L 5 ER 98/05 KR

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Speyer (RPF)
Aktenzeichen
S 11 ER 204/05 Kr Sp
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 ER 98/05 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ein Anordnungsgrund für eine erneute Untersagungsverfügung kann fehlen, wenn der Antragsteller im vergangenen Rechtsschutzverfahren sein Unterlassungsbegehren inhaltlich beschränkt hatte.
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Speyer vom 29.09.2005 aufgehoben.

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

3. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

4. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500, EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich im vorliegenden Verfahren erneut gegen Werbemaßnahmen der Antragsgegnerin (vgl bereits SG Speyer S 7 ER 164/04 KR = LSG Rheinland Pfalz L 1 ER 11/05 KR sowie SG Speyer S 7 ER 131/05 KR).

Der Antragsgegnerin wurde durch Beschluss des Sozialgerichts Speyer vom 10.08.2005 (S 7 ER 131/05 KR) ua untersagt "im geschäftlichen Verkehr den Eindruck zu erwecken, sie sei in einer Versicherungsstudie Testsieger geworden und habe in acht Kategorien sechsmal den ersten Platz belegt", insbesondere wie in einer Postwurf Spezialsendung an alle potenziellen Krankenkassenwechsler geschehen. Zur Begründung hieß es im zitierten Beschluss, die drucktechnische Darstellung der Werbung mit der Versicherungsstudie sei irreführend, weil sie impliziere, dass Testsiegerin die Antragsgegnerin alleine sei, nicht hingegen das "System der Innungskrankenkassen". Die Antragsgegnerin verwendete daraufhin in einer neuen Werbemaßnahme in der 36. Kalenderwoche an ca 300.000 Haushalte verteilte Postwurf Spezialsendung einen geänderten "Button", in dem es heißt: "Die Innungskrankenkassen Testsieger" (vgl Anlage 1 zur Antragsschrift vom 16.09.2005, Bl 27 Prozessakte).

Diese Form der Werbung hat die Antragstellerin im erneuten Rechtsschutzantrag vom 16.09.2005 beanstandet und geltend gemacht, die Antragsgegnerin lasse sich selbst durch gegen sie ergangene Rechtsprechung nicht davon abhalten, weiter wettbewerbswidrig und irreführend im Bereich ihrer Werbung vorzugehen. Auf ihren Antrag hat das Sozialgericht Speyer (SG) durch Beschluss vom 29.09.2005, auf den wegen der weiteren Einzelheiten ergänzend Bezug genommen wird, die Antragsgegnerin einstweilen verpflichtet, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 50.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder anzuordnender Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr die Versicherungsstudie 2005, Kundenzufriedenheitsmessung, von DPM Team Marktforschung und Marketingberatung 01/2005, zu verwenden, insbesondere wie in der Postwurf Spezialsendung an alle potenziellen Krankenkassenwechsler (Anlage 1 zum Schriftsatz vom 16.09.2005, Bl 27 der Gerichtsakte) geschehen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, die Werbung unter Verwendung der DPM Versicherungsstudie genüge nicht den vom Landessozialgericht Rheinland-Pfalz im Beschluss vom 03.05.2005 (aaO) aufgestellten Grundsätzen, selbst wenn die Antragsgegnerin, wie von ihr zugesagt, künftig auf die Bezeichnung "Testsieger" verzichtet. Der Werbehinweis auf die DPM Versicherungsstudie sei kein Mittel der sachlichen Aufklärung; der Informationsbedarf der Umworbenen werde durch die Inanspruchnahme der Studie nicht sachlich korrekt und neutral befriedigt. Zudem handele es sich um eine erkennbar nicht repräsentative Meinungserhebung, die über die reklamehafte Summierung unsachlicher und unparteiischer Meinungsäußerungen nicht hinausgehe. Auch ein Anordnungsgrund sei gegeben, da eine massenhafte Verbreitung ähnlicher Postwurfsendungen durch die Antragsgegnerin auch in Zukunft zu erwarten sei. Dass die Antragstellerin schon im vorangegangenen Rechtsschutzverfahren grundsätzliche Bedenken an der Verwertbarkeit und insbesondere an der Repräsentativität der Versicherungsstudie geltend gemacht habe, ohne einen umfassenden Rechtsschutzantrag zu stellen, könne ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden. Bei verständiger Betrachtung habe sie im Vertrauen auf ein künftiges kooperatives Verhalten der Antragsgegnerin zunächst auf weitergehende Unterlassungsforderungen verzichten dürfen.

Gegen den ihr am 30.09.2005 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 20.10.2005 Beschwerde eingelegt. Sie verweist darauf, die Werbung mit Studien sei in der Wirtschaft absolut üblich und könne auch Krankenkassen als Marktteilnehmern nicht verwehrt werden. Die Studie bezeichne sich im Übrigen selbst als "Internet repräsentativ", so dass jedenfalls unter Beifügung etwaiger Erläuterungen und Klarstellungen eine Verwendung der Studie im Geschäftsverkehr zulässig sein müsse.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Speyer vom 29.09.2005 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Antragsgegnerin habe deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie die in Streit stehende Versicherungsstudie in immer weiter abgeänderter (aber dennoch wettbewerbswidriger) Art und Weise im geschäftlichen Verkehr einzusetzen gedenke, weshalb zwingend eine umfassende Unterlassungsverfügung geboten gewesen sei.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Akte SG Speyer S 7 ER 131/05 KR Bezug genommen. Er war Gegenstand der Beratung.

II.

Die nach §§ 172 Abs 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Antragstellerin ist vorliegend zuzumuten, ihre Interessen im Hauptsacheverfahren zu verfolgen. Mangels Dringlichkeit scheidet der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG aus.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung bei Verstößen gegen zulässige Formen und Grenzen der Mitgliederwerbung von gesetzlichen Krankenkassen und der für die Werbung selbst zu beachtenden Maßstäbe hat der 1. Senat des Landessozialgerichts im Beschluss vom 03.05.2005 (aaO) eingehend dargelegt; diese Erwägungen hat das SG im angefochtenen Beschluss zutreffend in Bezug genommen. Danach begegnet die Heranziehung der streitigen Versicherungsstudie in den Werbemaßnahmen der Antragsgegnerin zwar Bedenken, weil angesichts der fehlenden Repräsentativität dieser Studie ein sachlicher Informationsgehalt fraglich erscheint (vgl hierzu Beschluss des Senats vom heutigen Tage im Verfahren L 5 ER 99/05 KR). Es fehlt jedoch an einem ausreichenden Anordnungsgrund.

Für die Beantwortung der Frage, ob ein solcher vorliegt, kann die Rechtsprechung zum zivilrechtlichen Wettbewerbsrecht, wo eine einstweilige Verfügung nur unter der Voraussetzung der Dringlichkeit ergehen kann (Spätgens in Handbuch des Wettbewerbsrechts, hrsg v Bley/Loschelder, 3. Auflage, 2005, § 96, Rz 22), entsprechend herangezogen werden. Kennt der Antragsteller den Wettbewerbsverstoß, ist er hiervon selbst betroffen und stehen einer Antragstellung keine faktischen oder rechtlichen Hindernisse entgegen, billigen ihm Teile der Rechtsprechung und Literatur zum Wettbewerbsrecht eine Art fester Zuwartefrist zwischen vier Wochen und sechs Monaten zu; nach anderer Ansicht ist eine starre zeitliche Festlegung abzulehnen und stattdessen auf den Einzelfall abzustellen (Spätgens aaO Rz 37). Welcher Auffassung zu folgen ist, kann offen bleiben; entscheidend ist, dass aus dem Verhalten des Antragstellers Schlüsse auf die Dringlichkeit gezogen werden können. Dies gilt entsprechend für die vorliegend vom Senat zu treffende Entscheidung. Die Antragstellerin hat ihre Einwände bereits im vorangegangenen einstweiligen Anordnungsverfahren (SG Speyer S 7 ER 131/05 KR) erkannt, in der dortigen Antragsschrift vom 07.07.2005 die fehlende Repräsentativität der Studie herausgestellt und im weiteren Schriftsatz vom 03.08.2005 (nur) hilfsweise einen weitergehenden Unterlassungsantrag gestellt, über den das SG im dortigen Verfahren aus prozessualen Gründen nicht zu befinden hatte. Wenn die Antragstellerin hinsichtlich der gleichen Werbeaussage, ohne dass sich die Sachlage wesentlich geändert hätte, nunmehr umfassend die uneingeschränkte Unterlassung der Verwendung der in Rede stehenden Studie begehrt, so muss sie sich fragen lassen, warum sie die ihr bereits vor Monaten bekannte Heranziehung der Versicherungsstudie nicht bereits im früheren Rechtsschutzverfahren zum (unbedingten) Gegenstand der Antragstellung gemacht hat (vgl zur Widerlegung der Dringlichkeit bei nur unvollständiger rechtlicher Bewertung einer Werbung durch den Antragsteller etwa Hanseatisches Oberlandesgericht 11.08.2005 5 U 19/05, WRP 2005, 1301). Bei einer solchen Fallgestaltung fehlt ein hinreichender Anordnungsgrund für eine erneute einstweilige Anordnung, weil die Antragstellerin ihr Unterlassungsbegehren in dem ersten Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes inhaltlich beschränkt und somit zu erkennen gegeben hat, dass ein weitergehendes Unterlassungsbegehren für sie jedenfalls nicht dringlich ist. Es obliegt der Antragstellerin, ihr Begehren im Hauptsacheverfahren zu verfolgen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 197a SGG.

Der Streitwert wird auf die Hälfte des Regelstreitwerts festgesetzt. Insoweit ist eine Ausnahme von dem Grundsatz gerechtfertigt, dass in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in Wettbewerbsstreitigkeiten im Regelfall der volle Regelstreitwert angemessen ist (Beschluss des Senats vom heutigen Tag, L 5 ER 99/05 KR). Denn bei einer Sachlage wie der vorliegenden, bei der ein ausreichender Anordnungsgrund nicht vorliegt, ist noch mit einer Hauptsacheklage zu rechnen.

Der Beschluss kann nach § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Rechtskraft
Aus
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