Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 6 AL 328/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 275/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11a AL 13/05 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 12. Juni 2003 und die Bescheide vom 21. und 28. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. August 2001 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 08.11. bis 05.12.2000 und die Erstattung von 1.637,22 DM bzw. 837,09 EUR streitig.
Der 1963 geborene Kläger bezog nach Beschäftigungen als Vulkanisierarbeiter und Lagerist ab 16.12.1999 Arbeitslosengeld (Alg) und ab 25.09.2000 Alhi. Die Beklagte forderte ihn mit einem am 08.11.2000 übergebenen Schreiben auf, Eigenbemühungen bei mindestens fünf Arbeitgebern zu unternehmen und am 05.12.2000 entsprechende Nachweise vorzulegen bzw. überprüfbare Angaben zu machen. Würden keine ausreichenden Eigenbemühungen unternommen, läge Arbeitslosigkeit nicht vor, so dass die Entscheidung über die ihm bewilligte Leistung für den Zeitraum ab dem Zugang dieser Aufforderung bis zu dem genannten Nachweistermin zurückzunehmen oder aufzuheben sei (§§ 45, 48 SGB X i.V.m. § 330 SGB III). Darüber hinaus beabsichtige man, die Leistung wegen fehlender Mitwirkung bis zu deren Nachholung gemäß § 66 SGB I ganz zu entziehen bzw. zu versagen.
Laut Vermerk vom 11.12.2000 sprach am 05.12.2000 die Ehefrau des Klägers vor und übergab eine Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung für die Zeit ab 05. bis voraussichtlich 08.12.2000. Nach dieser Bescheinigung durfte der Kläger kein Kfz lenken.
Mit Bescheid vom 21.03.2001 hob die Beklagte die Bewilligung der Alhi für die Zeit vom 08.11. bis 05.12.2000 auf. Der Kläger habe in einem Beratungsgespräch am 09.03.2001 erklärt, in dieser Zeit keine Eigenbemühungen unternommen zu haben. Er habe wissen müssen, dass die fehlenden Eigenbemühungen zum Wegfall bzw. Verlust des Anspruches führten. Die bezogenen Leistungen in Höhe von 1.299,48 DM seien zu erstatten.
Mit weiterem Bescheid vom 28.03.2001 forderte die Beklagte die Erstattung der in der Zeit vom 08.11. bis 05.12.2000 entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 337,74 DM.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, die Leistung hätte nicht rückwirkend entzogen werden dürfen. Er habe ab 08.11.2000 keine Eigenbemühungen unternehmen können, weil er aufgrund seiner Krankheit nicht mehr in der Lage gewesen sei, einer geordneten Arbeit nachzugehen. Er legte ein Attest des Allgemeinarztes Dr.G. vom 08.03.2001 vor, wonach er in der Zeit vom 23.10.2000 bis Januar, wenn nicht Februar 2001 nicht in der Lage gewesen sei, einer geregelten und geordneten Arbeit nachzugehen. Für den genannten Zeitraum habe ganz sicher Arbeitsunfähigkeit (AU) bestanden. Wohl aus Unkenntnis habe der Kläger nicht um eine Krankmeldung gebeten.
Mit Schreiben vom 26.07.2001 gab die Beklagte zur Heilung des Formverstoßes der fehlenden Anhörung dem Kläger nochmals Gelegenheit zu einer ergänzenden Stellungnahme binnen zwei Wochen. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.08.2001 wies sie den Widerspruch als unbegründet zurück. Eine wesentliche Änderung in den für den Alhi-Anspruch maßgebenden Verhältnissen sei ab 08.11. 2000 durch den Wegfall der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen der Arbeitslosigkeit eingetreten. Trotz des ganz konkreten Hinweises vom 08.11.2000 auf seine Nachweispflicht habe der Kläger keinerlei Eigenbemühungen unternommen. Soweit er unter Bezugnahme auf das vorgelegte Attest ausführe, aufgrund einer Krankheit nicht in der Lage gewesen zu sein, einer geregelten Arbeit nachzugehen, sei Arbeitslosigkeit jedenfalls wegen fehlender Arbeitsfähigkeit zu verneinen. Ein Anspruch auf Leistungsfortzahlung nach § 126 SGB III bestehe nicht, weil für die Zeit vor dem 05.12.2000 keine AU-Bescheinigung vorgelegt worden sei.
Mit seiner zum Sozialgericht Landshut (SG) erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, ihm sei nicht bekannt gewesen, dass er auch während seiner Arbeitslosigkeit eine ärztliche AU-Bescheinigung benötige.
Mit Urteil vom 12.06.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Eine Arbeitsunfähigkeit ab Oktober 2000 sei durch das Attest vom 08.03.2001 nicht nachgewiesen. In der Zeit zwischen Juli und Dezember 2000 seien detaillierte AU-Bescheinigungen für andere Zeiträume vorgelegt worden, von diesen werde die streitige Zeit nicht umfasst. Durch die Vielzahl der vorgelegten AU-Bescheinigungen sei auch nachgewiesen, dass der Kläger sehr wohl Kenntnis von der Notwendigkeit gehabt habe, auch als Leistungsbezieher seine Arbeitsunfähigkeit durch entsprechende Bescheinigungen nachzuweisen.
Zur Begründung seiner gegen dieses Urteil eingelegten Berufung verweist der Kläger auf das bereits vorgelegte Attest des Dr.G. vom 08.03.2001 und die dort bescheinigte Einnahme des Medikaments Tranxilium und zweier anderer Medikamente; nach der Medikamentenbeschreibung der Apotheke bewirke Tranxilium in Einzelfällen Gedächtnisstörungen, bei gleichzeitiger Einnahme dieser drei Medikamente könnten sich diese Nebenwirkungen verstärken. Der Bevollmächtigte habe in zahlreichen Telefonaten mit dem Kläger gemerkt, dass dieser sich an Inhalte erst kürzlich stattgefundener Gespräche nicht mehr habe erinnern können. Hieraus lasse sich folgern, dass der Kläger die Aufforderung zur Vorlage von Eigenbemühungen zwar erhalten und die Belehrung verstanden habe, dann jedoch zuhause im Alltag aufgrund der eingenommenen Medikamente dies vergessen habe.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 12.06.2003 und die Bescheide vom 21. und 28.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2001 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger habe grob fahrlässig gegen eine gesetzlich normierte Obliegenheit verstoßen, denn er sei über seine Verpflichtung zu Eigenbemühungen schriftlich belehrt worden und habe trotz dieses Wissens keine Eigenbemühungen unternommen und die ihm obliegende Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Für sein Unterlassen habe ihm kein wichtiger Grund zur Seite gestanden, da die AU-Bescheinigung vom 05.12.2000 für einen späteren Zeitraum vom 05. bis 08.12.2000 ausgestellt worden und er damit objektiv nicht außerstande gewesen sei, Eigenbemühungen ab 08.11. 2000 zu unternehmen und einen Nachweis darüber zu führen. Der Kläger habe auch nicht davon ausgehen können, die Bewilligung der Alhi sei bis zum 05.12.2000 um 8.00 Uhr noch rechtmäßig gewesen, weil er bis zu diesem Zeitpunkt die geforderten Nachweise über Eigenbemühungen noch habe erbringen können. Vielmehr sei darauf abzustellen, dass der Kläger im gesamten genannten Zeitraum verpflichtet gewesen sei, Eigenbemühungen zu unternehmen und entgegen der ihm erteilten Belehrungen nichts unternommen habe. Es habe ihm daher bei Anstellung einfachster Überlegungen den gesamten Zeitraum über bewusst gewesen sein müssen, dass sein Leistungsanspruch in der Zeit vom 08.11. bis 05.12. 2000 entfallen werde und der Leistungsbezug nicht rechtmäßig sei, wenn er seiner Verpflichtung nicht nachkomme.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.
Das Rechtsmittel erweist sich auch in der Sache als begründet; denn die Beklagte war nicht berechtigt, nach § 48 SGB X die Bewilligung der Alhi rückwirkend für die Zeit vom 08.11. bis 05.12.2000 aufzuheben.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist in der Zeit ab 08.11. bis 05.12.2000 in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides bezüglich der Alhi vorgelegen haben, keine wesentliche Änderung eingetreten, weshalb die Beklagte nicht berechtigt war, die Bewilligung der Leistung gemäß § 330 Abs.3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) i.V.m. § 48 Abs.1 Satz 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufzuheben. Denn aufgrund der Tatsache, dass der Kläger entgegen der Aufforderung vom 08.11. bis 05.12.2000 keine Eigenbemühungen nachgewiesen hat, ist der Anspruch auf Alhi in diesem Zeitraum nicht gemäß § 198 Satz 2 Nr.1 i.V.m. §§ 117 Abs.1 Nr.1, 118 Abs.1 Nr.2, 119 SGB III wegen Wegfalls des Merkmals der Arbeitslosigkeit erloschen.
Die Beschäftigungssuche im Sinne des § 119 SGB III ist ein Teilelement des Begriffes der Arbeitslosigkeit gemäß § 117 Abs.1 Nr.1 SGB III. Gemäß § 119 Abs.5 Satz 2 SGB III ist die Beklagte grundsätzlich berechtigt, vom Arbeitslosen zu verlangen, seine Eigenbemühungen, zu denen er gemäß § 119 Abs.1 Nr.1 verpflichtet ist, nachzuweisen. Kommt der Arbeitslose dieser Verpflichtung nicht nach, so steht fest, dass er nicht im Sinne des § 119 Abs.1 Nr.1 SGB III alle Möglichkeiten nutzt und nutzen will, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden, und deshalb nicht arbeitslos im Sinne des § 117 Abs.1 Nr.1 SGB III ist.
Von dieser Feststellung könnte allenfalls erst ab dem Zeitpunkt ausgegangen werden, zu dem der Kläger entgegen der ihm mit Schreiben vom 08.11.2000 auferlegten Pflicht nicht beim Arbeitsamt seine Eigenbemühungen nachgewiesen hat, nämlich dem 05.12.2000 um 8.00 Uhr bzw. ab dem 06.12.2000.
Dies hat gleichzeitig zur Folge, dass der Anspruch bis zu diesem Zeitpunkt bestanden hat und allenfalls ab 06.12.2000 erloschen ist. Wenn die Beklagte hingegen annimmt, dass wegen nicht nachgewiesener Eigenbemühungen der Anspruch des Klägers bereits am 08.11.2000 erloschen ist, so fingiert sie, dass der Kläger bereits ab 08.11.2000 Eigenbemühungen bei mindestens fünf Arbeitgebern nachzuweisen hatte und diese Verpflichtung nicht erfüllt hat. Mit dieser Annahme setzt sie sich in Widerspruch zu ihrem eigenen Verhalten, nämlich für diesen Nachweis eine Frist bis 05.12.2000 8.00 Uhr zu setzen.
§ 119 Abs.5 Satz 2 SGB III ist eine Konkretisierung der allgemein in § 119 Abs.1 Nr.1 SGB III statuierten Pflicht zur Beschäftigungssuche. Für diesen Fall muss sich die Beklagte an die von ihr selbst für diese Konkretisierung aufgestellten Bedingungen halten. Erst am 05.12.2000 kann der Kläger die ihn nach § 119 Abs.5 Satz 2 SGB III auferlegte Pflicht nicht erfüllt haben. Die Verneinung des Alhi-Anspruches ab 08.11.2000 würde demgegenüber bedeuten, dass der Kläger bereits für den 08.11.2000 und jeden der bis 05.12.2000 folgenden Tage Eigenbemühungen bei fünf Arbeitgebern hätte nachweisen müssen.
Wollte man der Auffassung der Beklagten folgen, so würde das Merkmal der Beschäftigungssuche und der Arbeitslosigkeit zunächst bis zum 05.12.2000 zu einer Fiktion, die nachträglich rückwirkend weggefallen wäre. Die Begriffe Arbeitslosigkeit und Beschäftigungssuche sind ebenso wie der Begriff der Verfügbarkeit an den tatsächlichen Verhältnissen orientiert und können deshalb z.B. auch nicht über einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch fingiert werden (zu Letzterem BSG vom 17.07.1997, 7 RAr 12/96 = SGb 1997, 522 bis 523 m.w.N.). Umgekehrt sind diese Tatbestandsmerkmale auch einer Fingierung im negativen Sinne nicht dahingehend zugänglich, dass aufgrund eines an einem bestimmten Tag eingetretenen Ereignisses, hier dem fehlenden Nachweis von Eigenbemühungen am 05.12.2000, die Arbeitslosigkeit rückwirkend als nicht gegeben angesehen wird. Vielmehr muss für jeden Tag des Leistungsbezuges aktuell feststehen, ob das tatsächliche Merkmal der Arbeitslosigkeit vorliegt; damit verträgt sich nicht die Annahme, dieses Merkmal könne aufgrund eines späteren Ereignisses rückwirkend entfallen.
Zudem konnte der Kläger trotz der ihm in dem Schreiben vom 08.11.2000 erteilten Rechtsfolgenbelehrung nicht bereits am 08.11.2000 wissen, dass der Anspruch ab diesem Zeitpunkt weggefallen war, weshalb auch die Voraussetzungen des § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.4 SGB X nicht vorliegen (so bereits Urteil des Senats vom 28.02.2003, L 8 AL 152/02). Vielmehr konnte er davon ausgehen, für den Nachweis der Eigenbemühungen bis 05.12.2000, 8.00 Uhr, Zeit zu haben.
Aus den dargelegten Gründen kann dahinstehen, ob der Vortrag des Klägers zutrifft, er sei wegen der durch die Medikamenteneinnahme bedingten Gedächtnisstörungen schuldlos seiner Verpflichtung nicht nachgekommen.
Auch eine Umdeutung der Rücknahmeentscheidung in eine Versagung nach § 66 SGB I ist nicht möglich, denn die Klägerin hat keine der in § 66 Abs.1 SGB I abschließend aufgeführten Mitwirkungspflichten verletzt (Urteil des Senats vom 17.12.2004 - L 8 AL 230/03). Zudem wäre eine Versagung nur nach Ablauf einer gesetzten Frist, nicht aber für die Vergangenheit möglich.
Somit waren auf die Berufung des Klägers das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 12.06.2003 und die Bescheide vom 21. und 08.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2001 aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Frage grundsätzliche Bedeutung beimisst, ob die Beklagte in Fällen vergleichbarer Art die Bewilligung einer Leistung rückwirkend aufheben kann.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 08.11. bis 05.12.2000 und die Erstattung von 1.637,22 DM bzw. 837,09 EUR streitig.
Der 1963 geborene Kläger bezog nach Beschäftigungen als Vulkanisierarbeiter und Lagerist ab 16.12.1999 Arbeitslosengeld (Alg) und ab 25.09.2000 Alhi. Die Beklagte forderte ihn mit einem am 08.11.2000 übergebenen Schreiben auf, Eigenbemühungen bei mindestens fünf Arbeitgebern zu unternehmen und am 05.12.2000 entsprechende Nachweise vorzulegen bzw. überprüfbare Angaben zu machen. Würden keine ausreichenden Eigenbemühungen unternommen, läge Arbeitslosigkeit nicht vor, so dass die Entscheidung über die ihm bewilligte Leistung für den Zeitraum ab dem Zugang dieser Aufforderung bis zu dem genannten Nachweistermin zurückzunehmen oder aufzuheben sei (§§ 45, 48 SGB X i.V.m. § 330 SGB III). Darüber hinaus beabsichtige man, die Leistung wegen fehlender Mitwirkung bis zu deren Nachholung gemäß § 66 SGB I ganz zu entziehen bzw. zu versagen.
Laut Vermerk vom 11.12.2000 sprach am 05.12.2000 die Ehefrau des Klägers vor und übergab eine Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung für die Zeit ab 05. bis voraussichtlich 08.12.2000. Nach dieser Bescheinigung durfte der Kläger kein Kfz lenken.
Mit Bescheid vom 21.03.2001 hob die Beklagte die Bewilligung der Alhi für die Zeit vom 08.11. bis 05.12.2000 auf. Der Kläger habe in einem Beratungsgespräch am 09.03.2001 erklärt, in dieser Zeit keine Eigenbemühungen unternommen zu haben. Er habe wissen müssen, dass die fehlenden Eigenbemühungen zum Wegfall bzw. Verlust des Anspruches führten. Die bezogenen Leistungen in Höhe von 1.299,48 DM seien zu erstatten.
Mit weiterem Bescheid vom 28.03.2001 forderte die Beklagte die Erstattung der in der Zeit vom 08.11. bis 05.12.2000 entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 337,74 DM.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, die Leistung hätte nicht rückwirkend entzogen werden dürfen. Er habe ab 08.11.2000 keine Eigenbemühungen unternehmen können, weil er aufgrund seiner Krankheit nicht mehr in der Lage gewesen sei, einer geordneten Arbeit nachzugehen. Er legte ein Attest des Allgemeinarztes Dr.G. vom 08.03.2001 vor, wonach er in der Zeit vom 23.10.2000 bis Januar, wenn nicht Februar 2001 nicht in der Lage gewesen sei, einer geregelten und geordneten Arbeit nachzugehen. Für den genannten Zeitraum habe ganz sicher Arbeitsunfähigkeit (AU) bestanden. Wohl aus Unkenntnis habe der Kläger nicht um eine Krankmeldung gebeten.
Mit Schreiben vom 26.07.2001 gab die Beklagte zur Heilung des Formverstoßes der fehlenden Anhörung dem Kläger nochmals Gelegenheit zu einer ergänzenden Stellungnahme binnen zwei Wochen. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.08.2001 wies sie den Widerspruch als unbegründet zurück. Eine wesentliche Änderung in den für den Alhi-Anspruch maßgebenden Verhältnissen sei ab 08.11. 2000 durch den Wegfall der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen der Arbeitslosigkeit eingetreten. Trotz des ganz konkreten Hinweises vom 08.11.2000 auf seine Nachweispflicht habe der Kläger keinerlei Eigenbemühungen unternommen. Soweit er unter Bezugnahme auf das vorgelegte Attest ausführe, aufgrund einer Krankheit nicht in der Lage gewesen zu sein, einer geregelten Arbeit nachzugehen, sei Arbeitslosigkeit jedenfalls wegen fehlender Arbeitsfähigkeit zu verneinen. Ein Anspruch auf Leistungsfortzahlung nach § 126 SGB III bestehe nicht, weil für die Zeit vor dem 05.12.2000 keine AU-Bescheinigung vorgelegt worden sei.
Mit seiner zum Sozialgericht Landshut (SG) erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, ihm sei nicht bekannt gewesen, dass er auch während seiner Arbeitslosigkeit eine ärztliche AU-Bescheinigung benötige.
Mit Urteil vom 12.06.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Eine Arbeitsunfähigkeit ab Oktober 2000 sei durch das Attest vom 08.03.2001 nicht nachgewiesen. In der Zeit zwischen Juli und Dezember 2000 seien detaillierte AU-Bescheinigungen für andere Zeiträume vorgelegt worden, von diesen werde die streitige Zeit nicht umfasst. Durch die Vielzahl der vorgelegten AU-Bescheinigungen sei auch nachgewiesen, dass der Kläger sehr wohl Kenntnis von der Notwendigkeit gehabt habe, auch als Leistungsbezieher seine Arbeitsunfähigkeit durch entsprechende Bescheinigungen nachzuweisen.
Zur Begründung seiner gegen dieses Urteil eingelegten Berufung verweist der Kläger auf das bereits vorgelegte Attest des Dr.G. vom 08.03.2001 und die dort bescheinigte Einnahme des Medikaments Tranxilium und zweier anderer Medikamente; nach der Medikamentenbeschreibung der Apotheke bewirke Tranxilium in Einzelfällen Gedächtnisstörungen, bei gleichzeitiger Einnahme dieser drei Medikamente könnten sich diese Nebenwirkungen verstärken. Der Bevollmächtigte habe in zahlreichen Telefonaten mit dem Kläger gemerkt, dass dieser sich an Inhalte erst kürzlich stattgefundener Gespräche nicht mehr habe erinnern können. Hieraus lasse sich folgern, dass der Kläger die Aufforderung zur Vorlage von Eigenbemühungen zwar erhalten und die Belehrung verstanden habe, dann jedoch zuhause im Alltag aufgrund der eingenommenen Medikamente dies vergessen habe.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 12.06.2003 und die Bescheide vom 21. und 28.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2001 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger habe grob fahrlässig gegen eine gesetzlich normierte Obliegenheit verstoßen, denn er sei über seine Verpflichtung zu Eigenbemühungen schriftlich belehrt worden und habe trotz dieses Wissens keine Eigenbemühungen unternommen und die ihm obliegende Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Für sein Unterlassen habe ihm kein wichtiger Grund zur Seite gestanden, da die AU-Bescheinigung vom 05.12.2000 für einen späteren Zeitraum vom 05. bis 08.12.2000 ausgestellt worden und er damit objektiv nicht außerstande gewesen sei, Eigenbemühungen ab 08.11. 2000 zu unternehmen und einen Nachweis darüber zu führen. Der Kläger habe auch nicht davon ausgehen können, die Bewilligung der Alhi sei bis zum 05.12.2000 um 8.00 Uhr noch rechtmäßig gewesen, weil er bis zu diesem Zeitpunkt die geforderten Nachweise über Eigenbemühungen noch habe erbringen können. Vielmehr sei darauf abzustellen, dass der Kläger im gesamten genannten Zeitraum verpflichtet gewesen sei, Eigenbemühungen zu unternehmen und entgegen der ihm erteilten Belehrungen nichts unternommen habe. Es habe ihm daher bei Anstellung einfachster Überlegungen den gesamten Zeitraum über bewusst gewesen sein müssen, dass sein Leistungsanspruch in der Zeit vom 08.11. bis 05.12. 2000 entfallen werde und der Leistungsbezug nicht rechtmäßig sei, wenn er seiner Verpflichtung nicht nachkomme.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.
Das Rechtsmittel erweist sich auch in der Sache als begründet; denn die Beklagte war nicht berechtigt, nach § 48 SGB X die Bewilligung der Alhi rückwirkend für die Zeit vom 08.11. bis 05.12.2000 aufzuheben.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist in der Zeit ab 08.11. bis 05.12.2000 in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides bezüglich der Alhi vorgelegen haben, keine wesentliche Änderung eingetreten, weshalb die Beklagte nicht berechtigt war, die Bewilligung der Leistung gemäß § 330 Abs.3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) i.V.m. § 48 Abs.1 Satz 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufzuheben. Denn aufgrund der Tatsache, dass der Kläger entgegen der Aufforderung vom 08.11. bis 05.12.2000 keine Eigenbemühungen nachgewiesen hat, ist der Anspruch auf Alhi in diesem Zeitraum nicht gemäß § 198 Satz 2 Nr.1 i.V.m. §§ 117 Abs.1 Nr.1, 118 Abs.1 Nr.2, 119 SGB III wegen Wegfalls des Merkmals der Arbeitslosigkeit erloschen.
Die Beschäftigungssuche im Sinne des § 119 SGB III ist ein Teilelement des Begriffes der Arbeitslosigkeit gemäß § 117 Abs.1 Nr.1 SGB III. Gemäß § 119 Abs.5 Satz 2 SGB III ist die Beklagte grundsätzlich berechtigt, vom Arbeitslosen zu verlangen, seine Eigenbemühungen, zu denen er gemäß § 119 Abs.1 Nr.1 verpflichtet ist, nachzuweisen. Kommt der Arbeitslose dieser Verpflichtung nicht nach, so steht fest, dass er nicht im Sinne des § 119 Abs.1 Nr.1 SGB III alle Möglichkeiten nutzt und nutzen will, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden, und deshalb nicht arbeitslos im Sinne des § 117 Abs.1 Nr.1 SGB III ist.
Von dieser Feststellung könnte allenfalls erst ab dem Zeitpunkt ausgegangen werden, zu dem der Kläger entgegen der ihm mit Schreiben vom 08.11.2000 auferlegten Pflicht nicht beim Arbeitsamt seine Eigenbemühungen nachgewiesen hat, nämlich dem 05.12.2000 um 8.00 Uhr bzw. ab dem 06.12.2000.
Dies hat gleichzeitig zur Folge, dass der Anspruch bis zu diesem Zeitpunkt bestanden hat und allenfalls ab 06.12.2000 erloschen ist. Wenn die Beklagte hingegen annimmt, dass wegen nicht nachgewiesener Eigenbemühungen der Anspruch des Klägers bereits am 08.11.2000 erloschen ist, so fingiert sie, dass der Kläger bereits ab 08.11.2000 Eigenbemühungen bei mindestens fünf Arbeitgebern nachzuweisen hatte und diese Verpflichtung nicht erfüllt hat. Mit dieser Annahme setzt sie sich in Widerspruch zu ihrem eigenen Verhalten, nämlich für diesen Nachweis eine Frist bis 05.12.2000 8.00 Uhr zu setzen.
§ 119 Abs.5 Satz 2 SGB III ist eine Konkretisierung der allgemein in § 119 Abs.1 Nr.1 SGB III statuierten Pflicht zur Beschäftigungssuche. Für diesen Fall muss sich die Beklagte an die von ihr selbst für diese Konkretisierung aufgestellten Bedingungen halten. Erst am 05.12.2000 kann der Kläger die ihn nach § 119 Abs.5 Satz 2 SGB III auferlegte Pflicht nicht erfüllt haben. Die Verneinung des Alhi-Anspruches ab 08.11.2000 würde demgegenüber bedeuten, dass der Kläger bereits für den 08.11.2000 und jeden der bis 05.12.2000 folgenden Tage Eigenbemühungen bei fünf Arbeitgebern hätte nachweisen müssen.
Wollte man der Auffassung der Beklagten folgen, so würde das Merkmal der Beschäftigungssuche und der Arbeitslosigkeit zunächst bis zum 05.12.2000 zu einer Fiktion, die nachträglich rückwirkend weggefallen wäre. Die Begriffe Arbeitslosigkeit und Beschäftigungssuche sind ebenso wie der Begriff der Verfügbarkeit an den tatsächlichen Verhältnissen orientiert und können deshalb z.B. auch nicht über einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch fingiert werden (zu Letzterem BSG vom 17.07.1997, 7 RAr 12/96 = SGb 1997, 522 bis 523 m.w.N.). Umgekehrt sind diese Tatbestandsmerkmale auch einer Fingierung im negativen Sinne nicht dahingehend zugänglich, dass aufgrund eines an einem bestimmten Tag eingetretenen Ereignisses, hier dem fehlenden Nachweis von Eigenbemühungen am 05.12.2000, die Arbeitslosigkeit rückwirkend als nicht gegeben angesehen wird. Vielmehr muss für jeden Tag des Leistungsbezuges aktuell feststehen, ob das tatsächliche Merkmal der Arbeitslosigkeit vorliegt; damit verträgt sich nicht die Annahme, dieses Merkmal könne aufgrund eines späteren Ereignisses rückwirkend entfallen.
Zudem konnte der Kläger trotz der ihm in dem Schreiben vom 08.11.2000 erteilten Rechtsfolgenbelehrung nicht bereits am 08.11.2000 wissen, dass der Anspruch ab diesem Zeitpunkt weggefallen war, weshalb auch die Voraussetzungen des § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.4 SGB X nicht vorliegen (so bereits Urteil des Senats vom 28.02.2003, L 8 AL 152/02). Vielmehr konnte er davon ausgehen, für den Nachweis der Eigenbemühungen bis 05.12.2000, 8.00 Uhr, Zeit zu haben.
Aus den dargelegten Gründen kann dahinstehen, ob der Vortrag des Klägers zutrifft, er sei wegen der durch die Medikamenteneinnahme bedingten Gedächtnisstörungen schuldlos seiner Verpflichtung nicht nachgekommen.
Auch eine Umdeutung der Rücknahmeentscheidung in eine Versagung nach § 66 SGB I ist nicht möglich, denn die Klägerin hat keine der in § 66 Abs.1 SGB I abschließend aufgeführten Mitwirkungspflichten verletzt (Urteil des Senats vom 17.12.2004 - L 8 AL 230/03). Zudem wäre eine Versagung nur nach Ablauf einer gesetzten Frist, nicht aber für die Vergangenheit möglich.
Somit waren auf die Berufung des Klägers das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 12.06.2003 und die Bescheide vom 21. und 08.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2001 aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Frage grundsätzliche Bedeutung beimisst, ob die Beklagte in Fällen vergleichbarer Art die Bewilligung einer Leistung rückwirkend aufheben kann.
Rechtskraft
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