L 18 U 352/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 572/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 U 352/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 222/05 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 12.09.2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die bei dem Kläger als Berufskrankheit (BK) nach Nr 4301 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) anerkannte Atemwegserkrankung nach einer höheren Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) als 20 vH ab 01.04.1999 zu entschädigen ist. Der 1940 geborene Kläger war von 1954 bis 31.03.1999 als Bäcker berufstätig. Anträge auf Anerkennung einer BK wurden mit Bescheiden vom 17.05.1984 und 10.06.1992 abgelehnt. Eine erneute ärztliche Anzeige über eine BK vom November 1994 wegen des Verdachtes auf ein exogen-allergisches Asthma bronchiale, verursacht durch eine Mehlstaubexposition, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 01.12.1995 und Widerspruchsbescheid vom 22.08.1996 ab, weil sich nach den eingeholten Gutachten eine beruflich verursachte Atemwegserkrankung nicht wahrscheinlich machen lasse.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 01.12.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.08.1996 ab 01.04.1999 für die mit Schreiben vom 08.12.1998 anerkannte BK Nr 4301 Rente nach einer MdE von 30 vH zu gewähren. Der vom SG gehörte Arzt für Allergie-, Haut- und Atemwegserkrankungen Dr.B. (Gutachten vom 08.10.1998/20.06.2000/07.05.2001) hat das Vorliegen einer BK nach Nr 4301 bejaht und aufgrund des Grades der bronchialen Obstruktion, der im Histamin-Test nachweisbaren signifikanten bronchialen Hyperaktivität und der Therapiebedürftigkeit der Erkrankung eine MdE von 30 vH vorgeschlagen. Die Beklagte hat zu diesem Gutachten Stellungnahmen des Arztes für Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie, Dr.S. vom 06.09.2000 und 05.07.2001 eingeholt. Dieser hat beanstandet, dass das von Dr.B. für die Bewertung zugrunde gelegte Punkteschema von Kroidl und Nowak nicht maßgebend sei. Der einschlägige Berufskrankheiten-Kommentar Mehrtens/Perlebach, dessen Tabelle auf einer Überarbeitung des sog. Bad Reichenhaller Merkblattes beruhe, lasse lediglich eine MdE von 20 vH zu, weil beim Kläger geringe Beschwerden vorlägen, die Lungenfunktion wiederholt als unauffällig gemessen worden sei und eine Gasaustauschstörung der Lunge nicht vorliege. Über der Lunge seien wiederholt ein Normalbefund, bzw allenfalls geringgradige Veränderungen auskultiert worden. Die Beklagte hat sich mit Schreiben vom 12.07.2001 bereit erklärt, dem Kläger eine Rente nach einer MdE um 20 vH zu gewähren. Der Kläger hat dieses Anerkenntnis nicht angenommen. Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 12.09.2001 unter Aufhebung des Bescheides vom 01.12.1995 idF des Widerspruchsbescheides vom 22.08.1996 verurteilt, ab 01.04.1999 Rente nach einer MdE von 20 vH für die berufsbedingte Atemwegserkrankung zu gewähren. Das Gericht hat sich dabei den Ausführungen des Dr.S. angeschlossen, weil dessen Bewertung im Einklang mit der unfallmedizinischen Literatur stehe, im Gegensatz zu dem von Dr.B. zugrunde gelegten Punkteschema von Kroidl und Nowak.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen, bei dem Bad Reichenhaller Merkblatt handle es sich um eine interne BG-Festlegung, die zwar im Kommentar zur Berufskrankheiten-Verordnung Mehrtens/Perlebach abgedruckt sei, aber mit dem offiziellen Merkblatt zu den Berufskrankheiten Nr 4301 und 4302 nichts zu tun habe. Außerdem lasse sich auch nach dem Bad Reichenhaller Merkblatt eine MdE von 30 vH zweifelsfrei und widerspruchsfrei begründen. Der Senat hat eine gutachterliche Stellungnahme des Dr.B. vom 28.03.2002 eingeholt, der weiterhin an einer MdE von 30 vH festgehalten hat. Hiergegen hat sich die Beklagte mit einer Stellungnahme des Dr.S. vom 28.06.2002 gewandt. Der vom Senat mit Gutachten vom 09.09.2004/05.12.2004 gehörte Internist Dr.Sch. ist der Bewertung des Dr.B. nicht gefolgt: Für die MdE-Bewertung werde in dem Merkblatt ausdrücklich darauf hingewiesen, dass als medizinisch begründete MdE der Wert zu wählen sei, für den die Mehrheit der Einzelangaben/Messwerte spreche. Die Anamnese spreche für eine MdE von 20 bis 30 vH, der klinische Untersuchungsbefund für eine MdE von 10 vH und die Lungenfunktionsdaten für eine MdE von 10 vH oder weniger. Auch das Kriterium "Belastungsuntersuchung" spreche lediglich für eine MdE von 10 vH. Die Mehrheit der Einzelangaben/Messwerte spreche somit für eine MdE von 10 bis 20 vH. Erst unter Einbeziehung des Kriteriums "Therapie" könne begründet werden, dass die MdE näher bei 20 vH als bei 10 vH liege. Der Kläger hat beanstandet, Dr.Sch. habe bei der Beurteilung nur Werte berücksichtigt, die nach Abschluss der Exposition (Tätigkeitsaufgabe) gemessen worden seien. Er hat sich mit einer vergleichsweisen Erledigung bei einer MdE von 25 vH bereit erklärt. Die Beklagte hat diesen Vorschlag nicht angenommen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 12.09.2001 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ab 01.04.1999 eine Verletztenrente nach einer MdE von 30 vH zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen das Urteil des SG Würzburg vom 12.09.2001 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente nach einer höheren MdE als 20 vH, da die medizinischen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind.

BK sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BK bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Eine solche Bezeichnung nimmt die BKV mit den sog. Listenkrankheiten vor.

Die BK 4301 erfasst durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Die Entscheidung der Frage, in welchem Grade die Erwerbsfähigkeit eines Verletzten gemindert ist, ist eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Klägers durch die BK beeinträchtigt sind, betrifft in erster Linie das ärztlich-wissenschaftliche Gebiet. Die Frage, welche MdE vorliegt, ist eine Rechtsfrage. Sie ist ohne Bindung an ärztliche Gutachten unter Berücksichtigung der Einzelumstände durch die Lebenserfahrung zu entscheiden (BSGE 4, 147; BSG, Urteil vom 23.04.1987 - Az: 2 RU 42/86 iuris Nr: KSRE 036813405). Die Bemessung des Grades der unfallbedingten MdE richtet sich nach dem Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des durch eine BK Erkrankten (vgl § 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Bei der Beurteilung der MdE sind die von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und medizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze - entsprechend dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft zu beachten.

Der Senat legt zur Gleichbehandlung der Fälle der vorliegenden Art seiner Rechtsprechung das Reichenhaller Merkblatt zugrunde (s. Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, M 4301 S 11 ff, ebenso Landessozialgericht für das Saarland, Urteil vom 21.05.2003 Az: L 2 U 15/96 iuris Nr: KSRE035611522). Der Sachverständige Dr.Sch. hat in seinem Gutachten vom 09.09.2004 überzeugend herausgearbeitet, dass für die Beurteilung der MdE verschiedene Kriterien zusammenwirken. Eine Zusammenstellung der Lungenfunktionsdaten von September 1999 bis April 2004 zeigt einen Normalbefund, so dass die Lungenfunktion für sich allein eine MdE von 10 vH oder weniger verursacht. Auch die Belastungsuntersuchung spricht ebenfalls für eine MdE von 10 vH. Denn der Sauerstoffgehalt lag sowohl in Ruhe als auch unter Belastung jeweils im Normbereich. Als weiteres Kriterium für die Einschätzung der MdE dient die erforderliche Therapie. Der Kläger wird aus einer Kombination eines inhalativen Kortikoids und Bronchodilatoren behandelt. Die Therapiebedürftigkeit spricht nach dem Merkblatt Nr 4301 für eine MdE von 20 bis 40 vH. In diesem Merkblatt wird ausgeführt, dass als medizinisch begründbare MdE der Wert zu wählen ist, für den die Mehrheit der Einzelangaben/Messwerte spricht. Die beim Kläger gemachten Untersuchungen sprechen in ihrer Mehrheit für eine MdE von 10 bis 20 vH. Lediglich im Hinblick auf die subjektiv geäußerten Beschwerden und die erforderliche Therapie schlägt der Sachverständige Dr.Sch. eine MdE von 20 vH vor.

Der Senat folgt nicht Dr.B., der seine Bewertung unter Berücksichtigung des Bewertungsvorschlags von Kroidl und Nowak vorgenommen hat. Kroidl und Nowak schlagen ein einfacheres Entscheidungsraster vor, welches vier Schweregrade iS von Bereichen enthält, innerhalb derer der Begutachter nach dem Gesamtbefund seine Entscheidung treffen muss. Dieses Bewertungsschema hat sich jedoch in der Unfallliteratur nicht durchgesetzt.

Die Lungenfunktionsprüfungen, die vor Aufgabe der Tätigkeit, bzw im Rahmen einer Mehlstaubexposition vorgenommen wurden, können für die MdE-Bewertung nicht herangezogen werden. Bei der Beurteilung der Beschwerden ist das Ausmaß nach Aufgabe der schädigenden Tätigkeit zugrunde zu legen (vgl Merkblatt zur Berufskrankheit Nr 4301 (Mehrtens/Perlebach) S.15).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision iS des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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