Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 17 KR 139/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 36/01 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 13.02.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2001 verurteilt, das der Klägerin für die Zeit vom 05.08.1997 bis zum 17.08.1997 und vom 24.03.1998 bis zum 07.06.1999 gezahlte Krankengeld unter Berücksichtigung erhaltener Einmalzahlungen nach Maßgabe der §§ 47, 47 a SGB V in der Fassung des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes vom 28.12.2000 (BGBl. I, 1971) neu zu berechnen und der Klägerin die sich hieraus ergebene Differenz nachzuzahlen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten hinsichtlich der Neuberechnung und Nachzahlung von Krankengeld.
Die Klägerin bezog von der Beklagten in der Zeit vom 05.08.1997 bis zum 17.08.1997 und vom 24.03.1998 bis zum 07.06.1999 Krankengeld. Unter dem 01.02.2001 beantragte sie rückwirkend eine Neuberechnung des Krankengeldes unter Berücksichtigung der im Bemessungszeitraum erzielten Einmalzahlungen. Sie wies darauf hin, die Spitzenverbände der Krankenkassen hätten in gemeinsamen Verlautbarungen mitgeteilt, dass die Krankenkassen im Falle einer positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entsprechend handeln würden und dass deshalb weitere Einsprüche gegen den Beitragseinzug nicht erforderlich wären. Deshalb habe sie die Krankengeldbewilligung als vorläufig betrachtet und kein weiteres Rechtsmittel eingelegt.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheiden vom 13.02.2001 ab und führte zur Begründung aus, die Neuregelung durch das Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz betreffe nur die Versicherten, deren Krankengeldanspruch frühestens am 22.06.2000 entstanden sei. Darüber hinaus sei nach einer Übergangsregelung für zurückliegende Krankengeldbezugszeiten Voraussetzung, dass über den entsprechenden Krankengeldanspruch am 21.06.2000 noch nicht rechtskräftig entschieden gewesen sei. Eine Wiederaufnahme rechtskräftiger Entscheidungen im Rahmen des Verfahrensrechts sei vom Gesetzgeber ausdrücklich ausgeschlossen worden. Hinsichtlich des ersten Arbeitsunfähigkeitszeitraums sei der maßgebende Leistungsbescheid am 06.08.1997 versandt und damit am 09.08.1998 rechtskräftig geworden. Hinsichtlich des weiteren Zeitraums sei der Bescheid am 18.05.1998 versandt und am 21.05.1999 rechtskräftig geworden. Die Voraussetzungen für eine Neuberechnung des Krankengeldes seien daher nicht erfüllt, weil die maßgebenden Leistungsbescheide am 21.06.2000 bereits rechtskräftig gewesen seien.
Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 07.03.2001 Widerspruch und machte geltend, der Hinweis auf die Bestandskraft der damaligen Krankengeldgewährung sei rechtsmißbräuchlich. Die nach Bekanntwerden der Vorlagebeschlüsse veröffentlichten Verlautbarungen der Krankenkassen, die zu erwartende Entscheidung auf gleichgelagerte Sachverhalte anzuwenden, auch wenn Anträge und Widersprüche bis zum Abschluß der Musterstreitverfahren nicht gestellt bzw. erhoben würden, sei als Zusicherung im Sinne des § 34 SGB X zu qualifizieren, sodass die Beklagte nunmehr den entsprechenden Verwaltungsakt erlassen müsse. In jedem Fall wäre vorliegend jedoch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 SGB X zu gewähren, da die Klägerin aufgrund der Verlautbarungen der Kassen kein Verschulden hinsichtlich der Nichteinhaltung der Widerspruchsfrist treffe.
Der Widerspruchsausschuß der Beklagten hat den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 15.06.2001 zurückgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt, für Ansprüche, über die bereits am 21.06.2000 unanfechtbar entschieden war, könne eine Neuberechnung des Krankengeldes wegen § 47a Abs. 2 SGB V nicht erfolgen. Die zitierten Erklärungen der Spitzenverbände hätten ausschließlich die Frage der Rückerstattung von Beiträgen betroffen, die seitens der Krankenkassen auf Einmalzahlungen erhoben worden seien. Eine derartige Beitragsrückerstattung der Kassen habe das Bundesverfassungsgericht nicht gefordert. Da die Verlautbarungen der Spitzenverbände nicht die Krankengeldbewilligungen betroffen hätten, seien diese nicht als vorläufig, sondern als endgültig anzusehen gewesen mit der Folge, dass gegen diese nur mit Einlegung eines Rechtsmittels hätte vorgegangen werden können. Die Entscheidung der Kasse sei daher nicht rechtsmißbräuchlich. Die Verlautbarungen der Spitzenverbände könnten auch keinesfalls als Zusicherung einer Neuberechnung des Krankengeldes gewertet werden. Aus der Regelung des § 47a Abs. 2 Satz 2 SGB V, wonach unanfechtbar gewordene Bescheide nicht nach § 44 Abs. 1 SGB X zurückzunehmen seien, ergebe sich, dass auch eine Wiedereinsetzung nicht gewährt werden könne. Hinsichtlich der Nichteinhaltung der Widerspruchsfrist könne kein Verschulden der Kasse festgestellt werden. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Leistungsbescheide habe die Kasse nicht davon ausgehen müssen, dass der erst mit Gesetz vom 12.12.1996 eingefügte § 47a SGB V einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten würde. Dies habe sich erst aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.05.2000 ergeben. Zu diesem Zeitpunkt seien die die Klägerin betreffenden Leistungsbescheide bereits bestandskräftig gewesen.
Die hiergegen erhobene Klage ist am 10.07.2001 bei Gericht eingegangen.
Die Klägerin nimmt im wesentlichen auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren Bezug und beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 13.02.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2001 zu verurteilen, das ihr für die Zeit vom 05.08.1997 bis zum 17.08.1997 und vom 24.03.1998 bis zum 07.06.1999 gezahlte Krankengeld unter Berücksichtigung erhaltener Einmalzahlungen neu zu berechnen und ihr die sich hieraus ergebende Differenz nachzuzahlen, hilfsweise die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sprungrevision zu zulassen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und die Verwaltungsakte der Beklagten, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet.
Die Beklagte war unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide antragsgemäß zu verurteilen, da die Bescheide die Klägerin rechtswidrig in ihren Rechten verletzen. Der geltend gemachte Anspruch steht der Klägerin nach Auffassung der Kammer zu.
Zunächst liegen Bescheide der Beklagten über die Berechnung des Krankengeldes in den Akten nicht vor. Die Kammer geht daher davon aus, dass der Klägerin das beantragte Krankengeld nicht durch Bescheid, sondern wie üblich durch die bloße Auszahlung des selben, d.h. in Form eines sogenannten Verwaltungsrealaktes, erbracht worden ist. Selbst wenn aber die Beklagte vorliegend schriftliche Verwaltungsakte über die Höhe des Krankengeldes erlassen haben sollte, die nach Ablauf der einjährigen Widerspruchsfrist bestandskräftig geworden sein sollten, stünde eine solche Bestandskraft dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen.
Zwar spricht für die Auffassung der Beklagten vordergründig der Wortlaut des § 47a SGB V in der mit Wirkung vom 22.06.2000 an geltenden Neufassung durch das Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz vom 21.12.2000. Hiernach ist § 47 SGB V in der ab dem 22.06.2000 geltenden Fassung für Ansprüche auf Krankengeld, die vor dem 22.06.2000 entstanden sind, nur anzuwenden, soweit hierüber am 21.06.2000 noch nicht unanfechtbar entschieden war. Auch führt die Beklagte zutreffend aus, dass nach § 47a Abs. 2 Satz 2 SGB V n.F. Entscheidungen über Ansprüche auf Krankengeld, die vor dem 22.06.2000 unanfechtbar geworden sind, nicht nach § 44 Abs. 1 SGB X zurückzunehmen sind. Hierauf kann sich jedoch die Beklagte nach dem - auch im öffentlichen Recht geltenden - Grundsatz von Treu und Glauben gegenüber der Klägerin nicht berufen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits mit Beschluss vom 11.01.1995 - 1 BvR 892/88 - die Vorschrift des § 227 SGB V mit Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) insoweit für unvereinbar erklärt, als danach einmalig gezahltes Arbeitsentgelt zu Krankenversicherungsbeiträgen herangezogen werde, ohne dass dies bei der Berechnung der kurzfristigen Entgeltersatzleistungen, wie zum Beispiel dem Krankengeld, berücksichtigt wird. Zur Neuregelung hatte das Bundesverfassungsgericht eine Frist bis zum 31.12.1996 gesetzt.
Mit dem Gesetz zur sozialrechtlichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt vom 12.12.1996 (BGBl.I,1859) war § 227 SGB V aufgehoben und - im wesentlichen wortgleich - durch § 23a SGB IV ersetzt worden. Als leistungsrechtlicher Ausgleich war aber nicht etwa die Möglichkeit der Mitberücksichtigung des einmalig gezahlten Arbeitsentgelts bei der Berechnung des Krankengeldes durch entsprechende Änderung des § 47 Abs. 2 SGB V vorgesehen worden. Vielmehr sollte mit der Einführung des § 47a SGB V seit dem 01.01.1997 ein zusätzliches Krankengeld gewährt werden. Bereits in der gemeinsamen Verlautbarung vom 16.12.1996 (DOK 1997, 140) kamen die Spitzenverbände der Krankenkassen zu der Auffassung, dass "nach Prüfung aller bisher möglichen Fallkonstellationen in der Praxis keine Fälle eines zusätzlichen Krankengeldes bzw. Übergangsgeldes denkbar" seien. Erwartungsgemäß wurde dem Bundesverfassungsgericht durch mehrere Vorlagebeschlüsse erneut Gelegenheit gegeben, zu überprüfen, ob die Regelung ab dem 01.01.1997 nunmehr verfassungskonform sei.
Für den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht die Beitragserhebung aus Einmalzahlungen für nichtig ansehen werde, haben die Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger und der Sozialpartner zur Vermeidung einer Flut von Widerspruchs- und Klageverfahren am 28.07.1998 eine gemeinsame Erklärung zur sozialversicherungsrechtlichen Behandlung der Einmalzahlungen herausgegeben (vgl. z. B. BKK 1998, 524 sowie die Veröffentlichungen in anderen Fachzeitschriften bzw. in der überörtlichen Presse).
Hierin haben die Spitzenverbände erklärt, dass schriftliche Widersprüche nicht erforderlich seien, um Ansprüche auf Beitragserstattungen aus dem erwarteten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts geltend zu machen.
Mit Beschluss vom 24.05.2000 (1 BVL 1/98) hat das Bundesverfassungsgericht sowohl die Vorschrift des § 23a SGB IV als auch die Nichtanrechnung einmaligen Arbeitsentgelts bei der Krankengeld berechnung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB V für verfassungswidrig erklärt. Den Auflagen des Bundesverfassungsgerichts ist der Gesetzgeber dann mit dem Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz durch Änderung der §§ 47, 47a SGB V nachgekommen. Die erneute Korrektur betraf daher widerum nicht die beitrags-, sondern die leistungsrechtliche Seite, was dem Gesetzgeber durch das Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung überlassen worden war.
Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben sich mit den Auswirkungen des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes in einem ausführlichen gemeinsamen Rundschreiben vom 16.02.2001 befasst. Zu dem sich aus ihrer Erklärung vom 28.07.1998 und der gesetzlichen Regelung im § 47a Abs. 2 Satz 2 SGB V n.F. ergebenden Konflikt führen die Spitzenverbände unter Punkt 2.6.6 unter anderem aus:
"Die Erklärung bezog sich für die gesetzliche Krankenversicherung zwar auf beitragsrechtliche Aspekte. Es wurde aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Rechtsstreitigkeiten mit den Arbeitsämtern zur Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Berechnung von Arbeitslosengeld oder anderen Entgeltersatzleistungen unberührt bleiben. Somit ist nicht auszuschließen, dass die Erklärung bei den Versicherten den Eindruck erwecken konnte, die Krankenkassen würden die leistungsrechtliche Behandlung von Einmalzahlungen nachträglich auf der Basis der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vornehmen. Außerdem haben einige Krankenkassen - zum Teil schon vor dem 28.07.1998 und unter ausdrücklicher Erwähnung möglicher Krankengeldnachzahlungen - entsprechende Erklärungen herausgegeben. Bei Versicherten, die im Vertrauen auf die Erklärungen der Sozialversicherungsträger auf die Einlegung von Widersprüchen gegen die Krankengeldberechnung verzichtet haben, können die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gegeben sein. Es sollte daher auf Antrag der Versicherten im Einzelfall geprüft werden, ob ihnen dieser Anspruch einzuräumen ist."
Wie die Spitzenverbände nach diesem Zitat zutreffend erkannt haben, kann es nicht angehen, die Versicherten mit einer entsprechenden Verlautbarung zur Vermeidung einer Flut von Verfahren davon abzuhalten, ihre Rechte durch Einleitung eines Widerspruchsverfahrens zu wahren, um sich im Nachhinein auf die Bestandskraft der entsprechenden Bescheide zu berufen. Zwar sieht die Kammer im Hinblick auf die Neuregelung des § 47a SGB IV keine allgemeine Verpflichtung der Kassen, von Amts wegen bereits abgeschlossene Leistungsfälle zu überprüfen und sich gegebenenfalls hieraus ergebende Krankengeldbeträge nachzuzahlen. Soweit aber, wie vorliegend, im Einzelfall Versicherte ihre Ansprüche nachträglich geltend machen, sind die Kassen zur Nachberechnung verpflichtet und hieran auch nicht durch den Wortlaut des § 47a Abs. 2 Satz 2 SGB V n.F. gehindert. Insoweit läßt es die Kammer dahin stehen und überlässt es der Beklagten, wie sie die Neuberechnung und Nachzahlung an die Klägerin intern rechtfertigt. In Betracht kommt insoweit der bereits von den Spitzenverbänden aufgezeigte Weg über einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Gleichermaßen in Betracht zu ziehen ist aber auch die Wiedereinsetzung der Klägerin in den vorigen Stand gemäß § 27 SGB X, da die Klägerin ohne ihr Verschulden, nämlich aufgrund der gemeinsamen Erklärung vom 28.07.1998, daran gehindert worden ist, rechtzeitig Widerspruch einzulegen. Schließlich wäre daran zu denken, die öffentlichen Verlautbarungen der Kassen als Zusicherung im Sinne des § 34 SGB X zu qualifizieren, gerichtet auf die Beitragserstattung bzw. Nachberechnung von Krankengeld je nach Ausgang des verfassungsgerichtlichen Überprüfungsverfahrens.
Es ist nach alledem Sache der Beklagten, wie sie zur Vermeidung des Vorwurfs arglistigen Verhaltens dem der Klägerin jedenfalls zustehenden Anspruch auf Neuberechnung und Nachzahlung des Krankengeldes unter Berücksichtigung erhaltender Einmalzahlungen nach Maßgabe der §§ 47, 47a SGB V in der Fassung des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes Rechnung tragen will. Im Gegensatz zur Beklagten haben eine Vielzahl anderer Krankenkassen dieses Problem bereits gelöst, sodass deren Versicherte sozialgerichtliche Hilfe zur Durchsetzung ihrer Nachzahlungsforderungen nicht in Anspruch nehmen müssen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Die Kammer sah sich gehalten, die Sprungrevision gemäß § 161 Abs. 1 in Verbindung mit § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, insbesondere im Hinblick auf die unterschiedliche Verwaltungspraxis der Krankenkassen, zuzulassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten hinsichtlich der Neuberechnung und Nachzahlung von Krankengeld.
Die Klägerin bezog von der Beklagten in der Zeit vom 05.08.1997 bis zum 17.08.1997 und vom 24.03.1998 bis zum 07.06.1999 Krankengeld. Unter dem 01.02.2001 beantragte sie rückwirkend eine Neuberechnung des Krankengeldes unter Berücksichtigung der im Bemessungszeitraum erzielten Einmalzahlungen. Sie wies darauf hin, die Spitzenverbände der Krankenkassen hätten in gemeinsamen Verlautbarungen mitgeteilt, dass die Krankenkassen im Falle einer positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entsprechend handeln würden und dass deshalb weitere Einsprüche gegen den Beitragseinzug nicht erforderlich wären. Deshalb habe sie die Krankengeldbewilligung als vorläufig betrachtet und kein weiteres Rechtsmittel eingelegt.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheiden vom 13.02.2001 ab und führte zur Begründung aus, die Neuregelung durch das Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz betreffe nur die Versicherten, deren Krankengeldanspruch frühestens am 22.06.2000 entstanden sei. Darüber hinaus sei nach einer Übergangsregelung für zurückliegende Krankengeldbezugszeiten Voraussetzung, dass über den entsprechenden Krankengeldanspruch am 21.06.2000 noch nicht rechtskräftig entschieden gewesen sei. Eine Wiederaufnahme rechtskräftiger Entscheidungen im Rahmen des Verfahrensrechts sei vom Gesetzgeber ausdrücklich ausgeschlossen worden. Hinsichtlich des ersten Arbeitsunfähigkeitszeitraums sei der maßgebende Leistungsbescheid am 06.08.1997 versandt und damit am 09.08.1998 rechtskräftig geworden. Hinsichtlich des weiteren Zeitraums sei der Bescheid am 18.05.1998 versandt und am 21.05.1999 rechtskräftig geworden. Die Voraussetzungen für eine Neuberechnung des Krankengeldes seien daher nicht erfüllt, weil die maßgebenden Leistungsbescheide am 21.06.2000 bereits rechtskräftig gewesen seien.
Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 07.03.2001 Widerspruch und machte geltend, der Hinweis auf die Bestandskraft der damaligen Krankengeldgewährung sei rechtsmißbräuchlich. Die nach Bekanntwerden der Vorlagebeschlüsse veröffentlichten Verlautbarungen der Krankenkassen, die zu erwartende Entscheidung auf gleichgelagerte Sachverhalte anzuwenden, auch wenn Anträge und Widersprüche bis zum Abschluß der Musterstreitverfahren nicht gestellt bzw. erhoben würden, sei als Zusicherung im Sinne des § 34 SGB X zu qualifizieren, sodass die Beklagte nunmehr den entsprechenden Verwaltungsakt erlassen müsse. In jedem Fall wäre vorliegend jedoch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 SGB X zu gewähren, da die Klägerin aufgrund der Verlautbarungen der Kassen kein Verschulden hinsichtlich der Nichteinhaltung der Widerspruchsfrist treffe.
Der Widerspruchsausschuß der Beklagten hat den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 15.06.2001 zurückgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt, für Ansprüche, über die bereits am 21.06.2000 unanfechtbar entschieden war, könne eine Neuberechnung des Krankengeldes wegen § 47a Abs. 2 SGB V nicht erfolgen. Die zitierten Erklärungen der Spitzenverbände hätten ausschließlich die Frage der Rückerstattung von Beiträgen betroffen, die seitens der Krankenkassen auf Einmalzahlungen erhoben worden seien. Eine derartige Beitragsrückerstattung der Kassen habe das Bundesverfassungsgericht nicht gefordert. Da die Verlautbarungen der Spitzenverbände nicht die Krankengeldbewilligungen betroffen hätten, seien diese nicht als vorläufig, sondern als endgültig anzusehen gewesen mit der Folge, dass gegen diese nur mit Einlegung eines Rechtsmittels hätte vorgegangen werden können. Die Entscheidung der Kasse sei daher nicht rechtsmißbräuchlich. Die Verlautbarungen der Spitzenverbände könnten auch keinesfalls als Zusicherung einer Neuberechnung des Krankengeldes gewertet werden. Aus der Regelung des § 47a Abs. 2 Satz 2 SGB V, wonach unanfechtbar gewordene Bescheide nicht nach § 44 Abs. 1 SGB X zurückzunehmen seien, ergebe sich, dass auch eine Wiedereinsetzung nicht gewährt werden könne. Hinsichtlich der Nichteinhaltung der Widerspruchsfrist könne kein Verschulden der Kasse festgestellt werden. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Leistungsbescheide habe die Kasse nicht davon ausgehen müssen, dass der erst mit Gesetz vom 12.12.1996 eingefügte § 47a SGB V einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten würde. Dies habe sich erst aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.05.2000 ergeben. Zu diesem Zeitpunkt seien die die Klägerin betreffenden Leistungsbescheide bereits bestandskräftig gewesen.
Die hiergegen erhobene Klage ist am 10.07.2001 bei Gericht eingegangen.
Die Klägerin nimmt im wesentlichen auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren Bezug und beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 13.02.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2001 zu verurteilen, das ihr für die Zeit vom 05.08.1997 bis zum 17.08.1997 und vom 24.03.1998 bis zum 07.06.1999 gezahlte Krankengeld unter Berücksichtigung erhaltener Einmalzahlungen neu zu berechnen und ihr die sich hieraus ergebende Differenz nachzuzahlen, hilfsweise die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sprungrevision zu zulassen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und die Verwaltungsakte der Beklagten, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet.
Die Beklagte war unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide antragsgemäß zu verurteilen, da die Bescheide die Klägerin rechtswidrig in ihren Rechten verletzen. Der geltend gemachte Anspruch steht der Klägerin nach Auffassung der Kammer zu.
Zunächst liegen Bescheide der Beklagten über die Berechnung des Krankengeldes in den Akten nicht vor. Die Kammer geht daher davon aus, dass der Klägerin das beantragte Krankengeld nicht durch Bescheid, sondern wie üblich durch die bloße Auszahlung des selben, d.h. in Form eines sogenannten Verwaltungsrealaktes, erbracht worden ist. Selbst wenn aber die Beklagte vorliegend schriftliche Verwaltungsakte über die Höhe des Krankengeldes erlassen haben sollte, die nach Ablauf der einjährigen Widerspruchsfrist bestandskräftig geworden sein sollten, stünde eine solche Bestandskraft dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen.
Zwar spricht für die Auffassung der Beklagten vordergründig der Wortlaut des § 47a SGB V in der mit Wirkung vom 22.06.2000 an geltenden Neufassung durch das Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz vom 21.12.2000. Hiernach ist § 47 SGB V in der ab dem 22.06.2000 geltenden Fassung für Ansprüche auf Krankengeld, die vor dem 22.06.2000 entstanden sind, nur anzuwenden, soweit hierüber am 21.06.2000 noch nicht unanfechtbar entschieden war. Auch führt die Beklagte zutreffend aus, dass nach § 47a Abs. 2 Satz 2 SGB V n.F. Entscheidungen über Ansprüche auf Krankengeld, die vor dem 22.06.2000 unanfechtbar geworden sind, nicht nach § 44 Abs. 1 SGB X zurückzunehmen sind. Hierauf kann sich jedoch die Beklagte nach dem - auch im öffentlichen Recht geltenden - Grundsatz von Treu und Glauben gegenüber der Klägerin nicht berufen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits mit Beschluss vom 11.01.1995 - 1 BvR 892/88 - die Vorschrift des § 227 SGB V mit Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) insoweit für unvereinbar erklärt, als danach einmalig gezahltes Arbeitsentgelt zu Krankenversicherungsbeiträgen herangezogen werde, ohne dass dies bei der Berechnung der kurzfristigen Entgeltersatzleistungen, wie zum Beispiel dem Krankengeld, berücksichtigt wird. Zur Neuregelung hatte das Bundesverfassungsgericht eine Frist bis zum 31.12.1996 gesetzt.
Mit dem Gesetz zur sozialrechtlichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt vom 12.12.1996 (BGBl.I,1859) war § 227 SGB V aufgehoben und - im wesentlichen wortgleich - durch § 23a SGB IV ersetzt worden. Als leistungsrechtlicher Ausgleich war aber nicht etwa die Möglichkeit der Mitberücksichtigung des einmalig gezahlten Arbeitsentgelts bei der Berechnung des Krankengeldes durch entsprechende Änderung des § 47 Abs. 2 SGB V vorgesehen worden. Vielmehr sollte mit der Einführung des § 47a SGB V seit dem 01.01.1997 ein zusätzliches Krankengeld gewährt werden. Bereits in der gemeinsamen Verlautbarung vom 16.12.1996 (DOK 1997, 140) kamen die Spitzenverbände der Krankenkassen zu der Auffassung, dass "nach Prüfung aller bisher möglichen Fallkonstellationen in der Praxis keine Fälle eines zusätzlichen Krankengeldes bzw. Übergangsgeldes denkbar" seien. Erwartungsgemäß wurde dem Bundesverfassungsgericht durch mehrere Vorlagebeschlüsse erneut Gelegenheit gegeben, zu überprüfen, ob die Regelung ab dem 01.01.1997 nunmehr verfassungskonform sei.
Für den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht die Beitragserhebung aus Einmalzahlungen für nichtig ansehen werde, haben die Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger und der Sozialpartner zur Vermeidung einer Flut von Widerspruchs- und Klageverfahren am 28.07.1998 eine gemeinsame Erklärung zur sozialversicherungsrechtlichen Behandlung der Einmalzahlungen herausgegeben (vgl. z. B. BKK 1998, 524 sowie die Veröffentlichungen in anderen Fachzeitschriften bzw. in der überörtlichen Presse).
Hierin haben die Spitzenverbände erklärt, dass schriftliche Widersprüche nicht erforderlich seien, um Ansprüche auf Beitragserstattungen aus dem erwarteten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts geltend zu machen.
Mit Beschluss vom 24.05.2000 (1 BVL 1/98) hat das Bundesverfassungsgericht sowohl die Vorschrift des § 23a SGB IV als auch die Nichtanrechnung einmaligen Arbeitsentgelts bei der Krankengeld berechnung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB V für verfassungswidrig erklärt. Den Auflagen des Bundesverfassungsgerichts ist der Gesetzgeber dann mit dem Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz durch Änderung der §§ 47, 47a SGB V nachgekommen. Die erneute Korrektur betraf daher widerum nicht die beitrags-, sondern die leistungsrechtliche Seite, was dem Gesetzgeber durch das Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung überlassen worden war.
Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben sich mit den Auswirkungen des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes in einem ausführlichen gemeinsamen Rundschreiben vom 16.02.2001 befasst. Zu dem sich aus ihrer Erklärung vom 28.07.1998 und der gesetzlichen Regelung im § 47a Abs. 2 Satz 2 SGB V n.F. ergebenden Konflikt führen die Spitzenverbände unter Punkt 2.6.6 unter anderem aus:
"Die Erklärung bezog sich für die gesetzliche Krankenversicherung zwar auf beitragsrechtliche Aspekte. Es wurde aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Rechtsstreitigkeiten mit den Arbeitsämtern zur Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Berechnung von Arbeitslosengeld oder anderen Entgeltersatzleistungen unberührt bleiben. Somit ist nicht auszuschließen, dass die Erklärung bei den Versicherten den Eindruck erwecken konnte, die Krankenkassen würden die leistungsrechtliche Behandlung von Einmalzahlungen nachträglich auf der Basis der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vornehmen. Außerdem haben einige Krankenkassen - zum Teil schon vor dem 28.07.1998 und unter ausdrücklicher Erwähnung möglicher Krankengeldnachzahlungen - entsprechende Erklärungen herausgegeben. Bei Versicherten, die im Vertrauen auf die Erklärungen der Sozialversicherungsträger auf die Einlegung von Widersprüchen gegen die Krankengeldberechnung verzichtet haben, können die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gegeben sein. Es sollte daher auf Antrag der Versicherten im Einzelfall geprüft werden, ob ihnen dieser Anspruch einzuräumen ist."
Wie die Spitzenverbände nach diesem Zitat zutreffend erkannt haben, kann es nicht angehen, die Versicherten mit einer entsprechenden Verlautbarung zur Vermeidung einer Flut von Verfahren davon abzuhalten, ihre Rechte durch Einleitung eines Widerspruchsverfahrens zu wahren, um sich im Nachhinein auf die Bestandskraft der entsprechenden Bescheide zu berufen. Zwar sieht die Kammer im Hinblick auf die Neuregelung des § 47a SGB IV keine allgemeine Verpflichtung der Kassen, von Amts wegen bereits abgeschlossene Leistungsfälle zu überprüfen und sich gegebenenfalls hieraus ergebende Krankengeldbeträge nachzuzahlen. Soweit aber, wie vorliegend, im Einzelfall Versicherte ihre Ansprüche nachträglich geltend machen, sind die Kassen zur Nachberechnung verpflichtet und hieran auch nicht durch den Wortlaut des § 47a Abs. 2 Satz 2 SGB V n.F. gehindert. Insoweit läßt es die Kammer dahin stehen und überlässt es der Beklagten, wie sie die Neuberechnung und Nachzahlung an die Klägerin intern rechtfertigt. In Betracht kommt insoweit der bereits von den Spitzenverbänden aufgezeigte Weg über einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Gleichermaßen in Betracht zu ziehen ist aber auch die Wiedereinsetzung der Klägerin in den vorigen Stand gemäß § 27 SGB X, da die Klägerin ohne ihr Verschulden, nämlich aufgrund der gemeinsamen Erklärung vom 28.07.1998, daran gehindert worden ist, rechtzeitig Widerspruch einzulegen. Schließlich wäre daran zu denken, die öffentlichen Verlautbarungen der Kassen als Zusicherung im Sinne des § 34 SGB X zu qualifizieren, gerichtet auf die Beitragserstattung bzw. Nachberechnung von Krankengeld je nach Ausgang des verfassungsgerichtlichen Überprüfungsverfahrens.
Es ist nach alledem Sache der Beklagten, wie sie zur Vermeidung des Vorwurfs arglistigen Verhaltens dem der Klägerin jedenfalls zustehenden Anspruch auf Neuberechnung und Nachzahlung des Krankengeldes unter Berücksichtigung erhaltender Einmalzahlungen nach Maßgabe der §§ 47, 47a SGB V in der Fassung des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes Rechnung tragen will. Im Gegensatz zur Beklagten haben eine Vielzahl anderer Krankenkassen dieses Problem bereits gelöst, sodass deren Versicherte sozialgerichtliche Hilfe zur Durchsetzung ihrer Nachzahlungsforderungen nicht in Anspruch nehmen müssen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Die Kammer sah sich gehalten, die Sprungrevision gemäß § 161 Abs. 1 in Verbindung mit § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, insbesondere im Hinblick auf die unterschiedliche Verwaltungspraxis der Krankenkassen, zuzulassen.
Rechtskraft
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