L 8 AL 310/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AL 349/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 310/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7a AL 18/05 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 6. Juli 2004 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) zu Recht für die Zeit ab 25.05.2000 aufgehoben hat, weil die Klägerin ab diesem Zeitraum nicht alle Möglichkeiten genutzt hat, um die Arbeitslosigkeit zu beenden.

Die 1969 (laut Zahlungsnachweis) bzw. 1971 (laut Lebenslauf) geborene Klägerin meldete sich nach einer Fortbildungsmaßnahme von April 1999 bis 11.01.2000 am 14.02.2000 erneut bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alhi. Dabei stellte sie sich für 20 Stunden wöchentlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.

Mit Bescheid vom 20.06.2000 wurde ihr Alhi bewilligt.

Nachdem die Klägerin trotz wiederholter mündlicher Aufforderungen keinen Nachweis über Eigenbemühungen vorlegte, wurde sie am 24.05.2000 schriftlich aufgefordert, sich mindestens zweimal pro Woche schriftlich zu bewerben und die entsprechenden Nachweise am 24.07.2000 vorzulegen.

In der Rechtsfolgenbelehrung wurde sie darauf hingewiesen, dass keine Arbeitslosigkeit vorliege, wenn keine ausreichenden Eigenbemühungen unternommen worden seien, so dass dann die Entscheidung über die bewilligte Leistung für den Zeitraum ab Zugang dieser Aufforderung bis zu dem auf der Vorderseite genannten Nachweistermin zurückzunehmen oder aufzuheben sei. Sei die Arbeitslosigkeit mangels ausreichender Eigenbemühungen für mehr als sechs Wochen unterbrochen, sei auch die Wirkung der Arbeitslosmeldung als weitere Voraussetzung für den Leistungsanspruch bis zu einer erneuten persönlichen Arbeitslosmeldung entfallen.

Da die Klägerin keine ausreichenden Nachweise beibrachte, hob die Beklagte mit Bescheid vom 22.08.2000 die Bewilligung von Alhi ab 25.05.2000 ganz auf und forderte die Erstattung von DM 1.004,36 Alhi und DM 340,72 sowie DM 17,07 an Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe bereits mit Schreiben vom 07.08.2000 ihrer Arbeitsvermittlerin dargelegt, dass sie mit bis zu vier Bewerbungen pro Woche und den Nachweisen hierfür ihre Eigenbemühungen mehr als erfüllt habe und dass kein Grund für eine Sperre vorliegen würde. Auch sei deswegen eine rückwirkende Aufhebung der Bewilligung im Nachweiszeitraum nicht gerechtfertigt und deshalb auch eine erneute Antragstellung wegen Arbeitslosigkeit nicht nötig. Auch habe sie bereits im Gespräch wie auch schriftlich darauf hingewiesen, dass sie für zehn bis 15 Tage wegen der Operation ihres Sohnes und außerdem danach zur Beaufsichtigung ihres Kindes während der Schulferien mindestens bis zum 12.09. dem Arbeitsamt nicht zur Verfügung stehen werde.

Nach einem Aktenvermerk vom 05.12.2000 legte die Klägerin ausgeschnittene Anzeigen und Arbeitgeberantworten vor. Anschreiben seien nicht mehr vorhanden. Die Klägerin habe diese mit Computer geschrieben und die Aufforderung der Vorlage von Nachweisen über Eigenbemühungen fände sich in den Unterlagen. Die Klägerin habe angegeben, nicht verstanden zu haben, dass sie die Anschreiben vorlegen solle.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.2001 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und verwies dabei auf ihre Begründung im Ausgangsbescheid.

Mit ihrer dagegen zum Sozialgericht (SG) München erhobenen Klage hat die Klägerin erneut geltend gemacht, ihre Eigenbemühungen seien ausreichend gewesen. Sie habe sich während ihrer Arbeitslosigkeit und nach vielen Bewerbungen und diversen Kursen selbst vergeblich nach einer ihr zeitlich entsprechenden Arbeit als Büroangestellte gesucht und sei nicht fündig geworden. Später habe sie nach Absprache mit ihrer Arbeitsvermittlern nicht wie verlangt zwei, sondern bis zu vier Bewerbungen pro Woche geschrieben und auch abgeschickt, unter anderem auch als Verkäuferin und nach Rücksprache mit ihrer Arbeitsvermittlerin habe sie sich zusätzlich um 630,00 DM-Jobs bemüht. Diese Jobs seien auch finanziell immer noch besser gewesen als die 300,00 bis 400,00 DM Alhi vom Arbeitsamt. Sie habe ihre ausreichenden Eigenbemühungen durch zahlreiche Bewerbungen aller möglicher und "unmöglicher" Arbeitsangebote nachgewiesen. Im November 2000 habe sie endgültig die Suche nach einer Bürotätigkeit aufgegeben und habe einen Job als Verkäuferin in einem Drogeriemarkt angenommen.

Die Beklagte vertrat weiterhin die Auffassung, die von der Klägerin vorgelegten Bewerbungsunterlagen würden nicht den für den Zeitraum vom 25.05.2000 bis 31.07.2000 aufgestellten Anforderungen entsprechen. Es seien insgesamt keine ausreichenden Eigenbemühungen dargelegt worden.

Mit Urteil vom 06.07.2004 hat das SG die streitgegenständlichen Bescheide aufgehoben. Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Bewilligung der Alhi für die Vergangenheit aufzuheben. Zum 25.05. 2000 sei die Klägerin noch nicht wegen fehlender Eigenbemühungen nicht mehr arbeitslos im Sinne des § 118 Abs.1 Nr.2 i.V.m. § 119 Abs.1 Nr.1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) gewesen. Davon sei offensichtlich auch die Beklagte ausgegangen; denn mit der Aufforderung zur Vorlage von Nachweisen über Eigenbemühungen habe sie ausgeführt, "sofern Sie mir die geforderten Nachweise über Ihre Eigenbemühungen nicht bis zu dem angegebenen Termin vorlegen, beabsichtige ich, Ihnen die Leistung wegen fehlender Mitwirkung bis zu deren Nachholung gemäß § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ganz zu entziehen bzw. zu versagen." Dass diese Entziehung rückwirkend erfolgen solle, sei nicht dargelegt worden. Zwar seien die Eigenbemühungen der Klägerin im gesamten Zeitraum nicht ausreichend gewesen. Dies habe aber hier nicht zur Folge, dass die Beklagte die Bewilligung für die Vergangenheit aufheben durfte; denn dies setze gemäß § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.4 SGB X voraus, dass die Klägerin bereits ab 25.05.2000 bösgläubig im Sinne dieser Vorschrift gewesen wäre (vgl. Bayer. Landessozialgericht, Urteil vom 28.12. 2003, Az: L 8 AL 152/02), gegen das die Beklagte die Revision zurückgenommen habe.

Auch eine Umdeutung der Rücknahmeentscheidung in eine Versagung nach § 66 SGB I sei nicht möglich, da die Klägerin keine der in § 66 Abs.1 SGB I abschließend aufgeführten Mitwirkungspflichten verletzt habe. Zudem sei eine Versagung nur nach Ablauf einer gesetzten Frist, nicht aber für die Vergangenheit möglich.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 06.07.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG München vom 06.07.2004 für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet; denn zu Recht hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 22.08. 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.02.2001 wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben; denn die Beklagte war nicht berechtigt, nach § 48 SGB X die Bewilligung der Alhi für die Vergangenheit aufzuheben.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist jedenfalls in der Zeit vom 25.05. bis 24.07.2000 in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides bezüglich der Alhi vorgelegen haben, keine wesentliche Änderung eingetreten, weshalb die Beklagte nicht berechtigt war, die Bewilligung der Leistung gemäß § 330 Abs.3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) i.V.m. § 48 Abs.1 Satz 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) rückwirkend aufzuheben. Denn aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin entgegen der Aufforderung vom 24.05. bis 24.07.2000 keine Eigenbemühungen nachgewiesen hat, ist der Anspruch auf Alhi in diesem Zeitraum nicht gemäß § 198 Satz 2 Nr.1 i.V.m. §§ 117 Abs.1 Nr.1, 118 Abs.1 Nr.2, 119 SGB III wegen Wegfalls des Merkmals der Arbeitslosigkeit in diesem Zeitraum erloschen.

Die Beschäftigungssuche im Sinne des § 119 SGB III ist ein Teilelement des Begriffes der Arbeitslosigkeit gemäß § 117 Abs.1 Nr.1 SGB III. Gemäß § 119 Abs.5 Satz 2 SGB III ist die Beklagte grundsätzlich berechtigt, vom Arbeitslosen zu verlangen, seine Eigenbemühungen, zu denen er gemäß § 119 Abs.1 Nr.1 verpflichtet ist, nachzuweisen. Kommt der Arbeitslose dieser Verpflichtung nicht nach, so steht fest, dass er nicht im Sinne des § 119 Abs.1 Nr.1 SGB III alle Möglichkeiten nutzt und nutzen will, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden, und deshalb nicht arbeitslos im Sinne des § 117 Abs.1 Nr.1 SGB III ist.

Von dieser Feststellung könnte allenfalls erst ab dem Zeitpunkt ausgegangen werden, zu dem die Klägerin entgegen der ihr mit Schreiben vom 25.05.2000 auferlegten Pflicht nicht beim Arbeitsamt ihre Eigenbemühungen nachgewiesen hat, nämlich dem 24.07.2000 bzw. ab dem 25.07.2000.

Dies hat gleichzeitig zur Folge, dass der Anspruch bis zu diesem Zeitpunkt bestanden hat und allenfalls ab 25.07.2000 erloschen ist. Wenn die Beklagte hingegen annimmt, dass wegen nicht nachgewiesener Eigenbemühungen der Anspruch der Klägerin bereits am 25.05.2000 erloschen ist, so fingiert sie, dass die Klägerin bereits ab 25.05.2000 bzw. erst ab Zugang des Aufforderungsschreibens Eigenbemühungen nachzuweisen hatte und diese Verpflichtung nicht erfüllt hat. Mit dieser Annahme setzt sie sich in Widerspruch zu ihrem eigenen Verhalten, nämlich für diesen Nachweis eine Frist bis 24.07.2000 zu setzen.

§ 119 Abs.5 Satz 2 SGB III ist eine Konkretisierung der allgemein in § 119 Abs.1 Nr.1 SGB III statuierten Pflicht zur Beschäftigungssuche. Für diesen Fall muss sich die Beklagte an die von ihr selbst für diese Konkretisierung aufgestellten Bedingungen halten. Erst am 24.09.2000 kann die Klägerin die ihr nach § 119 Abs.5 Satz 2 SGB III auferlegte Pflicht nicht erfüllt haben. Die Verneinung des Alhi-Anspruches ab 25.05.2000 würde demgegenüber bedeuten, dass die Klägerin bereits für den 25.05.2000 und jeden der bis 24.07.2000 folgenden Tage Eigenbemühungen bei Arbeitgebern hätte nachweisen müssen.

Wollte man der Auffassung der Beklagten folgen, so würde das Merkmal der Beschäftigungssuche und der Arbeitslosigkeit zunächst bis zum 24.07.2000 zu einer Fiktion, die nachträglich rückwirkend weggefallen wäre. Die Begriffe Arbeitslosigkeit und Beschäftigungssuche sind ebenso wie der Begriff der Verfügbarkeit an den tatsächlichen Verhältnissen orientiert und können deshalb z.B. auch nicht über einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch fingiert werden (zu Letzterem BSG vom 17.07.1997, 7 RAr 12/96 = SGb 1997, 522 bis 523 m.w.N.). Umgekehrt sind diese Tatbestandsmerkmale auch einer Fingierung im negativen Sinne nicht dahingehend zugänglich, dass aufgrund eines an einem bestimmten Tag eingetretenen Ereignisses, hier dem fehlenden Nachweis von Eigenbemühungen am 05.12.2000, die Arbeitslosigkeit rückwirkend als nicht gegeben angesehen wird. Vielmehr muss für jeden Tag des Leistungsbezuges feststehen, ob das tatsächliche Merkmal der Arbeitslosigkeit vorliegt; damit verträgt sich nicht die Annahme, dieses Merkmal könne aufgrund eines späteren Ereignisses rückwirkend entfallen.

Zudem konnte die Klägerin trotz der ihr in dem Schreiben vom 24.05.2000 erteilten Rechtsfolgenbelehrung nicht bereits am 25.05.2000 wissen, dass der Anspruch ab diesem Zeitpunkt weggefallen war, weshalb auch die Voraussetzungen des § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.4 SGB X nicht vorliegen (so bereits Urteil des Senats vom 28.02.2003, L 8 AL 152/02). Vielmehr konnte sie davon ausgehen, für den Nachweis der Eigenbemühungen bis zum 24.07.2000 Zeit zu haben.

Aus den dargelegten Gründen kann dahinstehen, ob der Vortrag der Klägerin zutrifft, sie habe hinreichende Eigenbemühungen unternommen.

Zutreffend hat das SG auch entschieden, dass eine Umdeutung der Rücknahmeentscheidung in eine Versagung nach § 66 SGB I nicht möglich ist, denn die Klägerin hat keine der in § 66 Abs.1 SGB I abschließend aufgeführten Mitwirkungspflichten verletzt (Urteil des Senats vom 17.12.2004 - L 8 AL 230/03). Zudem wäre eine Versagung nur nach Ablauf einer gesetzten Frist, nicht aber für die Vergangenheit möglich.

Somit war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat (erneut) die Revision zugelassen, weil er der Frage grundsätzliche Bedeutung beimisst, ob die Beklagte in Fällen vergleichbarer Art die Bewilligung einer Leistung rückwirkend aufheben kann.
Rechtskraft
Aus
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