Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 10 SB 252/99
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 B 164/04 SB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Vorschriften über die Ersatzzustellung nach den §§ 178 ff. ZPO finden für die Zustellung nach § 175 ZPO keine Anwendung.
2. Einem Zeugen oder Beteiligten gegenüber, der erst sechs Tage vor dem Termin von dem Termin erfährt, darf in der Regel wegen des Nichterscheinens kein Ordnungsgeld festgesetzt werden, auch wenn das Nichterscheinen auf schlichter Nichtbeachtung der Ladung beruht.
2. Einem Zeugen oder Beteiligten gegenüber, der erst sechs Tage vor dem Termin von dem Termin erfährt, darf in der Regel wegen des Nichterscheinens kein Ordnungsgeld festgesetzt werden, auch wenn das Nichterscheinen auf schlichter Nichtbeachtung der Ladung beruht.
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 04.02.2004 aufgehoben.
Gründe:
I.
Die Beschwerde richtet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes. Das mittlerweile erledigte Ausgangsverfahren betraf Streitpunkte auf dem Gebiet des Schwerbehindertenrechtes. Mit Verfügung vom 06.01.2004 wurde Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf den 04.02.2004, 10.00 Uhr. Das persönliche Erscheinen des Klägers wurde angeordnet. Da am 28.01.2004 das Empfangsbekenntnis des Klägers noch nicht eingegangen war, wurde der Kläger mit Postzustellungsurkunde geladen; die Postzustellungsurkunde vom 29.01.2004 weist aus, dass das Schriftstück dem Kläger zu übergeben versucht wurde, die Übergabe sei jedoch nicht möglich gewesen, und deswegen sei das Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt worden. Zum Termin erschien der Kläger nicht. Es wurde daraufhin ein Beschluss des Inhalts verkündet, dass gegen den Kläger ein Ordnungsgeld in Höhe von 150,00 EUR verhängt werde. Der Kläger habe sich weder telefonisch noch schriftlich entschuldigt. In Anbetracht der Tatsache, dass er bereits zweimal an einer mündlichen Verhandlung teilgenommen habe und die Gepflogenheiten ihm deshalb ohne weiteres bekannt sein dürften, sei das Ordnungsgeld festzusetzen gewesen. Die Kammer halte im Hinblick auf die Schwere des Verstoßes und darauf, dass der Kläger über ein geregeltes Einkommen verfüge, den Betrag von 150,00 EUR für angemessen. Die Sitzungsniederschrift mit dem darin enthaltenen Beschluss wurde dem Kläger am 05.02.2004 mit Übergabeeinschreiben mit Rückschein übersandt. Der Rückschein, aus dem nicht hervorgeht, welches Postdienstleistungsunternehmen den Auftrag ausgeführt hat, enthält in der Rubrik "Sendung erhalten/eingeworfen" die Unterschrift einer B ... P ... sowie das Datum 06.02.2004 und die Uhrzeit 09.00 Uhr. Darunter ist in Durchschrift eingetragen: Lebensgefährtin. In dem Kästchen mit dem Vermerk "Signum" finden sich die handschriftlichen Buchstaben Bu. Im danach bestimmten Termin am 17.03.2004, bei dem wiederum das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet worden war, nahm der Kläger die Klage zurück. Die mündliche Verhandlung, in welcher laut Niederschrift der Sachverhalt vorgetragen, den Beteiligten das Wort erteilt und die Sach- und Rechtslage eingehend erörtert worden war, hatte 14 Minuten gedauert. Dass auch die Frage des Ordnungsgeldes erörtert worden wäre, geht aus der Sitzungsniederschrift nicht hervor.
Jedenfalls sandte der Kläger dann am 25.03.2004 ein Telefax an das Sozialgericht, in welchem seine Anschlussnummer, seine Adresse, seine Telefonnummer, Datum und Uhrzeit sowie das korrekte Aktenzeichen des sozialgerichtlichen Verfahrens angegeben sind. Der Text lautet:
Hiermit erhebe ich Widerspruch gegen Ihren Ordnungsgeldbescheid, da ich zu diesem Termin 04.02.2004 nicht erschienen war. Leider war zu diesem Termin keine Mitteilung bei mir eingegangen. Außerdem lag ich durch meine Krankheit zu diesem Termin im Krankenhaus (Wasser abziehen). Aus diesem Grunde ist der Widerspruch berechtigt. Mit freundlichem Gruß, S ...
Das Telefax ist nicht unterschrieben.
Das Sozialgericht schrieb den Kläger daraufhin an, dass die Beschwerde verfristet eingegangen sei, jedoch Wiedereinsetzung gewährt werden könne, wenn Wiedereinsetzungsgründe geltend gemacht würden. Was hierunter zu verstehen ist, wird dann im einzelnen erläutert. Nachdem der Kläger daraufhin nicht reagierte, wurde die Sache dem Landessozialgericht vorgelegt, die Nichtabhilfeentscheidung wurde zunächst ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter getroffen. Nach entsprechendem Hinweis wurde mit Beschluss vom 08.09.2004 die Nichtabhilfeentscheidung unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter nachgeholt.
II.
Die statthafte und zulässige Beschwerde ist auch begründet.
Die Beschwerde ist zulässig. Zwar wurde eine Sendung des Sozialgerichts Chemnitz ausweislich des Rückscheins am 06.02.2004 einer "B ... P ..." ausgehändigt und das Telefax, mit welchem sich der Kläger (Beschwerdeführer) gegen den Ordnungsgeldbeschluss wendet, ist erst am 25.03.2004 beim Sozialgericht eingegangen; die Beschwerde ist gleichwohl nicht verfristet. Der Ordnungsgeldbeschluss vom 04.02.2004 wurde nämlich nicht wirksam zugestellt, die Rechtsmittelfrist begann daher nicht am 06.02.2004 zu laufen.
Gemäß § 73 Abs. 1 SGG sind Anordnungen und Entscheidungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, den Beteiligten zuzustellen. Diese zwingende Vorschrift soll sicher stellen, dass der Adressat das Schriftstück erhält und das Gericht einen Nachweis über die Zustellung, an die der Fristbeginn anknüpft, erhält (vgl. Meyer-Ladewig § 73 SGG Rd-Nr. 3a). Es genügt also nicht für den Fristbeginn, wenn "unstreitig" der Adressat zu einem bestimmten Zeitpunkt das Schriftstück erhalten hat. Die Zustellung hat somit eine Doppelfunktion: Zunächst einmal ist sie das einzig zugelassene Beweismittel für den Zugang. Zum anderen stellt sie aber auch ein bestimmtes formalisiertes Verfahren dar, den Zugang zu ersetzen (Zugangsfiktion). Schließlich gibt es dann noch äußerst hilfsweise die dritte Stufe, die Zustellungsfiktion: Beispielsweise die öffentliche Zustellung ist solch ein Fall, in welchem durch Gesetz eine tatsächlich nicht erfolgte Zustellung fingiert wird.
Gemäß § 73 Abs. 2 SGG in der ab dem 01.07.2002 geltenden Fassung wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung zugestellt. § 175 ZPO lautet: "Ein Schriftstück kann durch Einschreiben mit Rückschein zugestellt werden. Zum Nachweis der Zustellung genügt der Rückschein." Der Rückschein ist begreiflicherweise keine öffentliche Urkunde (vgl. Zöller, ZPO 24. Auflage, § 175 Rd.-Nr. 4). Die schriftlichen Erklärungen auf dem Rückschein haben daher lediglich Beweiskraft nach § 416 ZPO, sie beweisen also, dass die vom Erklärer unterschriebene Erklärung tatsächlich auch von diesem abgegeben worden ist. Auf dem Rückschein vom 06.02.2004 hat Frau B ...P ... erklärt, "die Sendung" erhalten zu haben. Unterstellt man einmal, dass die entsprechenden Angaben auf dem Rückschein (Aktenzeichen, NSv. 04.02.04) ausreichend sind, um das Schriftstück zu individuallisieren, so ist hiermit gleichwohl der Nachweis der Zustellung gerade nicht erbracht worden. Die Vorschriften über die Ersatzzustellung nach den §§ 178 ff. ZPO finden für die Zustellung nach § 175 ZPO nämlich keine Anwendung. Die Übergabe des Schriftstücks an einen Familienangehörigen anstelle des Adressaten wäre aber nichts anderes als Ersatzzustellung. Die Zustellung nach § 175 ZPO setzt die Mitwirkung des Adressaten voraus: Verweigert dieser die Annahme, ist die Zustellung nach § 175 ZPO nicht ausführbar. Die praktischen Vorteile dieser Zustellungsart bestehen in der Unmittelbarkeit - wer selbst erklärt hat, ein Schreiben empfangen zu haben, wird dies später nur schwer bestreiten können - und in den niedrigeren Kosten. Der Beweiswert steht und fällt allerdings mit der Unterschrift des Adressaten. Auch wenn man mit Baumbach/Hartmann (ZPO 62. Auflage § 175 Rd.-Nr. 4) von einer öffentlichen Urkunde ausgeht, was bei privaten Postdienstleistungsunternehmen bedenklich sein dürfte, so kann doch Erklärungsinhalt dessen, was der "Amtsträger" bekundet, immer nur das sein, was dieser auch auf Grund eigener Wahrnehmungen bekunden kann, und diese Bekundungen sind nun - gleich welchen Inhalts - gerade nicht der Nachweis der Zustellung, wie er in § 175 ZPO vorgesehen ist. Selbst wenn also - wie es bei einem (hier nicht gegebenen) Rückschein der Deutschen Post AG der Fall ist - vom Zusteller der Text "Ich habe die Sendung dem Empfangsberechtigten übergeben" unterschrieben wurde, ist dieser Teil gerade nicht das beweisende Element für die Zustellung, denn dann wäre der Rückschein nichts anderes als eine - stark vereinfachte - Postzustellungsurkunde. Zweifelsohne ist aber § 175 Satz 2 ("Zum Nachweis der Zustellung gehört der Rückschein") so auszulegen, dass nur der vom Empfänger unterschriebene Rückschein die Zustellung beweisen kann. Erklärungen eines Dritten sind auch dann nicht der "Nachweis der Zustellung" im Sinne des § 175 ZPO, wenn sie auf dem Rückschein vorgenommen wurden. Nichts anderes gilt, wenn dieser oder diese Dritte eine dem Adressaten nahe stehende Person ist. Sicher kann eine Person mit wirksamer Empfangsvollmacht anstelle des Empfängers unterschreiben. Keineswegs kann jedoch eine solche Empfangsvollmacht bei "Lebensgefährten, Hausgenossen etc." unterstellt werden. Es wird zwar vertreten, dass auch ein "nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Postdienstleistungsunternehmens" Empfangsberechtigter die Zustellung wirksam bestätigen könnte (vgl. Zöller/Stöber a.a.O Rd.-Nr. 2). Dieser Auffassung, die also den Nachweis der Zustellung, der hier eigentlich durch die Zustellungsvorschriften vereinfacht werden soll, von den allgemeinen Geschäftsbedingungen der verschiedensten Postdienstleistungsunternehmen abhängig macht, ist abzulehen. Hiermit würde nicht nur die Befugnis zur Rechtsetzung durch Private eindeutig überdehnt, sondern auch die Funktion allgemeiner Geschäftsbedingungen verkannt: Zu welchen Bedingungen ein Postdienstleistungsunternehmen seine Dienstleistungen anbietet, ist ihm im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben (z.B. Postuniversaldienstleistungsverordnung) freigestellt. Ob die Art und Weise, wie das eine oder andere Postdienstleistungsunternehmen so genannte Einschreibesendungen mit Rückschein handhabt, den Zwecken der Auftraggeber, also zum Beispiel Gerichten, genügt, müssen diese selber herausfinden. Durch den Umstand, dass ein Postdienstleistungsunternehmen, wie zum Beispiel die Deutsche Post, in ihren AG Brief national aus Gründen der Praktikabilität geregelt hat, dass Einschreibesendungen mit Rückschein auch einer Reihe von anderen Personen übergeben werden dürfen, wird § 175 ZPO nicht zum Blankettgesetz, dessen eigentlicher Inhalt sich dann durch "Verordnungen" Privater bestimmt. Nur bei dem Zustellungsauftrag ist tatsächlich auch die Zustellung durch das Postdienstleistungsunternehmen geschuldet. Wenn es, wie bei dem Einschreiben mit Rückschein, gerade nicht Aufgabe des Zustellers ist, eine Zustellung zu bewirken, sondern vielmehr lediglich die Beförderung geschuldet ist und der Rückschein - ursprünglich - dem Auftraggeber gegenüber dokumentieren sollte, dass diese Beförderung ordnungsgemäß bewirkt wurde, dass also die Sendung die Adressatenadresse erreicht hat, dann kann nicht durch eine funktionswidrige Bezugnahme auf die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Post gleichermaßen ordnungsgemäße Beförderung mit ordnungsgemäßer Zustellung gleichgesetzt werden. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der Zusammenschau der Entstehungsgeschichte des Zustellungsreformgesetzes mit dem Übereinkommen aufgrund von Artikel K 3 des Vertrages über die Europäische Union über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (Amtsblatt Nr. C 261 vom 27.08.1997, Seite 2 - 16). Nach Artikel 14 Abs. 1 dieses Übereinkommens steht es jedem Mitgliedsstaat frei, Personen, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedsstaat haben, gerichtliche Schriftstücke unmittelbar durch die Post zustellen zu lassen. Dieses Übereinkommen betrifft grundsätzlich die Zustellungen im Verkehr von Mitgliedsstaat zu Mitgliedsstaat und berührt daher in erster Linie § 183 ZPO. Das Übereinkommen ermöglicht insoweit die "Zustellung durch die Post", es fordert sie aber nicht. Wenn in diesem Zusammenhang auf den Weltpostvertrag verwiesen wird, der die Möglichkeit eingeschriebener postalischer Sendungen vorsieht (vgl. BTDrucks. 14, 4554 zu § 183 Abs. 1 ZPO, Seite 23), so ist damit gerade nicht festgestellt, dass im Weltpostvertrag diese Sendungsart auch als "Zustellung" im Sinne der ZPO gilt. Auch die Postuniversaldienstleistungsverordnung (PUDLV) vom 15. Dezemer 1999 (BGBl. I, 2418) erwähnt lediglich die Einschreibesendung (§ 1 Abs. 2 Ziffer 1 PUDLV), ohne dass über deren Qualität als Zustellungsart Ausführungen gemacht werden. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung (BTDrucks 14/4554) formuliert als Zielsetzung, dass das Zustellungsreformgesetz das Verfahren bei förmlicher Zustellung in gerichtlichen Verfahren vereinfachen und den gewandelten Lebensverhältnissen anpassen soll. In der Begründung zu § 175 (BTDrucks a.a.O. Seite 19) findet sich allerdings der Hinweis, dass "nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen Post AG der eingeschriebene Brief einem Ersatzempfänger ausgehändigt werden kann". Dies darf allerdings nicht als gewissermaßen "authentische Interpretation des Gesetzes" durch den Gesetzgeber (welcher, wie häufig übersehen wird, weder die Bundesregierung noch der zuständige Referent ist) angesehen werden in dem Sinne, dass durch die Aushändigung an einen in den jeweiligen allgemeinen Geschäftsbedingungen mehr oder weniger präzise definierten "Ersatzempfänger" die Zustellung bewirkt wird, im Gegenteil: Diese Passage muss als Warnhinweis verstanden werden, dass nämlich eine wirksame Zustellung nach den jeweils geltenden allgemeinen Geschäftsbedingungen nur dann mit einiger Sicherheit erwartet werden kann, wenn der Auftrag den Vermerk "eigenhändig" trägt.
Da der Ordnungsgeldbeschluss also nicht wirksam zugestellt wurde, gilt die dagegen eingelegte Beschwerde nicht als verspätet.
Die Beschwerde wurde auch wirksam eingelegt.
Zwar schreibt § 173 SGG für die Einlegung der Beschwerde grundsätzlich die Schriftform vor, wobei durch richterrechtliches Gewohnheitsrecht (vgl. GemS NJW 2000, 2340) telegraphische und fernschriftliche Einlegung zugelassen wird, auch die Einlegung durch Telefax ist zulässig (BSG Breith. 86, 363), wobei das Fax grundsätzlich die Unterschrift wiedergeben muss. Allerdings gibt es auch hier Ausnahmen: Wenn das nämlich nicht geschehen ist, lässt die Rechtsprechung auch ein nicht unterschriebenes Fax genügen, wenn auf andere Weise ausreichende Gewähr für die Urheberschaft und den Willen, das Schriftstück in den Verkehr zu bringen, besteht (vgl. BVerwG NJW 95, 2121, BSG NJW 97, 1254). Hier hat sich der Kläger durch die Angabe seiner Faxnummer, seiner Adresse, des Datums und der Uhrzeit der Absendung sowie des Aktenzeichens sowie des Beschlusses mit Datum ausreichend ausgewiesen.
Die Beschwerde ist auch begründet.
Der - nachweisbare - Zugang der Ladung erfolgte erst zu einem Zeitpunkt der weniger als eine Woche vor dem Termin lag. Wird diese - für Anwaltsprozesse geltende - Frist des § 217 ZPO unterschritten, so kann damit einerseits - worauf es hier nicht ankommt - der Anspruch auf rechtliches Gehör tangiert sein, andererseits aber auch für die Frage des Verschuldens der Terminsversäumung ein wesentlicher Umstand vorliegen, der im Rahmen der Gesamtabwägung nicht unberücksichtigt bleiben kann. Je kurzfristiger ein Termin angesetzt wird, um so gravierender ist die Zumutung für den Betroffenen, was seinen Zeitplan angeht. Sicher bleibt immer ein gewisser "Verschuldensrest" auch bei dem Betroffenen hängen, wenn er bei Verhinderung nicht absagt, bzw. sich nachträglich nicht einmal entschuldigt. Andererseits ist die Möglichkeit, dem Bürger etwas zu "befehlen" auch für Gerichte eingeschränkt: Bereits wenn die Sollvorschrift des § 110 Abs. 1 Satz 1 SGG unterschritten ist, ist die staatliche Autorität, die in einer Ladung mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens liegt, gewissermaßen mit einem Makel behaftet, dieser Makel ist umso gewichtiger, je mehr gegen diese Sollvorschrift verstoßen wurde. Im Übrigen bedeutet Sollvorschrift nicht, dass es sich insoweit um eine Vorschrift handelt, die "eigentlich" nicht beachtet werden muss. Die Abweichung von einer Sollvorschrift bedarf einer konkreten Rechtfertigung: Es müssen ungewöhnliche Umstände ("atypische Fälle") gegeben sein, die das Abweichen von einer Sollvorschrift gleichwohl als rechtmäßig erscheinen lassen. Solche Umstände lagen hier nicht vor. Zwar hatte die Kammervorsitzende ausdrücklich verfügt, dass mit Postzustellungsurkunde zu laden sei; wenn dann von der Geschäftsstelle gleichwohl nur mit Empfangsbestätigung geladen wird, ist das ein Mangel im Organisationsbereich des Gerichts, welcher keine Abweichung von der Ladungsfrist rechtfertigt. Zusammenfassend ist also festzustellen, dass auch einem Zeugen gegenüber, welcher erst sechs Tage vor dem Termin hiervon erfährt und dann die Ladung schlechthin nicht beachtet, ein Ordnungsgeld in der Regel nicht festgesetzt werden dürfte. In einem solchen Fall liegen auf beiden Seiten gewisse Verstöße vor; in dieser Situation ist die Autorität des Gerichts, gleichwohl unbedingten Gehorsam zu verlangen, nicht mehr gegeben.
Der Senat verkennt nicht, dass durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Kläger die am 09.01.2004 abgeschickte Ladung erhalten hat. Solche Erwägungen müssen jedoch außer Betracht bleiben, da sich dies nicht nachweisen lässt. Die Tatsache, dass dem Kläger schon mit Schreiben vom 18.12.2003 (auch über dieses Schreiben findet sich kein Zugangsnachweis) mitgeteilt worden war, dass Termin zur mündlichen Verhandlung für den 04.02.2004 vorgesehen war, rechtfertigt ebenfalls keine andere Einschätzung. Es handelt sich bei diesem Schreiben - Zugang unterstellt - nicht um eine Ladung. Die Ankündigung des Gerichts, dass Termin zur mündlichen Verhandlung bereits für einen in naher Zukunft liegenden Termin vorgesehen ist, ist sicher sinnvoll und dient auch allgemein einem guten Klima im Sinne der Bürgernähe. Hiermit ist jedoch nicht die Aufforderung verbunden, sich diesen Termin vorsorglich schon einmal freizuhalten; solche mittelfristigen unverbindlichen Ankündigungen dürfen vom Bürger bis zu ihrer Aktualisierung sanktionslos vergessen werden.
In erster Linie aber ist der Ordnungsgeldbeschluss aufzuheben, da für den Kläger als Beteiligten andere Maßstäbe als bei einem Zeugen zu gelten haben. Der nicht erschienene Beteiligte schadet sich beim Ausbleiben allenfalls selbst (vgl. Sächsisches LSG, Beschluss vom 28.04.1999 - L 1 B 38/97 KR - m.w.N.). Auch die Absicht des Gerichts, eine streitige Entscheidung zu verhindern und die einvernehmliche Regelung zwischen den Beteiligten zu ermöglichen, rechtfertigt nicht die Festsetzung eines Ordnungsgeldes (vgl. LSG Berlin, Beschluss vom 10.06.2004 - L 3 B 14/04 U -. Grundsätzlich gilt, dass die Anordnung des persönlichen Erscheinens ermessensfehlerhaft ist und die Verhängung eines Ordnungsgeldes nicht rechtfertigt, wenn es einer weiteren Sachaufklärung durch die Partei nicht bedarf (vgl. Brandenburgisches OLG, ...RZ 2004, 467). Die Ermessensausübung, was die Festsetzung des Ordnungsgeldes betrifft, unterliegt der vollen inhaltlichen Überprüfung durch das Beschwerdegericht (vgl. Thüringer OLG NJ 2003, 211).
Da sich aus dem gesamten Akteninhalt keine Hinweise darauf ergeben, dass das Erscheinen des Klägers zur mündlichen Verhandlung erforderlich war - mit Schreiben vom 18.12.2003 war auf die Möglichkeit hingewiesen worden, Mutwillenskosten zu verhängen "Da sie trotz Hinweises des Gerichts auf das eindeutige Ergebnis des Gutachtens Ihre Klage aufrechterhalten" und das Protokoll der 14minütigen mündlichen Verhandlung vom 17.03.2004 erhält auch keine Hinweise auf einen noch erforderlichen Aufklärungsbedarf im Sinne des § 106 SGG - war der Beschluss des SG Chemnitz vom 04.02.2004 auf die zulässige Beschwerde des Klägers hin aufzuheben.
Diese Entscheidung ist nicht weiter anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Die Beschwerde richtet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes. Das mittlerweile erledigte Ausgangsverfahren betraf Streitpunkte auf dem Gebiet des Schwerbehindertenrechtes. Mit Verfügung vom 06.01.2004 wurde Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf den 04.02.2004, 10.00 Uhr. Das persönliche Erscheinen des Klägers wurde angeordnet. Da am 28.01.2004 das Empfangsbekenntnis des Klägers noch nicht eingegangen war, wurde der Kläger mit Postzustellungsurkunde geladen; die Postzustellungsurkunde vom 29.01.2004 weist aus, dass das Schriftstück dem Kläger zu übergeben versucht wurde, die Übergabe sei jedoch nicht möglich gewesen, und deswegen sei das Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt worden. Zum Termin erschien der Kläger nicht. Es wurde daraufhin ein Beschluss des Inhalts verkündet, dass gegen den Kläger ein Ordnungsgeld in Höhe von 150,00 EUR verhängt werde. Der Kläger habe sich weder telefonisch noch schriftlich entschuldigt. In Anbetracht der Tatsache, dass er bereits zweimal an einer mündlichen Verhandlung teilgenommen habe und die Gepflogenheiten ihm deshalb ohne weiteres bekannt sein dürften, sei das Ordnungsgeld festzusetzen gewesen. Die Kammer halte im Hinblick auf die Schwere des Verstoßes und darauf, dass der Kläger über ein geregeltes Einkommen verfüge, den Betrag von 150,00 EUR für angemessen. Die Sitzungsniederschrift mit dem darin enthaltenen Beschluss wurde dem Kläger am 05.02.2004 mit Übergabeeinschreiben mit Rückschein übersandt. Der Rückschein, aus dem nicht hervorgeht, welches Postdienstleistungsunternehmen den Auftrag ausgeführt hat, enthält in der Rubrik "Sendung erhalten/eingeworfen" die Unterschrift einer B ... P ... sowie das Datum 06.02.2004 und die Uhrzeit 09.00 Uhr. Darunter ist in Durchschrift eingetragen: Lebensgefährtin. In dem Kästchen mit dem Vermerk "Signum" finden sich die handschriftlichen Buchstaben Bu. Im danach bestimmten Termin am 17.03.2004, bei dem wiederum das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet worden war, nahm der Kläger die Klage zurück. Die mündliche Verhandlung, in welcher laut Niederschrift der Sachverhalt vorgetragen, den Beteiligten das Wort erteilt und die Sach- und Rechtslage eingehend erörtert worden war, hatte 14 Minuten gedauert. Dass auch die Frage des Ordnungsgeldes erörtert worden wäre, geht aus der Sitzungsniederschrift nicht hervor.
Jedenfalls sandte der Kläger dann am 25.03.2004 ein Telefax an das Sozialgericht, in welchem seine Anschlussnummer, seine Adresse, seine Telefonnummer, Datum und Uhrzeit sowie das korrekte Aktenzeichen des sozialgerichtlichen Verfahrens angegeben sind. Der Text lautet:
Hiermit erhebe ich Widerspruch gegen Ihren Ordnungsgeldbescheid, da ich zu diesem Termin 04.02.2004 nicht erschienen war. Leider war zu diesem Termin keine Mitteilung bei mir eingegangen. Außerdem lag ich durch meine Krankheit zu diesem Termin im Krankenhaus (Wasser abziehen). Aus diesem Grunde ist der Widerspruch berechtigt. Mit freundlichem Gruß, S ...
Das Telefax ist nicht unterschrieben.
Das Sozialgericht schrieb den Kläger daraufhin an, dass die Beschwerde verfristet eingegangen sei, jedoch Wiedereinsetzung gewährt werden könne, wenn Wiedereinsetzungsgründe geltend gemacht würden. Was hierunter zu verstehen ist, wird dann im einzelnen erläutert. Nachdem der Kläger daraufhin nicht reagierte, wurde die Sache dem Landessozialgericht vorgelegt, die Nichtabhilfeentscheidung wurde zunächst ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter getroffen. Nach entsprechendem Hinweis wurde mit Beschluss vom 08.09.2004 die Nichtabhilfeentscheidung unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter nachgeholt.
II.
Die statthafte und zulässige Beschwerde ist auch begründet.
Die Beschwerde ist zulässig. Zwar wurde eine Sendung des Sozialgerichts Chemnitz ausweislich des Rückscheins am 06.02.2004 einer "B ... P ..." ausgehändigt und das Telefax, mit welchem sich der Kläger (Beschwerdeführer) gegen den Ordnungsgeldbeschluss wendet, ist erst am 25.03.2004 beim Sozialgericht eingegangen; die Beschwerde ist gleichwohl nicht verfristet. Der Ordnungsgeldbeschluss vom 04.02.2004 wurde nämlich nicht wirksam zugestellt, die Rechtsmittelfrist begann daher nicht am 06.02.2004 zu laufen.
Gemäß § 73 Abs. 1 SGG sind Anordnungen und Entscheidungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, den Beteiligten zuzustellen. Diese zwingende Vorschrift soll sicher stellen, dass der Adressat das Schriftstück erhält und das Gericht einen Nachweis über die Zustellung, an die der Fristbeginn anknüpft, erhält (vgl. Meyer-Ladewig § 73 SGG Rd-Nr. 3a). Es genügt also nicht für den Fristbeginn, wenn "unstreitig" der Adressat zu einem bestimmten Zeitpunkt das Schriftstück erhalten hat. Die Zustellung hat somit eine Doppelfunktion: Zunächst einmal ist sie das einzig zugelassene Beweismittel für den Zugang. Zum anderen stellt sie aber auch ein bestimmtes formalisiertes Verfahren dar, den Zugang zu ersetzen (Zugangsfiktion). Schließlich gibt es dann noch äußerst hilfsweise die dritte Stufe, die Zustellungsfiktion: Beispielsweise die öffentliche Zustellung ist solch ein Fall, in welchem durch Gesetz eine tatsächlich nicht erfolgte Zustellung fingiert wird.
Gemäß § 73 Abs. 2 SGG in der ab dem 01.07.2002 geltenden Fassung wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung zugestellt. § 175 ZPO lautet: "Ein Schriftstück kann durch Einschreiben mit Rückschein zugestellt werden. Zum Nachweis der Zustellung genügt der Rückschein." Der Rückschein ist begreiflicherweise keine öffentliche Urkunde (vgl. Zöller, ZPO 24. Auflage, § 175 Rd.-Nr. 4). Die schriftlichen Erklärungen auf dem Rückschein haben daher lediglich Beweiskraft nach § 416 ZPO, sie beweisen also, dass die vom Erklärer unterschriebene Erklärung tatsächlich auch von diesem abgegeben worden ist. Auf dem Rückschein vom 06.02.2004 hat Frau B ...P ... erklärt, "die Sendung" erhalten zu haben. Unterstellt man einmal, dass die entsprechenden Angaben auf dem Rückschein (Aktenzeichen, NSv. 04.02.04) ausreichend sind, um das Schriftstück zu individuallisieren, so ist hiermit gleichwohl der Nachweis der Zustellung gerade nicht erbracht worden. Die Vorschriften über die Ersatzzustellung nach den §§ 178 ff. ZPO finden für die Zustellung nach § 175 ZPO nämlich keine Anwendung. Die Übergabe des Schriftstücks an einen Familienangehörigen anstelle des Adressaten wäre aber nichts anderes als Ersatzzustellung. Die Zustellung nach § 175 ZPO setzt die Mitwirkung des Adressaten voraus: Verweigert dieser die Annahme, ist die Zustellung nach § 175 ZPO nicht ausführbar. Die praktischen Vorteile dieser Zustellungsart bestehen in der Unmittelbarkeit - wer selbst erklärt hat, ein Schreiben empfangen zu haben, wird dies später nur schwer bestreiten können - und in den niedrigeren Kosten. Der Beweiswert steht und fällt allerdings mit der Unterschrift des Adressaten. Auch wenn man mit Baumbach/Hartmann (ZPO 62. Auflage § 175 Rd.-Nr. 4) von einer öffentlichen Urkunde ausgeht, was bei privaten Postdienstleistungsunternehmen bedenklich sein dürfte, so kann doch Erklärungsinhalt dessen, was der "Amtsträger" bekundet, immer nur das sein, was dieser auch auf Grund eigener Wahrnehmungen bekunden kann, und diese Bekundungen sind nun - gleich welchen Inhalts - gerade nicht der Nachweis der Zustellung, wie er in § 175 ZPO vorgesehen ist. Selbst wenn also - wie es bei einem (hier nicht gegebenen) Rückschein der Deutschen Post AG der Fall ist - vom Zusteller der Text "Ich habe die Sendung dem Empfangsberechtigten übergeben" unterschrieben wurde, ist dieser Teil gerade nicht das beweisende Element für die Zustellung, denn dann wäre der Rückschein nichts anderes als eine - stark vereinfachte - Postzustellungsurkunde. Zweifelsohne ist aber § 175 Satz 2 ("Zum Nachweis der Zustellung gehört der Rückschein") so auszulegen, dass nur der vom Empfänger unterschriebene Rückschein die Zustellung beweisen kann. Erklärungen eines Dritten sind auch dann nicht der "Nachweis der Zustellung" im Sinne des § 175 ZPO, wenn sie auf dem Rückschein vorgenommen wurden. Nichts anderes gilt, wenn dieser oder diese Dritte eine dem Adressaten nahe stehende Person ist. Sicher kann eine Person mit wirksamer Empfangsvollmacht anstelle des Empfängers unterschreiben. Keineswegs kann jedoch eine solche Empfangsvollmacht bei "Lebensgefährten, Hausgenossen etc." unterstellt werden. Es wird zwar vertreten, dass auch ein "nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Postdienstleistungsunternehmens" Empfangsberechtigter die Zustellung wirksam bestätigen könnte (vgl. Zöller/Stöber a.a.O Rd.-Nr. 2). Dieser Auffassung, die also den Nachweis der Zustellung, der hier eigentlich durch die Zustellungsvorschriften vereinfacht werden soll, von den allgemeinen Geschäftsbedingungen der verschiedensten Postdienstleistungsunternehmen abhängig macht, ist abzulehen. Hiermit würde nicht nur die Befugnis zur Rechtsetzung durch Private eindeutig überdehnt, sondern auch die Funktion allgemeiner Geschäftsbedingungen verkannt: Zu welchen Bedingungen ein Postdienstleistungsunternehmen seine Dienstleistungen anbietet, ist ihm im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben (z.B. Postuniversaldienstleistungsverordnung) freigestellt. Ob die Art und Weise, wie das eine oder andere Postdienstleistungsunternehmen so genannte Einschreibesendungen mit Rückschein handhabt, den Zwecken der Auftraggeber, also zum Beispiel Gerichten, genügt, müssen diese selber herausfinden. Durch den Umstand, dass ein Postdienstleistungsunternehmen, wie zum Beispiel die Deutsche Post, in ihren AG Brief national aus Gründen der Praktikabilität geregelt hat, dass Einschreibesendungen mit Rückschein auch einer Reihe von anderen Personen übergeben werden dürfen, wird § 175 ZPO nicht zum Blankettgesetz, dessen eigentlicher Inhalt sich dann durch "Verordnungen" Privater bestimmt. Nur bei dem Zustellungsauftrag ist tatsächlich auch die Zustellung durch das Postdienstleistungsunternehmen geschuldet. Wenn es, wie bei dem Einschreiben mit Rückschein, gerade nicht Aufgabe des Zustellers ist, eine Zustellung zu bewirken, sondern vielmehr lediglich die Beförderung geschuldet ist und der Rückschein - ursprünglich - dem Auftraggeber gegenüber dokumentieren sollte, dass diese Beförderung ordnungsgemäß bewirkt wurde, dass also die Sendung die Adressatenadresse erreicht hat, dann kann nicht durch eine funktionswidrige Bezugnahme auf die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Post gleichermaßen ordnungsgemäße Beförderung mit ordnungsgemäßer Zustellung gleichgesetzt werden. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der Zusammenschau der Entstehungsgeschichte des Zustellungsreformgesetzes mit dem Übereinkommen aufgrund von Artikel K 3 des Vertrages über die Europäische Union über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (Amtsblatt Nr. C 261 vom 27.08.1997, Seite 2 - 16). Nach Artikel 14 Abs. 1 dieses Übereinkommens steht es jedem Mitgliedsstaat frei, Personen, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedsstaat haben, gerichtliche Schriftstücke unmittelbar durch die Post zustellen zu lassen. Dieses Übereinkommen betrifft grundsätzlich die Zustellungen im Verkehr von Mitgliedsstaat zu Mitgliedsstaat und berührt daher in erster Linie § 183 ZPO. Das Übereinkommen ermöglicht insoweit die "Zustellung durch die Post", es fordert sie aber nicht. Wenn in diesem Zusammenhang auf den Weltpostvertrag verwiesen wird, der die Möglichkeit eingeschriebener postalischer Sendungen vorsieht (vgl. BTDrucks. 14, 4554 zu § 183 Abs. 1 ZPO, Seite 23), so ist damit gerade nicht festgestellt, dass im Weltpostvertrag diese Sendungsart auch als "Zustellung" im Sinne der ZPO gilt. Auch die Postuniversaldienstleistungsverordnung (PUDLV) vom 15. Dezemer 1999 (BGBl. I, 2418) erwähnt lediglich die Einschreibesendung (§ 1 Abs. 2 Ziffer 1 PUDLV), ohne dass über deren Qualität als Zustellungsart Ausführungen gemacht werden. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung (BTDrucks 14/4554) formuliert als Zielsetzung, dass das Zustellungsreformgesetz das Verfahren bei förmlicher Zustellung in gerichtlichen Verfahren vereinfachen und den gewandelten Lebensverhältnissen anpassen soll. In der Begründung zu § 175 (BTDrucks a.a.O. Seite 19) findet sich allerdings der Hinweis, dass "nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen Post AG der eingeschriebene Brief einem Ersatzempfänger ausgehändigt werden kann". Dies darf allerdings nicht als gewissermaßen "authentische Interpretation des Gesetzes" durch den Gesetzgeber (welcher, wie häufig übersehen wird, weder die Bundesregierung noch der zuständige Referent ist) angesehen werden in dem Sinne, dass durch die Aushändigung an einen in den jeweiligen allgemeinen Geschäftsbedingungen mehr oder weniger präzise definierten "Ersatzempfänger" die Zustellung bewirkt wird, im Gegenteil: Diese Passage muss als Warnhinweis verstanden werden, dass nämlich eine wirksame Zustellung nach den jeweils geltenden allgemeinen Geschäftsbedingungen nur dann mit einiger Sicherheit erwartet werden kann, wenn der Auftrag den Vermerk "eigenhändig" trägt.
Da der Ordnungsgeldbeschluss also nicht wirksam zugestellt wurde, gilt die dagegen eingelegte Beschwerde nicht als verspätet.
Die Beschwerde wurde auch wirksam eingelegt.
Zwar schreibt § 173 SGG für die Einlegung der Beschwerde grundsätzlich die Schriftform vor, wobei durch richterrechtliches Gewohnheitsrecht (vgl. GemS NJW 2000, 2340) telegraphische und fernschriftliche Einlegung zugelassen wird, auch die Einlegung durch Telefax ist zulässig (BSG Breith. 86, 363), wobei das Fax grundsätzlich die Unterschrift wiedergeben muss. Allerdings gibt es auch hier Ausnahmen: Wenn das nämlich nicht geschehen ist, lässt die Rechtsprechung auch ein nicht unterschriebenes Fax genügen, wenn auf andere Weise ausreichende Gewähr für die Urheberschaft und den Willen, das Schriftstück in den Verkehr zu bringen, besteht (vgl. BVerwG NJW 95, 2121, BSG NJW 97, 1254). Hier hat sich der Kläger durch die Angabe seiner Faxnummer, seiner Adresse, des Datums und der Uhrzeit der Absendung sowie des Aktenzeichens sowie des Beschlusses mit Datum ausreichend ausgewiesen.
Die Beschwerde ist auch begründet.
Der - nachweisbare - Zugang der Ladung erfolgte erst zu einem Zeitpunkt der weniger als eine Woche vor dem Termin lag. Wird diese - für Anwaltsprozesse geltende - Frist des § 217 ZPO unterschritten, so kann damit einerseits - worauf es hier nicht ankommt - der Anspruch auf rechtliches Gehör tangiert sein, andererseits aber auch für die Frage des Verschuldens der Terminsversäumung ein wesentlicher Umstand vorliegen, der im Rahmen der Gesamtabwägung nicht unberücksichtigt bleiben kann. Je kurzfristiger ein Termin angesetzt wird, um so gravierender ist die Zumutung für den Betroffenen, was seinen Zeitplan angeht. Sicher bleibt immer ein gewisser "Verschuldensrest" auch bei dem Betroffenen hängen, wenn er bei Verhinderung nicht absagt, bzw. sich nachträglich nicht einmal entschuldigt. Andererseits ist die Möglichkeit, dem Bürger etwas zu "befehlen" auch für Gerichte eingeschränkt: Bereits wenn die Sollvorschrift des § 110 Abs. 1 Satz 1 SGG unterschritten ist, ist die staatliche Autorität, die in einer Ladung mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens liegt, gewissermaßen mit einem Makel behaftet, dieser Makel ist umso gewichtiger, je mehr gegen diese Sollvorschrift verstoßen wurde. Im Übrigen bedeutet Sollvorschrift nicht, dass es sich insoweit um eine Vorschrift handelt, die "eigentlich" nicht beachtet werden muss. Die Abweichung von einer Sollvorschrift bedarf einer konkreten Rechtfertigung: Es müssen ungewöhnliche Umstände ("atypische Fälle") gegeben sein, die das Abweichen von einer Sollvorschrift gleichwohl als rechtmäßig erscheinen lassen. Solche Umstände lagen hier nicht vor. Zwar hatte die Kammervorsitzende ausdrücklich verfügt, dass mit Postzustellungsurkunde zu laden sei; wenn dann von der Geschäftsstelle gleichwohl nur mit Empfangsbestätigung geladen wird, ist das ein Mangel im Organisationsbereich des Gerichts, welcher keine Abweichung von der Ladungsfrist rechtfertigt. Zusammenfassend ist also festzustellen, dass auch einem Zeugen gegenüber, welcher erst sechs Tage vor dem Termin hiervon erfährt und dann die Ladung schlechthin nicht beachtet, ein Ordnungsgeld in der Regel nicht festgesetzt werden dürfte. In einem solchen Fall liegen auf beiden Seiten gewisse Verstöße vor; in dieser Situation ist die Autorität des Gerichts, gleichwohl unbedingten Gehorsam zu verlangen, nicht mehr gegeben.
Der Senat verkennt nicht, dass durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Kläger die am 09.01.2004 abgeschickte Ladung erhalten hat. Solche Erwägungen müssen jedoch außer Betracht bleiben, da sich dies nicht nachweisen lässt. Die Tatsache, dass dem Kläger schon mit Schreiben vom 18.12.2003 (auch über dieses Schreiben findet sich kein Zugangsnachweis) mitgeteilt worden war, dass Termin zur mündlichen Verhandlung für den 04.02.2004 vorgesehen war, rechtfertigt ebenfalls keine andere Einschätzung. Es handelt sich bei diesem Schreiben - Zugang unterstellt - nicht um eine Ladung. Die Ankündigung des Gerichts, dass Termin zur mündlichen Verhandlung bereits für einen in naher Zukunft liegenden Termin vorgesehen ist, ist sicher sinnvoll und dient auch allgemein einem guten Klima im Sinne der Bürgernähe. Hiermit ist jedoch nicht die Aufforderung verbunden, sich diesen Termin vorsorglich schon einmal freizuhalten; solche mittelfristigen unverbindlichen Ankündigungen dürfen vom Bürger bis zu ihrer Aktualisierung sanktionslos vergessen werden.
In erster Linie aber ist der Ordnungsgeldbeschluss aufzuheben, da für den Kläger als Beteiligten andere Maßstäbe als bei einem Zeugen zu gelten haben. Der nicht erschienene Beteiligte schadet sich beim Ausbleiben allenfalls selbst (vgl. Sächsisches LSG, Beschluss vom 28.04.1999 - L 1 B 38/97 KR - m.w.N.). Auch die Absicht des Gerichts, eine streitige Entscheidung zu verhindern und die einvernehmliche Regelung zwischen den Beteiligten zu ermöglichen, rechtfertigt nicht die Festsetzung eines Ordnungsgeldes (vgl. LSG Berlin, Beschluss vom 10.06.2004 - L 3 B 14/04 U -. Grundsätzlich gilt, dass die Anordnung des persönlichen Erscheinens ermessensfehlerhaft ist und die Verhängung eines Ordnungsgeldes nicht rechtfertigt, wenn es einer weiteren Sachaufklärung durch die Partei nicht bedarf (vgl. Brandenburgisches OLG, ...RZ 2004, 467). Die Ermessensausübung, was die Festsetzung des Ordnungsgeldes betrifft, unterliegt der vollen inhaltlichen Überprüfung durch das Beschwerdegericht (vgl. Thüringer OLG NJ 2003, 211).
Da sich aus dem gesamten Akteninhalt keine Hinweise darauf ergeben, dass das Erscheinen des Klägers zur mündlichen Verhandlung erforderlich war - mit Schreiben vom 18.12.2003 war auf die Möglichkeit hingewiesen worden, Mutwillenskosten zu verhängen "Da sie trotz Hinweises des Gerichts auf das eindeutige Ergebnis des Gutachtens Ihre Klage aufrechterhalten" und das Protokoll der 14minütigen mündlichen Verhandlung vom 17.03.2004 erhält auch keine Hinweise auf einen noch erforderlichen Aufklärungsbedarf im Sinne des § 106 SGG - war der Beschluss des SG Chemnitz vom 04.02.2004 auf die zulässige Beschwerde des Klägers hin aufzuheben.
Diese Entscheidung ist nicht weiter anfechtbar (§ 177 SGG).
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