S 11 AL 82/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AL 82/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Arbeitslosenhilfe (Alhi) über den 31.12.2004 hinaus.

Der am 00.00.1944 geborene Kläger bezog ab dem 27.11.2001 Alhi, aufgrund seiner Erklärung gegenüber der Beklagten vom 22.02.2002 unter den Voraussetzungen des § 428 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - SGB III. Seit dem 01.01.2005 bezieht der Kläger Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.

Mit Bescheid vom 25.11.2004 bewilligte die Beklagte Alhi für die Zeit ab dem 27.11.2004 bis zum 31.12.2004. Seinen am 13.12.2004 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, er sei aufgrund der Erklärung nach § 428 SGB III davon ausgegangen, er werden Alhi bis zum Eintritt in die Regelaltersrente (März 2009) beziehen können. Da er von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht leben könne, sei er nunmehr gezwungen, vorzeitig die Altersrente in Anspruch zu nehmen, wobei er allerdings aufgrund eines ungünstigen Zugangsfaktors erhebliche Abschläge in Kauf nehmen müsse. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 11.01.2005 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 25.11.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2005 zu verurteilen, ihm Arbeitslosenhilfe über den 31.12.2004 hinaus zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Bindung an das geltende Recht.

Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Entscheidungen der Beklagten sind nicht rechtswidrig iSd § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Alhi über den 31.12.2004 hinaus.

Bereits § 190 Abs. 3 SGB III in der seit 01.01.2004 geltenden Fassung (aF) bestimmte, dass Alhi nur bis zum 31.12.2004 bewilligt werden konnte. Für die Zeit ab dem 01.01.2005 finden die Regelungen des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl. I S. 2954, Anwendung, durch das die Vorschriften über die Alhi (§§ 190 bis 206 SGB III) weggefallen sind. Die Entscheidung der Beklagten steht daher in Einklang mit dem geltenden Gesetzesrecht. Einen Bestandsschutz gegenüber Rechtsänderungen gewährt § 428 SGB III nicht (vgl Siefert-Hänsle, in: Praxiskommentar zum SGB III, 2. Aufl, 2004, § 428, Rn 3).

Der Kläger hat auch keinen weitergehenden Alhi-Anspruch aufgrund einer Zusicherung iSd § 34 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X). In dem Schriftstück, das der Kläger im Februar 2002 unterzeichnet und der Beklagten am 22.02.2002 übersandt hat, liegt keine Zusicherung gem. § 34 SGB X, die Alhi in bisheriger Höhe bis zum Eintritt in die abschlagsfreie Altersrente weiter zu zahlen (vgl allgemein Sächsisches LSG, Urteil vom 10.02.2005, L 3 AL 265/04; O Sullivan, SGb 2005, 369, 376).

Das Gericht braucht die Frage nach der Vereinbarkeit der Abschaffung der Alhi mit Verfassungsrecht auch nicht nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorzulegen, denn die Vorschriften sind nicht verfassungswidrig (so auch Sächsisches LSG, aaO; aA O Sullivan, aaO).

Der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz gem. Art. 14 Grundgesetz ist nicht verletzt, da der Anspruch auf Alhi kein Eigentum im Sinne dieser Vorschrift ist (st Rspr, vgl. etwa BSG, Urteil vom 04.09.2003, B 11 AL 15/03 R, NZA 2004, 200; weitere Nachweise bei Krauß, in: Praxiskommentar SGB III, aaO, § 190, Rn 6). Im Übrigen kommt es - wie schon bei der Befristung und späteren Abschaffung der originären Alhi (hierzu BVerfG, Beschluss vom 14.03.2001, 1 BvR 2402/97, NZS 2001, 356) - nicht wesentlich darauf an, ob der Alhi-Anspruch Eigentum iSd Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ist, denn auch unter dieser Prämisse stellt die Abschaffung eine durch den Zweck einer Sanierung der Staatsfinanzen gerechtfertige Inhalts- und Schrankenbestimmung dar (Hessisches LSG, Beschluss vom 26.04.2005, L 6 B 141/04 AL).

Auch ein Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) liegt nicht vor. Wesentlicher Inhalt des Vertrauensschutzprinzips ist das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot (Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl., 2004, Art. 20, Rn 67). Die Abschaffung der Alhi für die Zukunft stellt keinen Fall der "echten" Rückwirkung im Sinne einer nachträglichen Abänderung bereits abgewickelter, der Vergangenheit angehörender Tatbestände (vgl BVerfGE 89, 48, 66) dar. Auch eine "unechte" Rückwirkung (sog. tatbestandliche Rückanknüpfung, vgl. Jarass, aaO, Rn 69 mwN) liegt nicht vor, denn sie erfordert, dass eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (BVerfGE 101, 239, 263). Das Gericht verkennt nicht, dass der Leistungsbezug unter den Voraussetzungen des § 428 SGB III vielfach als "Aussicht" wahrgenommen worden ist, die bisherigen Leistungen bis zum Eintritt in die abschlagsfreie Altersrente weiter beziehen zu können. Eine derartige Garantie lässt sich § 428 SGB III indes nicht entnehmen (Siefert-Hänsle, aaO). So erfordert auch der Leistungsbezug unter erleichterten Voraussetzungen das Fortbestehen der übrigen, nicht durch § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III fingierten Anspruchsvoraussetzungen (Brand, in: Niesel, SGB III, 3. Aufl, 2004, § 428, Rn 2; Siefert-Hänsle, aaO, Rn 7, 8) und änderte im Fall der Alhi auch nichts an der (gem. § 190 Abs. 3 Satz 2 SGB III aF) abschnittsweisen Bewilligung nach erneuter Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen. Bereits hieran wird deutlich, dass der Alhi-Bezug auch unter erleichterten Voraussetzungen unter dem Vorbehalt vielfältiger tatsächlicher und rechtlicher Änderungen stand (vgl hierzu etwa Siefert-Hänsle, aaO, Rn 13) und kein Vertrauen auf einen unabänderlichen Leistungsbezug bis zum Renteneintritt begründen konnte.

Dem betroffenen Personenkreis blieb auch hinreichend Zeit, sich auf die geänderte Rechtslage einzurichten. Vor dem Hintergrund von Art. 20 Abs. 3 GG bei Gesetzesänderungen für die Zukunft wird die Notwendigkeit von Übergangsregelungen betont (allgemein etwa Jarass, aaO, Rn 75 mwN), die es dem betroffenen Personenkreis ermöglichen sollen, sich frühzeitig auf die demnächst geänderte Rechtslage einzurichten (speziell zur Abschaffung der Alhi etwa Krauß, aaO, Rn 8). Dieser "Warnfunktion" trug bereits § 190 Abs. 3 SGB III aF hinreichend Rechnung. Im Übrigen war die Abschaffung der Alhi (unter dem Schlagwort "Hartz IV") Gegenstand breiter Diskussionen in der Öffentlichkeit, die jeden Betrofffenen erreicht haben dürften.

Im Übrigen hat das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt die mit § 428 SGB III verbundene Privilegierung für ehemalige Alhi-Bezieher auch nicht ersatzlos abgeschafft. Sie setzt sich in § 65 Abs. 4 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) fort, wo § 428 SGB III entsprechend gilt.

Das Gericht folgt im Ergebnis nicht der in der Literatur vertretenen Auffassung (O´Sullivan, aaO), wonach der Leistungsbezug unter den Voraussetzungen des § 428 SGB III zum faktischen Kontaktverlust der Betroffenen mit dem Arbeitsmarkt geführt habe und ihnen deswegen eine teilweise Kompensation der unerwarteten finanziellen Einbuße zustehe. Der Alhi-Bezug unter den Voraussetzungen von § 428 SGB III hinderte die Betroffenen nicht daran, sich weiterhin um eine Beschäftigung zu bemühen. Zudem würde die in der Literatur geforderte Kompensation zumindest eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür voraussetzen, dass die betroffenen Arbeitnehmer - wenn sie nicht von der Möglichkeit des § 428 SGB III Gebrauch gemacht hätten - zwischenzeitlich in Arbeit vermittelt worden wären. Es bedarf keiner näheren Darlegungen, dass dies nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann.

Die Abschaffung der Alhi auch für diejenigen Arbeitslosen, die sie unter den Voraussetzungen des § 428 SGB III bezogen haben, verstößt auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz, Art. 3 Abs. 1 GG. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet es, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl etwa BVerfG, Urteil vom 23.1.1990, 1 BvL 48/87 mwN). In der vollständigen und unterschiedslosen Abschaffung der Alhi für alle unterscheidbaren Gruppen von Leistungsbeziehern kann nur dann ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegen, wenn zwischen der Gruppe der Alhi-Bezieher nach § 428 SGB III und den sonstigen Alhi-Beziehern ein wesentlicher Unterschied in diesem Sinne bestünde. Hieran fehlt es jedoch. Beide Male handelt es sich um bedürftige Arbeitslose, die (bis zum 31.12.2004) eine steuerfinanzierte Leistung in Anspruch genommen haben. Ungleichheiten ergeben sich lediglich dadurch, dass die Alhi-Bezieher nach § 428 SGB III nicht mehr bereit waren, jede zumutbare Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben und auch nicht mehr jede Möglichkeit nutzten und nutzen wollten, um ihre Beschäftigungslosigkeit zu beenden (§ 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III; zum Inhalt siehe Brand, aaO, Rn 1). Dass das Gesetz jedoch auch diese Gruppe in § 428 Abs. 1 Satz 1 SGB III als Arbeitnehmer bezeichnet und ihnen einen Anspruch auf Leistungen der Arbeitsförderung zuspricht, zeigt, dass es auch sie dem Arbeitsmarkt zurechnet. Jedenfalls in rechtlicher Hinsicht führt der Leistungsbezug unter den Voraussetzungen des § 428 SGB III nicht zum völligen Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt. Im Übrigen wäre auch bei Vorliegen einer wesentlichen Ungleichheit zwischen beiden Gruppen von Alhi-Beziehern ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG im Ergebnis nicht zu bejahen. Denn auch eine Gleichbehandlung wesentlich ungleicher Sachverhalte ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn die tatsächlichen Ungleichheiten nicht so bedeutsam sind, dass ihre Nichtbeachtung gegen eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise verstößt (Jarass, aaO, Art. 3, Rn 28 mwN). Die Gleichbehandlung der Alhi-Bezieher nach § 428 SGB III und der sonstigen Alhi-Bezieher findet ihre Rechtfertigung insbesondere in der Neuzuordnung der verschiedenen Gruppen von Hilfsbedürftigen, die das Vierte Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vorgenommen hat. Wenn dieses Gesetz (durch Streichung der Vorschriften über die Alhi sowie des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG) alle erwerbsfähigen Hilfebedürftigen im Anwendungsbereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende zusammenfasst, kann es nicht zugleich gerade diejenigen hiervon ausnehmen, die dem Arbeitsmarkt nicht mehr uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Die hiermit verbundene Privilegierung gegenüber sonstigen Alhi-Beziehern verstieße gegen den Gerechtigkeitsgedanken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved