L 1 KR 976/00

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 6 KR 708/98
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 976/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Verwirkung einer Beitragsforderung setzt voraus, dass ein Beitragsberechtigter die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und dass der Verpflichtete aufgrund eines konkreten Verhaltens des Beitragsberechtigen darauf vertrauen durfte und vertraut hat, das Recht werde nicht mehr geltend gemacht, so dass die verspätete Geltendmachung ihm gegenüber als illoyal und nicht zumutbar erscheint.

Die verspätete Erfüllung der Beitragsschuld ist dem Arbeitgeber beim Vorliegen eines entsprechenden Vertrauenstatbestandes insbesondere dann nicht mehr zuzumuten, wenn er einen Anspruch auf den Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag im Wege des Abzugs vom Arbeitsentgelt nicht mehr geltend machen kann.

Die Träger der Rentenversicherung müssen sich im Rahmen ihrer Zuständigkeit zur Prüfung und Überwachung der Beitragspflichten der Arbeitgeber einen durch die Krankenkasse als Einzugsstelle geschaffenen konkreten Vertrauenstatbestand zurechnen lassen.
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. Juni 2000 sowie die Bescheide der Beklagten vom 13. Juni 1996 und vom 21. August 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 1998 aufgehoben, soweit in diesen Bescheiden Beiträge in Höhe von 12.202,28 DM (6.238,90 EUR) für den Beigeladenen zu 1. nachgefordert worden sind. Der Bescheid der Beigeladenen zu 4. vom 23. Oktober 1997 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte hat der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1. die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte für den Zeitraum vom 1. September 1992 bis zum 31. Mai 1993 von der Klägerin Beiträge für den Beigeladenen zu 1. aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachfordern darf.

Bei der Klägerin handelt es sich um ein Bauunternehmen, bei dem der Beigeladene zu 1. bis zum 31. August 1992 als Bauleiter beschäftigt gewesen ist. Neben seiner Tätigkeit als Bauleiter bei der Klägerin war der Beigeladene zu 1. bei der Firma S. GmbH als Geschäftsführer tätig. Mit Schreiben vom 31. Juli 1992 wandte sich die Klägerin an die Krankenkasse des Beigeladenen zu 1., die Beigeladene zu 4., und gab an, der überwiegende Arbeitseinsatz des Beigeladenen zu 1. werde fortan als Geschäftsführer in der Firma S. GmbH sein. Daraus ergäben sich Verschiebungen der Gehaltsbezüge. Das Gehalt des Beigeladenen zu 1. bei der Klägerin "solle" ab August 1992 statt bisher 6.300,00 DM nur noch 3.000,00 DM betragen; aus der S. GmbH "solle" der Beigeladene zu 1. statt bisher 3.000,00 DM ab August 1992 6.300,00 DM erhalten. Die Beigeladene zu 4. wurde gebeten, mitzuteilen, ob das Beschäftigungsverhältnis des Beigeladenen bei der Klägerin überhaupt sozialversicherungspflichtig sei, und schriftlich zu bestätigen, dass die Tätigkeit des Beigeladenen als Geschäftsführer der Firma S. GmbH weder der Rentenversicherungspflicht noch der Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung unterliege. Das Schreiben der Klägerin enthält einen handschriftlichen Vermerk vom 11. August 1992 mit dem Inhalt: "Beschäftigung bei der Firma R. A. ist nicht versicherungspflichtig S. GmbH = selbständige Tätigkeit". Mit Schreiben vom 13. August 1992 teilte die Beigeladene zu 4. dem Beigeladenen zu 1. mit, sie habe aufgrund der ihr vorliegenden Unterlagen das Versicherungsverhältnis ab 1. August 1992 überprüft. Die Prüfung habe ergeben, dass es sich bei der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. für die Firma S. GmbH um eine selbständige Erwerbstätigkeit handele; aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses des Beigeladenen zu 1. bei der Klägerin bestehe "keine Versicherungspflicht zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung".

Der Beigeladene zu 1. versicherte sich in der Folgezeit in der Rentenversicherung und in der Krankenversicherung freiwillig. Die Abrechnung seiner Zahlungen von der Klägerin erfolgte wie bis zum 31. August 1992 weiterhin über ein Lohnkonto nach DATEV mit monatlichen Gehaltszahlungen. In seinen Einkommenssteuererklärungen für die Jahre 1992 und 1993 sind nur Einkünfte des Beigeladenen zu 1. aus "nicht selbständiger Arbeit" versteuert.

Aufgrund einer Betriebsprüfung, die den Prüfzeitraum vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1995 umfasste, stellte die Beklagte mit ihren Bescheiden vom 13. Juni 1996 und vom 21. August 1997 hinsichtlich der Beschäftigung des Beigeladenen zu 1. Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung für die Zeit vom 1. September 1992 bis zum 31. Mai 1993 fest, da durch die abhängige Beschäftigung des Beigeladenen zu 1. bei der Klägerin 1/6 des Gesamteinkommens überschritten werde. Nach dem Prüfbericht lag der monatliche Verdienst des Beigeladenen zu 1. in den Monaten September bis Dezember 1992 bei 4.079,24 DM und in dem Zeitraum Januar bis Mai 1993 bei 4.117,92 DM. Insgesamt forderte die Beklagte für den Beigeladenen zu 1. von der Klägerin Beiträge in Höhe von 12.202,28 DM nach.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, der Beigeladene zu 1. habe ihr in dem streitigen Zeitraum nur noch im Rahmen einer beratenden Tätigkeit als freier Mitarbeiter zur Verfügung gestanden, indem er die Angestellten der Klägerin in sein bisheriges Berufsfeld eingearbeitet habe. Nur zur Vermeidung von Einkommensteuernachzahlungen und um eine zeitgemäße Erfassung und Abführung der Einkommensteuer zu erreichen, sei die Steuer für den Beigeladenen zu 1. nach der Lohnsteuerklasse VI berechnet worden. Im Übrigen erwartete sie eine "Bestandsgarantie" nach dem Grundsatz von Treu und Glauben, da die Beigeladene zu 4. in ihrem Bescheid vom 13. August 1992 Versicherungsfreiheit festgestellt und bei der am 31. Mai 1994 durchgeführten Betriebsprüfung die Behandlung des Beschäftigungsverhältnisses des Beigeladenen zu 1. für richtig befunden habe.

Die Beigeladene zu 4. teilte der Beklagten auf Nachfrage mit, lediglich der Beigeladene zu 1. sei 1992 über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Beigeladenen zu 4. in Kenntnis gesetzt worden; die Klägerin habe nach den vorliegenden Unterlagen keine gesonderte Mitteilung erhalten, "unsere Mitteilung ist somit als Antwort auf das Schreiben der Firma D. vom 31. Juli 1992 zu werten." Eine spätere Prüfung der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung der Beschäftigung des Beigeladenen zu 1. sei nicht mehr vorgenommen worden. Unterlagen über die Betriebsprüfung vom 31. Mai 1994 seien zur Zeit nicht auffindbar. Mittlerweile habe sie den Bescheid vom 13. August 1992 mit Bescheid vom 23. Oktober 1997 nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) aufgehoben; dagegen habe die Klägerin Widerspruch erhoben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 1998 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit der Begründung zurück, für den streitigen Zeitraum ergebe sich für den Beigeladenen zu 1. das Tätigkeitsbild einer abhängigen und damit versicherungspflichtigen Beschäftigung. In dem streitigen Zeitraum habe der Beigeladene zu 1. bei der Klägerin seine Tätigkeit als Bauleiter im Wesentlichen unverändert und nur zeitlich reduziert fortgesetzt. Der Beigeladene zu 1. habe für seine Tätigkeit bei der Klägerin auch niemals ein Unternehmerrisiko getragen, wie es eine selbständige Tätigkeit voraussetze. Folgerichtig habe die Klägerin für den Beigeladenen zu 1. in dem streitigen Zeitraum wie üblicherweise für einen Angestellten in gleicher Position und gleicher Funktion ein Lohnkonto nach DATEV geführt und regelmäßig Gehaltszahlungen geleistet und überdies aus dem gezahlten Arbeitsentgelt Lohnsteuer nach Maßgabe der Lohnsteuer-Klasse VI abgeführt. Die Beitragsnachforderung sei auch nicht verwirkt. Auf die sozialversicherungsrechtlichen Feststellungen der Beigeladenen zu 4. in dem Bescheid vom 13. August 1992 habe die Klägerin nicht vertrauen dürfen. Maßgeblich für die versicherungsrechtliche Beurteilung durch die Beigeladene zu 4. seien allein die von der Klägerin geschilderten Änderungen in der Höhe der Gehaltszahlung ab dem 1. August 1992 gewesen. Keinesfalls sei zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung fraglich gewesen, ob es sich hinsichtlich dieses Beschäftigungsverhältnisses um eine selbständige Tätigkeit oder um eine abhängige Beschäftigung gehandelt habe. In der Folgezeit habe der Beigeladene zu 1. bei der Klägerin tatsächlich aber ein wesentlich höheres Gehalt bezogen als in dem Schreiben an die Beigeladene zu 4. vom 31. Juli 1992 angegeben worden sei. Über diesen Umstand sei die Beigeladene zu 4. nicht unterrichtet worden, die Klägerin habe daher zumindest bedingt vorsätzlich die Rechtswidrigkeit des Bescheides der Beigeladenen zu 4. vom 13. August 1992 in Kauf genommen und deshalb mitverschuldet. Vertrauensschutz begründe auch nicht der Umstand, dass die Beigeladene zu 4. gelegentlich der Betriebsprüfung bei der Klägerin am 31. Mai 1994 die Nichtentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen für den abhängig beschäftigten Beigeladenen zu 1. nicht beanstandet habe.

Gegen den am 22. Oktober 1998 zur Post aufgegebenen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 13. November 1998 Klage bei dem Sozialgericht Marburg erhoben und wie im Widerspruchsverfahren vorgetragen, die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. im streitigen Zeitraum habe nicht der Sozialversicherungspflicht unterlegen. Im Übrigen berufe sie sich auf Vertrauensschutz. Dem Bescheid der Beigeladenen zu 4. vom 13. August 1992 habe sie nicht entnehmen können, dass es bei der Prüfung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen auf den Verdienst des Beigeladenen zu 1. angekommen sei. Dieser habe im Übrigen für seine auf 18 Wochenstunden reduzierte Tätigkeit ein Bruttogehalt von 3.700,00 DM in dem streitigen Zeitraum monatlich erhalten, so dass die Angaben in dem Schreiben vom 31. Juli 1992 nicht wesentlich überschritten worden seien und sie keinerlei Anhaltspunkte gehabt habe, dies der Beigeladenen zu 4. mitzuteilen. Die Klägerin hat dazu Lohnabrechnungsbescheinigungen für den Beigeladenen zu 1. für den Zeitraum von Februar 1992 bis Juni 1993 vorgelegt.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. Juni 2000 abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe zu Recht festgestellt, dass die Tätigkeit des Klägers im streitigen Zeitraum sozialversicherungspflichtig gewesen sei. Die Angaben der Klägerin, die beratende Bauleitertätigkeit durch den Beigeladenen zu 1. sei an dessen eigener Betriebsstätte ausgeübt worden, sei zumindest praxisfern. Das Gericht nehme wie die Beklagte an, dass die von dem Beigeladenen zu 1. durchgeführte Einarbeitung von Bauleitern eine Anwesenheit auf den Baustellen zwingend vorausgesetzt habe. Für ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis spreche schließlich die Tatsache, dass der Beigeladene zu 1. von dem gezahlten Arbeitsentgelt Lohnsteuern abgeführt und Angaben über Einkommen aus selbständiger Tätigkeit in seinen Einkommenssteuererklärungen nicht gemacht habe. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht berufen. Das Schreiben vom 13. August 1992 sei nicht an die Klägerin, sondern an den Beigeladenen zu 1. adressiert worden und habe mithin keine Wirkung zu Gunsten und zu Lasten der Klägerin entfalten können. Abgesehen davon sei die Prüfung seitens der Beigeladenen zu 4. offensichtlich lediglich aufgrund der mit Schreiben vom 31. Juli 1992 gemachten Angaben erfolgt. Dies könne jedoch gegenüber der Beklagten keinen Vertrauensschutz begründen.

Gegen das ihr am 30. Juni 2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am Montag, den 31. Juli 2000, Berufung beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt und ihr Begehren auf Aufhebung des Beitragsnachforderungsbescheides mit den im Klageverfahren vorgetragenen Gründen weiter verfolgt.

Die Klägerin und der Beigeladene zu 1. beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. Juni 2000 und die Bescheide der Beklagten vom 13. Juni 1996 und vom 21. August 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 1998 aufzuheben, soweit Beiträge in Höhe von 12.202,28 DM (6.238,90 EUR) für den Beigeladenen zu 1. für den Zeitraum vom 1. September 1992 bis zum 31. Mai 1993 nachgefordert werden, sowie den Bescheid der Beigeladenen zu 4. vom 23. Oktober 1997 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das erstinstanzliche Urteil sei zutreffend.

Die Beigeladenen zu 2. bis zu 4. stellen keinen Antrag.

Der Senat hat die Beigeladenen zu 1. und zu 4. zum Verfahren beigeladen und den Beigeladenen zu 1. in einem Erörterungstermin am 18. November 2004 persönlich angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Niederschrift zu dem Erörterungstermin vom 18. November 2004 Bezug genommen.

Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte, auf die Akte Gesch. Zeichen: xxxxxxxxxx sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen zu 3. Bezug genommen, die zum Verfahren beigezogen worden sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist erfolgreich. Die Beklagte ist nicht berechtigt, von der Klägerin Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung für den Beigeladenen zu 1. nachzufordern. Das angefochtene erstinstanzliche Urteil ist aufzuheben; die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind insoweit zu ändern.

Der Senat geht zwar ebenso wie das Sozialgericht und die Beklagte davon aus, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. in dem streitigen Zeitraum vom 1. September 1992 bis zum 31. Mai 1993 gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) der Rentenversicherungspflicht unterlag und dass gemäß dem im streitigen Zeitraum maßgeblichen § 168 Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung bestand. Nach der gebotenen Gesamtabwägung überwiegen die Merkmale, die für das Vorliegen einer nicht selbständigen Beschäftigung - gegen Entgelt - im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) und gegen das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit sprechen. Der Beigeladene zu 1. hat für die Beschäftigung bei der Klägerin kein eigenes Kapital und/oder die eigene Arbeitskraft mit der Gefahr auch eines Verlustes eingesetzt; der Erfolg des Einsatzes der sächlichen und der persönlichen Mittel ist also nicht ungewiss gewesen. Auch nach den Angaben des Beigeladenen zu 1. im Termin am 18. November 2004 ist davon auszugehen, dass er seine schon seit Jahren bei der Klägerin ausgeübte, versicherungspflichtige Beschäftigung im streitigen Zeitraum im Wesentlichen nur zeitlich reduziert hat. Im Übrigen nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die insoweit zutreffenden Ausführungen in dem erstinstanzlichen Urteil (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Beitragsnachforderung kann von der Beklagten indes nicht (mehr) geltend gemacht werden, da sie verwirkt ist.

Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch für das Sozialversicherungsrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung anerkannt (BSG, Urteil vom 14. Juli 2004 - B 12 KR 1/04 R -, Die Beiträge Beilage 2004, 257; Urteil vom 14. Juli 2004 - B 12 KR 7/04 R -, Die Beiträge Beilage 2004, 259; Urteil vom 18. November 1980 - 12 RK 59/79 -, BSGE 51, 31). Verwirkung einer Beitragsforderung setzt voraus, dass die Beitragsberechtigten - die Beklagte und die beigeladenen übrigen Versicherungsträger - die Ausübung ihres Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen haben und dass der Verpflichtete zudem aufgrund eines konkreten Verhaltens des Forderungsberechtigten darauf vertrauen durfte und auch tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr besteht oder nicht mehr geltend gemacht wird (BSG, Urteile vom 14. Juli 2004, a.a.O.), so dass die verspätete Geltendmachung ihm gegenüber als illoyal und nicht zumutbar erscheinen würde.

Die Klägerin durfte aufgrund des Verhaltens der Beigeladenen zu 4. darauf vertrauen, dass die in den Jahren 1992 und 1993 entstandenen Beitragsforderungen für den Beigeladenen zu 1. nach Ablauf von drei bzw. vier Jahren nicht mehr geltend gemacht werden und muss die durch die verspätete Geltendmachung für sie entstehenden Nachteile nicht hinnehmen; die Beklagte muss sich den von der Beigeladenen zu 4. geschaffenen Vertrauenstatbestand zurechnen lassen.

Entgegen ihrer Auffassung ergeben sich für die Klägerin zwar keine weiter gehenden Rechte allein aus der Tatsache, dass die Beigeladene zu 4. - als seinerzeit zuständige Prüfbehörde - anlässlich der Betriebsprüfung am 31. Mai 1994 die Behandlung der Beschäftigung des Beigeladenen zu 1. nicht beanstandet hat bzw. in dem Prüfbericht keinerlei Beanstandungen vermerkt hat. Betriebsprüfungen bezwecken - ebenso wie die Prüfberichte - nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm "Entlastung" zu erteilen; sie dienen nur dazu, Beitragsausfälle zu verhindern bzw. andere Versicherungsträger davor zu bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für nicht versicherungspflichtige Personen Leistungsansprüche entstehen (BSG, Urteile vom 14. Juli 2004, a.a.O. sowie Urteil vom 29. Juli 2003 - B 12 AL 1/02 R -, SGb 2003, 625). Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben jedoch das Recht, in Zweifelsfällen gemäß § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV rechtzeitig eine Entscheidung der Beitragseinzugsstelle über die Versicherungs- und Beitragspflicht des Arbeitnehmers in Form eines Verwaltungsaktes herbeizuführen, an den die Versicherungsträger gebunden sind (BSG, Urteile vom 14. Juli 2004 a.a.O.; Urteil vom 29. Juli 2003, a.a.O.). Dieses Recht hat die Klägerin wahrgenommen, indem sie mit ihrem Schreiben vom 31. Juli 1992 an die Beigeladene zu 4. als zuständige Einzugsstelle herangetreten ist mit der Bitte um Prüfung und Bewertung der (unübersichtlichen) Beschäftigungsverhältnisse bzw. Tätigkeiten des Beigeladenen zu 1. Einen entsprechenden Verwaltungsakt hat die Beigeladene zu 4. mit ihrem Schreiben vom 13. August 1992 erlassen, wonach die Prüfung ergeben habe, dass für den Beigeladenen zu 1. aufgrund seines Beschäftigungsverhältnisses bei der Klägerin keine Versicherungspflicht zur Kranken-, Renten- noch zur Arbeitslosenversicherung bestehe. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts führt der Umstand, dass dieser Bescheid an den Beigeladenen zu 1. und nicht an die Klägerin adressiert war, nicht dazu, dass sich die Klägerin nunmehr nicht auf die Entscheidung berufen kann. Zum einen gingen die Beteiligten nach Aktenlage übereinstimmend davon aus, dass mit diesem Verwaltungsakt vom 13. August 1992, von dem die Klägerin offensichtlich Kenntnis erlangt hat, die Anfrage der Klägerin im Schreiben vom 31. Juli 1992 erledigt worden ist. So hat die Beigeladene zu 4. in ihrem Schreiben an die Beklagte vom 19. Januar 1998 mitgeteilt, die Klägerin habe auf ihre Anfrage keine gesonderte Mitteilung erhalten; die Mitteilung an den Beigeladenen zu 1. sei als Antwort auf das Schreiben der Klägerin vom 31. Juli 1992 zu werten. Zum anderen kann hinsichtlich des Bestehens die Versicherungspflicht gegenüber dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer nur einheitlich entschieden werden; beide haben - wie oben ausgeführt - das Recht, eine Entscheidung der Einzugsstelle herbeizuführen mit der Folge der Bindung der Versicherungsträger.

Die Klägerin durfte auf den fehlerhaften Bescheid der Beigeladenen zu 4. auch vertrauen. Die Abweichung des tatsächlich im streitigen Zeitraum gezahlten Gehaltes von den Angaben in dem Schreiben der Klägerin vom 31. Juli 1992 kann für die fehlerhafte Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses durch die Beigeladene zu 4. nicht ursächlich gewesen sein. Nach Inhalt und Wortlaut des Bescheides vom 13. August 1992 ("Beschäftigung" im Gegensatz zu "selbständiger Tätigkeit") ist davon auszugehen, dass die Beigeladene zu 4. (zutreffend) von einer abhängigen, aber versicherungs- und beitragsfreien Nebenbeschäftigung des Beigeladenen zu 1. ausgegangen ist. Eine Beschäftigung ist nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV in der hier anzuwendenden, vom 1. Januar 1983 bis zum 17. Juni 1994 geltenden Fassung geringfügig und damit rentenversicherungsfrei gewesen, wenn die Beschäftigung weniger als 15 Stunden in der Woche ausgeübt worden ist und das Arbeitsentgelt regelmäßig im Monat ein Sechstel des Gesamteinkommens nicht überstiegen hat. Beitragsfrei in der Arbeitslosenversicherung waren Arbeitnehmer nach § 169a Abs.1 i. V. m. § 102 AFG in einer kurzzeitigen Beschäftigung, d. h. in einer Beschäftigung, die auf weniger als 18 Stunden wöchentlich beschränkt gewesen ist. Maßgebliches Kriterium für die Beurteilung der Beschäftigung des Beigeladenen zu 1. ist somit nicht nur die Höhe des Verdienstes des Beigeladenen zu 1. gewesen, sondern auch der zeitliche Umfang der Beschäftigung. Unstreitig hat der Beigeladene zu 1. indes seine Beschäftigung in dem streitigen Zeitraum von 36 auf die Hälfte, d. h. auf 18 Stunden reduziert (davon geht auch die Beklagte aufgrund des Prüfberichtes aus dem Jahre 1996 aus), so dass schon aus diesem Grund Versicherungs- und Beitragsfreiheit nicht in Betracht gekommen und die Bewertung der Beigeladenen zu 4. in dem Bescheid aus dem Jahre 1992 fehlerhaft gewesen ist. Auch wenn der Beigeladene zu 1. tatsächlich in dem streitigen Zeitraum als monatliches Entgelt 3.000,00 DM (wie in dem Schreiben vom 31. Juli 1992 in Aussicht gestellt) erhalten hätte, wäre im Übrigen ein Sechstel des Gesamteinkommens überschritten gewesen. Es kommt daher nicht darauf an, dass er tatsächlich ein noch höheres monatliches Entgelt für seine Beschäftigung bei der Klägerin im streitigen Zeitraum erhalten hat. Aufgabe der Beigeladenen zu 4. ist es gewesen, den Sachverhalt für die Beurteilung des Versicherungsverhältnisses vollständig zu ermitteln. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin die Fehlerhaftigkeit des Bescheides vom 13. August 1992 kannte oder Informationen bewusst zurückgehalten hat, sind nicht ersichtlich.

Die Tatsache, dass die Beigeladene zu 4. inzwischen mit ihrem Bescheid vom 23. Oktober 1997 ihren ursprünglichen Bescheid vom 13. August 1992 aufgehoben hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Aufhebung ändert nichts an dem einmal geschaffenen Vertrauenstatbestand für den hier maßgeblichen, in der Vergangenheit liegenden Zeitraum. Davon abgesehen ist der Bescheid vom 23. Oktober 1997 rechtswidrig und aufzuheben. Auf Antrag der Klägerin und des Beigeladenen zu 1. konnte der Senat diesen Bescheid, der das Versicherungsverhältnis des Beigeladenen zu 1. und damit auch die Beitragsnachforderung für den betreffenden Zeitraum betrifft, in das Berufungsverfahren einbeziehen (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 7. Auflage, München 2002, § 86 a Rdnr. 4, § 96 Rdnr. 12). Der Bescheid der Beigeladenen zu 4. vom 23. Oktober 1997 ist rechtswidrig, da die Aufhebung des ursprünglichen Bescheides vom 13. August 1992 auf § 48 SGB X gestützt worden ist. Diese Vorschrift kommt indes bei anfänglich rechtswidrigen Verwaltungsakten nicht zur Anwendung. Die Rücknahme des von Anfang an rechtswidrigen und aus Sicht der Beteiligten begünstigenden Bescheides kommt nur unter den (engen) Voraussetzungen des § 45 SGB X in Betracht. Gemäß § 43 Abs. 3 SGB X kann die auf § 48 SGB X gestützte Entscheidung der Beigeladenen zu 4. auch nicht in einen Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X umgedeutet werden, denn die Aufhebung nach § 48 SGB X ergeht als eine gebundene Entscheidung, während die Rücknahme nach § 45 SGB X im Ermessen der Behörde steht, mithin die Ausübung eines Ermessens voraussetzt.

Durch die nachträgliche Erfüllung ihrer Beitragsschuld würde der Klägerin auch ein Nachteil entstehen, der ihr unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht zumutbar ist. Bei rechtzeitiger Feststellung hätte die Klägerin gegenüber dem Beigeladenen zu 1. einen Anspruch auf den Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag geltend machen können, was gemäß § 28 g SGB IV nur im Wege des Abzugs vom Arbeitsentgelt erfolgen kann. Dies hat die Klägerin, die auf die Richtigkeit der Feststellungen der Beigeladenen zu 4. vertraut hat, unterlassen; nunmehr wäre ihr ein Lohnabzug nicht mehr möglich, da der Beigeladene zu 1. bei ihr nicht mehr beschäftigt ist (vgl. dazu Seewald in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht Band 1, Stand April 1999, § 28 g SGB V Rdnr. 7). Diese Auswirkungen der verspäteten Beitragsforderung erscheinen insbesondere unter dem Gesichtspunkt nicht hinnehmbar, dass die Klägerin rechtzeitig um Klärung durch die Beigeladene zu 4. gebeten hat und dieser ein Pflichtverstoß hinsichtlich der Prüfung und Bewertung des Versicherungsverhältnisses des Beigeladenen zu 1. vorgeworfen werden kann. Den Beigeladenen zu 2. und 3. und damit der Versichertengemeinschaft erwachsen durch das Unterbleiben der Beitragsnachforderung auch keine Nachteile. Zum einen hat sich der Beigeladene zu 1. im Hinblick auf die Feststellung der Versicherungsfreiheit durch die Beigeladene zu 4. bei der Beigeladenen zu 3. im streitigen Zeitraum freiwillig versichert und entsprechend Beiträge entrichtet. Zum anderen haftet die Beigeladene zu 4. als Einzugsstelle den anderen Trägern für einen diesen zugefügten Schaden, sofern eine schuldhafte Pflichtverletzung eines ihrer Organe oder Bediensteten vorliegt (§ 28r SGB IV).

Die Beklagte muss sich das Verhalten der Beigeladenen zu 4. als der primär für die einschlägigen Entscheidungen zuständigen Einzugsstelle zurechnen lassen; beide Versicherungsträger sind im Rahmen der Überwachung sowie der Feststellung von Versicherungspflicht und Beitragshöhe nach den §§ 28h Abs. 2 und 28p Abs. 1 SGB IV eingebunden und wirken insoweit zusammen (vgl. BSG, Urteil vom 14. Juli 2004, a.a.O. sowie Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 10. Juni 2003 - L 1 KR 83/02 -, NZS 2004, 432).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der hier maßgeblichen, bis zum 2. Januar 2002 geltenden Fassung durch Artikel 15 Nr. 2 des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992, da die Berufung vor dem Inkrafttreten des 6. SGG-Änderungsgesetzes vom 17. August 2001 eingelegt worden ist (vgl. dazu BSG, Urteil vom 8. Juli 2002 - B 3 P 3/02 R-).

Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorgelegen haben.
Rechtskraft
Aus
Saved