S 29 AS 77/05 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 29 AS 77/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Arbeitslosengeld II. Der Antragsteller, seine geschiedene Ehefrau (E1) und die gemeinsamen Kinder K (volljährig), E1(15 Jahre) und E1 (11 Jahre) bewohnen das zweite Obergeschoß des Hauses C1straße 00 in E2. In diesem Stockwerk befinden sich zwei ursprünglich getrennte, nunmehr aber durch einen Mauerdurchbruch verbundene Wohnungen. Miteigentümer zu je ½ sind der Antragsteller und seine geschiedene Ehefrau. Der Antragsteller erzielt ein monatliches Einkommen von 160,- Euro. Seine geschiedene Ehefrau erzielt aus zwei Erwerbstätigkeiten ein Einkommen in Höhe von 1.470,- Euro monatlich. Zudem erhält sie 308,- Euro Kindergeld. Die Tochter K erzielt aus zwei Erwerbstätigkeiten zusammen 1.127,32 Euro monatlich.

Die Ehe des Antragstellers mit Frau E1 wurde 1995 in Mazedonien geschieden. Beide gingen daraufhin neue Ehen ein. Der Antragsteller zog zunächst nach C2 und dann nach C3 nahm jedoch stets ein zweiwöchiges Besuchsrecht bei seinen Kindern wahr. Anfang 2003 erwarb er gemeinsam mit seiner geschiedenen Ehefrau die heutige Wohnung. Im notariellen Kaufvertrag vom 12.12.2002 sowie in den Darlehensverträgen mit der Stadt-Sparkasse E2 traten die Käufer bzw. Darlehensnehmer als Eheleute, beide wohnhaft unter der Anschrift Bstraße 00 in E2, auf. Am 30.04.2004 nahmen sie gemeinsam einen Allzweckkredit bei der Stadt-Sparkasse E2 über einen Netto-Darlehensbetrag in Höhe von 10.000,- Euro auf.

Am 14.05.2005 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Mit Bescheid vom 23.09.2005 lehnte die Antragsgegnerin dies ab, wegen unklarer wirtschaftlicher Verhältnisse. Am 04.10.2005 legte der Antragsteller hiergegen Widerspruch ein. Er und seine geschiedene Ehefrau besäßen zwei voneinander getrennte Wohnungen, seien nicht mehr verheiratet und wollten auch kein gemeinsames Leben miteinander führen.

Am 07.10.2005 hat der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Aufgrund seiner angespannten finanziellen Situation sei es ihm nicht zumutbar, die Entscheidung über den Widerspruch abzuwarten. Er sei weder in der Lage, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, noch den finanziellen Verpflichtungen aus seiner Eigentumswohnung nachzukommen. Mit seiner geschiedenen Ehefrau verstehe er sich lediglich zum Wohle der gemeinsamen Kinder. Allein deshalb sei auch der Durchbruch zwischen den Wohnungen erfolgt.

Der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verurteilen, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 345,- Euro zuzüglich Wohnkosten (laufende Verpflichtungen für Eigentumswohnungen) in Höhe von 779,91 Euro zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzuweisen.

Die Antragsgegnerin trägt vor, es liege eine Bedarfsgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner geschiedenen Ehefrau vor. Hierfür spreche, dass rund 90 % der Kreditverpflichtungen für die gemeinschaftlich erworbenen Wohnungen von seinem Konto abgebucht würden. Beim Bedarf des Antragstellers könne allenfalls ein Betrag in Höhe von 203,32 Euro Berücksichtigung finden. Denn die monatlichen Kosten für die Wohnungen beliefen – bei Einbeziehung der auf die Kreditverbindlichkeiten zu zahlenden Zins- und Tilgungsbeträge – sich auf 1.016,62 Euro, von denen nur 1/5 auf den Antragsteller entfalle.

Am 07.11.2005 hat der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin erklärt, dass er die kleinere Wohnung von 47 qm alleine bewohne. Die größere Wohnung bestehe aus dem kleinen Schlafzimmer seiner geschiedenen Ehefrau sowie dem größeren Zimmer, das alle drei Kinder benutzten und in dem sich auch das Familienleben abspiele. Von letzterem Zimmer könnten die Kinder direkt in sein Zimmer gelangen. Manchmal schlafe die volljährige Tochter mit in seiner kleinen Wohnung. Die Kosten der Telekom würden vom Konto des Antragstellers abgebucht, da der Anschluss seinerzeit auf ihn angemeldet worden sei. Beträge für die Tochter seien von seinem Konto abgebucht worden, da diese zu der Zeit noch über kein eigenes Konto verfügt habe. Er habe jeweils entsprechende Barbeträge von dieser erhalten. Frau E1 und die volljährige Tochter übernähmen die Kosten für die Treppenhausreinigung. Zudem würden vom Konto der Frau E1 auch in geringerem Umfange Kreditraten abgebucht und zum Teil erhalte er von dieser Barbeträge. Seine volljährige Tochter führe bis auf ein Taschengeld ihr gesamtes Einkommen an seine geschiedene Ehefrau ab, zur Finanzierung von PKW, Eigentumswohnung und Familienhaushalt. Der Antragsteller erhalte aber nur aufgrund der Notlage von seiner geschiedenen Ehefrau Naturalleistungen. Zuvor habe er sich getrennt versorgt und auch selbst für sich gekocht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Er ist unbegründet. Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Dies ist der Fall, wenn dem Antragsteller gegen den Antragsgegner ein Anspruch (sogenannter Anordnungsanspruch) zusteht, dessen vorläufige Durchsetzung dringlich ist (sogenannter Anordnungsgrund). Die vorläufige Befriedigung des Anspruchs anzuordnen kommt dabei aber nur in Betracht, wenn dem Antragsteller sonst unzumutbare Nachteile entstünden (Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache). Dies ist im Rahmen einer summarischen Prüfung zu ermitteln (LSG NRW, Beschluss vom 21.04.2005, AZ: L 9 B 6/05 SO ER). Anordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die eingeschränkte gerichtliche Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im einstweiligen Rechtschutzverfahren (LSG NRW, Beschluss vom 01.08.2005, AZ: L 12 B 14/05 AS ER). Erforderlich ist der Nachweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, trotz der Möglichkeit des Gegenteils dürfen Zweifel nicht überwiegen (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Auflage, III. Kapitel, Rdnr. 157).

Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Letzterer ist identisch mit dem geltend gemachten materiellen Anspruch. Dieser muss begründet erscheinen. Das ist hier nicht der Fall. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II nach § 19 SGB II setzt voraus, dass der Antragsteller hilfebedürftig ist. Dies hat der Antragsteller nicht glaubhaft machen können. Denn hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 und 2 SGB II nur, wer seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht ausreichend aus seinem und seines Partners Einkommen sichern kann und die erforderliche Hilfe auch nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen, erhält.

Das Gericht geht von einer Bedarfsgemeinschaft zwischen dem Antragsteller, seiner geschiedenen Ehefrau und den beiden gemeinsamen minderjährigen Kindern aus. Eine Bedarfsgemeinschaft bilden nach § 7 Abs. 3 SGB II erwerbsfähige Hilfebedürftige, ihre Partner sowie die dem Haushalt angehörenden minderjährigen unverheirateten Kinder eines der beiden. Partner sind nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II sämtliche Personen, die in eheähnlicher Gemeinschaft leben. Davon geht das Gericht bezüglich des Antragstellers und seiner geschiedenen Ehefrau aus. Eine eheähnliche Gemeinschaft ist eine solche Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindung auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehung in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen. Es muss sich um eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft handeln. Die Bindungen der Partner müssen so eng sein, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Ob dies der Fall ist, muss eine Gesamtwürdigung ergeben, bei der als gewichtige Indizien in Betracht kommen, die lange Dauer des Zusammenlebens, die Versorgung von Kindern, gemeinsamen Haushalt und die Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen Partners zu verfügen (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.11.1992, AZ: 1 BvL 8/87). Diese Hinweistatsachen liegen hier alle vor. Bezüglich der langen Dauer des Zusammenlebens gibt es keine starre zeitliche Grenze. Zum Zeitpunkt der Entscheidung leben der Antragsteller und seine geschiedene Ehefrau jedenfalls schon 2 ¾ Jahre zusammen. Für ein darüberhinausgehendes längeres Zusammenleben spricht insbesondere, dass sie schon beim Erwerb der derzeitigen Wohnungen die gemeinsame Adresse Bstraße angaben. Unabhängig davon ist aber zu berücksichtigen, dass die Antragsteller sich schon besonders lange kennen, bereits einmal verheiratet waren und zusammenlebten und der Kontakt niemals abbrach. Zudem versorgen sie zugleich drei gemeinsame Kinder im gemeinsamen Haushalt. Für einen gemeinsamen Haushalt bezüglich der Kinderversorgung spricht schon die unmittelbare räumliche Nähe und auch die Darstellung des Antragstellers, dass sich das Familienleben in dem größeren Raum abspiele und die Kinder unmittelbar in sein Zimmer gelangen könnten. Die Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen Partners zu verfügen, ist vorliegend besonders ausgeprägt. Haben sich der Antragsteller und seine geschiedene Ehefrau doch bewusst dafür entschieden, gemeinsames Wohneigentum zu bilden und gemeinsame gesamtschuldnerische Verpflichtungen in erheblichem Umfange einzugehen und das Eigentum auch auf Dauer gemeinsam zu bewohnen. Eine deutliche Trennung der Vermögenssphären ist nicht ersichtlich. Ein permanenter Ausgleich der überwiegend vom Antragsteller bedienten Darlehensverbindlichkeiten durch Barzahlungen seitens seiner geschiedenen Ehefrau und Tochter erscheint kaum praktikabel und ist durch nichts belegt. Für ein auf Dauer angelegtes Zusammenleben spricht auch, dass sich der Antragsteller und seine geschiedene Ehefrau im Geschäftsverkehr als Ehegatten darstellen. Nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehört wegen ihrer Volljährigkeit die gemeinsame Tochter K.

Das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft genügt zwar nicht vollumfänglich zu deren Bedarfsdeckung, doch sind hinreichende Mittel anderer zur Verfügung gestellt. Das unmittelbare Nettoeinkommen der Bedarfsgemeinschaft beläuft sich auf 1.938,- Euro. Von dem nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II für den Antragsteller und seine geschiedene Ehefrau jeweils 100,- Euro monatlich abzusetzen sind. Hinzukommen nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i. V. m. § 30 SGB II noch Erwerbstätigenfreibeträge für den Antragsteller in Höhe von 12,- Euro und für seine geschiedene Ehefrau in Höhe von 180,- Euro monatlich. Vom verbleibenden anzusetzenden Einkommen der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1.546,- Euro ist der allgemeine Lebenshaltungsbedarf der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1.102,- Euro (je 311,- Euro für den Antragsteller und seine geschiedene Ehefrau, 273,- Euro für das 15-jährige und 207,- Euro für das 11-jährige Kind) voll umfänglich gedeckt. Von den – nach den Berechnungen der Antragsgegnerin - auf die Bedarfsgemeinschaft entfallenden Unterkunftskosten in Höhe von 813,30 Euro (4/5 der Gesamtkosten in Höhe von 1.016,62 Euro) ist vom Einkommen der Bedarfsgemeinschaft noch ein Betrag in Höhe von 444,- Euro gedeckt. Die verbleibenden tatsächlichen Kosten (nach den Berechnungen der Antragsgegnerin noch 369,30 Euro) können aus den seitens der volljährigen Tochter des Antragstellers zur Verfügung gestellten Mitteln hinreichend beglichen werden. Diesbezüglich kommt es nicht darauf an, ob von letzterer die Unterstützung der mit ihr in Haushaltsgemeinschaft lebenden Verwandten erwartet werden kann im Sinne des § 9 Abs. 5 SGB II. Denn der Antragsteller hat selbst vorgetragen, dass sie ihr gesamtes Einkommen, bis auf ein Taschengeld, in den Haushalt einbringt. Von ihrem Nettolohn in Höhe von 1.127,32 Euro verbleiben nach Abzug von 100,- Euro gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II und des Erwerbstätigenfreibetrages in Höhe von 172,73 Euro gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i. V. m. § 30 SGB II noch 854,- Euro. Nach Deckung ihres eigenen Lebenshaltungsbedarfs in Höhe von 345,- Euro und eines Fünftels der von der Antragsgegnerin ermittelten Unterkunftskosten in Höhe von 203,32 Euro, verbleiben noch 305,68 Euro. Diese genügen zwar nicht, um den kompletten von der Antragsgegnerin ermittelten Betrag an Unterkunftskosten zu decken. Die verbleibende Differenz in Höhe von 63,62 Euro ist jedoch zu vernachlässigen. Denn sie beruht allein darauf, dass die Antragsgegnerin bei Ermittlung des Unterkunftsbedarfs nicht nur die Zinsen für die von dem Antragsgegner und seiner geschiedenen Ehefrau zur Wohnungsfinanzierung aufgenommenen Darlehen, sondern auch diesbezügliche Tilgungen berücksichtigt hat. Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II dienen jedoch allein der Verhinderung von Notlagen durch Bereitstellung einer Grundsicherung, nicht der Schuldentilgung und damit Vermögensbildung (vgl. zum Bereich der Sozialhilfe: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.07.1989, AZ: 5 B 60/89).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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