S 7 AL 154/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 7 AL 154/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 204/05
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 06.05.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.05.2005 verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld ohne Minderung eines Betrags i.H.v. 210,- Euro gem. § 37b i.V.m. § 140 SGB III (Drittes Buch Sozialgesetzbuch) zu bewilligen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Minderung eines Arbeitslosengeldanspruchs nach § 37 b in Verbindung mit § 140 SGB III (Drittes Buch Sozialgesetzbuch).

Die Klägerin arbeitete vom 24.05.2004 bis 31.03.2005 als gewerbliche Arbeitnehmerin bei der X Pharma und Cosmetic GmbH in E. Der Arbeitsvertrag vom 19.05.2004 sah zunächst eine Befristung bis zum 30.11.2004 vor. Mit Schreiben vom 23.11.2004 wurde das Arbeitsverhältnis bis zum 31.3.2005 verlängert.

Mit Schreiben vom 23.02.2005 teilte die X Pharma und Cosmetic GmbH der Klägerin mit, dass sie sie aus wirtschaftlichen Gründen nicht weiter beschäftigen könne.

Die Klägerin meldete sich am 03.03.2005 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld ab dem 01.04.2005.

Die Beklagte verhängte mit Bescheid vom 6.5.2005 eine Sperrzeit vom 1.4. bis 23.6.2005. Der Bescheid ist noch nicht bestandskräftig ( S 7 AL 157/05 ).

Mit Bescheid vom 06.05.2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld ab dem 24.6.2005 und minderte den Anspruch auf Arbeitslosengeld um 210,- Euro. Mit Schreiben vom 6.5.2005 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie sich spätestens am 03.01.2005 bei der Beklagten hätte arbeitssuchend melden müssen. Die tatsächliche Meldung am 03.03.2005 sei um 59 Tage zu spät. Nach § 140 SGB III mindere sich der Leistungsanspruch um 7,00 Euro pro Tag der verspäteten Meldung. Hieraus errechne sich ein Gesamtminderungsbetrag von 210,00 Euro.

Dem widersprach die Klägerin am 12.05.2005. Das Beschäftigungsverhältnis sei nach der ersten Befristung noch einmal bis zum 31.03.2005 verlängert worden. Sie habe gehofft, weiter beschäftigt werden zu können. Erst am 23.02.2005 habe sie erfahren, dass dies nicht möglich sei.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.05.2005 als unbegründet zurückgewiesen.

Dagegen hat die Klägerin am 00.00.0000 Klage erhoben. Sie sei erst am 23.02.2005 über das Ende des Arbeitsverhältnisses informiert worden und habe sich daher gar nicht früher bei der Beklagten melden können. Zudem sei die gesetzliche Vorschrift widersprüchlich formuliert und bei sehr kurzen Zeitverträgen nicht einzuhalten.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheid vom 06.05.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.05.2005 zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld ohne Minderungsbetrag zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 13.07.2005 dazu angehört, dass es beabsichtigt, der Klage durch Gerichtsbescheid stattzugeben. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Das Gericht kann gemäß § 105 SGG (Sozialgerichtsgesetz) durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn der Sachverhalt geklärt ist und keine Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Art vorliegen.

Der Bescheid vom 06.05.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.05.2005 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten gemäß § 54 Abs. 2 SGG.

Die Beklagte hat den Anspruch der Klägerin zu Unrecht um 210,00 Euro gemindert.

Hat sich ein Arbeitsloser entgegen § 37 b SGB III i.V.m. § 140 SGB III nicht unverzüglich arbeitssuchend gemeldet, so mindert sich das Arbeitslosengeld, das ihm aufgrund eines Anspruchs zusteht der nach der Pflichtverletzung entstanden ist. Die Minderung beträgt

1.bei einem Bemessungsentgelt von bis zu 400,00 Euro 7,00 Euro,

2.bei einem Bemessungsentgelt bis zu 700,00 Euro 35,00 Euro

3.bei einem Bemessungsentgelt über 700,00 Euro 50,00 Euro

für jeden Tag der verspäteten Meldung. Die Minderung ist auf den Betrag begrenzt, der sich bei einer 30-tägigen Verspätung errechnet. Die Minderung erfolgt, indem der Minderungsbetrag auf das halbe Arbeitslosengeld angerechnet wird.

Während § 37 b Satz 1 SGB III Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet dazu verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts arbeitssuchend zu melden, bestimmt § 37 b Satz 2 SGB III, dass im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses die Meldung frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen hat.

Ob § 37 b SGB III bzw. § 140 SGB III verfassungsgemäß sind (siehe dazu den Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Frankfurt an das Bundesverfassungsgericht vom 1.4.2004, Az. S 7 AL 42/04) kann dahinstehen, da die Voraussetzungen der Normen tatbestandlich nicht erfüllt sind.

§ 37 b SGB III i.V.m. § 140 SGB III greift nur ein, wenn die Arbeitssuchendmeldung nicht unverzüglich erfolgt ist. Der Begriff der Unverzüglichkeit ist im BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) legal definiert. Nach § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB bedeutet unverzüglich ohne schuldhaftes Zögern. Die Definition gilt über § 216 Abs. 2 ZPO (Zivilprozessordnung) und § 23 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) nach allgemeiner Meinung im gesamten öffentlichen Recht (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 3.2.1992 Az. 18 A 226/92. A; LSG Baden-Württemberg, Az. L 3 AL 1267/04, Urteil vom 9.6.2004; Palandt/Heinrichs § 121 BGB, Rn. 3, 62. Auflage 2003). Schuldhaft handelt nach § 276 Satz 2 BGB, wer vorsätzlich oder grob fahrlässig vorgeht. Auch § 276 BGB gilt für das gesamte öffentliche Recht (LSG Baden Württemberg Az.: L 3 AL 1267/04 Urteil vom 9.6.2004; Gagel § 37 b SGB III, Rn 15, Palandt/Heinrichs § 276 BGB Nr. 4)

Eine Pflichtverletzung kann regelmäßig aber nur dann angenommen worden, wenn die dem Betreffenden obliegende Pflicht hinreichend bestimmt ist.

§ 37 b Satz 2 SGB III legt für befristete Arbeitsverhältnisse lediglich fest, dass die Meldung "frühestens" drei Monate vor deren Beendigung zu erfolgen hat. Durch die Verwendung des Begriffs "frühestens" kommt zum Ausdruck, dass auch eine spätere Meldung möglich sein muss. Wann dies spätestens zu erfolgen hat, ist der Norm nicht zu entnehmen. Eine hinreichend definierte Obliegenheit wird dadurch für befristete Arbeitsverhältnisse nicht bestimmt (so auch SG Aachen Urteil vom 24.9.2004, S 8 AL 81/04; Sozialgericht Dortmund Urteil vom 14.7.2004, S 33 AL 169/04, Urteile vom 26.7.2004, S 33 AL 127/04 und S 33 AL 127/04; Sozialgericht Münster Urteil vom 2.11.2004, S 5 AL 50/04 und Gerichtsbescheid vom 23.2.2005, S 5 AL 209/04; Sozialgericht Augsburg Urteil vom 7.9.2004, S 1 AL 144/04).

Es ist zu vermuten, dass der Gesetzgeber übersehen hat zu regeln, bis wann spätestens die Meldung zu erfolgen hat. Ein etwaiges gesetzgeberisches Versehen kann jedoch auch nicht im Rahmen juristischer Auslegungsmethoden behoben werden.

Die Auslegung dem Wortlaut nach führt zu keinem Ergebnis. Die Formulierung "frühestens" bedeutet "nicht früher als". Ausgehend vom Wortlaut kann der Arbeitslose sich erst drei Monate vor Ablauf der Befristung arbeitslos melden.

Die Gesetzesbegründung des Gesetzgebers zur Einführung von § 37 b SGB III kann ebenfalls keinen Aufschluss geben. Hierin ist lediglich vermerkt: "Bei befristeten Arbeitsverhältnissen soll die Meldung jedoch nicht früher als drei Monate vor Ablauf des Arbeitsverhältnisses erfolgen" (BTDS 15/25 zu Nr.6, S.27).

Sinn und Zweck der Regelung ist es, die Eingliederung von Arbeitssuchenden zu beschleunigen und den Eintritt einer Arbeitslosigkeit und das Anfallen von Entgeltersatzleistungen möglichst zu vermeiden. Dieses Ziel würde für Arbeitnehmer in befristeten Beschäftigungsverhältnissen gleichermaßen Sinn machen wie für Arbeitnehmer, die in unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen gekündigt wurden. Um diesen Gesetzessinn umzusetzen müsste das Wort "spätestens" in das Wort "frühestens" umgedeutet werden.

Eine nach juristischen Methoden zulässige Auslegung muss jedoch nachvollziehbar sein und Willkür auszuschließen. Ausgangspunkt einer jeden juristischen Interpretation muss der Wortlaut des Gesetzes sein. Danach können grammatikalische, logische, historisch-subjektive und teleologisch-objektive Gesichtspunkte zur Auslegung herangezogen werden. Das Ergebnis einer gerichtlichen Auslegung kann aber nicht die Umkehr des Gesetzestextes in sein Gegenteil zur Folge haben. Die Rechtsprechung kann im Rahmen der juristischen Auslegung Text- und Wertungslücken schließen. Das Legalitätsprinzip verbietet es vorliegend aber, die Formulierung "frühestens" zu überlesen oder sie in "spätestens" umzudeuten (SG Augsburg Urteil vom 7.9.2004, S 1 AL 440/04). Nach § 31 SGB I (Erstes Buch Sozialgesetzbuch) können Pflichten des Sozialleistungsempfängers nur begründet werden, wenn ein Gesetz dies vorschreibt oder zulässt. Hinzu kommt, dass ein Verstoß gegen § 37 b SGB III mit einer nicht unerheblichen pauschalen Schadensausgleichkonsequenz sanktioniert ist.

Das Gericht geht deshalb davon aus, dass die Sanktionsfolge von § 140 SGB III aufgrund der unbestimmten Regelung hinsichtlich der Arbeitssuchendmeldung bei befristeten Arbeitsverträgen in § 37 b Abs. 2 SGB III nicht eintreten kann. Vor diesem Hintergrund kann es dahinstehen, ob der Klägerin eine Weiterbeschäftigung nach Ablauf der Befristung versprochen worden war oder nicht. Auch ist unerheblich, ob die Klägerin von ihrem Arbeitgeber über die Meldepflicht informiert worden ist. Maßstab für die Frage, wann ein Meldeversäumnis eintritt, ist ausschließlich der Gesetzestext.

Die Berufung wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache gem. §§ 105 Abs.1, 144 Abs.2 Nr.1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
Saved