S 87 KR 3717/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
87
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 87 KR 3717/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Das klagende Unternehmen (Gesellschaft mit beschränkter Haftung) wendet sich gegen die Festbetragsfestsetzung gemäß § 35 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) durch die beklagten Spitzenverbände der Krankenkassen für die Arzneimittelgruppe "Angiotensin-II-Antagonisten, rein".

Die Klägerin ist in Deutschland pharmazeutische Unternehmerin des Arzneimittels LORZAAR® (Wirkstoff: Losartan) und Inhaberin der arzneimittelrechtlichen Zulassung. Nach ihren Angaben ist der Wirkstoff in Deutschland noch bis ca. 2009/2010 patentrechtlich geschützt. Er gehört zur Wirkstoffgruppe der Angiotensin-II-Antagonisten, die auch als Sartane bezeichnet und zur Behandlung der chronischen Erhöhung des arteriellen Blutdrucks (Hypertonie) eingesetzt werden.

Mit Beschluss vom 15. Juni 2004 bestimmte der beigeladene Gemeinsame Bundesausschuss die Festbetragsgruppe (Stufe 2) der "Angiotensin-II-Antagonisten, rein". Er bezog (u. a.) den Wirkstoff Losartan ein und verfügte als dessen Vergleichsgröße 45,2. Zur Darstellung des der Gruppen- und Vergleichsgrößenbildung vorangegangenen Verfahrens wird in Anwendung von § 136 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Klagebegründungsschrift, Seiten 10 bis 14, verwiesen.

Hierauf gestützt setzten die Beklagten am 29. Oktober 2004 für die Gruppe der Angiotensin-II-Antagonisten, rein den Festbetrag auf der Ebene der Apothekeneinkaufspreise für die Standardpackung mit 17,03 EUR fest. In Anwendung der gleichzeitig verfügten Regressionsgleichung war (nur) Losartan 100 mg nicht zum Festbetrag erhältlich. Die vom 1. Januar 2005 an geltenden (umgerechneten) Festbeträge wurden mit Rechtsbehelfsbelehrung im Bundesanzeiger vom 5. November 2004 (Seite 22602) bekannt gemacht. Wegen des Verfahrens auf Spitzenverbandsebene und des weiteren Verfahrensverlaufs vor der Klageerhebung wird auf die Seiten 14 bis 19 der Klagebegründung Bezug genommen.

Die Klägerin hat am 24. November 2004 Klage erhoben. Sie begehrt die Aufhebung der Festbetragsfestsetzung hinsichtlich des Wirkstoffes Losartan und macht geltend: Das Anhörungsverfahren sowohl zur Gruppen-/Vergleichsgrößenbildung als auch zur Festbetragsfestsetzung sei rechtswidrig durchgeführt worden. Das Recht der Klägerin auf Akteneinsicht sei verletzt. In materieller Hinsicht sei durch die Einbeziehung von Losartan die Innovationsschutzklausel des § 35 Abs. 1a SGB V verletzt. Auch die Vergleichsgrößenbildung und die Festbetragsfestsetzung seien rechtswidrig. Der Klägerin stehe aus den vorgenannten Gründen jeweils ein Aufhebungsanspruch zu, der sich mangels Teilbarkeit auf den gesamten Beschluss der Beklagten erstrecke. Wegen der Einzelheiten des klägerischen Vortrages wird auf Seite 48 bis 76 der Klagebegründung und auf den Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 18. November 2005 verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Festsetzung eines Festbetrages durch die Beklagten für die Angiotensin-II-Antagonisten (rein) vom 29. Oktober 2004 hinsichtlich des Wirkstoffes Losartan aufzuheben.

Die Beklagten zu 1) und 2) und der Beigeladene beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie halten den Beschluss des Beigeladenen und die Festbetragsfestsetzung der Beklagten für rechtmäßig.

Der Beklagte zu 3) und die Beklagte zu 8) haben sich jeweils vorab der Klageerwiderung des federführenden Beklagten zu 2) angeschlossen. Die übrigen Beklagten haben sich nicht geäußert

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens und zur Ergänzung des Sachverhalts wird schließlich Bezug genommen auf den (weiteren) Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der von den Beteiligten eingereichten insgesamt fünf Leitz-Ordner (davon ein Ordner Anlagen K 1 bis K 60), die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts Berlin folgt aus § 57 Abs. 4 Regelung 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Zulässige Klageart für die auf Aufhebung der Festbetragsfestsetzung vom 29. Oktober 2004 gerichtete Klage ist die Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 SGG. Die Festbetragsfestsetzung ist als Allgemeinverfügung im Sinne von § 31 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – erlassen worden. Ein Vorverfahren war nicht erforderlich (§ 35 Abs. 7 Satz 3 SGB V).

Die Klägerin ist klagebefugt. Den Arzneimittelherstellern ist jedenfalls durch die Möglichkeit, eine therapeutische Verbesserung i. S. von § 35 Abs. 1a Satz 2 SGB V geltend zu machen, einfach-gesetzlich ein Klagerecht eingeräumt ist ("im Hinblick auf die Ausnahmevorschriften für patentgeschützte Wirkstoffe" offen gelassen in BSG, Urteil vom 24. November 2004 – B 3 KR 23/04 RSozR 4-2500 § 35 Nr. 3). Nitz/Dierks weisen zudem zutreffend darauf hin, dass dem Gesetzgeber (des § 35 Abs. 7 Satz 2 SGB V) "offensichtlich Klagen pharmazeutischer Unternehmen vor Augen" standen (PharmR 2004, 161, 164 m. w. N.).

Die Klage ist unbegründet. Die Festbetragsfestsetzung der Beklagten für die Arzneimittelgruppe "Angiotensin-II-Antagonisten, rein" beruht auf einer rechtmäßigen Normsetzung des Beigeladenen; sie ist auch sonst formell und materiell rechtmäßig und verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

§ 35 SGB V in der für die angefochtene Festbetragsfestsetzung maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) vom 14. November 2003 (BGBl. I S. 2190) lautet, soweit hier von Interesse: "(1) Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt werden können. In den Gruppen sollen Arzneimittel mit 1. denselben Wirkstoffen, 2. pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen, 3. pharmakologisch-therapeutisch vergleichbarer Wirkung, insbesondere Arzneimittelkombi-nationen, zusammengefasst werden; unterschiedliche Bioverfügbarkeiten wirkstoffgleicher Arzneimittel sind zu berücksichtigen, sofern sie für die Therapie bedeutsam sind. Die nach Satz 2 Nr. 2 und 3 gebildeten Gruppen müssen gewährleisten, dass Therapiemöglichkeiten nicht eingeschränkt werden und medizinisch notwendige Verordnungsalternativen zur Verfügung stehen; ausgenommen von diesen Gruppen sind Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen, deren Wirkungsweise neuartig ist und die eine therapeutische Verbesserung, auch wegen geringerer Nebenwirkungen, bedeuten. Als neuartig gilt ein Wirkstoff, solange derjenige Wirkstoff, der als erster dieser Gruppe in Verkehr gebracht worden ist, unter Patentschutz steht. Der Gemeinsame Bundesausschuss ermittelt auch die nach Absatz 3 notwendigen rechnerischen mittleren Tages- oder Einzeldosen oder anderen geeigneten Vergleichsgrößen. (1a) Für Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen kann abweichend von Absatz 1 Satz 4 eine Gruppe nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 mit mindestens drei Arzneimitteln gebildet und ein Festbetrag festgesetzt werden, sofern die Gruppenbildung nur für Arzneimittel erfolgt, die jeweils unter Patentschutz stehen. Ausgenommen von der Gruppenbildung nach Satz 1 sind Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen, die eine therapeutische Verbesserung, auch wegen geringerer Nebenwirkungen, bedeuten. (2) Sachverständigen der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft und Praxis sowie der Arzneimittelhersteller und der Berufsvertretungen der Apotheker ist vor der Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben; bei der Beurteilung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen sind auch Stellungnahmen von Sachverständigen dieser Therapierichtungen einzuholen. Die Stellungnahmen sind in die Entscheidung einzubeziehen. (3) Die Spitzenverbände der Krankenkassen setzen gemeinsam und einheitlich den jeweiligen Festbetrag auf der Grundlage von rechnerischen mittleren Tages- oder Einzeldosen oder anderen geeigneten Vergleichsgrößen fest. Die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam können einheitlich Festbeträge für Verbandmittel festsetzen. Für die Stellungnahmen der Sachverständigen gilt Absatz 2 entsprechend. (4) ... (5) Die Festbeträge sind so festzusetzen, dass sie im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten. Sie haben Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen, sollen einen wirksamen Preiswettbewerb auslösen und haben sich deshalb an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten auszurichten; soweit wie möglich ist eine für die Therapie hinreichende Arzneimittelauswahl sicherzustellen. (6) Für das Verfahren zur Festsetzung der Festbeträge gilt § 213 Abs. 2 und 3. (7) Die Festbeträge sind im Bundesanzeiger bekanntzumachen. Klagen gegen die Festsetzung der Festbeträge haben keine aufschiebende Wirkung. Ein Vorverfahren findet nicht statt. Eine gesonderte Klage gegen die Gruppeneinteilung nach Absatz 1 Satz 1 bis 3, gegen die rechnerischen mittleren Tages- oder Einzeldosen oder anderen geeigneten Vergleichsgrößen nach Absatz 1 Satz 4 oder gegen sonstige Bestandteile der Festsetzung der Festbeträge ist unzulässig."

Der Beigeladene hat die Festbetragsgruppe der Angiotensin-II-Antagonisten formell und materiell rechtmäßig nach § 35 Abs. 1a SGB V gebildet.

Die Klägerin kann den erhobenen Kassationsanspruch nicht bereits aus der Verletzung von Verfahrensrechten bei der Gruppen- und Vergleichsgrößenbildung herleiten. Die Kammer folgt insoweit nach eigener Prüfung und auf Grund eigener Überzeugung den Ausführungen des Beigeladenen in dessen Schriftsatz vom 9. November 2005 und verweist in entsprechender Anwendung von § 136 Abs. 3 SGG darauf. Der Beigeladene hat die Gruppe "in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6" (§ 35 Abs. 1 Satz 1 SGB V), nämlich in der Anlage 2 der Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien) bestimmt. Die Bekanntmachung gemäß § 94 Abs. 2 SGB V erfolgte im Bundesanzeiger vom 25. September 2004, Seite 21085.

Die am 15. Juni 2004 vom Beigeladenen beschlossene Festbetragsgruppe der Angiotensin-II-Antagonisten ist materiell rechtmäßig gebildet worden. Sie fasst Arzneimittel mit pharmazeutisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen (i. S. von Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 Nr. 2 a. a. O.) zusammen. Es handelt sich um sieben Arzneimittel, die jeweils unter Patentschutz stehen (Abs. 1a Satz 1 a. a. O.). Das ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten.

Das Arzneimittel (der Wirkstoff) Losartan war nicht gemäß § 35 Abs. 1a Satz 2 SGB V von der Gruppenbildung auszunehmen.

Losartan hat entgegen der Auffassung der Klägerin nicht bereits deswegen für die Dauer seines Patentschutzes festbetragsfrei zu bleiben, weil es (er) "Innovator" seiner Wirkstoffklasse ist. Ein solches Verständnis des § 35 Abs. 1a Satz 2 SGB V ergibt sich nach keiner Regel der Gesetzesauslegung. Abs. 1a ist im Verhältnis zu Abs. 1 des § 35 SGB V die speziellere Norm und ermöglicht die Bildung reiner "Patent-Festbetragsgruppen" (wohl allg. Meinung, vgl. Reese/Gaßner, PharmR 2004, 428 ff.). Als positive Tatbestandsmerkmale verlangt Satz 1 des Abs. 1a dafür lediglich mindestens drei Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen der sog. Stufe 2. Von der so möglichen Gruppenbildung nimmt Satz 2 (nur) solche Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen aus, "die eine therapeutische Verbesserung bedeuten". Weder Wortlaut noch Systematik bieten somit einen Anhalt für die Annahme von Festbetragsfreiheit des Innovators. Das gleiche gilt für die historische Auslegung. Der Beklagte zu 2) hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass die wohl für die Auffassung der Klägerin sprechende Entwurfsfassung gerade nicht Gesetz geworden ist (Klageerwiderung vom 18. Oktober 2005, Seite 8 unten/9 oben).

Dem Sinn und Zweck des § 35 Abs. 1a Satz 2 SGB V, Anreize zu "echten" Innovationen zu geben, wird schließlich ein Verständnis der Norm gerecht, wonach auch der Innovator nur dann festbetragsfrei bleibt, wenn er gegenüber den anderen Arzneimitteln derselben Festbetragsgruppe einen therapeutischen Zusatznutzen zeigt. Der Innovationsanreiz für eine neue Wirkstoffklasse wird zunächst durch § 35 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 SGB V gewährleistet. Danach sind Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen, neuartiger Wirkungsweise und therapeutischer Verbesserung festbetragsfrei. Dies traf anfangs für Losartan zu. Nach Maßgabe des § 35 Abs. 1a SGB V in der Fassung des GMG besteht die Anreizwirkung weiter, bis mindestens drei "vergleichbare" (i. S. von Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 Nr. 2 a. a. O.) patentgeschützte Arzneimittel zugelassen sind. Erst dann ist eine Gruppenbildung möglich. Ist das jedoch der Fall muss sich auch der Innovator die Prüfung gefallen lassen, ob er im Vergleich zu den übrigen Wirkstoffen dieser (möglichen) Gruppe eine therapeutische Verbesserung bedeutet. Ein weitergehender Innovationsanreiz bzw. Festbetragsschutz für den Innovator ist § 35 Abs. 1, 1a SGB V in der Fassung des GMG nicht zu entnehmen. Dem kann die Klägerin nicht mit Erfolg die praktische Unmöglichkeit des Nachweises der Überlegenheit des Innovators entgegenhalten. Solange erst ein Analogarzneimittel zugelassen ist, kann eine Gruppe nach Abs. 1a nicht gebildet werden. Gelingt dem Innovator in dieser Zeit gegenüber dem ersten (vergleichbaren) Arzneimittel der Nachweis der therapeutischen Überlegenheit, bleibt "der Innovator" festbetragsfrei. Der Beklagte zu 2) hat in der mündlichen Verhandlung in diesem Zusammenhang im Übrigen berechtigterweise darauf hingewiesen, dass der "Innovatoren-Status" im Einzelfall von Zufällen abhängen kann. An der Entwicklung einer neuen Wirkstoffklasse arbeiten oft mehrere Unternehmen mehr oder weniger gleichzeitig. Eine frühere Zulassung des einen Medikaments im Vergleich zu seinen Konkurrenten kann sich beispielsweise durch eine bessere Aufbereitung der Unterlagen im Zulassungsverfahren ergeben. Es erscheint fern liegend, dass § 35 Abs. 1a Satz 2 SGB V bei einem so vermittelten "Innovatoren-Status" Festbetragsschutz gewährleisten will.

Für das Arzneimittel (den Wirkstoff) Losartan ist eine therapeutische Verbesserung im Sinne von § 35 Abs. 1a Satz 2 SGB V nicht nachgewiesen.

Die Nachweislast liegt bei den Herstellern (so wohl auch Hess, in: Kasseler Kommentar, SGB V § 35, Rn. 12: " , es sei denn der Hersteller legt dar "). Das folgt aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis von Satz 1 und Satz 2 des § 35 Abs. 1a SGB V: Von der Festbetragsregel des Satzes 1 macht Satz 2 eine Ausnahme ("Ausgenommen ") für Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen, die eine therapeutische Verbesserung bedeuten. Diese Regelung überspielt die bei Maßnahmen der Eingriffsverwaltung allgemein geltende Beweislastverteilung. Dabei wird zu Gunsten der Klägerin unterstellt, dass es sich vorliegend um eine solche Maßnahme handelt. Den von Reese/Posser (NZS 2005, 244, 245) behaupteten, "als Grundsatz konzipiert(en) Rechtssatz, dass innovative patentgeschützte Arzneimittel, die eine therapeutische Verbesserung bedeuten, festbetragsfrei bleiben sollen", gibt es nicht. Er zeigt sich auch nicht in der Gesetzesbegründung. Das Vorhandensein bzw. der Nachweis einer therapeutischen Verbesserung ist positives Tatbestandsmerkmal der Ausnahmevorschriften § 35 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2, Abs. 1a Satz 2 SGB V.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage der therapeutischen Verbesserung ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht derjenige der Zulassung von Losartan. Das dürfte schon aus dem materiellen Recht folgen. Satz 2 des § 35 Abs. 1a SGB V nimmt bestimmte Arzneimittel "von der Gruppenbildung nach Satz 1" aus. Die Frage der Ausnahme wegen therapeutischer Verbesserung stellt sich also schon verfahrenschronologisch erst bei der Gruppenbildung. Aus Wortlaut und Systematik des Abs. 1a (a. a. O.) folgt zudem, dass die therapeutische Verbesserung bezogen auf die übrigen Arzneimittel der jeweiligen Festbetragsgruppe zu beurteilen ist. Auch in der Sache kann maßgeblicher Zeitpunkt der therapeutischen Verbesserung deswegen frühestens derjenige der Gruppenbildung durch den Beigeladenen sein. Unter dem Gesichtspunkt der Klageart neigt die Kammer überdies der Auffassung zu, dass der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend ist. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei einer reinen Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Regelung 1 SGG grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsakts maßgeblich (stellvertretend: BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 – B 3 KR 37/02 RSozR 4-5425 § 25 Nr. 1). Anerkannt ist jedoch eine Ausnahme bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung (Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, § 54, Rn. 33 m. w. N.). Bei der Festbetragsfestsetzung handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung.

Ob danach vorliegend auf den Zeitpunkt des Beschlusses des Beigeladenen, auf den Zeitpunkt der Festbetragsfestsetzung durch die Beklagten oder auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen ist, kann offen bleiben. Denn bezogen auf alle drei Zeitpunkte ist eine therapeutische Verbesserung im Sinne von § 35 Abs. 1a Satz 2 SGB V für Losartan im Vergleich zu den anderen Gruppenmitgliedern der Sartane nicht nachgewiesen. Dies ergibt sich aus der Stellungnahme (vom 10. Juni 2004) der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) zur in Rede stehenden Festbetragsgruppe. Nach deren Fazit ist eine ausreichende Grundlage für die Herausnahme einzelner Vertreter aus der Festbetragsgruppe der Angiotensin-II-Antagonisten nicht gegeben. Die AkdÄ hat dies bezogen auf den richtigen Zeitpunkt und bezogen auf die richtige Vergleichsgruppe festgestellt. Der Beigeladene durfte sich hierauf stützen und war von Gesetzes wegen nicht verpflichtet, Losartan von der Gruppenbildung auszunehmen. Da es nur auf den Vergleich zu den anderen Gruppenmitgliedern der Sartane ankommt, kann die Klägerin die therapeutische Überlegenheit nicht damit begründen, dass allein für Losartan eine direkte Endpunkt-Studie existiert, die seine Überlegenheit gegenüber einem anderen Antihypertensivum (Atenolol) nachweist.

Die vom Beigeladenen gebildete Vergleichsgröße für Losartan ist nicht deswegen rechtswidrig, weil sie die im Vergleich zu den übrigen Sartanen zusätzlichen Anwendungsgebiete (diabetische Nephropathie und Herzinsuffizienz) nicht berücksichtigt. Das Gesetz lässt verschiedene Methoden der Vergleichsgrößenberechnung zu. Der Beklagte zu 2) hat im Schriftsatz vom 18. Oktober 2005 (Seite 17 ff.) plausibel die Nachteile der Methodik des Rechtsvorgängers des Beigeladenen beschrieben. Der Klägerin ist einzuräumen, dass auch eine Methodik mit Berücksichtigung von Zusatzindikationen möglich gewesen wäre. Es ist von Rechts wegen jedoch nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene aktuell als Vergleichsgröße die so bezeichnete verordnungsgewichtete durchschnittliche Einzelwirkstärke festgelegt hat. Denn diese Methodik ist transparent und sachgerecht.

Die Beklagten haben den in Rede stehenden Festbetrag formell und materiell rechtmäßig festgesetzt (§ 35 Abs. 3 SGB V).

Hinsichtlich der Gruppenbildung haben die Beklagten die Bindungswirkung (vgl. Hess, in: Kasseler Kommentar, SGB V § 35, Rn. 10) des Beschlusses des Beigeladenen beachtet. Die Beklagten haben auch nicht unzulässigerweise die Sachverständigenanhörung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 SGB V mit der Sachverständigenanhörung nach Abs. 2 a. a. O. verbunden. Sie durften mit dem (zweiten) Anhörungsverfahren beginnen, bevor der Beschluss des Beigeladenen im Bundesanzeiger bekannt gemacht war. Am 3. September 2004 stand bereits fest, dass keine Beanstandung gemäß § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB V erfolgt. Ein Abwarten auf die Bekanntmachung im Bundesanzeiger wäre in diesem Zusammenhang reine Förmelei. Die Beklagten haben ihrerseits die Festbeträge gemäß § 35 Abs. 7 Satz 1 SGB V im Bundesanzeiger bekannt gemacht. Eine Pflicht zur Veröffentlichung der Begründung der Festbetragsfestsetzung im Internet besteht nicht.

Die Höhe des Festbetrages ist rechtmäßig. Die Beklagten waren insbesondere nicht verpflichtet, die zusätzlichen Indikationen von Losartan gegenüber allen anderen Arzneimitteln der Festbetragsgruppe bei der Festsetzung der Vergleichsgrößen festbetragserhöhend zu berücksichtigen. Ein solcher "Anspruch" folgt nicht aus § 35 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V. Die Verpflichtung, eine für die Therapie hinreichende Arzneimittelauswahl im Rahmen der Festbeträge zu ermöglichen, wurde mit dem Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung "auf ein Minimum reduziert" (Hess, in: Kasseler Kommentar, § 35 SGB V, Rn. 13). Es muss nur noch die Verordnung eines weiteren Präparates unterhalb oder im Festbetrag zugelassen werden, um eine Therapieauswahl zu ermöglichen und eine Festbetragsgruppe zu bilden (Hess, a. a. O. m. w. N.). Diesen Anforderungen genügt die streitgegenständliche Festsetzung: Die sogenannte Maßzahl M liegt nach Angaben des Beklagten zu 2) in der streitgegenständlichen Festbetragsgruppe bei 98,02. Rund 46 % der Packungen und 56 % der Verordnungen stehen den Versicherten zum Festbetrag zur Verfügung. Betreffend Losartan standen nach Angaben des Beklagten zu 2) vier der insgesamt sieben am Berechnungsstichtag verfügbaren Packungen zum Festbetrag zur Verfügung.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Rechtskraft
Aus
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