L 7 P 7/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 P 7/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 P 7/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 P 7/05 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11. Dezember 2000 wird zurückgewiesen.
II. Die Klage gegen den Bescheid vom 9. Juni 2004 wird abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Pflegegeld nach Pflegestufe III ab 30.09.1998 streitig.

Die 1942 geborene Klägerin leidet an einer angeborenen Armverkürzung links und den Folgen einer im Mai 1999 erlittenen Hirnblutung mit Hemiparese rechts. Am 17.09.1998 beantragte sie Leistungen aus der Pflegeversicherung. In dem nach Hausbesuch vom 23.11.1998 erstellten Gutachten der Pflegefachkraft K. vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen in Bayern (MDK) vom 27.11.1998 wurde ein Grundpflegebedarf von 155 Minuten angenommen.

Mit Bescheid vom 30.11.1998 bewilligte die Beklagte Leistungen ab Pflegestufe II ab September 1998. Den Widerspruch wies die Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme nach Aktenlage durch die Pflegefachkraft K. vom 27.08.1999 mit Widerspruchsbescheid vom 25.01.2000 als unbegründet zurück.

Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht Nürnberg (SG) hat mehrere Befundberichte eingeholt und den Medizinaloberrat Dr.L. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser hat die Klägerin am 08.05.2000 zu Hause aufgesucht und in seinem Gutachten vom 26.05.2000 ausgeführt, der Hilfebedarf der Klägerin im Bereich der Grundpflege erreiche im Wochendurchschnitt täglich 207 Minuten.

Mit Urteil vom 11.12.2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Kammer verkenne nicht, dass bei der Klägerin Funktionsdefizite und Funktionseinschränkungen aufgrund der am 28.05.1998 erlittenen Gehirnblutung bestünden und darüber hinaus die Klägerin durch eine obere Armplexusparese links seit Geburt behindert sei. Dies führe zu einem hohen Hilfebedarf bei den Verrichtungen des täglichen Lebens, allerdings nicht in einem Ausmaß, das Leistungen nach der Pflegestufe III rechtfertige. Dies ergebe sich aus den Berichten des Klinikums am E. vom 12.10.1998 und 19.05.1999 sowie dem Befundbericht des Dr.W. vom 11.04.2000. Vor diesem Hintergrund halte die Kammer die jetztigen Aussagen und Erhebungen des Sachverständigen Dr.L. für überzeugend und nachvollziehbar.

Zur Begründung ihrer Berufung verweist die Klägerin auf das vorgelegte Pflegetagebuch, das aufgrund der individuellen Gegebenheiten die sog. Zeitkorridore ausschöpfe oder leicht überschreite. Ihrem Ehemann obliege eine Rund-um-die-Uhr-Beobachtung.

In dem Termin am 28.08.2001 ist der Ehemann als Zeuge vernommen worden; bezüglich seiner Aussage wird auf das Protokoll Bezug genommen. Der Senat hat von dem Orthopäden Dr.S. die Auskunft vom 10.09.2001 über die Anzahl der Krankengymnastikverordnungen und deren Zweck eingeholt, ebenso eine Auskunft des Allgemeinarztes Dr.W. vom 10.09.2001 und der Ärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie Dr.M. vom 27.09.2001. Von diesen Ärzten hat er ergänzende Stellungnahmen vom 14. bzw. 16. bzw. 23.05.2002 eingeholt. Am 15.07.2003 ist der Ehemann erneut als Zeuge vernommen worden.

Der Senat hat weiterhin Auskünfte über die Krankengymnastiktermine in der Praxis R. und in der Praxis für Physiotherapie O. eingeholt. Die vom Senat mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.A. hat mitgeteilt, sie habe die Klägerin am 10.04.2004 zu Hause aufsuchen wollen, auf ihr Läuten hin sei der Ehemann auf der Rückseite des Hauses auf sie zugekommen und habe ihr mitgeteilt, seine Frau lasse sich von ihr nicht untersuchen, sie sei nicht ansprechbar. Sie sei jedenfalls nicht in das Haus gelassen worden. Im Schreiben vom 30.06.2004 hat der Bevollmächtigte der Klägerin bestätigt, dass mit einer Untersuchung durch einen gerichtsärztlichen Sachverständigen kein Einverständnis bestehe.

Aufgrund eines Neuantrages vom 13.05.2004 ist jedoch die Klägerin am 13.05.2004 von einer Pflegefachkraft G. vom MDK aufgesucht und untersucht worden; in dem Gutachten vom 07.06.2004 ist für den Bereich der Grundpflege ein Hilfebedarf von 202 Minuten anerkannt worden. Mit Bescheid vom 09.06.2004 hat die Beklagte die Bewilligung höherer Leistungen erneut abgelehnt.

Abschließend hat die Klägerin eine Aufstellung des täglichen Pflegebedarfes vorgelegt, die für die Körperpflege 268 Minuten, für die Ernährung 40 und für die Mobilität 221 Minuten aufweist.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.12.2000 sowie des Bescheides vom 30.11.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2000 und des Bescheides vom 09.06.2004 zu verurteilen, ihr ab 30.09.1998 häusliches Pflegegeld nach Pflegestufe III zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Besuche bei Ärzten, Krankengymnasten und Masseuren seien nur anerkennungsfähig, soweit sie zur Aufrechterhaltung des Lebens im häuslichen Umfeld erforderlich seien.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, da die Voraussetzungen für den Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe III gegenwärtig nicht gegeben sind.

Es ist nicht nachgewiesen, dass der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens fünf Stunden beträgt, und hierbei auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen (§ 15 Abs.3 Nr.3 SGB XI). Vielmehr ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gutachten des Dr.L. vom 26.05.2000, dass die gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität im Sinne des § 14 Abs.4 Nrn.1 bis 3 SGB XI weniger als vier Stunden täglich umfassen, weshalb dahinstehen kann, in welchem Umfang Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung erforderlich ist. Dies ist durch das Gutachten der Pflegefachkraft G. vom MDK vom 07.06.2004 bestätigt worden.

Bei der Klägerin ist laut Dr.L. zweimal am Tag fast die vollständige Ganzkörperwäsche notwendig, wofür insgesamt 40 Minuten anzusetzen sind. Falls die Angaben der Klägerin zutreffen, dass mehrmals in der Woche geduscht und circa einmal in der Woche gebadet wird, so wäre der Zeitbedarf von 20 Minuten für eine Ganzkörperwäsche abzuziehen. Allenfalls könnte ein zusätzlicher Hilfebedarf von maximal 5 Minuten pro Woche und damit 1 Minute täglich angenommen werden, weshalb sich insgesamt ein täglicher Hilfbedarf von 41 Minuten ergibt. Die Hilfe bei der Zahnpflege umfasst 5, beim Kämmen 2 Minuten. Für die Darm- und Blasenentleerung ist ein Hilfebedarf von 50 Minuten angemessen, da die Klägerin angibt, zehnmal am Tag die Toilette aufzusuchen; die hierbei erforderliche Begleitung beim Weg zur Toilette wird bei dem Bereich der Mobilität berücksichtigt. Für die Zubereitung der Nahrung, insbesondere das Zerschneiden festerer Speisen, sind pro Mahlzeit maximal 3 Minuten ansetzbar, weshalb sich insgesamt 12 Minuten ergeben; im Übrigen kann die Klägerin das Besteck ausreichend sicher zum Mund führen und auch ein Glas sicher benutzen.

Für die Hilfe beim Aufstehen und Zubettgehen sowie bei dem mehrmals, auch nachts, erforderlichen Umlagern sind jeweils 2 Minuten angemessen, so dass insgesamt 16 Minuten anzusetzen sind. Die Klägerin benötigt Hilfe beim An- und Auskleiden für jeweils 10 Minuten, beim An- bzw. Ausziehen der Nachtbekleidung für 6 Minuten, zusätzlich derartige Hilfen beim Toilettenbesuch und bei den Ruhepausen untertags von noch einmal 5 Minuten, so dass insgesamt 31 Minuten anzusetzen sind. Für das zehnmalige Aufsuchen der Toilette sind jeweils 2 Minuten und damit insgesamt 20 Minuten angemessen. Zusätzlich sind für die Hilfe beim Stehen während des Waschvorganges insgesamt 4 Minuten anzunehmen.

Dr.L. hat die Angaben der Klägerin zugrunde gelegt, wonach sie einmal pro Woche den Arzt aufsuche, zweimal pro Woche die Krankengymnastik und einmal pro Woche die Massagepraxis. Die Fahrzeiten bei Arzt- und Krankengymnastikbesuch betrügen jeweils 20 Minuten pro Strecke, die einfache Fahrzeit zur Massagepraxis 30 Minuten; insgesamt ergebe sich ein Hilfebedarf von 180 Minuten pro Woche und ein Tagesdurchschnitt von 26 Minuten. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass Dr.L. zu Unrecht die jeweils anfallenden Wartezeiten nicht berücksichtigt hat; vielmehr ist pro Arzt- bzw. Behandlungsbesuch eine Wartezeit von 30 bis 45 Minuten anzusetzen (vgl. BSG, Urteil vom 06.08.1998, B 3 B 17/97 R). Andererseits ergibt die Auswertung der Auskünfte der behandelnden Ärzte, dass nicht regelmäßig pro Woche vier anerkennungsfähige Auswärtstermine anfallen. Aus den Befundberichten der Ärzte Dr.S. , Dr.W. und Dr.M. lassen sich für die Zeit von September 1998 bis September 2001 insgesamt 43 Arztbesuche entnehmen; verteilt auf 36 Monate ergibt dies eine monatliche Häufigkeit von 1,2 und eine wöchentliche von 0,3; zudem ist in dem Gutachten des MDK vom 07.06.2004 festgehalten, dass Arztbesuche circa 14-tägig stattfinden. Die Krankengymnastiktermine fanden im Jahr 1999 62-mal, im Jahr 2000 44-mal, in den Jahren 2001 und 2002 62-mal und im Jahre 2003 bis einschließlich Juli 42-mal statt. Bezüglich der Massagen liegen Zeitangaben erst ab September 2001 vor; danach fanden im Jahr 2002 51 Termine und im Jahre 2003 bis einschließlich April 14 Termine statt. Für das Jahr 2002 ergeben sich umgerechnet auf die Woche, 2,17 Termine für Krankengymnastik und Massage, im Jahr 2003 wöchentlich 2,36 Besuche. Rechnet man die festgestellten Arztbesuche von 0,3 pro Woche hinzu, ergeben sich für das Jahr 2002 2,47 Besuche pro Woche und für die Zeit bis April 2003 2,66 Besuche. Nimmt man als Mittelwert für die einfache Fahrt 25 Minuten und eine nach der Rechtsprechung des BSG maximale Wartezeit von 45 Minuten an, so ergibt sich pro Fahrt und Behandlung ein Zeitaufwand von 95 Minuten. Multipliziert mit dem Faktor 2,47 für das Jahr 2002 und dividiert durch 7 ergibt sich ein täglicher Wert von 33,5, für das Jahr 2003 von 36,1. Damit sind anstelle der von Dr.L. für die Begleitung außerhalb des Hauses angesetzten 26 Minuten circa 36 Minuten anzunehmen, so dass sich ein Grundpflegebedarf von 217 Minuten ergibt. Geht man davon aus, dass die Angaben des Ehemannes der Klägerin zutreffen, dass die Mahlzeiten in der Küche eingenommen und die Klägerin hierzu vom Wohnzimmer in die Küche begleitet werden muss, so sind pro Mahlzeit weitere 2 Minuten und damit insgesamt 8 Minuten, für die gesamte Grundpflege 225 Minuten anzusetzen.

Die Annahme längerer Pflegezeiten ist demgegenüber nicht zu begründen. Zudem war eine weitere Sachaufklärung durch das Gericht nicht möglich, da die Klägerin bzw. ihr Ehemann einer Untersuchung durch die gerichtsärztliche Sachverständige nicht zugelassen haben. Eine erneute Vernehmung des Ehemannes als Zeugen ist nicht geeignet, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Zum einen ist der Ehemann bereits in zwei Terminen als Zeuge vernommen worden; zum anderen ist eine Übernahme der von ihm tatsächlich durchgeführten Pflegezeiten nicht möglich, da als objektiver Zeitaufwand der eines Familienangehörigen oder einer anderen nicht als Pflegekraft ausgebildeten Pflegeperson anzusetzen ist, dessen Beurteilung wiederum einen Sachverständigenbeweis erfordert.

Somit war die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.12.2000 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 162 Abs.1 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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