L 8 AL 431/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 34 AL 1052/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 431/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11a AL 283/05 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 15.09.2004 sowie der Bescheid vom 24.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2003 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, über den Antrag der Klägerin vom 11.02.2003 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Förderung der Ausbildung zur Altenpflegerin als Weiterbildungsmaßnahme streitig.

Die 1983 geborene Klägerin hat eine am 12.09.2000 begonnene Ausbildung in der Sozialpflege am 28.02.2001 abgebrochen und ist nach einer zwischenzeitlichen Beschäftigung als Telefonistin seit 01.08.2001 als Altenpflegehelferin beschäftigt. Sie beantragte am 11.02.2003 die Förderung der Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme, und zwar an der ab 01.04.2003 beginnenden und drei Jahre dauernden Ausbildung zur Altenpflegerin an der H.-Akademie, Fachschule für Altenpflege, die berufsbegleitend durchgeführt wird. Mit Bescheid vom 24.02.2003 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, das Arbeitsamt P. habe in einem Arbeitsmarktprogramm eigene Regelungen über die Förderung von beruflichen Bildungsmaßnahmen erstellt. Unter anderem könnten nur Personen gefördert werden, die vor Maßnahmebeginn mindestens drei Monate arbeitslos gewesen seien.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2003 als unbegründet zurück. Die Entscheidung über die Förderung stehe im pflichtgemäßen Ermessen des Arbeitsamtes. Dieses müsse die für die Förderung der beruflichen Weiterbildung zur Verfügung stehenden beschränkten Haushaltsmittel zielgerichtet und erfolgsorientiert einsetzen. Als ermessenslenkende Weisung sei daher für den gesamten Arbeitsamtsbezirk P. festgelegt worden, dass eine Förderung in der Regel nur erfolgen solle, wenn der Antragsteller vor Beginn der Maßnahme mindestens drei Monate arbeitslos gewesen sei; Ausnahmen seien nur in besonders begründeten Fällen zugelassen.

Mit ihrer zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Beklagte dürfe Leistungen nicht allein unter Hinweis auf fehlende Haushaltsmittel ablehnen, vielmehr müsse sie für eine gleichmäßige Verteilung der Mittel im Haushaltsjahr sorgen.

Mit Urteil vom 15.09.2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Auch wenn die Klägerin grundsätzlich zum förderfähigen Personenkreis gehöre, stehe die Förderung im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten. Grundsätzlich sei auf die Fähigkeit der zu fördernden Personen, die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes und den anhand der Ergebnisse der Beratungs- und Vermittlungsgespräche ermittelten arbeitsmarktpolitischen Handlungsbedarf abzustellen. Diese Vorgaben habe die Beklagte für den Zuständigkeitsbereich des Arbeitsamtes P. in ihrem Arbeitsmarktprogramm 2003 konkretisiert. Hierzu gehöre der Erlass ermessenslenkender Weisungen im Bereich der Umschulung. Hiernach komme eine Förderung nur in Betracht, wenn bei einer Notwendigkeit der Umschulung bei fehlendem Berufsabschluss die Vermittlungsmöglichkeiten am ersten Arbeitsmarkt ausgeschöpft und dokumentiert seien. Dies könne in der Regel erst nach einer dreimonatigen Arbeitslosigkeit beurteilt werden, oder wenn der Betroffene 45 Jahre und älter sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die sie nicht begründet hat.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts München vom 15.09.2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2003 zu verurteilen, über ihren Antrag vom 11.02.2003 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf den Widerspruchsbescheid und die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als begründet. Die Bescheide der Beklagten erweisen sich als rechtswidrig.

Die Klägerin gehört - dies haben die Beklagte und das SG eingeräumt - zum förderungsfähigen Personenkreis des § 77 SGB III in der Fassung des Gesetzes vom 23.12.2002 (Bundesgesetzblatt I Seite 4607). Danach können Arbeitnehmer bei Teilnahme an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten und Leistung von Unterhaltsgeld gefördert werden, wenn

1. die Weiterbildung notwendig ist, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern,

2. eine ihnen drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden,

3. bei Ausübung einer Teilzeitbeschäftigung eine Vollzeitbeschäftigung zu erlangen oder

4. bei ihnen wegen fehlendem Berufsabschluss die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist.

Bei der Klägerin ist letztere Voraussetzung gegeben. Auch wenn sie nicht arbeitslos ist und auch nicht von Arbeitslosigkeit bedroht ist, so erfüllt sie den anspruchsbegründenden Tatbestand des fehlenden Berufsabschlusses. Denn gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 SGB III wird die Notwendigkeit der Weiterbildung bei Arbeitnehmern wegen fehlenden Berufsabschlusses anerkannt, wenn sie nicht über einen Berufsabschluss verfügen, für den nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist. Die Förderungsfähigkeit der Klägerin ist auch nicht nach § 77 Abs. 2 Satz 2 ausgeschlossen, da sie bei Beginn der Maßnahme genau drei Jahre beruflich tätig gewesen ist, selbst wenn man die am 12.09.2000 begonnene und am 28.02.2001 abgebrochene Ausbildung an der Sozialpflegeschule nicht dazurechnet. Weiterhin hat die Klägerin die Vorbeschäftigungszeit im Sinne des § 77 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III erfüllt, da sie im Sinne des § 78 Satz 1 Nr. 1 SGB III innerhalb der letzten drei Jahre vor Beginn der Teilnahme mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis hat. Zudem ist im Sinne des § 77 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 vor Beginn der Teilnahme eine Beratung durch das Arbeitsamt erfolgt, auch sind im Sinne der Nr. 4 die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen.

Die Entscheidung der Beklagten ist ermessensfehlerhaft, da sie dem Gesetz widerspricht. Im Rahmen des Klageverfahrens wurde das vom Arbeitsamt P. herausgegebene Arbeitsmarktprogramm 2003 vorgelegt, das in Anlage 1 "ermessenslenkende Weisung" u.a. bestimmt, die Notwendigkeit einer Umschulung bei fehlendem Berufsabschluss bzw. bei Berufsentfremdung sei nur gegeben, wenn die alternativen Vermittlungsmöglichkeiten am ersten Arbeitmarkt ausgeschöpft und dokumentiert seien. In der Regel könne dies erst nach einer dreimonatigen Arbeitslosigkeit beurteilt werden, oder wenn der Ratsuchende 45 Jahre und älter sei, oder die Maßnahme notwendig im Rahmen der beruflichen Rehabilitation sei.

Die Beklagte hat bei diesen ermessenslenkenden Weisungen nicht beachtet, dass der Gesetzgeber neben der Notwendigkeit der beruflichen Eingliederung Arbeitsloser oder von Arbeitslosigkeit bedrohter als Förderungsvoraussetzung gleichwertig den fehlenden Berufsabschluss festgelegt hat. Somit ist gerade nicht erforderlich, dass ein Antragsteller arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit bedroht ist, vielmehr ist der fehlende Berufsabschluss ein Umstand, der für sich die Zugehörigkeit zum förderungsfähigen Personenkreis begründet, weil die Erlangung eines Berufsabschlusses generell eine sicherere Eingliederung für die Zukunft erwarten lässt und eher damit zu rechnen ist, dass es nicht zu Arbeitslosigkeit kommt. Diesem Gedanken trägt die Beklagte nicht Rechnung, wenn sie neben dem fehlenden Berufsabschluss zusätzlich eine bereits eingetretene und wenigstens drei Monate dauernde Arbeitslosigkeit fordert. Eine solche Erwägung kann auch nicht als zulässige Ermessenserwägung anerkannt werden, da im Ergebnis der Kreis der förderungsfähigen Personen gegen den Willen des Gesetzgebers eingeschränkt wird. Dies zeigt auch die Formulierung in dem Ausgangsbescheid vom 24.02.2003, wonach die Klägerin nicht zum förderungsfähigen Personenkreis zähle und das Arbeitsamt P. "eigene Regelungen über die Förderung von beruflichen Bildungsmaßnahmen erstellt" habe.

Auch der Gesichtspunkt, wenigstens 45 Jahre alte Antragsteller auch ohne Eintritt von Arbeitslosigkeit zu fördern, kann einen Ausschluss der Klägerin nicht rechtfertigen, da auch insoweit nicht dem gesetzgeberischen Anliegen Rechnung getragen wird, durch Förderung von Berufsabschlüssen generell den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes Rechnung zu tragen, zumal, wie in dem Aktenvermerk des Sachbearbeiters festgehalten ist, Altenpflegefachkräfte auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind.

Der Hinweis auf die Haushaltslage rechtfertigt es nicht, von den gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen in der dargestellten Weise abzuweichen. Gemäß § 71 b Abs. 3 Satz 1 SGB IV müssen die Arbeitsämter für jede Art die Ermessensleistung der Arbeitsförderung Mittel unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Lage und Entwicklung des regionalen Arbeitsmarktes bereithalten; hieraus kann abgeleitet werden, dass bei dem Einsatz der Mittel die Besonderheiten des regionalen Arbeitsmarktes im jeweiligen Arbeitsamtbezirk berücksichtigt werden dürfen. Jedoch legt § 71 b Abs. 4 SGB IV fest, dass die zugewiesenen Mittel so zu bewirtschaften sind, dass eine Bewilligung und Erbringung der einzelnen Leistungen im gesamten Haushaltsjahr gewährleistet ist. Dies erfordert, dass der vom Gesetzgeber festgelegte Personenkreis im gesamten Haushaltsjahr für die jeweils vorgesehene Leistung in Frage kommt. Hiergegen verstößt die ermessenslenkende Weisung des Arbeitsamtes P ...

Die Beklagte wird deshalb erneut über den Antrag der Klägerin zu entscheiden und bei ihrer Ermessensentscheidung zu berücksichtigen haben, dass die Klägerin zum förderfähigen Personenkreis zählt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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