Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 40 SB 259/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 54/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. März 2004 insoweit aufgehoben, als der Beklagte verurteilt wurde, der Klägerin das Merkzeichen "RF" ab Dezember 2001 zuzuerkennen. Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Der Beklagte trägt drei Viertel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80 sowie der Nachteilsausgleiche "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung), "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) und die Anerkennung der Berechtigung zur Benutzung des Telebus-Fahrdienstes für behinderte Menschen im Land Berlin.
Die 1941 geborene Klägerin, der zuletzt durch Bescheid vom 10. September 1991 ein GdB von 30 zuerkannt worden war, beantragte im Dezember 2001 die Neufeststellung ihres Grades der Behinderung. Der Beklagte holte Befundberichte des behandelnden Arztes für Orthopädie T (erstellt am 15. Januar 2001), der Ärztin für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dipl.-Med. U (ohne Datum) sowie der Fachärztin für Innere Medizin S (vom 21. Januar 2002) ein. Letzterem waren beigefügt Ergebnisse einer Ultraschalluntersuchung der Bein? und Beckenvenen links vom 14. Dezember 2000, des Abdomens vom 17. April 2000 und der Schilddrüse vom 17. April 2001, das Ergebnis einer Farbdoppler-Echokardiographie vom 29. Januar 2001, einer Duplexsonographie der extrakraniellen Gefäße vom 13. Februar 2001, einer Stress-Echokardiographie vom 12. Februar 2001 sowie das Ergebnis eines Blutbildes vom 7. Dezember 2001. Durch Bescheid vom 14. März 2002 stellte der Beklagte daraufhin einen GdB von 50 fest. Die Funktionsbeeinträchtigungen bezeichnete der Beklagte wie folgt, wobei sich die verwaltungsintern festgesetzten Einzel-GdB (hier und im Folgenden) aus den Zusätzen in Klammern ergeben: a) Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und der Kniegelenke, Lymphrückflussstörung beider Beine bei Adipositas (50), b) Bluthochdruck, Herzleistungsminderung (20), c) Hörbehinderung, Ohrgeräusche (10), d) Nabelbruch (10). Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Eintragung des Merkzeichens "G" (erhebliche Gehbehinderung) lägen vor. Nicht erfüllt seien die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung der Merkzeichen "B" (Notwendigkeit ständiger Begleitung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel), "aG", "RF" sowie das Merkzeichen "T" (die Berechtigung, den besonderen Fahrdienst des Landes Berlin zu nutzen). Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch, mit dem sie u.a. ausführte, die Merkzeichen "aG" und "T" zu benötigen, damit sie "überhaupt wieder am öffentlichen Leben teilnehmen" könne. Beigefügt war ein Attest der Ärzte für Orthopädie T und Dr. M vom 28. März 2002, wonach die Klägerin nur noch mit Hilfe von Nachbarn in die Praxis gefahren werden könne. Der Beklagte holte hierzu eine gutachtliche Stellungnahme der Ärztin M vom 8. Mai 2002 sowie ein Gutachten durch Dr. M B ein. Letzterer führte in seinem Gutachten vom 16. Januar 2003 aus, dass der Gesamt-GdB 50 betrage. Radiologisch seien bei den vorgelegten Röntgenaufnahmen eine mediale Gonarthrose beidseits zu verifizieren, ansonsten keine, das Altersmaß überschreitenden degenerativen Veränderungen. Die Einzel? und Gesamt-GdB-Bildung sei nicht zu beanstanden. Unter Berücksichtigung des Körpergewichts der Klägerin von 203 kg bei einem Übergewicht von 135 kg sei bei Nachweis einer medialen Gonarthrose beidseits das Kennzeichen "G" zu attestieren. Die Kennzeichen "aG" oder "T" könnten aufgrund der erhobenen Untersuchungsbefunde jedoch ebenso wenig gewährt werden wie das gewünschte Kennzeichen "RF". Hierfür fehlten die medizinischen Voraussetzungen. Zur Untersuchung sei die Klägerin mit der Taxe in Begleitung ihres Ehemannes gekommen. Beim Verlassen der Praxis sei beobachtet worden, dass die Klägerin alleine watschelnd und beidseits etwas hinkend eine Wegstrecke von der Praxistür bis zum Parkplatz von ungefähr 100 m alleine unter Benutzung einer Gehstütze zurückgelegt habe. Somit sei sie einem Personenkreis, der doppeloberschenkelamputiert sei, nicht funktionell gleichzusetzen. Der Beklagte wies daraufhin den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2003 zurück.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der Ärzte T/Dr. M (Befundbericht vom 26. Mai 2003) und S (Eingang bei Gericht am 3. Juni 2003) eingeholt. Das Sozialgericht hat ferner durch den Facharzt für Orthopädie Dr. M L ein Sachverständigengutachten eingeholt, auf das Gutachten vom 4. Dezember 2003 wird Bezug genommen. Danach bestehen bei der Klägerin degenerative Veränderungen der gesamten Wirbelsäule sowie der Kniegelenke bei erheblicher Fettleibigkeit (mindestens 220 kg bei 1,70 m Körpergröße). Der Gesamtgrad der Behinderung auf orthopädischem Fachgebiet betrage 50. Alle Behinderungen subsumierten sich unter die erhebliche Fettleibigkeit, die auf orthopädisch-unfallchirurgischem Fachgebiet, gepaart mit den degenerativen Veränderungen des Achsenorganes und der Kniegelenke sich gegenseitig verstärkten. Die Klägerin sei aufgrund der erheblichen Fettleibigkeit selbst bei Inanspruchnahme einer Begleitperson nicht in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Sie sei maximal in der Lage, noch eine Treppe mit ca. 10 Stufen ohne größte Schwierigkeiten und Mühen zu bewältigen. Sie könne sich wegen der Schwere der Behinderung dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur unter großer Anstrengung außerhalb eines Kraftfahrzeuges bewegen. Die Wegstrecke der Klägerin betrage nach eigenen Angaben und nach Angaben des behandelnden Orthopäden maximal 50 m. Unter Berücksichtigung der Gesamtsituation, auch unter Berücksichtigung der inneren Leiden wie z.B. Bluthochdruck und Herabsetzung der Leistungsfähigkeit des Herzens sei die Klägerin dem Personenkreis der Querschnittsgelähmten bzw. Doppeloberschenkelamputierten zuzuordnen. Aufgrund der erheblichen Herabsetzung der Mobilität sei auch die Möglichkeit zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen massivst eingeschränkt. Selbst unter Verwendung technischer Hilfsmittel (z.B. Mammutrollstuhl mit einer Belastbarkeit bis zu 250 kg) erscheine auch unter Zuhilfenahme von Begleitpersonen die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen zumindest erheblich eingeschränkt, da hier Gewichte von ca. 250 kg transportiert werden müssten.
Der Beklagte hat im Anschluss an eine Stellungnahme des Versorgungsarztes Dr. S durch Bescheid vom 15. Januar 2004 einen Gesamt-GdB von 70 ab Dezember 2001 festgestellt und seine früheren Entscheidungen insoweit aufgehoben. Die zugrunde liegenden Funktionsbeeinträchtigungen bezeichnete er wie folgt: a) Degenerative Funktionseinschränkungen der Kniegelenke, Lymphabflussstörungen beider Beine (40), b) Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule (30), c) Generalisierte Belastungsinsuffizienz bei Adipositas permagna (30), d) Bluthochdruck, Herzleistungsminderung (20), e) Hörminderung, Ohrgeräusche (10), f) Nabelbruch (10).
Weitere Funktionsbeeinträchtigungen bzw. gesundheitliche Merkmale lägen nicht vor und könnten deshalb nicht festgestellt werden.
Das Sozialgericht Berlin hat durch Urteil vom 29. März 2004 den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 15. Januar 2004 verurteilt, der Klägerin einen Grad der Behinderung von 80 sowie die Merkzeichen "aG", "T" und "RF" ab Dezember 2001 zuzuerkennen. Die Fortbewegungsfähigkeit der Klägerin sei insbesondere durch ihre massive Fettleibigkeit sowie die erheblichen Lymphödeme an den unteren Extremitäten eingeschränkt. Der Gutachter Dr. Lhabe ein deutlich verkürztes und watschelndes Gangbild beobachten können, wobei ein wenig raumgreifender Gang bestanden habe und eine deutliche Schwankung der Beckenachse zu beobachten gewesen sei. Dr. B habe ein qualitativ etwa gleichwertiges Gangbild bei der Klägerin feststellen können. Die Klägerin müsse große Anstrengungen aufbringen, um ihr Körpergewicht von etwa 230 kg überhaupt selbständig fortzubewegen. Aus der daraus folgenden Bejahung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" ergebe sich bereits im Umkehrschluss, dass der vom Gutachter Dr. L in Ansatz gebrachte orthopädische GdB von 50 zu niedrig sei. Die in der Verwaltungsvorschrift explizit genannten Behinderungen bedingten nämlich nach den Anhaltspunkten 1996 (AHP 96) Nr. 26.18 S. 148 zumindest einen entsprechenden Einzel-GdB von 80. Entsprechendes müsse auch für Einschränkungen in der Gehfähigkeit gelten, die mit diesen Behinderungen zu vergleichen seien. Wegen der erheblichen Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit beider unterer Gliedmaßen durch Unterschenkelödeme und allgemeine Fettleibigkeit sei ein GdB im Rahmen der Spanne von 50 bis 70 in Ansatz zu bringen. Die Bewertung der allgemeinen Belastungsinsuffizienz bei Adipositas permagna mit einem GdB von 30 und der Behinderungen an den unteren Extremitäten mit einem GdB von 40 werde der Klägerin insgesamt nicht gerecht. Unter Berücksichtigung der degenerativen Veränderungen in den Kniegelenken und der Wirbelsäule sowie der internistischen Erkrankungen und der allgemeinen Auswirkungen der Adipositas permagna betrage der GdB insgesamt zumindest 80. Die Berechtigungskriterien für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "T" lägen vor, da ein mobilitätsbedingter Grad der Behinderung von 80 vom Hundert, das Merkzeichen "aG" sowie Fähigkeitsstörungen beim Treppensteigen vorlägen. Die Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "RF" lägen vor, weil die Klägerin wegen der bei ihr bestehenden schweren Bewegungsstörungen daran gehindert sei, in zumutbarer Weise an öffentlichen Veranstaltungen aller Art teilzunehmen. Selbst bei Erreichbarkeit einzelner öffentlicher Veranstaltungen durch Benutzung des Telebusses wäre eine Teilnahmefähigkeit der Klägerin nicht gegeben, da sie nicht in der Lage wäre, auf einem Sitz Platz zu nehmen, sondern mindestens zwei Sitzplätze benötigte. Entsprechende Vorkehrungen seien bei öffentlichen Veranstaltungen regelmäßig nicht gegeben.
Gegen dieses ihm am 19. Mai 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 10. Juni 2004 eingegangene Berufung des Beklagten. Der Beklagte trägt vor, dass der vom Sozialgericht angenommene mobilitätsbedingte GdB von 80 nicht nachvollziehbar sei. Die im Gutachten des Herrn Dr. L angegebenen Befunde und Bewegungsausmaße bedingten auch nach dessen Auffassung auf orthopädischem Fachgebiet lediglich einen GdB von 50. Die objektiven Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "aG", "T" sowie "RF" lägen nicht vor.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. März 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin hat sich zur Berufung nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach? und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und den der Verwaltungsakte des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, jedoch in der Sache nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen ist sie nicht begründet.
Die Klägerin hat zunächst einen Anspruch auf Feststellung eines Gesamt-GdB von 80. Für die Gesamt-GdB-Bildung bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach § 69 Abs. 3 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX), die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei zu prüfen ist, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Bei Zugrundelegung dieses Bewertungssystems sind die bei der Klägerin vorliegenden aus ihren Behinderungen folgenden Funktionsbeeinträchtigungen zu Recht vom Sozialgericht mit einem Gesamt-GdB von 80 bewertet worden. Der Senat legt dabei ? da das durch Dr. L erstellte Gutachten insoweit unergiebig ist ? die Einzel-Bewertungen des Versorgungsarztes Dr. S in seiner Stellungnahme vom 17. Dezember 2003 zugrunde, wonach degenerative Funktionseinschränkungen der Kniegelenke und Lymphabflussstörungen mit einem Einzel-GdB von 40, Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule mit einem GdB von 30, eine generalisierte Belastungsinsuffizienz bei Adipositas permagna mit einem Einzel-GdB von 30 und der bestehende Bluthochdruck und die Herzleistungsminderung mit 20 bewertet wurden. Die Bildung eines Gesamt-GdB von 70 aus diesen Werten berücksichtigt auch zur Überzeugung des Senates nicht hinreichend die besondere Verstärkung aller Beeinträchtigungen aufgrund der erheblichen Adipositas permagna, durch welche die Klägerin in sämtlichen Bewegungen aufs schwerste beeinträchtigt ist. Der Beklagte hat zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass die AHP 1996 ebenso wie die nunmehr einschlägigen, insoweit gleichlautenden AHP 2004 für die Adipositas allein keinen GdB vorsehen. Allerdings können nach den AHP 2004 Folge- und Begleitschäden sowie die besonderen funktionellen Auswirkungen einer Adipositas permagna durchaus einen GdB-Grad begründen (AHP 2004 Nr. 26.15, S. 99). Vorliegend wurden lediglich derartige funktionelle Auswirkungen, die bei der Klägerin in schwerstem Maße bestehen, berücksichtigt. Da die Gebrauchsfähigkeit beider unteren Gliedmaßen der Klägerin durch Unterschenkelödeme und die allgemeine Fettleibigkeit erheblich beeinträchtigt ist, ist für die zu a) und c) genannten Beeinträchtigungen ein GdB von 60 in Ansatz zu bringen, so dass unter Berücksichtigung der Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule sowie der internistischen Erkrankungen ein Gesamt-GdB von mindestens 80 besteht.
Die Klägerin hat auch Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "aG". Nach Nr. 11 der zu § 46 Straßenverkehrsordnung erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschrift sind als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprotese tragen können oder zugleich unterschenkel? oder armamputiert sind sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend aufgeführten Personenkreis gleichzustellen sind. Diese Vorschrift ist ihrem Zweck entsprechend eng auszulegen. Nach den strengen Maßstäben der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, SozR 3?3870 § 4 Nr. 22 und § 4 Nr. 23) müssen diejenigen Schwerbehinderten, die in der Aufzählung nicht ausdrücklich genannt sind, dann gleichgestellt werden, wenn deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und sie sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der Verwaltungsvorschrift ausdrücklich genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen können. Das BSG hat klargestellt, dass sich das Restgehvermögen begrifflich weder quantifizieren noch qualifizieren lässt. Insbesondere taugt eine im Metern ausgedrückte Wegstrecke grundsätzlich nicht als Beurteilungsmaßstab, weil die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist, nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit ebenso großen körperlichen Anstrengungen wie die in der Verwaltungsvorschrift genannten Personen.
Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin vor, weil sie sich außerhalb eines Kraftfahrzeuges nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen kann wie die in der Verwaltungsvorschrift genannten Personen. Dies haben ausdrücklich sowohl der begutachtende Facharzt für Orthopädie Dr. L in seinem Gutachten vom 4. Dezember 2003 wie auch die behandelnden Ärzte T/Dr. M im Befundbericht vom 26. Mai 2003 ausdrücklich bejaht. Die vom Beklagten hiergegen vorgebrachten Einwände, dass bei einer weiteren Abnahme von körperlichen Aktivitäten, die bei Inanspruchnahme der vom Sozialgericht zuerkannten Merkzeichen zu erwarten sei, eine weitere Gewichtszunahme und damit auch eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes drohe, sind nach den Vorgaben des Gesetzes und der Anhaltspunkte nicht beachtlich und allein der Eigenverantwortung der Klägerin zuzuschreiben. Dr. O hat in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 30. August 2004 insoweit zu Recht ausgeführt, dass zwar eine auf die notwendige "große Anstrengung" abstellende Beurteilung aus ärztlicher Sicht nicht nachvollziehbar sei, aber möglicherweise aufgrund des Urteils des BSG akzeptiert werden müsste.
Die Klägerin erfüllt auch die Voraussetzungen für die Berechtigung, den besonderen Fahrdienst des Landes Berlin zu nutzen (Merkzeichen "T"). Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes des Landes Berlin vom 31. Juli 2001 sind hierfür das im Schwerbehindertenausweis eingetragene Merkzeichen "aG", ein mobilitätsbedingter Grad der Behinderung von mindestens 80 vom Hundert und Fähigkeitsstörungen beim Treppensteigen erforderlich. Diese Voraussetzungen liegen in der Person der Klägerin vor. Insoweit wird gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil verwiesen, denen der Senat nach eigener Prüfung folgt.
Der Berufung war jedoch insoweit stattzugeben, als der Klägerin auch das Merkzeichen "RF" zugesprochen worden war. Die Klägerin gehört nicht zu dem ? hier allein in Betracht kommenden ? Personenkreis des § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung über die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 2. Januar 1992 (GVBL für Berlin S. 3). Danach sind Behinderte von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien, die nicht nur vorübergehend um wenigstens 80 vom Hundert in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert sind und wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der erkennende Senat folgt, ist eine enge Auslegung von Gebührenbefreiungsvorschriften geboten. Dem Zweck der Befreiung von der Gebührenpflicht für den Rundfunk? und Fernsehempfang wird dann genügt, wenn der Schwerbehinderte wegen seiner Leiden ständig, das heißt allgemein und umfassend, vom Besuch von Zusammenkünften politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender oder wirtschaftlicher Art ausgeschlossen ist. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn er praktisch an das Haus gebunden ist und allenfalls an einer nicht nennenswerten Zahl von Veranstaltungen teilnehmen kann (BSG, Urteil vom 12. Februar 1997, SozR 3?3870 § 4 Nr. 17 m.w.N.). Selbst wenn einem behinderten Menschen der Besuch größerer Veranstaltungen nicht mehr möglich ist, ist er nicht ständig von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen, da es eine Vielzahl von Veranstaltungen gibt, die für Senioren und behinderte Menschen angeboten werden und die eine längere Anwesenheit nicht erfordern; diese Veranstaltungen finden zur Geselligkeit, sowie auf kulturellem, religiösem oder wissenschaftlichem Gebiet statt und sind mit keinem größeren Publikumsandrang verbunden.
Vorliegend konnte nicht festgestellt werden, dass die Klägerin auch bei Inanspruchnahme von Hilfen praktisch an ihre Wohnung gebunden ist. Die Klägerin hat die Zuerkennung der Nachteilsausgleiche "aG" und "T" im Widerspruchsverfahren mit Schreiben vom 2. April 2002 deshalb begehrt, damit sie "überhaupt wieder am öffentlichen Leben teilnehmen" könne. Die Klägerin selbst ging damit davon aus, dass ihr mit Zuerkennung der beantragten Nachteilsausgleiche eine stärkere Teilnahme am öffentlichen Leben wieder ermöglicht wird. Auch generell ist darauf hinzuweisen, dass gerade die Telebusberechtigung der Eingliederung von stark bewegungsbeeinträchtigten Schwerbehinderten dient und bezweckt, ihnen die Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben zu ermöglichen und die Isolation, das heißt eine Bindung an das Haus, zu überwinden. Dieser Zielsetzung würde die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" widersprechen. Unerheblich, weil nicht medizinisch begründet war in diesem Zusammenhang, dass die Klägerin beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen zwei Sitzplätze benötigt. Die Gestaltung von Sitzplätzen bei öffentlichen Veranstaltungen ist durchaus unterschiedlich. Jedenfalls bei Besuchen von in Kirchen stattfindenden Veranstaltungen sowie in Senioreneinrichtungen sind nicht lediglich Bestuhlungen mit fixierten Armlehnen, auf welche die Klägerin nicht passen dürfte, vorhanden. Da die Klägerin nicht rollstuhlpflichtig ist, sondern sich durchaus noch selbst bewegen kann, ist auch nicht ersichtlich, weshalb, wie der Gutachter L meint, der Teilnahmefähigkeit entgegenstehen sollte, dass eine Person hierbei 250 kg bewegen müsste.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80 sowie der Nachteilsausgleiche "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung), "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) und die Anerkennung der Berechtigung zur Benutzung des Telebus-Fahrdienstes für behinderte Menschen im Land Berlin.
Die 1941 geborene Klägerin, der zuletzt durch Bescheid vom 10. September 1991 ein GdB von 30 zuerkannt worden war, beantragte im Dezember 2001 die Neufeststellung ihres Grades der Behinderung. Der Beklagte holte Befundberichte des behandelnden Arztes für Orthopädie T (erstellt am 15. Januar 2001), der Ärztin für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dipl.-Med. U (ohne Datum) sowie der Fachärztin für Innere Medizin S (vom 21. Januar 2002) ein. Letzterem waren beigefügt Ergebnisse einer Ultraschalluntersuchung der Bein? und Beckenvenen links vom 14. Dezember 2000, des Abdomens vom 17. April 2000 und der Schilddrüse vom 17. April 2001, das Ergebnis einer Farbdoppler-Echokardiographie vom 29. Januar 2001, einer Duplexsonographie der extrakraniellen Gefäße vom 13. Februar 2001, einer Stress-Echokardiographie vom 12. Februar 2001 sowie das Ergebnis eines Blutbildes vom 7. Dezember 2001. Durch Bescheid vom 14. März 2002 stellte der Beklagte daraufhin einen GdB von 50 fest. Die Funktionsbeeinträchtigungen bezeichnete der Beklagte wie folgt, wobei sich die verwaltungsintern festgesetzten Einzel-GdB (hier und im Folgenden) aus den Zusätzen in Klammern ergeben: a) Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und der Kniegelenke, Lymphrückflussstörung beider Beine bei Adipositas (50), b) Bluthochdruck, Herzleistungsminderung (20), c) Hörbehinderung, Ohrgeräusche (10), d) Nabelbruch (10). Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Eintragung des Merkzeichens "G" (erhebliche Gehbehinderung) lägen vor. Nicht erfüllt seien die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung der Merkzeichen "B" (Notwendigkeit ständiger Begleitung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel), "aG", "RF" sowie das Merkzeichen "T" (die Berechtigung, den besonderen Fahrdienst des Landes Berlin zu nutzen). Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch, mit dem sie u.a. ausführte, die Merkzeichen "aG" und "T" zu benötigen, damit sie "überhaupt wieder am öffentlichen Leben teilnehmen" könne. Beigefügt war ein Attest der Ärzte für Orthopädie T und Dr. M vom 28. März 2002, wonach die Klägerin nur noch mit Hilfe von Nachbarn in die Praxis gefahren werden könne. Der Beklagte holte hierzu eine gutachtliche Stellungnahme der Ärztin M vom 8. Mai 2002 sowie ein Gutachten durch Dr. M B ein. Letzterer führte in seinem Gutachten vom 16. Januar 2003 aus, dass der Gesamt-GdB 50 betrage. Radiologisch seien bei den vorgelegten Röntgenaufnahmen eine mediale Gonarthrose beidseits zu verifizieren, ansonsten keine, das Altersmaß überschreitenden degenerativen Veränderungen. Die Einzel? und Gesamt-GdB-Bildung sei nicht zu beanstanden. Unter Berücksichtigung des Körpergewichts der Klägerin von 203 kg bei einem Übergewicht von 135 kg sei bei Nachweis einer medialen Gonarthrose beidseits das Kennzeichen "G" zu attestieren. Die Kennzeichen "aG" oder "T" könnten aufgrund der erhobenen Untersuchungsbefunde jedoch ebenso wenig gewährt werden wie das gewünschte Kennzeichen "RF". Hierfür fehlten die medizinischen Voraussetzungen. Zur Untersuchung sei die Klägerin mit der Taxe in Begleitung ihres Ehemannes gekommen. Beim Verlassen der Praxis sei beobachtet worden, dass die Klägerin alleine watschelnd und beidseits etwas hinkend eine Wegstrecke von der Praxistür bis zum Parkplatz von ungefähr 100 m alleine unter Benutzung einer Gehstütze zurückgelegt habe. Somit sei sie einem Personenkreis, der doppeloberschenkelamputiert sei, nicht funktionell gleichzusetzen. Der Beklagte wies daraufhin den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2003 zurück.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der Ärzte T/Dr. M (Befundbericht vom 26. Mai 2003) und S (Eingang bei Gericht am 3. Juni 2003) eingeholt. Das Sozialgericht hat ferner durch den Facharzt für Orthopädie Dr. M L ein Sachverständigengutachten eingeholt, auf das Gutachten vom 4. Dezember 2003 wird Bezug genommen. Danach bestehen bei der Klägerin degenerative Veränderungen der gesamten Wirbelsäule sowie der Kniegelenke bei erheblicher Fettleibigkeit (mindestens 220 kg bei 1,70 m Körpergröße). Der Gesamtgrad der Behinderung auf orthopädischem Fachgebiet betrage 50. Alle Behinderungen subsumierten sich unter die erhebliche Fettleibigkeit, die auf orthopädisch-unfallchirurgischem Fachgebiet, gepaart mit den degenerativen Veränderungen des Achsenorganes und der Kniegelenke sich gegenseitig verstärkten. Die Klägerin sei aufgrund der erheblichen Fettleibigkeit selbst bei Inanspruchnahme einer Begleitperson nicht in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Sie sei maximal in der Lage, noch eine Treppe mit ca. 10 Stufen ohne größte Schwierigkeiten und Mühen zu bewältigen. Sie könne sich wegen der Schwere der Behinderung dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur unter großer Anstrengung außerhalb eines Kraftfahrzeuges bewegen. Die Wegstrecke der Klägerin betrage nach eigenen Angaben und nach Angaben des behandelnden Orthopäden maximal 50 m. Unter Berücksichtigung der Gesamtsituation, auch unter Berücksichtigung der inneren Leiden wie z.B. Bluthochdruck und Herabsetzung der Leistungsfähigkeit des Herzens sei die Klägerin dem Personenkreis der Querschnittsgelähmten bzw. Doppeloberschenkelamputierten zuzuordnen. Aufgrund der erheblichen Herabsetzung der Mobilität sei auch die Möglichkeit zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen massivst eingeschränkt. Selbst unter Verwendung technischer Hilfsmittel (z.B. Mammutrollstuhl mit einer Belastbarkeit bis zu 250 kg) erscheine auch unter Zuhilfenahme von Begleitpersonen die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen zumindest erheblich eingeschränkt, da hier Gewichte von ca. 250 kg transportiert werden müssten.
Der Beklagte hat im Anschluss an eine Stellungnahme des Versorgungsarztes Dr. S durch Bescheid vom 15. Januar 2004 einen Gesamt-GdB von 70 ab Dezember 2001 festgestellt und seine früheren Entscheidungen insoweit aufgehoben. Die zugrunde liegenden Funktionsbeeinträchtigungen bezeichnete er wie folgt: a) Degenerative Funktionseinschränkungen der Kniegelenke, Lymphabflussstörungen beider Beine (40), b) Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule (30), c) Generalisierte Belastungsinsuffizienz bei Adipositas permagna (30), d) Bluthochdruck, Herzleistungsminderung (20), e) Hörminderung, Ohrgeräusche (10), f) Nabelbruch (10).
Weitere Funktionsbeeinträchtigungen bzw. gesundheitliche Merkmale lägen nicht vor und könnten deshalb nicht festgestellt werden.
Das Sozialgericht Berlin hat durch Urteil vom 29. März 2004 den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 15. Januar 2004 verurteilt, der Klägerin einen Grad der Behinderung von 80 sowie die Merkzeichen "aG", "T" und "RF" ab Dezember 2001 zuzuerkennen. Die Fortbewegungsfähigkeit der Klägerin sei insbesondere durch ihre massive Fettleibigkeit sowie die erheblichen Lymphödeme an den unteren Extremitäten eingeschränkt. Der Gutachter Dr. Lhabe ein deutlich verkürztes und watschelndes Gangbild beobachten können, wobei ein wenig raumgreifender Gang bestanden habe und eine deutliche Schwankung der Beckenachse zu beobachten gewesen sei. Dr. B habe ein qualitativ etwa gleichwertiges Gangbild bei der Klägerin feststellen können. Die Klägerin müsse große Anstrengungen aufbringen, um ihr Körpergewicht von etwa 230 kg überhaupt selbständig fortzubewegen. Aus der daraus folgenden Bejahung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" ergebe sich bereits im Umkehrschluss, dass der vom Gutachter Dr. L in Ansatz gebrachte orthopädische GdB von 50 zu niedrig sei. Die in der Verwaltungsvorschrift explizit genannten Behinderungen bedingten nämlich nach den Anhaltspunkten 1996 (AHP 96) Nr. 26.18 S. 148 zumindest einen entsprechenden Einzel-GdB von 80. Entsprechendes müsse auch für Einschränkungen in der Gehfähigkeit gelten, die mit diesen Behinderungen zu vergleichen seien. Wegen der erheblichen Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit beider unterer Gliedmaßen durch Unterschenkelödeme und allgemeine Fettleibigkeit sei ein GdB im Rahmen der Spanne von 50 bis 70 in Ansatz zu bringen. Die Bewertung der allgemeinen Belastungsinsuffizienz bei Adipositas permagna mit einem GdB von 30 und der Behinderungen an den unteren Extremitäten mit einem GdB von 40 werde der Klägerin insgesamt nicht gerecht. Unter Berücksichtigung der degenerativen Veränderungen in den Kniegelenken und der Wirbelsäule sowie der internistischen Erkrankungen und der allgemeinen Auswirkungen der Adipositas permagna betrage der GdB insgesamt zumindest 80. Die Berechtigungskriterien für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "T" lägen vor, da ein mobilitätsbedingter Grad der Behinderung von 80 vom Hundert, das Merkzeichen "aG" sowie Fähigkeitsstörungen beim Treppensteigen vorlägen. Die Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "RF" lägen vor, weil die Klägerin wegen der bei ihr bestehenden schweren Bewegungsstörungen daran gehindert sei, in zumutbarer Weise an öffentlichen Veranstaltungen aller Art teilzunehmen. Selbst bei Erreichbarkeit einzelner öffentlicher Veranstaltungen durch Benutzung des Telebusses wäre eine Teilnahmefähigkeit der Klägerin nicht gegeben, da sie nicht in der Lage wäre, auf einem Sitz Platz zu nehmen, sondern mindestens zwei Sitzplätze benötigte. Entsprechende Vorkehrungen seien bei öffentlichen Veranstaltungen regelmäßig nicht gegeben.
Gegen dieses ihm am 19. Mai 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 10. Juni 2004 eingegangene Berufung des Beklagten. Der Beklagte trägt vor, dass der vom Sozialgericht angenommene mobilitätsbedingte GdB von 80 nicht nachvollziehbar sei. Die im Gutachten des Herrn Dr. L angegebenen Befunde und Bewegungsausmaße bedingten auch nach dessen Auffassung auf orthopädischem Fachgebiet lediglich einen GdB von 50. Die objektiven Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "aG", "T" sowie "RF" lägen nicht vor.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. März 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin hat sich zur Berufung nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach? und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und den der Verwaltungsakte des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, jedoch in der Sache nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen ist sie nicht begründet.
Die Klägerin hat zunächst einen Anspruch auf Feststellung eines Gesamt-GdB von 80. Für die Gesamt-GdB-Bildung bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach § 69 Abs. 3 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX), die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei zu prüfen ist, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Bei Zugrundelegung dieses Bewertungssystems sind die bei der Klägerin vorliegenden aus ihren Behinderungen folgenden Funktionsbeeinträchtigungen zu Recht vom Sozialgericht mit einem Gesamt-GdB von 80 bewertet worden. Der Senat legt dabei ? da das durch Dr. L erstellte Gutachten insoweit unergiebig ist ? die Einzel-Bewertungen des Versorgungsarztes Dr. S in seiner Stellungnahme vom 17. Dezember 2003 zugrunde, wonach degenerative Funktionseinschränkungen der Kniegelenke und Lymphabflussstörungen mit einem Einzel-GdB von 40, Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule mit einem GdB von 30, eine generalisierte Belastungsinsuffizienz bei Adipositas permagna mit einem Einzel-GdB von 30 und der bestehende Bluthochdruck und die Herzleistungsminderung mit 20 bewertet wurden. Die Bildung eines Gesamt-GdB von 70 aus diesen Werten berücksichtigt auch zur Überzeugung des Senates nicht hinreichend die besondere Verstärkung aller Beeinträchtigungen aufgrund der erheblichen Adipositas permagna, durch welche die Klägerin in sämtlichen Bewegungen aufs schwerste beeinträchtigt ist. Der Beklagte hat zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass die AHP 1996 ebenso wie die nunmehr einschlägigen, insoweit gleichlautenden AHP 2004 für die Adipositas allein keinen GdB vorsehen. Allerdings können nach den AHP 2004 Folge- und Begleitschäden sowie die besonderen funktionellen Auswirkungen einer Adipositas permagna durchaus einen GdB-Grad begründen (AHP 2004 Nr. 26.15, S. 99). Vorliegend wurden lediglich derartige funktionelle Auswirkungen, die bei der Klägerin in schwerstem Maße bestehen, berücksichtigt. Da die Gebrauchsfähigkeit beider unteren Gliedmaßen der Klägerin durch Unterschenkelödeme und die allgemeine Fettleibigkeit erheblich beeinträchtigt ist, ist für die zu a) und c) genannten Beeinträchtigungen ein GdB von 60 in Ansatz zu bringen, so dass unter Berücksichtigung der Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule sowie der internistischen Erkrankungen ein Gesamt-GdB von mindestens 80 besteht.
Die Klägerin hat auch Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "aG". Nach Nr. 11 der zu § 46 Straßenverkehrsordnung erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschrift sind als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprotese tragen können oder zugleich unterschenkel? oder armamputiert sind sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend aufgeführten Personenkreis gleichzustellen sind. Diese Vorschrift ist ihrem Zweck entsprechend eng auszulegen. Nach den strengen Maßstäben der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, SozR 3?3870 § 4 Nr. 22 und § 4 Nr. 23) müssen diejenigen Schwerbehinderten, die in der Aufzählung nicht ausdrücklich genannt sind, dann gleichgestellt werden, wenn deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und sie sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der Verwaltungsvorschrift ausdrücklich genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen können. Das BSG hat klargestellt, dass sich das Restgehvermögen begrifflich weder quantifizieren noch qualifizieren lässt. Insbesondere taugt eine im Metern ausgedrückte Wegstrecke grundsätzlich nicht als Beurteilungsmaßstab, weil die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist, nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit ebenso großen körperlichen Anstrengungen wie die in der Verwaltungsvorschrift genannten Personen.
Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin vor, weil sie sich außerhalb eines Kraftfahrzeuges nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen kann wie die in der Verwaltungsvorschrift genannten Personen. Dies haben ausdrücklich sowohl der begutachtende Facharzt für Orthopädie Dr. L in seinem Gutachten vom 4. Dezember 2003 wie auch die behandelnden Ärzte T/Dr. M im Befundbericht vom 26. Mai 2003 ausdrücklich bejaht. Die vom Beklagten hiergegen vorgebrachten Einwände, dass bei einer weiteren Abnahme von körperlichen Aktivitäten, die bei Inanspruchnahme der vom Sozialgericht zuerkannten Merkzeichen zu erwarten sei, eine weitere Gewichtszunahme und damit auch eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes drohe, sind nach den Vorgaben des Gesetzes und der Anhaltspunkte nicht beachtlich und allein der Eigenverantwortung der Klägerin zuzuschreiben. Dr. O hat in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 30. August 2004 insoweit zu Recht ausgeführt, dass zwar eine auf die notwendige "große Anstrengung" abstellende Beurteilung aus ärztlicher Sicht nicht nachvollziehbar sei, aber möglicherweise aufgrund des Urteils des BSG akzeptiert werden müsste.
Die Klägerin erfüllt auch die Voraussetzungen für die Berechtigung, den besonderen Fahrdienst des Landes Berlin zu nutzen (Merkzeichen "T"). Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes des Landes Berlin vom 31. Juli 2001 sind hierfür das im Schwerbehindertenausweis eingetragene Merkzeichen "aG", ein mobilitätsbedingter Grad der Behinderung von mindestens 80 vom Hundert und Fähigkeitsstörungen beim Treppensteigen erforderlich. Diese Voraussetzungen liegen in der Person der Klägerin vor. Insoweit wird gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil verwiesen, denen der Senat nach eigener Prüfung folgt.
Der Berufung war jedoch insoweit stattzugeben, als der Klägerin auch das Merkzeichen "RF" zugesprochen worden war. Die Klägerin gehört nicht zu dem ? hier allein in Betracht kommenden ? Personenkreis des § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung über die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 2. Januar 1992 (GVBL für Berlin S. 3). Danach sind Behinderte von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien, die nicht nur vorübergehend um wenigstens 80 vom Hundert in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert sind und wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der erkennende Senat folgt, ist eine enge Auslegung von Gebührenbefreiungsvorschriften geboten. Dem Zweck der Befreiung von der Gebührenpflicht für den Rundfunk? und Fernsehempfang wird dann genügt, wenn der Schwerbehinderte wegen seiner Leiden ständig, das heißt allgemein und umfassend, vom Besuch von Zusammenkünften politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender oder wirtschaftlicher Art ausgeschlossen ist. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn er praktisch an das Haus gebunden ist und allenfalls an einer nicht nennenswerten Zahl von Veranstaltungen teilnehmen kann (BSG, Urteil vom 12. Februar 1997, SozR 3?3870 § 4 Nr. 17 m.w.N.). Selbst wenn einem behinderten Menschen der Besuch größerer Veranstaltungen nicht mehr möglich ist, ist er nicht ständig von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen, da es eine Vielzahl von Veranstaltungen gibt, die für Senioren und behinderte Menschen angeboten werden und die eine längere Anwesenheit nicht erfordern; diese Veranstaltungen finden zur Geselligkeit, sowie auf kulturellem, religiösem oder wissenschaftlichem Gebiet statt und sind mit keinem größeren Publikumsandrang verbunden.
Vorliegend konnte nicht festgestellt werden, dass die Klägerin auch bei Inanspruchnahme von Hilfen praktisch an ihre Wohnung gebunden ist. Die Klägerin hat die Zuerkennung der Nachteilsausgleiche "aG" und "T" im Widerspruchsverfahren mit Schreiben vom 2. April 2002 deshalb begehrt, damit sie "überhaupt wieder am öffentlichen Leben teilnehmen" könne. Die Klägerin selbst ging damit davon aus, dass ihr mit Zuerkennung der beantragten Nachteilsausgleiche eine stärkere Teilnahme am öffentlichen Leben wieder ermöglicht wird. Auch generell ist darauf hinzuweisen, dass gerade die Telebusberechtigung der Eingliederung von stark bewegungsbeeinträchtigten Schwerbehinderten dient und bezweckt, ihnen die Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben zu ermöglichen und die Isolation, das heißt eine Bindung an das Haus, zu überwinden. Dieser Zielsetzung würde die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" widersprechen. Unerheblich, weil nicht medizinisch begründet war in diesem Zusammenhang, dass die Klägerin beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen zwei Sitzplätze benötigt. Die Gestaltung von Sitzplätzen bei öffentlichen Veranstaltungen ist durchaus unterschiedlich. Jedenfalls bei Besuchen von in Kirchen stattfindenden Veranstaltungen sowie in Senioreneinrichtungen sind nicht lediglich Bestuhlungen mit fixierten Armlehnen, auf welche die Klägerin nicht passen dürfte, vorhanden. Da die Klägerin nicht rollstuhlpflichtig ist, sondern sich durchaus noch selbst bewegen kann, ist auch nicht ersichtlich, weshalb, wie der Gutachter L meint, der Teilnahmefähigkeit entgegenstehen sollte, dass eine Person hierbei 250 kg bewegen müsste.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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