L 8 RA 18/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 2 RA 117/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 RA 18/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 08.02.2001 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung von Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit vom 26.08.1974 bis zum 24.09.1975 unter Berücksichtigung eines Überbrückungstatbestandes vom 25.04.1974 bis 25.08.1974.

Der Kläger war bis zum 12.02.1974 versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend war er arbeitslos. Nach seinen Angaben hielt er sich in der Zeit vom 25.04.1974 bis 25.08.1974 in Kanada auf und wollte sich mit seinem dort lebenden Bruder in der Branche Küchenproduktion selbständig machen. Nachdem dieses Vorhaben gescheitert war, kehrte er nach Deutschland zurück, meldete sich am 26.08.1974 erneut arbeitslos und entrichtete schließlich ab dem 25.09.1975 wieder Pflichtbeiträge zur Beklagten. 1977 machte er sich als Taxifahrer selbständig und zahlte freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Ab Januar 1999 nahm er ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis auf.

Im Rahmen einer Kontenklärung erteilte die Beklagte dem Kläger am 22.01.1999 einen Versicherungsverlauf. In diesem lehnte es die Beklagte ab, die Zeit ab dem 26.08.1974 bis 24.09.1975 als Anrechnungszeit vorzumerken.

Am 27.04.1999 beantragte der Kläger die Überprüfung und Aufhebung des Bescheides vom 22.01.1999 im Hinblick auf die Anerkennung des Zeitraumes vom 26.08.1974 bis 24.09.1975 als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 20.05.1999 die Anerkennung der begehrten Anrechnungszeit ab. Der Kläger habe seine Arbeitslosigkeit unterbrochen und den Versuch, sich selbständig zu machen, nicht in einem Land der Europäischen Union (EU) unternommen. Den hiergegen am 22.06.1999 erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.1999 zurück.

Am 30.11.1999 hat der Kläger Klage erhoben. Er hat zur Begründung vorgetragen, dass sein viermonatiger Aufenthalt in Kanada nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) als unschädlicher Überbrückungstatbestand seiner Arbeitslosigkeit in Deutschland anzusehen sei. Auch nach dem deutsch-kanadischen Sozialversicherungsabkommen seien die Zeiten zu berücksichtigen; der gewöhnliche Aufenthalt in Kanada sei als kanadische Versicherungszeit zu berücksichtigen mit der Rechtsfolge, dass auch diese Versicherungszeit in Deutschland als Anrechnungszeit anzuerkennen sei.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 22.01.1999, 20.05.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.11.1999 aufzuheben und die Zeit vom 26. August 1974 bis 24. September 1975 als Anrechnungszeit anzuerkennen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass zwar grundsätzlich auch der missglückte Versuch einer Existenzgründung als Selbständiger als Überbrückungstatbestand berücksichtigt werden könne. Dies gelte für eine selbstständiqe Tätigkeit im Ausland jedoch nur dann , wenn diese in einem sogenannten EU-Ausland ausgeübt worden sei. Das deutsch-kanadische Sozialversicherungsabkommen habe auf die Anerkennung von deutschen Versicherungszeiten keine Auswirkung.

Mit Urteil vom 08.02.2001 hat das Sozialgericht Köln die Beklagte verurteilt, die Zeit vom 26.08.1974 bis 24.09.1975 als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit anzuerkennen. Zur Begründung ist ausgeführt worden, nach § 58 Abs. 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) lägen Anrechnungszeiten nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 nur vor, wenn dadurch eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit unterbrochen worden sei. Diese Voraussetzungen seien gegeben: Der 4-monatige Aufenthalt des Klägers in Kanada stelle zwar eine Unterbrechung der Arbeitslosigkeit in Deutschland dar. Diese Unterbrechung sei jedoch unschädlich, weil es sich um einen Überbrückungstatbestand handele. Wie die Beklagte richtig ausgeführt habe, zählten zu den unschädlichen Überbrückungstatbeständen nach der Rechtsprechung des BSG Sachverhalte, die eine Eigeninitiative des betreffenden Versicherten zur Überwindung einer bestehenden oder drohenden Arbeitslosigkeit darstellten. Das BSG wolle die eigenen Bemühungen eines Versicherten als "anschlusswahrend" gewertet und in der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt wissen. Grundsätzlich sei ein Überbrückungstatbestand von bis zu sechs Monaten unschädlich, wenn sich ein Versicherter in diesem Zeitraum im Inland versucht habe selbständig zu machen, um so die bestehende Arbeitslosigkeit abzuwenden. Diese Rechtsprechung sei jedoch um eine neue Komponente erweitert worden; so könne auch ein Aufenthalt in nicht EU-Staaten als unschädlich angesehen, wenn ein sozialadäquates Verhalten durch Verzicht auf zustehendes Arbeitslosengeld vorliege (BSG Urteil vom 13.08.1996 - 8 RKn 30/95). Dieses Verhalten dürfe nämlich im Rahmen der Rentenversicherung nicht bestraft werden. Unter Beachtung dieser Rechtsprechung zur Sozialadäquanz von Überbrückungstatbeständen sei die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass auch das hier zu beurteilende Verhalten des Klägers einen sozialadäquaten Überbrückungstatbestand darstellte. Der Kläger habe bis zum Eintritt seiner Arbeitslosigkeit in Deutschland fortlaufend Pflichtbeiträge entrichtet. Durch seine Ausreise nach Kanada habe er glaubhaft gemacht, sich dort mit seinem Bruder selbstständig zu machen, um der fortbestehenden Arbeitslosigkeit in Deutschland zu entgehen. Zwar sei er nach seiner Rückkehr nach Deutschland ein weiteres Jahr arbeitslos gewesen. Anschließend habe er jedoch wieder in eine versicherungspflichtige Beschäftigung vermittelt werden können und habe sich kurze Zeit danach selbständig gemacht. In der Gesamtschau stelle sich damit der viermonatige Aufenthalt in Kanada als sozialadäquates Verhalten dar mit der Rechtsfolge, dass diese Zeit seine in Deutschland bestehende Arbeitslosigkeit nicht unterbreche, sondern einen anschlusswahrenden Überbrückungstatbestand darstelle. Insofern bedürfe es keiner weiteren Erwägungen, ob der streitbefangene Zeitraum auch nach dem deutsch-kanadischen Sozialversicherungsabkommen anzuerkennen wäre. In diesem Punkt neige die Kammer der Rechtsansicht der Beklagten zu.

Gegen das am 15.02.2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 09.03.2001 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie aus, der Zeitraum vom 26.08.1974 bis 24.09.1975 könne nicht als Anrechnungszeit der Arbeitslosigkeit i.S. des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI vorgemerkt werden, weil der Auslandsaufenthalt in Kanada vom 24.04. bis zum 25.08.1974 keinen unschädlichen Überbrückungstatbestand für die anschließende Arbeitslosigkeit ab dem 26.08.1974 darstellte. Der Auslandsaufenthalt habe nach den eigenen Angaben des Klägers der "Selbständigmachung" mit seinem dort lebenden Bruder dienen sollen. Allerdings sei bislang nicht durch geeignete Unterlagen nachgewiesen, dass der Kläger tatsächlich versucht habe, sich in Kanada selbständig zu machen, zumal auch konkrete Angaben über die evtl. Bemühungen seinerseits nicht vorlägen. Es sei lediglich bekannt, dass sich der Kläger - damals vertreten durch seinen Vater - durch Brief vom 26.04.1974 bei seinem Arbeitsamt habe "beurlauben" lassen. Aus dieser damaligen Handlungsweise dränge sich die Annahme auf, dass der Kläger evtl. nicht erst seit dem 25.04.1974 in Kanada gewesen sei, sondern sich dort bereits zu einem früheren Zeitpunkt aufgehalten habe. Denn sonst hätte er sich selbst bei seinem Arbeitsamt wegen des Auslandsaufenthaltes abmelden können. Insoweit müsse zunächst nachgewiesen werden, wann der Kläger tatsächlich Deutschland verlassen habe, während welcher Zeit er sich konkret in Kanada aufgehalten habe, welche Bemühungen er dort betreffend seiner "Selbständigmachung" unternommen habe und zu welchem Zeitpunkt er wieder in Deutschland gewesen sei. Der Nachweis dieser Sachverhalte sei erforderlich, um eine Wertung des Zeitraumes als ausschließlich "urlaubsbedingten" Auslandsaufenthalt auszuschließen.

Zwar habe das BSG in dem vom SG zitierten Urteil die Frage bejaht, dass der Tatbestand der Unterbrechung einer versicherten Beschäftigung auch für eine Zeit des - urlaubsbedingten - Aufenthalts im Ausland (hier in den USA) während einer Arbeitslosigkeit noch vorliege. Das BSG habe in diesem Einzelfall ausgeführt, dass anschlusswahrende Zeiten auch im Ausland verwirklicht werden könnten, wenn sie der Berücksichtigung einer Anrechnungszeit nicht entgegenstehen würden, wie dies bei Leistungsbeziehern nach § 105c Arbeitsförderungsgesetz (AFG) der Fall gewesen sei. Dieses BSG-Urteil sei jedoch bereits deshalb nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar, weil der Kläger zum Zeitpunkt seines Auslandsaufenthaltes nicht zu dem vom BSG genannten Personenkreis (Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 105c AFG) gehört habe. Im Übrigen verneine das BSG in seinen Urteilsgründen aber auch die Sozialadäquanz, da ein Auslandsaufenthalt mit Selbsthilfefällen nicht vergleichbar sei. Allerdings habe das BSG in dem o.a. Urteil unter Verweis auf das BSG-Urteil vom 15.03.1988 - 4/11 a RA 4/87 - nochmals bestätigt, dass der Grundsatz, dass anschlusswahrende Zeiten im Inland verwirklicht sein müssten, nur dann nicht gelten könne, wenn der Auslandsaufenthalt auch der Berücksichtigung als Anrechnungszeit nicht entgegenstehe, wie dies bei Leistungsbeziehern nach § 105c AFG der Fall sei. Daraus folge für den vorliegenden Fall, dass der Auslandsaufenthalt des Klägers mangels Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 105c AFG nicht als unschädlicher Überbrückungstatbestand anerkannt werden könne. Das BSG habe in dem vorgenannten Urteil bestätigt, dass ein fraglicher Überbrückungstatbestand grundsätzlich nur dann anschlusswahrend wirke, wenn er im Inland verwirklicht worden sei. Diese Auffassung begründe das BSG damit, dass andernfalls der - als solcher nicht leistungssteigernde - Überbrückungstatbestand bei Anwendung des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI stärker bewertet würde als die durch den Anrechnungszeittatbestand unterbrochene versicherungspflichtige Beschäftigung, die nach deutschem Recht erbracht sein müsse. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass nur Inlandstatbestände Überbrückungstatbestände sein könnten, lasse das BSG nur für die Europäische Gemeinschaft und für den Europäischen Wirtschaftsraum zu.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 08.02.2001 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Der Kläger hat zur Stützung seines Vortrages eine Erklärung seines Bruders F C übersandt. Darin hat dieser erklärt, dass er sich zusammen mit dem Kläger und Herrn C C1 mit einer Küchenproduktion in Toronto selbstständig gemacht habe. Nach vier Monaten sei es nach einem Streit zum Verkauf an C C1 gekommen, und der Kläger sei zurück nach Deutschland geflogen (Erklärung vom 22.08.2001).

Des Weiteren hat der Kläger einen Brief seines Vaters vom 26.04.1974 an das Arbeitsamt zu den Akten gereicht. Darin hat der Vater erklärt, dass sein Sohn aufgrund einer dringenden Familienangelegenheit habe verreisen müssen und er sich bei seiner Rückkehr melden werde. Zudem ist ein Kaufvertrag mit Datum vom 29.03.1974 über einen PKW der Firma K C überreicht worden.

Der Senat hat die Deutsche Rentenversicherung Rheinland beigeladen. Die Beigeladene hat ausgeführt, nach Recherche beim Einwohnermeldeamt habe der Kläger seinen Wohnsitz im umstrittenen Zeitraum beibehalten und sich zu keiner Zeit nach Kanada abgemeldet. Dies decke sich mit dem Schreiben des Vaters des Klägers an das Arbeitsamt, wonach lediglich eine dringende Familienangelegenheit für die Abwesenheit ausschlaggebend gewesen sei, aber nicht eine Eigeninitiative zur Überwindung der Arbeitslosigkeit.

Das Arbeitsamt L hat auf Anfrage des Senats mitgeteilt, dass aus dem streitigen Zeitraum keinerlei Unterlagen mehr vorlägen.

Auf Nachfrage des Senats hat das Auswärtige Amt angegeben, dass für eine permanente Aufenthaltsgenehmigung im Jahre 1974 ein Visum erforderlich gewesen sei. Dieses habe bei der Kanadischen Botschaft in Bonn beantragt werden müssen.

Eine Auskunft aus dem Gewerberegister der Stadt L hat ergeben, dass eine Firma C erst seit 1977 mit der Bezeichnung Verkehr mit Kraftdroschke angemeldet war.

Sodann hat der Kläger verschiedene Unterlagen überreicht, nämlich zwei Leistungsnachweise über Arbeitslosengeld für einen Zeitraum bis zum 24.04.1974 und ab August 1974, einen Änderungsbescheid über die Höhe des Arbeitslosengeldes ab 01.10.1974, eine Einladung zur Arbeitsberatung für den 21.10.1974 und ein Schreiben der Deutschen Angestellten Krankenversicherung, welches sich über den Zeitraum 26.08.1974 bis 24.09.1975 verhält.

Der Senat hat sodann beim Auswärtigen Amt erfragt, dass Touristen 1974 auch ohne Visum einreisen konnten. Ein Visum hätte nur außerhalb von Kanada beantragt werden können. Ausnahmen seien nur aus humanitären oder familiären Gründen möglich gewesen. Deutsche Staatsangehörige hätten in der Regel nur für drei Monate einreisen gekonnt.

Der Kläger hat des Weiteren einen Brief seines Bruders übersandt. In diesem wird erklärt, man habe eine Küchenproduktion aufziehen wollen. Unterlagen lägen aber nicht vor. Der Kläger habe erst bei Gelingen des Unternehmens einen Auswanderungsantrag stellen wollen. Im Wege der Rechtshilfe ist der Bruder des Klägers durch das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Toronto vernommen worden. Für den Inhalt der Vernehmung wird auf die Niederschrift vom 24.03.2004 (Bl. 142 ff Gerichtsakte) verwiesen.

Der Kläger hat schließlich den Gesellschaftsvertrag für eine Firma T Kitchens M vom 17.04.1974 mit den Unterschriften der Gesellschaftsgründer überreicht. Danach hat die Firma drei Direktoren gehabt; Herrn F C zu 51 %, Herrn K C zu 19 % und Herrn X C1 zu 30%. Die Firma beschrieb sich als Küchenmanufaktur. Aufgelöst wurde diese Firma am 08.11.1982. Den Antrag auf Eintragung als Gewerbe hat F C unter dem 03.04.1974 gestellt. In diesem bezeugt er, dass die Unterschriften auf der Gründungsurkunde die echten Unterschriften der Gründer darstellen.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung der Zeit vom 26.08.1974 bis zum 24.09.1975 als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit unter Berücksichtigung eines Überbrückungstatbestandes vom 25.04.1975 bis 25.08.1974.

Gemäß § 149 Abs. 5 SGB VI hat ein Versicherter Anspruch auf Feststellung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen (vgl. BSG, SozR 3-6180 Art. 13 Nr. 2 m. w. N.). Dementsprechend hat die Beklagte zu Recht die zurückgelegten Versicherungszeiten des Klägers festgestellt. Zutreffend hat sie darüber hinaus entschieden, dass der Zeitraum vom 25.04.1974 bis zum 24.09.1975 nicht als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit anerkannt werden könne.

Als Anspruchsgrundlage für die Anerkennung als Anrechnungszeit kommt nur § 58 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Abs. 1 Nr. 3 SGB VI in Betracht. Dessen Voraussetzungen liegen indes nicht vor. Danach sind Anrechnungszeiten Zeiten, in denen Versicherte wegen Arbeitslosigkeit bei einem deutschen Arbeitsamt als Arbeitssuchende gemeldet waren und eine öffentlich-rechtliche Leistung bezogen oder nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezogen haben, wenn dadurch eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit oder ein versicherter Wehrdienst oder Zivildienst unterbrochen ist.

Der Kläger hat unstreitig keine Leistungen vom Arbeitsamt im Zeitraum zwischen dem 25.04.1974 und dem 24.09.1975 bezogen, weil er dem Arbeitsamt durch seinen Vater mitteilen ließ, dass er aus familiären Gründen dem deutschen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehe. Die Wiederaufnahme der Zahlung des Arbeitslosengeldes resultiert aus der Meldung des Klägers beim Arbeitsamt nach Rückkehr aus Kanada.

Der Zeitraum des Nichtbezugs von Leistungen stellt nach Auffassung des Senats keine unschädliche Unterbrechung dar. Zwar verlangt der Begriff der Unterbrechung nach § 58 Abs. 2 S.1 SGB VI nicht, dass der Anrechnungszeittatbestand von Zeiten einer versicherten Beschäftigung umrahmt ist. Die Arbeitslosigkeit muss sich aber grundsätzlich unmittelbar an eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit anschließen. Einer solchen Anrechnungszeit können zwar auch mehrere unmittelbar aufeinander folgende Anrechnungs- und Ersatzzeittatbestände vorausgehen, dies aber nur dann, wenn der erste Anrechnungszeitraum eine versicherungspflichtige Tätigkeit unterbrochen hat (BSG SoR 2200 § 1259 Nr. 23) Dies bedeutet, der unmittelbare Anschluss zwischen den einzelnen Gliedern einer solchen Kette muss gewahrt sein. Ein Anschluss ist bereits bei einer Lücke von über einem Kalendermonat nicht mehr gegebenen.

Ausnahmsweise stellt aber auch eine größere zeitliche Lücke eine unschädliche Unterbrechung dar, nämlich, wenn ein sogenannter Überbrückungstatbestand angenommen werden kann (vgl. BSG, SozR 2200 § 1259 Nr. 94 m. w. N.). Die von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsfigur der Überbrückungszeit bewirkt, dass der Anschluss an die versicherungspflichtige Beschäftigung oder an den anschlusswahrenden Tatbestand einer rentenrechtlichen Zeit nicht verloren geht, obwohl tatsächlich keine rentenrechtliche Zeit (§ 54 SGB VI) vorliegt. Aus diesem Grund muss sich der Überbrückungstatbestand selber unmittelbar an den jeweiligen Tatbestand der rentenrechtlichen Zeit anschließen.

Als rentenversicherungsrechtlich erhebliche Überbrückungstatbestände können nur solche angesehen werden, die ihrerseits im Einklang mit dem Sinn und Zweck der Anrechnungszeitregelung stehen. Dieser besteht darin, den Versicherten vor Nachteilen zu schützen, die dadurch eintreten können, dass er durch bestimmte, nicht in seiner Person liegende Umstände gehindert war, Pflichtbeiträge zu leisten, die er sonst entrichtet hätte (vgl. Großer Senat des BSG, SozR 2200 § 1259 Nr. 13 m. w. N.) Den einzelnen Überbrückungstatbeständen (vgl. die Übersicht der vom BSG entschiedenen Fälle: BSG, SozR 2200 § 1259 Nr. 94) liegt - wie auch den Anrechnungszeittatbeständen selbst - die Vorstellung zugrunde, dass der Versicherte durch sie wegen eines von ihm nicht zu vertretenden Arbeitsschicksals an der Leistung weiterer Pflichtbeiträge gehindert war.

Dementsprechend ist bei der Auslegung des Begriffs der Unterbrechung im Hinblick auf einen Überbrückungstatbestand zu prüfen, ob Gründe vorlagen, die es rechtfertigen, in der Rentenbiografie rentenrechtlich erhebliche Zeit anzunehmen. Dies kann angenommen werden, wenn die Lücke unverschuldet, d.h. nicht durch vom Versicherten zu vertretende Umstände (vgl. BSGE 37, 10,17), oder durch ein sozialadäquates, von Verfassungs wegen schützenswertes Verhalten entstanden ist (Vgl. BSGE 34, 93, 95 und BSG 13. Senat, Urteil vom 01.02.2001, Az B 13 RJ 37/00 R). Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein solcher rechtfertigender Grund nur vorliegt, wenn das Verhalten des Versicherten sowohl aus der Sicht der beitragszahlenden Mitglieder als auch der beteiligten Sozialversicherungsträger als wünschenswert zu bewerten ist.

Nach diesen Wertungsgesichtspunkten scheidet beim Kläger die Annahme eines Überbrückungstatbestandes für den Zeitraum vom 25.04.1974 bis 25.08.1974 aus. Er hat den Nichtbezug von Leistungen vom Arbeitsamt selbst zu vertreten, ohne dass bei dem Vorgehen des Klägers ein sozialadäquates, von Verfassungs wegen schützenswertes Verhalten vorliegt.

Zwar kann der Versuch einer Abwendung von Arbeitslosigkeit durch den Versuch einer Existenzgründung als Selbstständiger grundsätzlich als ein sozialadäquates Verhalten angesehen werden (vgl. BSG 11. Senat, Urteil vom 08.03.1972, Az: 11 RA 190/71). Dies gilt aber nur, wenn die Unterbrechung der aktiven Arbeitsplatzsuche mit den Konsequenzen für einen Leistungsbezug offengelegt wird. Der Kläger hat aber, vertreten durch seinen Vater, dessen Äußerungen er sich als seine Erklärung gegenüber dem Arbeitsamt zurechnen lassen muss, eine Nichtverfügbarkeit dargelegt, deren Grund keinen rentenversicherungsrechtlich schützenswerten Hintergrund hatte. Die Konsequenz der fehlenden ordnungsgemäßen Abmeldung des Klägers unter Offenlegung seines Vorhabens hat der Kläger daher auch rentenversicherungsrechtlich zu vertreten.

Zudem steht zur Überzeugung des Senats fest, dass sich der Kläger bereits spätestens am 03.04.1974 in Kanada aufgehalten hatte. Anders ist es nicht zu erklären, dass vom Bruder des Klägers unter diesem Datum die Echtheit der Unterschrift des Klägers unter dem Gründungsvertrag bezeugt worden ist. Folglich hätte der Kläger die Verpflichtung gehabt, dem Arbeitsamt bereits früher seinen genauen Abreisetag mitzuteilen, und sich nicht erst bei Nachfragen durch seinen Vater entschuldigen zu lassen. Dadurch zu Unrecht empfangene Leistungen vom Arbeitsamt verhindern die Annahme eines sozialadäquaten und schützenswerten Vorgehens des Klägers, der scheinbar weniger darum bemüht war, aus dem Leistungsbezug einer Sozialleistung auszuscheiden, als diesen Leistungsbezug auf jeden Fall, möglicherweise auch mit fingierten Entschuldigungen, aufrechtzuerhalten. Der Kläger hat - mit dieser Bewertung des Sachverhaltes durch den Senat im Verhandlungstermin konfrontiert - keine Einlassung vorgebracht, die die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Fakten in Zweifel ziehen konnten. Der Senat ist daher davon ausgegangen, dass der Kläger den Weiterbezug des Arbeitslosengeldes für die Zeit seiner Existenzgründungsversuche in Kanada billigend in Kauf genommen hat.

Wegen des fehlenden sozialadäquaten Verhaltens des Klägers mit der Forderung der Offenlegung seiner Vorgehensweise gegenüber dem leistenden Sozialversicherungsträger scheitert auch die Möglichkeit der Annahme eines unschädlichen Urlaubs aus. Überdies kann ein Urlaub einen Überbrückungstatbestand nur bis zu einem Zeitraum von sechs Wochen darstellen. Dieser zeitliche Rahmen ist aber beim Auslandsaufenthalt des Klägers überschritten worden (BSG 4.Senat, Urteil vom 12.06.2001 Az: B 4 RA 26/00 R).

Der Senat hat die Frage, ob Überbrückungstatbestände auf das EG-Gebiet zu beschränken sind, offen lassen können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, die der Bedeutung sozialadäquaten Verhaltens für die Annahme eines Überbrückungstatbestandes zuzumessen ist, hat der Senat die Revision zugelassen, vgl. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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