Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 32/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 R 192/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger ab dem 06.11.2003 weiterhin rentenversicherungspflichtig ist.
Der am 00.00.1961 geborene Kläger ist gelernter Energiegeräteelektroniker. Seit Juni 1997 ist er bei der Fa. TMW1 F GmbH als Betriebsleiter im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Aus dieser Tätigkeit werden laufend Rentenversicherungsbeiträge an die Beigeladene gezahlt.
Am 06.11.2003 errichteten der Kläger und Herr I1 (im Folgenden: HH) vor dem Notar C1 in N/S1 eine Aktiengesellschaft (AG) unter dem Namen "I2 W2 AG". Von dem Grundkapital in Höhe von 50.000,- ¤ übernahmen der Kläger 99,998 % und HH 0,002 % in Stückaktien. Zum Aufsichtsrat der AG wurden I2, I3 und I4 bestellt. Dieser Aufsichtsrat bestellte am 06.11.2003 den Kläger und HH zu Vorstandsmitgliedern der AG, den Kläger als Vorsitzenden und HH als stellvertretenden Vorsitzenden des Vorstandes.
Am 04.02.2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Hinweis auf seine am 06.11.2003 erfolgte Bestellung zum Vorstand der AG die Feststellung, dass er aus seiner hauptberuflichen Angestelltentätigkeit nicht mehr rentenversicherungspflichtig ist.
Durch Bescheid vom 16.09.2004 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger auch ab 06.11.2003 weiterhin in seiner Beschäftigung bei der TMW1 F GmbH rentenversicherungspflichtig beschäftigt ist. Sie verwies auf die Vorschrift des § 1 Satz 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis 31.12.2003 und ab 01.01.2004 geltenden Fassung zum Bestehen bzw. Nichtbestehen der Versicherungspflicht von Mitgliedern des Vorstandes einer AG und der zu der Neufassung ergangenen Vertrauensschutzregelung in § 229 Abs. 1a SGB VI. Nach der zuletzt genannten Vorschrift bleiben Mitglieder des Vorstandes einer AG, die am 06.11.2003 in einer weiteren Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit nicht rentenversicherungspflichtig waren, in dieser Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit nicht rentenversicherungspflichtig. Die Beklagte meinte, der Kläger habe keinen Vertrauensschutz nach dieser Stichtagsregelung, da die "I1 W2 AG" zum Zwecke der Umgehung der Rentenversicherungspflicht rechtsmissbräuchlich gegründet worden sei. Unabhängig davon bestehe die Rentenversicherungspflicht für die Beschäftigung bei der TMW1 F GmbH auch deshalb weiter, weil mangels Eintragung in das Handelsregister eine Aktiengesellschaft als solche noch nicht bestehe; diese Eintragung hätte bis spätestens 06.11.2003 erfolgen müssen.
Am 20.09.2004 wurde die "I2 W2 AG" in das Handelsregister beim Amtsgericht E (I5S2C2 0000) eingetragen.
Am 22.09.2004 legte der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 16.09.2004 Widerspruch ein. Er verwies auf § 1 Satz 4 SGB VI in der bis 31.12.2003 geltenden Fassung und die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22.11.1973 (12/3 RK 20/71), 27.03.1980 (12 RAr 1/79), 31.05.1989 (4 RA 22/88) und 26.03.1992 (11 RAr 15/91); darin habe das BSG entschieden, dass die Mitglieder des Vorstands einer AG auch dann nicht rentenversicherungspflichtig seien, wenn sie neben der Vorstandstätigkeit noch eine weitere an sich sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausüben. Der Kläger meinte, für ihn gelte die alte Fassung des § 1 Satz 4 SGB VI, da er am Stichtag 06.11.2003 Vorstand der "I1 W2 AG" gewesen sei. Für die Anwendung der Vertrauensschutzregelung genüge es, dass die AG in der Gründungsphase gewesen sei.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 09.12.2004 zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, vier Punkte sprächen im Fall des Klägers für eine Umgehung der Rentenversicherungspflicht: die Überbesetzung der Vorstandsebene; die Aktiengesellschaft beschäftige derzeit keine Mitarbeiter; die fehlende oder die geringe Zahl von Bezügen für die Vorstandstätigkeit; der zeitliche Ablauf der Gründung der AG und die Benennung als Vorstandsmitglied am 06.11.2003; die fehlende Eintragung im Handelsregister bis spätestens 06.11.2003.
Dagegen hat der Kläger am 00.00.0000 Klage erhoben. Er verweist ergänzend auf das Urteil des BSG vom 19.06.2001 (B 12 KR 44/00 R). Er meint, die Beklagte missachte die ständige Rechtsprechung des BSG; er meint, er unterfalle der gesetzlichen Regelung des § 1 Satz 4 SGB VI (alte Fassung) und sei nicht rentenversicherungs-pflichtig, da er am 06.11.2003 rechtswirksam zum Vorstand der AG bestellt worden sei.
Der Kläger beantragt dem Sinne seines schriftsätzlichen Vorbringens nach,
den Bescheid der Beklagten vom 16.09.2004 in der Fassung des Wider- spruchsbescheides vom 09.12.2004 aufzuheben und festzustellen, dass er seit dem 06.11.2003 nicht der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung.
Die Beigeladene schließt sich dem Vorbringen und dem Antrag der Beklagten an.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil sich die Beteiligten übereinstimmend mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz &8211; SGG).
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass der Kläger auch seit dem 06.11.2003 weiterhin in seiner Beschäftigung bei der TMW1 F GmbH der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt. Dies folgt aus § 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 4 SGB VI.
Die Versicherungspflicht des Klägers bestand bis 05.11.2003 und besteht auch ab 06.11.2003 weiter, weil er bei der TMW1 F als angestellter Betriebsleiter gegen Arbeitsentgelt beschäftigt ist (§ 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI). Allerdings bestimmte § 1 Satz 4 SGB VI in der bis 31.12.2003 geltenden Fassung, dass die Mitglieder des Vorstandes einer AG nicht versicherungspflichtig sind. Durch Artikel 1 Nr. 2 des "Zweiten Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze" vom 27.12.2003 (BGBl. I, S. 3013) wurde Satz 4 mit Wirkung ab 01.01.2004 wie folgt gefasst: "Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft sind in dem Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, nicht versicherungspflichtig beschäftigt, wobei Konzernunternehmen im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes als ein Unternehmen gelten." Als Vertrauensschutzregelung fügte der Gesetzgeber in § 229 SGB VI folgenden Absatz 1a ein: "Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft, die am 06.11.2003 in einer weiteren Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit nicht versicherungspflichtig waren, bleiben in dieser Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit nicht versicherungspflichtig. Sie können bis zum 31.12.2004 die Versicherungspflicht mit Wirkung für die Zukunft beantragen."
Die Begründung des Gesetzgebers zu der Neufassung des § 1 Satz 4 SGB VI lautet wie folgt (BT-Drucksache 15/1893, S. 12):
"Mit der Änderung wird das Nichtbestehen der Versicherungspflicht der Vor- standsmitglieder von Aktiengesellschaften auf die Beschäftigung als Vor- standsmitglied beschränkt. Gleichzeitig wird damit auch in letzter Zeit ver- mehrt bekannt gewordenen Missbrauchsfällen begegnet, in denen Aktien- gesellschaften nur zu dem Zweck gegründet werden, den Vorstandsmitgliedern dieser Aktiengesellschaften die Möglichkeit zu eröffnen, in weiteren - auch nicht konzernzugehörigen - Beschäftigungen bzw. selbständigen Tätigkeiten nicht der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversiche- rung zu unterliegen. Mit diesem Missbrauch wird versucht, die allgemeinen Versicherungspflichtregelungen und damit auch die Verpflichtung zur Zahlung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen zu umgehen.
Die verbreitete Gründung von finanz- und wirtschaftsschwachen Aktienge- sellschaften bei gleichzeitiger Überbesetzung der Vorstandsebene mit sozial schutzbedürftigen Vorstandsmitgliedern, damit diese der Rentenversiche- rungspflicht entzogen werden, ist als Missbrauch rechtlicher Gestaltungs- möglichkeiten einzustufen, der schon bei verfassungskonformer Auslegung des bisherigen Rechts unbeachtlich ist. Die Neuregelung bringt die insoweit erforderliche Klarstellung für die Praxis,.
Gleichzeitig wird mit ihr der Gleichklang zu den Versicherungspflichtregelun- gen in der Arbeitslosenversicherung hergestellt; nach § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III beschränkt sich dort die Versicherungsfreiheit von Vorstandsmitglie- dern von Aktiengesellschaften auch nur auf die jeweilige Vorstandstätigkeit und die Beschäftigungen im Konzern."
Die Begründung zu § 229 Abs. 1a SGB VI lautet (BT-Drucksache 15/1893 S. 12):
"Die Vorschrift stellt die erforderliche Vertrauensschutzregelung zur Änderung von § 1 SGB VI dar. Geregelt wird, dass die derzeit geltende Rechtslage weitererhin für diejenigen Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften maßgebend bleibt, die am Tag der 2./3. Lesung des Gesetzentwurfs in weiteren Beschäftigungen oder selbständigen Tätigkeiten, die neben der Beschäftigung als Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft ausgeübt wurden, nicht der Bei- tragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung unterlagen. Gleichzeitig wird diesen Personen das Recht eingeräumt, die Versicherungspflicht mit Wirkung für die Zukunft - entsprechend der geänderten Fassung von § 1 SGB VI - beantragen zu können. Der Antrag ist bis zum 31. Dezember 2004 zu stellen.
Ein Vertrauensschutz besteht allerdings insoweit nicht, als es schon nach dem vor dem Stichtag anzuwendenden Recht rechtsmissbräuchlich war, einen Ausschluss der Rentenversicherungspflicht anzunehmen(siehe Begründung zur Neufassung von § 1 Satz 3 SGB VI)."
Die Kammer brauchte nicht zu entscheiden, ob die Gründung der "I2 W2 AG" und die Bestellung des Klägers zu deren Vorstand am 06.11.2003 zum Zweck der Umgehung der Rentenversicherungspflicht des Klägers rechtsmissbräuchlich erfolgt ist. Denn auch wenn dies nicht der Fall war, bestand die Versicherungspflicht des Klägers zur gesetzlichen Rentenversicherung in der Beschäftigung bei der TMW1 F GmbH nicht nur bis zum 05.11.2003, sondern besteht sie auch weiterhin ab 06.11.2003. Bis zum 05.11.2003 ergibt sich das allein aus § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI; die Sonderregelung des Satz 4 fand bis zu diesem Zeitpunkt schon deshalb keine Anwendung, weil eine AG, deren Vorstandsmitglied der Kläger hätte sein können, noch nicht einmal gegründet war. Auch für die Zeit vom 06.11.2003 bis 19.09.2004 findet der Satz 4 des § 1 SGB VI weder in der alten noch in der neuen Fassung Anwendung; zwar war der Kläger in dieser Zeit bereits zum Vorstandsmitglied bestellt, jedoch bestand noch keine AG, da die "I2 W2 AG" noch nicht in das Handelsregister eingetragen war. Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 Aktiengesetz besteht die AG vor der Eintragung in das Handelsregister nicht. § 1 Satz 4 SGB VI betrifft - sowohl in seiner alten als auch in seiner neuen Fassung - "Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft". Voraussetzung ist also nicht nur die Vorstandsbestellung, sondern auch das Bestehen einer AG (Hess LSG, Beschluss vom 17.06.2005 - L 8 KR 14/05; SG Frankfurt, Urteil vom 15.09.2004 - S 20 KR 2217/04; Buczko, Rentenversicherungspflicht von AG-Vorständen, in: DAngVers 2004, S. 161 ff.). An der zuletzt genannten Voraussetzung fehlte es im Fall des Klägers bis zum 19.09.2004. Ab dem 20.09.2004, dem Tag der Eintragung der AG in das Handelsregister, ist für die Beurteilung der Versicherungspflicht die Vorschrift des § 1 Satz 4 SGB VI beachtlich, und zwar in der ab 01.01.2004 geltenden Fassung. Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass der Kläger zwar in der Tätigkeit als Vorstandsmitglied der "I2 W2 AG" nicht rentenversicherungspflichtig ist, wohl aber in der Beschäftigung bei der TMW1 F GmbH. Die vom Kläger zitierte Rechtsprechung des BSG ist zum alten Recht ergangen und auf den Fall des Klägers nicht übertragbar.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Vertrauensschutzregelung des § 229 Abs. 1a SGB VI. Denn auch diese betrifft ausschließlich solche Personen, die am 06.11.2003 "Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft" waren. Wie dargelegt bestand die "I2 W2 AG" am 06.11.2003 nicht, sondern am 20.09.2004 mit der Eintragung in das Handelsregister.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger ab dem 06.11.2003 weiterhin rentenversicherungspflichtig ist.
Der am 00.00.1961 geborene Kläger ist gelernter Energiegeräteelektroniker. Seit Juni 1997 ist er bei der Fa. TMW1 F GmbH als Betriebsleiter im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Aus dieser Tätigkeit werden laufend Rentenversicherungsbeiträge an die Beigeladene gezahlt.
Am 06.11.2003 errichteten der Kläger und Herr I1 (im Folgenden: HH) vor dem Notar C1 in N/S1 eine Aktiengesellschaft (AG) unter dem Namen "I2 W2 AG". Von dem Grundkapital in Höhe von 50.000,- ¤ übernahmen der Kläger 99,998 % und HH 0,002 % in Stückaktien. Zum Aufsichtsrat der AG wurden I2, I3 und I4 bestellt. Dieser Aufsichtsrat bestellte am 06.11.2003 den Kläger und HH zu Vorstandsmitgliedern der AG, den Kläger als Vorsitzenden und HH als stellvertretenden Vorsitzenden des Vorstandes.
Am 04.02.2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Hinweis auf seine am 06.11.2003 erfolgte Bestellung zum Vorstand der AG die Feststellung, dass er aus seiner hauptberuflichen Angestelltentätigkeit nicht mehr rentenversicherungspflichtig ist.
Durch Bescheid vom 16.09.2004 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger auch ab 06.11.2003 weiterhin in seiner Beschäftigung bei der TMW1 F GmbH rentenversicherungspflichtig beschäftigt ist. Sie verwies auf die Vorschrift des § 1 Satz 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis 31.12.2003 und ab 01.01.2004 geltenden Fassung zum Bestehen bzw. Nichtbestehen der Versicherungspflicht von Mitgliedern des Vorstandes einer AG und der zu der Neufassung ergangenen Vertrauensschutzregelung in § 229 Abs. 1a SGB VI. Nach der zuletzt genannten Vorschrift bleiben Mitglieder des Vorstandes einer AG, die am 06.11.2003 in einer weiteren Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit nicht rentenversicherungspflichtig waren, in dieser Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit nicht rentenversicherungspflichtig. Die Beklagte meinte, der Kläger habe keinen Vertrauensschutz nach dieser Stichtagsregelung, da die "I1 W2 AG" zum Zwecke der Umgehung der Rentenversicherungspflicht rechtsmissbräuchlich gegründet worden sei. Unabhängig davon bestehe die Rentenversicherungspflicht für die Beschäftigung bei der TMW1 F GmbH auch deshalb weiter, weil mangels Eintragung in das Handelsregister eine Aktiengesellschaft als solche noch nicht bestehe; diese Eintragung hätte bis spätestens 06.11.2003 erfolgen müssen.
Am 20.09.2004 wurde die "I2 W2 AG" in das Handelsregister beim Amtsgericht E (I5S2C2 0000) eingetragen.
Am 22.09.2004 legte der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 16.09.2004 Widerspruch ein. Er verwies auf § 1 Satz 4 SGB VI in der bis 31.12.2003 geltenden Fassung und die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22.11.1973 (12/3 RK 20/71), 27.03.1980 (12 RAr 1/79), 31.05.1989 (4 RA 22/88) und 26.03.1992 (11 RAr 15/91); darin habe das BSG entschieden, dass die Mitglieder des Vorstands einer AG auch dann nicht rentenversicherungspflichtig seien, wenn sie neben der Vorstandstätigkeit noch eine weitere an sich sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausüben. Der Kläger meinte, für ihn gelte die alte Fassung des § 1 Satz 4 SGB VI, da er am Stichtag 06.11.2003 Vorstand der "I1 W2 AG" gewesen sei. Für die Anwendung der Vertrauensschutzregelung genüge es, dass die AG in der Gründungsphase gewesen sei.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 09.12.2004 zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, vier Punkte sprächen im Fall des Klägers für eine Umgehung der Rentenversicherungspflicht: die Überbesetzung der Vorstandsebene; die Aktiengesellschaft beschäftige derzeit keine Mitarbeiter; die fehlende oder die geringe Zahl von Bezügen für die Vorstandstätigkeit; der zeitliche Ablauf der Gründung der AG und die Benennung als Vorstandsmitglied am 06.11.2003; die fehlende Eintragung im Handelsregister bis spätestens 06.11.2003.
Dagegen hat der Kläger am 00.00.0000 Klage erhoben. Er verweist ergänzend auf das Urteil des BSG vom 19.06.2001 (B 12 KR 44/00 R). Er meint, die Beklagte missachte die ständige Rechtsprechung des BSG; er meint, er unterfalle der gesetzlichen Regelung des § 1 Satz 4 SGB VI (alte Fassung) und sei nicht rentenversicherungs-pflichtig, da er am 06.11.2003 rechtswirksam zum Vorstand der AG bestellt worden sei.
Der Kläger beantragt dem Sinne seines schriftsätzlichen Vorbringens nach,
den Bescheid der Beklagten vom 16.09.2004 in der Fassung des Wider- spruchsbescheides vom 09.12.2004 aufzuheben und festzustellen, dass er seit dem 06.11.2003 nicht der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung.
Die Beigeladene schließt sich dem Vorbringen und dem Antrag der Beklagten an.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil sich die Beteiligten übereinstimmend mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz &8211; SGG).
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass der Kläger auch seit dem 06.11.2003 weiterhin in seiner Beschäftigung bei der TMW1 F GmbH der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt. Dies folgt aus § 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 4 SGB VI.
Die Versicherungspflicht des Klägers bestand bis 05.11.2003 und besteht auch ab 06.11.2003 weiter, weil er bei der TMW1 F als angestellter Betriebsleiter gegen Arbeitsentgelt beschäftigt ist (§ 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI). Allerdings bestimmte § 1 Satz 4 SGB VI in der bis 31.12.2003 geltenden Fassung, dass die Mitglieder des Vorstandes einer AG nicht versicherungspflichtig sind. Durch Artikel 1 Nr. 2 des "Zweiten Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze" vom 27.12.2003 (BGBl. I, S. 3013) wurde Satz 4 mit Wirkung ab 01.01.2004 wie folgt gefasst: "Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft sind in dem Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, nicht versicherungspflichtig beschäftigt, wobei Konzernunternehmen im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes als ein Unternehmen gelten." Als Vertrauensschutzregelung fügte der Gesetzgeber in § 229 SGB VI folgenden Absatz 1a ein: "Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft, die am 06.11.2003 in einer weiteren Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit nicht versicherungspflichtig waren, bleiben in dieser Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit nicht versicherungspflichtig. Sie können bis zum 31.12.2004 die Versicherungspflicht mit Wirkung für die Zukunft beantragen."
Die Begründung des Gesetzgebers zu der Neufassung des § 1 Satz 4 SGB VI lautet wie folgt (BT-Drucksache 15/1893, S. 12):
"Mit der Änderung wird das Nichtbestehen der Versicherungspflicht der Vor- standsmitglieder von Aktiengesellschaften auf die Beschäftigung als Vor- standsmitglied beschränkt. Gleichzeitig wird damit auch in letzter Zeit ver- mehrt bekannt gewordenen Missbrauchsfällen begegnet, in denen Aktien- gesellschaften nur zu dem Zweck gegründet werden, den Vorstandsmitgliedern dieser Aktiengesellschaften die Möglichkeit zu eröffnen, in weiteren - auch nicht konzernzugehörigen - Beschäftigungen bzw. selbständigen Tätigkeiten nicht der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversiche- rung zu unterliegen. Mit diesem Missbrauch wird versucht, die allgemeinen Versicherungspflichtregelungen und damit auch die Verpflichtung zur Zahlung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen zu umgehen.
Die verbreitete Gründung von finanz- und wirtschaftsschwachen Aktienge- sellschaften bei gleichzeitiger Überbesetzung der Vorstandsebene mit sozial schutzbedürftigen Vorstandsmitgliedern, damit diese der Rentenversiche- rungspflicht entzogen werden, ist als Missbrauch rechtlicher Gestaltungs- möglichkeiten einzustufen, der schon bei verfassungskonformer Auslegung des bisherigen Rechts unbeachtlich ist. Die Neuregelung bringt die insoweit erforderliche Klarstellung für die Praxis,.
Gleichzeitig wird mit ihr der Gleichklang zu den Versicherungspflichtregelun- gen in der Arbeitslosenversicherung hergestellt; nach § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III beschränkt sich dort die Versicherungsfreiheit von Vorstandsmitglie- dern von Aktiengesellschaften auch nur auf die jeweilige Vorstandstätigkeit und die Beschäftigungen im Konzern."
Die Begründung zu § 229 Abs. 1a SGB VI lautet (BT-Drucksache 15/1893 S. 12):
"Die Vorschrift stellt die erforderliche Vertrauensschutzregelung zur Änderung von § 1 SGB VI dar. Geregelt wird, dass die derzeit geltende Rechtslage weitererhin für diejenigen Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften maßgebend bleibt, die am Tag der 2./3. Lesung des Gesetzentwurfs in weiteren Beschäftigungen oder selbständigen Tätigkeiten, die neben der Beschäftigung als Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft ausgeübt wurden, nicht der Bei- tragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung unterlagen. Gleichzeitig wird diesen Personen das Recht eingeräumt, die Versicherungspflicht mit Wirkung für die Zukunft - entsprechend der geänderten Fassung von § 1 SGB VI - beantragen zu können. Der Antrag ist bis zum 31. Dezember 2004 zu stellen.
Ein Vertrauensschutz besteht allerdings insoweit nicht, als es schon nach dem vor dem Stichtag anzuwendenden Recht rechtsmissbräuchlich war, einen Ausschluss der Rentenversicherungspflicht anzunehmen(siehe Begründung zur Neufassung von § 1 Satz 3 SGB VI)."
Die Kammer brauchte nicht zu entscheiden, ob die Gründung der "I2 W2 AG" und die Bestellung des Klägers zu deren Vorstand am 06.11.2003 zum Zweck der Umgehung der Rentenversicherungspflicht des Klägers rechtsmissbräuchlich erfolgt ist. Denn auch wenn dies nicht der Fall war, bestand die Versicherungspflicht des Klägers zur gesetzlichen Rentenversicherung in der Beschäftigung bei der TMW1 F GmbH nicht nur bis zum 05.11.2003, sondern besteht sie auch weiterhin ab 06.11.2003. Bis zum 05.11.2003 ergibt sich das allein aus § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI; die Sonderregelung des Satz 4 fand bis zu diesem Zeitpunkt schon deshalb keine Anwendung, weil eine AG, deren Vorstandsmitglied der Kläger hätte sein können, noch nicht einmal gegründet war. Auch für die Zeit vom 06.11.2003 bis 19.09.2004 findet der Satz 4 des § 1 SGB VI weder in der alten noch in der neuen Fassung Anwendung; zwar war der Kläger in dieser Zeit bereits zum Vorstandsmitglied bestellt, jedoch bestand noch keine AG, da die "I2 W2 AG" noch nicht in das Handelsregister eingetragen war. Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 Aktiengesetz besteht die AG vor der Eintragung in das Handelsregister nicht. § 1 Satz 4 SGB VI betrifft - sowohl in seiner alten als auch in seiner neuen Fassung - "Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft". Voraussetzung ist also nicht nur die Vorstandsbestellung, sondern auch das Bestehen einer AG (Hess LSG, Beschluss vom 17.06.2005 - L 8 KR 14/05; SG Frankfurt, Urteil vom 15.09.2004 - S 20 KR 2217/04; Buczko, Rentenversicherungspflicht von AG-Vorständen, in: DAngVers 2004, S. 161 ff.). An der zuletzt genannten Voraussetzung fehlte es im Fall des Klägers bis zum 19.09.2004. Ab dem 20.09.2004, dem Tag der Eintragung der AG in das Handelsregister, ist für die Beurteilung der Versicherungspflicht die Vorschrift des § 1 Satz 4 SGB VI beachtlich, und zwar in der ab 01.01.2004 geltenden Fassung. Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass der Kläger zwar in der Tätigkeit als Vorstandsmitglied der "I2 W2 AG" nicht rentenversicherungspflichtig ist, wohl aber in der Beschäftigung bei der TMW1 F GmbH. Die vom Kläger zitierte Rechtsprechung des BSG ist zum alten Recht ergangen und auf den Fall des Klägers nicht übertragbar.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Vertrauensschutzregelung des § 229 Abs. 1a SGB VI. Denn auch diese betrifft ausschließlich solche Personen, die am 06.11.2003 "Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft" waren. Wie dargelegt bestand die "I2 W2 AG" am 06.11.2003 nicht, sondern am 20.09.2004 mit der Eintragung in das Handelsregister.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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