßnahme handle, die untrennbarer Bestandteil einer Verrichtung aus dem Katalog des § 14 Abs.4 Sozialgesetzbuch (SGB) XI sei oder jedenfalls mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang stehe.

Die Klägerin hat hiergegen am 06.03.2003 Klage beim Sozialgericht Regensburg (SG) erhoben. Die Beklagte habe die angemessenen Kosten der häuslichen Krankenpflege für die selbstbeschaffte Pflegekraft für den Zeitraum ab dem 27.10.2002 zu übernehmen. Die Klägerin werde weitgehend zu Hause versorgt; sie müsse aber auch während ihres Aufenthalts in der Werkstatt für behinderte Menschen versorgt werden. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen habe entschieden, dass Leistungen der häuslichen Krankenpflege auch außerhalb der Familienwohnung erbracht werden können.

Am 24.03.2003 hat Dr.B. häusliche Krankenpflege (einmal täglich Katheterisierung) für die Zeit vom 01.04. bis 30.06.2003 verordnet. Mit Bescheid vom 08.04 2003 hat die Beklagte Kostenübernahme der Katheterisierung einmal täglich, viermal wöchentlich für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.2003 erneut abgelehnt. Hiergegen hat die Klägerin wiederum Widerspruch eingelegt. Sie hat mitgeteilt, dass der Pflegedienst (Bayerisches Rotes Kreuz, Sozialstation S.) die Kosten bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens stunde. Nachdem die Klägerin ihren Widerspruch aufrecht erhalten hat, hat der MDK in der Stellungnahme vom 28.04.2003 ausgeführt, das Katheterisieren sei eine krankheitsspezifische Pflegemaßnahme auch in der Behinderteneinrichtung.

Das SG hat mit Urteil vom 09.10.2003 die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide verurteilt, die Klägerin von der Forderung des Pflegedienstes wegen des Katheterisierens freizustellen. Bei dem Katheterisieren handle es sich um eine Maßnahme der Behandlungspflege, für die die Beklagte als Krankenkasse im Rahmen der häuslichen Krankenpflege leistungspflichtig sei. Das Gericht sehe sich nicht durch die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege daran gehindert, für die Zeit ab deren Inkrafttreten (14.05.2000) weiterhin die Einmalkatheterisierung bei der Klägerin als notwendige Maßnahme der häuslichen Krankenpflege anzusehen. Auch wenn nach dem Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahme der häuslichen Krankenpflege das regelmäßige Erfordernis der Einmalkatheterisierung dem Bereich der Grundpflege zugeordnet werde, schließe dies einen Anspruch auf Leistungen der Krankenpflege nicht aus. Denn die gesetzliche Vorschrift als höherrangiges Recht erfasse Ansprüche auf Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich seien. Durch die Richtlinien könne ein im Gesetz festgelegter Anspruch weder beseitigt noch eingeschränkt werden. Die Verschiebung einer Maßnahme der häuslichen Krankenpflege in die Grundpflege bedeute letztlich eine erhebliche Einschränkung des Leistungsanspruchs, da Leistungen der häuslichen Krankenpflege in unbeschränkter Höhe zu erbringen, während die Leistungen der Grundpflege nach dem Sozialgesetzbuch XI gedeckelt seien.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten vom 20.01.2004. Das angefochtenen Urteil widerspreche der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Es stelle sich hier nicht die Frage, ob die Einmalkatheterisierung während des Besuchs der Behindertenwerkstätte übernommen werden müsse, da es schon keine Maßnahme sei, die im häuslichen Bereich von der Beklagten als häusliche Krankenpflege geschuldet worden wäre. Soweit krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen im Rahmen der Pflegeversicherung geschuldet würden, seien sie auch in einer solchen Einrichtung als Pflegeleistung zu erbringen. Das Katheterisieren sei eine Behandlungspflegemaßnahme, die Berücksichtigung bei den Pflegezeiten der Pflegeversicherung zur Anerkennung der Pflegestufe III gefunden habe. Sie dürfe nicht noch ein zweites Mal von der Beklagten bezahlt werden. Dieser Auffassung habe sich auch das Bayer. Landessozialgericht angeschlossen. Das von der Klägerin genannte Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen betreffe den hier nicht vorliegenden Fall der Auslegung des Begriffs Haushalt. Die Frage der Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Abgrenzung zu Leistungen der ambulanten Pflege nach dem SGB XI seien weder nach dem Tatbestand, noch den Entscheidungsgründen Gegenstand des dortigen Verfahrens gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 09.10.2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Klägerbevollmächtigte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Katheterisierung sei eine Maßnahme der Behandlunspflege und nicht der Grundpflege, somit sei die Beklagte leistungspflichtig. Die von der Beklagten zitierte höchstrichterliche Rechtsprechung beziehe sich lediglich auf den Fall des An- und Ausziehens von Kompressionsstrümpfen, der im SGB XI genannt sei.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 500,00 EUR (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG). Maßgebend hierfür ist, dass das SG entsprechend Ziffer I. und II. des angefochtenen Urteils die Beklagte zur Leistung vom 27.10.2002 bis 31.03.2003 verurteilt hat; nach den Feststellungen der Beklagten betragen die Kosten der Blasenkatheterisierung je Quartal insgesamt mindestens 1.475,56 EUR.

Die Berufung ist unbegründet; das angefochtene Urteil war jedoch im Tenor zu präzisieren und in den Entscheidungsgründen insoweit klarzustellen, als der von der Klägerin streitig gemachte Zeitraum sich lediglich vom 27.10. bis 31.12.2002 erstreckt (Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten an das SG vom 06.10.2003). Schon deswegen war eine Aufhebung der Folgebescheide durch das SG entbehrlich, ohne dass es noch auf § 96 SGG ankommt.

Die Klägerin hat vom 27.10. bis 31.12.2002 Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form der vertragsärztlich verordneten Katheterisierung (1x täglich, 4x wöchentlich) gegen die beklagte Krankenkasse.

§ 37 Sozialgesetzbuch V (SGB V) enthält zwei Leistungsformen der häuslichen Krankenpflege, nämlich die sogenannte Krankenhausvermeidungspflege (§ 37 Abs.1 SGB V) und die Behandlungssicherungspflege (§ 37 Abs.2 SGB V). Im vorliegenden Fall kommt lediglich die vertragsärztlich verordnete Behandlungssicherungspflege in Betracht und zwar, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Die Satzung kann bestimmen, dass die Krankenkasse zusätzlich zur Behandlungspflege nach Satz 1 als häusliche Krankenpflege auch Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung erbringt. Die Satzung kann dabei Dauer und Umfang der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung nach Satz 2 bestimmen. Eine solche Bestimmung sieht die Beklagtensatzung nicht vor. Leistungen nach den Sätzen 2 und 3 sind nach Eintritt von Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI nicht zulässig. § 37 Abs.3 SGB V regelt, dass der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur besteht, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann.

Bei der hier streitigen Katheterisierung handelt es sich, wie die Beklagte im Widerspruchsbescheid und in der Berufungsbegründung anerkannt hat, um eine Maßnahme der Behandlungspflege als Teil der Behandlungssicherungspflege. Damit muss insoweit über eine Abgrenzung zur Grundpflege nicht entschieden werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gehören zur Behandlungspflege alle Pflegemaßnahmen, die durch eine bestimmte Erkrankung verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern (BSG vom 20.05.2003 SozR 4-2500 § 37 Nr.1 = SozR 4-2500 § 32 Nr.1 mit weiteren Hinweisen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung). Auch der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat in den Richtlinien über die Verordnung von "häuslicher Krankenpflege" nach § 92 Abs.1 Satz 2 Nr.6 und 7 SGB V vom 16.02.2000 (BAnz Nr.91 S.8878) in dem dazugehörigen Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege unter dem Abschnitt Leistungen der Behandlungspflege in Nr.23 die Katheterisierung der Harnblase, nämlich Einlegen, Entfernen oder Wechseln eines transurethralen Dauerkatheters in die Harnblase zur Ableitung des Urins der Behandlungspflege zugeordnet. Es handelt sich hierbei allgemein um eine nichtärztliche medizinische Fachpflege, die aber nicht notwendig von Fachkräften erbracht werden muss, in Abgrenzung zur Grundpflege um medizinisch indizierte und geprägte Hilfeleistungen (Kasseler Kommentar - Höfler, § 37 SGB V, Rdnr.23 mit weiteren Nachweisen).

Die tägliche Abwesenheit der Klägerin auf Grund einer Tätigkeit in einer Behindertenwerkstatt führt nicht zu einem Entfallen bzw. einer Verringerung der streitigen Leistung. Denn auch durch diese nur vorübergehende Abwesenheit der Klägerin ist der Begriff Haushalt als Leistungsort nach wie vor erfüllt. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 21.11.2002 SozR 3-2500 § 37 Nr.5 = BSGE 90, 143) wird der Anspruch auf Gewährung häuslicher Krankenpflege zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Leistung außerhalb der Wohnung des Versicherten erbracht werden muss. Denn § 37 Abs.2 Satz 1 SGB V begrenzt die Leistungspflicht der Krankenkasse nicht räumlich auf den Haushalt des Versicherten oder seiner Familie als Leistungsort und schließt medizinisch erforderliche Maßnahmen, die bei vorübergehenden Aufenthalten außerhalb der Familienwohnung anfallen, dann nicht aus, wenn sich der Versicherte ansonsten ständig in seinem Haushalt bzw. in dem Haushalt seiner Familie aufhält und dort seinen Lebensmittelpunkt hat. Dem Gesetzgeber ging es bei der Umschreibung des Aufenthaltsortes des Versicherten im Rahmen der Behandlungspflege vor allem um eine Abgrenzung zur Leistungserbringung im stationären Bereich. Der Regelung liegt zu Grunde, dass Behandlungspflege dort zu erbringen ist, wo die Versorgung des Versicherten mit Grundpflege und hauswirtschaftlicher Hilfe, vergleichbar der Versorgung bei stationärer Behandlung im Krankenhaus, sichergestellt ist. Das BSG nimmt zur weiteren Begründung Bezug auf die Vorgängervorschrift des § 185 Reichsversicherungsordnung (RVO), bei der es mit der Verwendung des Begriffs "in ihrem Haushalt oder ihrer Familie" lediglich um eine Unterscheidung von der Krankenhausversorgung gegangen ist. Ebenso wie in der Pflegeversicherung hängt auch bei der Behandlungspflege der Anspruch des Versicherten nicht davon ab, dass er sich ständig zu Hause aufhält. Im Hinblick auf den vorrangigen Zweck der Behandlungspflege, das Ziel der ärztlichen Behandlung, also die Heilung, Besserung oder Verhütung einer Verschlimmerung einer Krankheit zu sichern, ist der Aufenthaltsort des Versicherten, sofern nicht Krankenhausbehandlung oder vollstationäre Pflege vorliegt, ohne Belang. Im vorliegenden Fall kann die Sicherung des Erfolgs der ärztlichen Behandlung der Klägerin auch während ihres kurzzeitigen Aufenthalts in der Behindertenwerkstatt oder durch andere kurzzeitige Abwesenheit von zu Hause (z.B. Gottesdienstbesuche, Teilnahme an Veranstaltungen) in gleicher Weise erreicht werden wie zu Hause.

Im Verhältnis zu den Leistungen der Pflegeversicherung gilt, dass der Anspruch auf Gewährung häuslicher Krankenpflege grundsätzlich nicht schon dann ausgeschlossen ist, wenn der Betroffene im Sinne der §§ 14, 15 SGB XI pflegebedürftig ist, und zugleich Leistungen bei häuslicher Pflege aus der sozialen Pflegeversicherung erhält. Der Anspruch aus der sozialen Pflegeversicherung ruht, soweit im Rahmen des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege auch Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung besteht (§ 34 Abs.2 SGB XI). Die Behandlungssicherungspflege wird durch die gleichzeitige Gewährung von Grundpflege als Leistung der sozialen Pflegeversicherung nicht ausgeschlossen. Der Anspruch ist aber dann ausgeschlossen, wenn die benötigten Maßnahmen der Behandlungspflege bereits bei den Leistungen der Pflegeversicherung berücksichtigt worden sind. Insoweit scheidet ein dieselbe Maßnahme betreffender Anspruch auf häusliche Krankenpflege als Sachleistung der Krankenversicherung aus, weil es an der Notwendigkeit einer gesonderten Leistung der Krankenversicherung im Sinne von § 12 Abs.1 SGB V fehlt (BSG vom 30.10. 2001 SozR 3-2500 § 37 Nr.3 = NZS 2002, 484, BSG vom 20.05.2003, a.a.O., BSG vom 31.08.2000 SozR 3-3300 § 14 Nr.15 = NZS 2001, 265).

Nach dieser ständigen Rechtsprechung des BSG sind krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen (Behandlungspflege) bei der Feststellung des individuellen Hilfebedarfs im Bereich der Grundpflege (nur dann) zu berücksichtigen, wenn sie entweder Bestandteil der Hilfe bei einer der Verrichtungen des § 14 Abs.4 Nrn.1 bis 3 SGB XI sind oder wenn sie aus medizinisch-pflegerischen Gründen in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dieser Hilfe erforderlich werden.

Im vorliegenden Fall kommt es also darauf an, ob das vertragsärztlich verordnete Katheterisieren bereits eine Leistung ist, für die die Pflegeversicherung in der Pflegestufe III Leistungen erbringt. Nach dem Pflegegutachten des MDK vom 09.06. 1995 leidet die Klägerin unter anderem an einer Blasen- und Mastdarmlähmung. Es besteht ein Hilfebedarf bei der Darm-/Blasenentleerung, die notwendige Hilfe wird mittels eines Einmalkatheters durchgeführt. Diese Leistung fällt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht unter die in § 14 Abs.4 Nr.1 SGB XI genannte gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtung der Blasenentleerung. Hierunter versteht die Rechtsprechung des BSG die Abführung der Körperflüssigkeit, die in den Nieren produziert worden ist und sich in der natürlichen Harnblase oder in einem Blasenersatz mit künstlich geschaffenem Harnausgang gesammelt hat. Dieser Begriff der Blasenentleerung liegt auch den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien - BRi) vom 21.03.1997 zu Grunde. Dass die Verwendung eines Katheters das geeignete Mittel ist, die Blasenentleerung durchzuführen, ergibt sich aus der Entscheidung des BSG vom 31.08.2000 (SozR 3-3300 § 14 Nr.15).

Das BSG hat im Urteil vom 12.11.2003 (SozR 4-3300 § 14 Nr.3) bei der Auslegung des Begriffs "Blasenentleerung" auf die BRi abgestellt. Dieser Ansicht schließt sich der Senat an. Für die Auffassung der Beklagten spricht, dass die BRi unter 4.3.7 (Ausscheiden können) auch die Katheterhygiene und die Handhabung der Hilfsmittel erwähnen. Hierbei geht es jedoch nach der Überschrift des Abschnitts um die Fähigkeiten in Bezug auf die Aktivitäten des täglichen Lebens. Bezüglich des hier zu prüfenden Hilfebedarfs bei den Verrichtungen des täglichen Lebens kommt es nach der Auffassung des Senats auf die BRi D Ziffer V 5.1.7 (Die Darm- und Blasenentleerung) an. Danach werden Maßnahmen der Behandlungspflege, wie zum Beispiel das Katheterisieren nicht berücksichtigt. Das Katheterisieren wird der Grundpflege nicht zugeordnet und steht auch nicht in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit ihr. Sie bleibt somit im vorliegenden Fall Teil der Behandlungspflege. Für diese Ansicht des Senats spricht auch, dass es sich hierbei um eine originär ärztliche Leistung handelt (Nr. 1720 ff. BMÄ, zuletzt Stand Oktober 1994), die vom Arzt delegiert werden kann (vgl. z.B. www.pflegenet.com - Pflegestandards transurethraler Blasenkatheter Frau).

Allerdings hat das BSG in der von der Beklagten genannten Entscheidung (Urteil vom 22.08.2001, USK 2001-84) festgestellt, dass die Katheterisierung zu den krankheitsspezifischen Hilfeleistungen zählt; sie ist mit der Verrichtung Blasenentleerung untrennbar verbunden. Danach hätte die Klägerin wegen eines sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs mit einer Verrichtung im Sinne der Pflegeversicherung keinen entsprechenden Anspruch auf häusliche Krankenpflege. Zur Klärung dieser Frage hat der Senat die Revision nach § 160 Abs.2 Nrn. 1 und 2 SGG zugelassen.

Der Senat konnte von der beantragten Anhörung eines bestimmten Arztes (§ 109 SGG) absehen, weil die am 13.10.2004 mitgeteilten Beweisfragen nach seiner Rechtsauffassung nicht klärungsbedürftig sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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