L 3 ER 79/05 AS

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
S 13 ER 140/05 AS
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 3 ER 79/05 AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Im öffentlichen Interesse liegende zusätzliche Arbeiten, die Arbeitslosengeld II-Empfänger als Arbeitsgelegenheit nach § 16 Abs.3 S.2 SGB II angeboten werden, begründen ein öffentlich-rechtliches Beschäftigungsverhältnis.

2. Für Streitigkeiten über Rechte und Pflichten, die sich aus den im öffentlichen Interesse für zusätzliche Arbeiten begründeten Beschäftigungsverhältnissen mit Aufwandsentschädigung (Ein-EURO-Jobs) ergeben, sind die Sozialgerichte zuständig.
1. Der Beschluss des Sozialgerichts Koblenz vom 19.08.2005 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Rechtsweg zu den Sozialgerichten zulässig ist. Der Rechtsstreit wird an das Sozialgericht Koblenz zurückverwiesen.

2. Die Kostenentscheidung bleibt der erstinstanzlichen Entscheidung vorbehalten.

3. Die Beschwerde an das Bundessozialgericht wird zugelassen.

Gründe:

I.

Umstritten ist, welche Gerichtsbarkeit zuständig ist. Im Hauptsacheverfahren geht es um die Rechte und Pflichten aus einer Arbeitsgelegenheit gemäß § 16 Abs 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Der Beschwerdegegnerin zu 1. wurden auf ihren Antrag hin mit Bewilligungsbescheid der Arbeitsgemeinschaft A /Agentur für Arbeit (ARGE AK) vom 15.02.2005 Leistungen zur Schaffung von Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung Zusatzjobs nach § 16 Abs 3 Satz 2 SGB II bewilligt und genaue Vorgaben zu Art, Dauer, Höhe der Mehraufwandsentschädigung und Fahrkostenerstattung gemacht. Mit Schreiben vom 09.02.2005 teilte die Bundesagentur für Arbeit durch die Agentur für Arbeit N , Geschäftsstelle B , der Beschwerdegegnerin zu 1. mit, dass sie den Beschwerdeführer für die Tätigkeit im Rahmen der Arbeitsgelegenheit vorschlage und diesen gebeten habe, mit der Beschwerdegegnerin zu 1. einen Vorstellungstermin zu vereinbaren. Falls der vorgeschlagene Bewerber nicht den Vorstellungen der Beschwerdegegnerin zu 1. entspräche, werde um erläuternde Hinweise gebeten.

Mit Schreiben vom 21.02.2005 teilte die Beschwerdegegnerin zu 1. dem Beschwerdeführer mit, dass er nach seiner telefonischen Vorstellung nunmehr im kommunalen Bauhof der Beschwerdegegnerin zu 2. eingesetzt werden solle. Er habe sich dort zur Arbeitsaufnahme am 01.03.2005 um 07.00 Uhr einzufinden. In der Anlage wurde ihm das Angebot einer schriftlichen Vereinbarung zur Regelung des Beschäftigungsverhältnisses übersandt, die von der Beschwerdegegnerin zu 2. und dem Beschwerdeführer am 01.03.2005 unterzeichnet wurde.

Mit Schreiben vom 03.08.2005 teilte die Beschwerdegegnerin zu 1. dem Beschwerdeführer ua mit: Die innerörtlichen Einsatzorte seien fußläufig erreichbar; zu außerhalb gelegenen Einsatzorten werde er zusammen mit den örtlichen Bauhofmitarbeitern mit den vorhandenen Fahrzeugen gefahren. Die Benutzung des eigenen Pkw’s werde ausdrücklich untersagt. Bei einer Zuwiderhandlung werde das Beschäftigungsverhältnis mit sofortiger Wirkung beendet.

Der Beschwerdeführer hat am 09.08.2005 eine einstweilige Verfügung zur Feststellung, dass die Anordnung der Beschwerdeführerin zu 1. im Schreiben vom 03.08.2005 unzumutbar und rechtswidrig sei, beim Sozialgericht beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, er benötige seinen Pkw am konkreten Einsatzort, um ausreichend Schutz gegen Regen und Gewitter zu finden und darin seine Mahlzeiten einnehmen zu können, außerdem um seine Notdurft nicht im Freien verrichten zu müssen, sondern eine Toilette aufsuchen zu können.

Mit Beschluss vom 19.08.2005 hat das Sozialgericht Koblenz den Rechtsweg zu den Sozialgerichten gemäß § 17 a Abs 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Betzdorf verwiesen, weil es sich um ein privatrechtliches Beschäftigungsverhältnis eigener Art handele, für das der Rechtsweg vor die ordentlichen Gerichte gegeben sei.

Der Beschwerdeführer hat am 23.08.005 Beschwerde gegen den Verweisungsbeschluss eingelegt und die Zurückverweisung an das Sozialgericht Koblenz beantragt. Das Sozialgericht Koblenz hat der Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren zur Entscheidung dem Landessozialgericht vorgelegt.

II.

Die Beschwerde gegen den Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Koblenz vom 19.08.2005 ist statthaft (§ 202 Sozialgerichtsgesetz SGG , § 17 a GVG). § 98 SGG schließt bei Rechtswegverweisung die Beschwerde nicht aus. Die Beschwerde ist auch gemäß §§ 172, 173 SGG zulässig und begründet.

Der Verweisungsbeschluss ist aufzuheben, da nach § 51 Abs 1 Nr 4 a SGG die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten entscheiden. Hier handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit.

Nach § 16 Abs 3 SGB II können für Hilfsbedürftige, die keine Arbeit finden können, Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden. Werden Gelegenheiten für im öffentlichen Interesse liegende, zusätzliche Arbeiten nicht nach Abs 1 als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gefördert, ist den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zusätzlich zum Arbeitslosengeld II eine angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen zu zahlen; diese Arbeiten begründen kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechtes (§ 16 Abs 3 Satz 2 2. Halbsatz SGB II); die Vorschriften über den Arbeitsschutz und das Bundesurlaubsgesetz sind entsprechend anzuwenden (§ 16 Abs 3 Satz 2 3. Halbsatz SGB II); für Schäden bei der Ausübung ihrer Tätigkeit haften erwerbsfähige Hilfebedürftige nur wie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (§ 16 Abs 3 Satz 2 4. Halbsatz SGB II).

Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist, richtet sich, wenn keine ausdrückliche gesetzliche Rechtswegzuweisung besteht, nach der Rechtsnatur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klage- oder Anordnungsanspruch abgeleitet wird. Öffentlich-rechtlich sind Streitigkeiten, wenn der Streitgegenstand nach öffentlichem Recht zu beurteilen ist. Nach der überwiegend und auch vom Senat vertretenen Zuordnungstheorie (vgl. Kopp-Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 40, RdNr 11) ist für die Qualifikation von Rechtsnormen entscheidend, ob sie für Jedermann gelten (dann zivilrechtlich) oder ob sie allein einen Träger öffentlicher Gewalt als solchen entweder berechtigen oder verpflichten (dann öffentlich-rechtlich).

Die Rechtsnormen, welche das Rechtsverhältnis zwischen einem Maßnahmeträger und dem nach § 16 Abs 3 Satz 2 SGB II beschäftigten Hilfebedürftigen regeln, gehören zum öffentlichen Recht. Dafür kommt es nicht darauf an, ob der Hilfebedürftige durch Verwaltungsakt mit seiner und des Maßnahmeträgers Zustimmung zugewiesen wird oder ob die Rechtsgrundlage der Beschäftigung ein Vertrag zwischen dem Hilfebedürftigen und dem Maßnahmeträger ist. Jedenfalls ist nämlich trotz des nicht eindeutigen Wortlauts der gesetzlichen Bestimmungen für dieses Rechtsverhältnis klar erkennbar, dass es nicht auf privatautonomer Einigung gegründet sein soll wie privatrechtliche Verträge einschließlich der Arbeitsverträge. Alle wesentlichen Entscheidungen, insbesondere über die Zuweisung selbst und über Mehraufwandsentschädigungen, hat der Leistungsträger zu treffen. Dem Maßnahmeträger bleibt nur die Entscheidung, ob er den Hilfebedürftigen zu diesen Bedingungen beschäftigen will oder nicht. Der Hilfebedürftige hat im Rahmen des Zumutbaren und unter dem Druck der Sanktionen des § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst d SGB II praktisch überhaupt keinen Verhandlungsspielraum. Arbeitsentgelt wird nicht gezahlt. Es fehlen so wesentliche Elemente eines privatrechtlichen Vertrages, dass nicht angenommen werden kann, der Gesetzgeber habe das Rechtsverhältnis dem Privatrecht zuordnen wollen. Dies hat auch insofern einen Ausdruck im Gesetz gefunden, als ausdrücklich die Qualifikation als Arbeitsverhältnis gerade ausgeschlossen wurde, obgleich dies von allen denkbaren Privatrechtsverhältnissen noch das Nächstliegende gewesen wäre (§ 16 Abs 3 Satz 2 2. Halbsatz SGB II).

Hinzu kommt, dass auch die Interessenlage der Beteiligten nicht dem entspricht, was für privatautonome Vereinbarungen typisch ist. Zielsetzung der Arbeitsgelegenheit ist in erster Linie die Förderung der im öffentlichen Interesse liegenden Ziele des SGB II. Die Tätigkeit soll dazu dienen, dem Grundsatz des Förderns, wie er in § 14 SGB II zum Ausdruck kommt, Rechnung zu tragen und den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen bei der Eingliederung in Arbeit zu unterstützen. Das gilt auch, und ist vom zuständigen Leistungsträger sicherzustellen, wenn der Maßnahmeträger nicht eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist.

Schließlich ist auch das Kriterium erfüllt, dass die Ansprüche des Hilfebedürftigen aus dem Beschäftigungsverhältnis nach § 16 Abs 3 Satz 2 SGB II immer gegen einen Träger öffentlicher Gewalt im Sinne der Zuordnungstheorie gerichtet sind. Hierfür spielt es keine Rolle, ob diese Ansprüche sich gegen den Leistungsträger richten oder gegen den Maßnahmeträger oder ob letzterer eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist oder nicht. Selbst im Fall einer Privatperson, etwa eines Vereins, als Maßnahmeträger kann dessen Einbeziehung in das Rechtsverhältnis als Beauftragung mit der Maßnahme und partiellen Übertragung von öffentlich-rechtlichen Handlungskompetenzen angesehen werden. Nur so lässt sich auch eine Unterordnung des Hilfesuchenden unter die Weisungsmacht des Maßnahmeträgers grundsätzlich ohne Mitgestaltungsmöglichkeiten des Hilfebedürftigen verstehen.

Für ein öffentlich-rechtliches Beschäftigungsverhältnis eigener Art durch die Heranziehung eines Hilfebedürftigen zu Arbeiten nach §§ 16 Abs 3 Satz 2 SGB II haben sich auch Voelzke (Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch, SGB II, § 16, RdNr 72), Niewald (LPK-SGB II [Münder] § 16 RdNr 25) und Rixen (Eicher/Spellbrink, SGB II § 10 RdNr 28 und 100) ausgesprochen.

Der Ansicht von Eicher (Eicher/Spellbrink SGB II § 16 RdNr 239), dass nur dann ein öffentlich-rechtliches Beschäftigungsverhältnis vorliegt, wenn durch Verwaltungsakt eine Arbeitsgelegenheit beim Leistungsträger selbst geschaffen worden ist, aber ein privatrechtliches Beschäftigungsverhältnis eigener Art anzunehmen sei, wenn eine bei Dritten bzw. nicht durch einen Verwaltungsakt beim Leistungsträger selbst geschaffene Arbeitsgelegenheit zu beurteilen sei, folgt der erkennende Senat aus den dargelegten Gründen nicht.

Nach alledem handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende (§ 51 Abs 1 Nr 4 a SGG), sodass der Beschluss des Sozialgerichts aufzuheben ist und das Sozialgericht Koblenz über den einstweiligen Rechtsschutzantrag des Beschwerdeführers zu entscheiden hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und ist der Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorbehalten.

Die Beschwerde wird zugelassen (§ 177 SGG iVm § 17 a Abs 4 GVG), da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 17 a Abs 4 Satz 5 GVG).
Rechtskraft
Aus
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