Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Itzehoe (SHS)
Aktenzeichen
S 4 U 124/00
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 1 U 18/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Ursachenzusammenhang zwischen Harnblasenkrebs und einer Tätigkeit als Tankstellenpächter mit Wartungs- und Lackierarbeiten ist auch nach neusten medizinischen Erkenntnissen nicht wahrscheinlich zu machen.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 12. Januar 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsrechtszug nicht zu erstatten. Die Kosten des Gutachtens nach § 109 SGG vom 30. Mai 2005 werden nicht von der Staatskasse übernommen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Harnblasenkrebserkrankung des Klägers als Berufskrankheit anzuerkennen und zu entschädigen.
Der im Jahre 1942 geborene Kläger zeigte der Beklagten seine Erkrankung im Dezember 1999 an und führte sie auf den langjährigen Umgang mit krebserregenden Stoffen als Tankstellenverwalter seit März 1973 zurück.
Im Feststellungsverfahren zog die Beklagte medizinische Befundberichte über den Kläger bei, u. a. einen Bericht vom 16. Januar 2000 der urologischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses A , in dem der Kläger operiert worden war. Hierin führt der Chefarzt Prof. Dr. G zur Vorgeschichte aus, der Kläger habe seit 30 Jahren ca. ein Päckchen Zigaretten pro Tag geraucht.
Der Kläger gab laut Ermittlungsbericht des Technischen Aufsichtsdienstes vom 17. Januar 2000 an, von April 1973 bis Januar 1981 sei er überwiegend im Werkstattbereich der von ihm damals gepachteten Tankstelle tätig gewesen und habe alle Pflege- und Wartungsarbeiten, Kleinreparaturen und Reifenwechsel ausgeführt, u. a. auch Lackierarbeiten, letztere in einem Umfang von zwei Fahrzeugen pro Monat, wobei er ca. vier Stunden pro Fahrzeug benötigt habe. Von Januar 1981 bis September 1991 führte der Kläger nach seinen Angaben in einem anderen von ihm gepachteten Tankstellenbetrieb Lackierarbeiten an ca. zehn Fahrzeugen pro Jahr durch, außerdem in größerem Umfang Entwachsungsarbeiten (ca. sechs Autos pro Tag). Seit August 1991 erledigte der Kläger ausschließlich Verwaltungsarbeiten.
Zum Zigarettenkonsum gab er gegenüber dem Technischen Aufsichtsdienst an, in den letzten 10 bis 15 Jahren zehn Zigaretten pro Tag bis zu seiner Operation geraucht zu haben.
Die Beklagte holte eine gewerbeärztliche Stellungnahme ein und lehnte mit Bescheid vom 27. März 2000 die Gewährung von Leistungen ab. Die Voraussetzungen für die Anerkennung als Berufskrankheit Nr. 1303 (Erkrankung durch Benzol oder seine Homologe) oder Nr. 1301 (Schleimhautveränderungen, Krebs und andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine) der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) lägen nicht vor. Es fehle am rechtlich wesentlichen Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Erkrankung. Nach den heutigen wissenschaftlichen und arbeitsmedizinischen Erkenntnissen sei Benzol nicht als Ursache für Blasenkrebs bekannt. Benzol schädige vornehmlich die Blutbildungsorgane. Die Verursachung durch aromatische Amine scheide aus, da eine berufliche Einwirkung kanzerogener aromatischer Amine nicht wahrscheinlich gemacht werden könne.
Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch brachte der Kläger seine Erkrankung weiterhin in einen Zusammenhang mit aromatischen Aminen und bezog sich insoweit auf Forschungsergebnisse, bei denen im Tierversuch eine Harnblasenkarzigonität nachgewiesen worden sei.
Mit Bescheid vom 26. Oktober 2000 wies die Beklagte den Widerspruch des Kläger als unbegründet zurück. Experimentelle und epidemiologische Studien aus 1994 und 1997 hätten die in einer Studie aus 1990 angenommene Erhöhung des Blasenkrebsrisikos nach Benzolexposition nicht bestätigt. Den gefährdeten Beruf des Spritzlackierers habe der Kläger angesichts des nicht nennenswerten Umfangs an Lackierarbeiten nicht ausgeübt.
Am 9. November 2000 hat der Kläger Klage erhoben. Die Beklagte habe nicht hinreichend aufgeklärt, inwieweit er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit gegenüber Benzol, seinen Homologen oder Styrol ausgesetzt gewesen sei. Es gebe eine Reihe von Studien, die auf ein nachhaltig erhöhtes Risiko für Harnwegkrebs durch Exposition mit diesen Stoffen hindeuteten.
Der Kläger hat beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 27. März 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2000 aufzuheben, 2. die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Anerkennung seiner Harnblasenerkrankung als BK 1303 oder Nr. 1301 der Anlage zur BKV, hilfsweise wie eine BK, Verletz- tenrente nach einer MdE um 100 v. H. nach Maßgabe des Gesetzes zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden verwiesen.
Das Sozialgericht hat Zeugen- und Sachverständigenbeweis erhoben.
Es hat zunächst das schriftliche Gutachten des leitenden Arztes der II. Medizinischen Abteilung (Hämatologie und internistische Onkologie) des Allgemeinen Krankenhaus A Dr. B vom 23. Oktober 2002 eingeholt. Ferner hat das Gericht über den angegebenen Umfang der Lackierarbeiten bzw. die Angaben zum Tabakkonsum Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen W und B. Schließlich hat es ein arbeitsmedizinisches Gutachten nach Aktenlage von Prof. Dr. Dr. R vom 20. Oktober 2003 eingeholt.
Mit Urteil vom 12. Januar 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die form- und fristgerecht erhobene Klage sei zulässig, jedoch nicht begründet. Die Beklagte habe zu Recht die Anerkennung als Berufskrankheit nach der Ziff. 1301 der Anlage zur BKV abgelehnt, weil sich eine berufliche Einwirkung kanzerogener aromatischer Amine nicht feststellen lasse. Dabei habe es die Kammer dahingestellt lassen können, in welchem Umfang der Kläger in dem Zeitraum von April 1973 bis 1986 tatsächlich Lackierarbeiten an Fahrzeugen durchgeführt habe. Denn es gebe keine definitiven Hinweise dafür, dass der Kläger hierbei Lacke verwendet habe, die aromatische Nitroverbindungen enthielten. Nitrofarben bzw. Nitrolacke würden nur deshalb so bezeichnet, weil sie als Bindemittel zu einem großen Teil Nitrocellulose enthalten, nicht wegen ihres Gehaltes an Nitrofarbstoffen. Nitrofarbstoffe würden nicht für Autolacke bzw. -farben verwendet, sondern gelangten im Bereich der Färbung von Naturfasern, Wolle, Seide, Kosmetika und vereinzelt auch bei Lebensmitteln zum Einsatz. Auch Azofarbstoffe gelangten nicht als Bestandteil von Autolacken zum Einsatz, weil sie nicht ausreichend lichtstabil seien. Eine berufliche Exposition gegenüber aromatischen Aminen sei weder direkt noch indirekt (metabolisch) zu sichern und im Metier des Tankstellenpächters erfahrungsgemäß auch nicht zu erwarten. Die Anerkennung der Harnblasenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit Nr. 1301 der Anlage zur BKV könne daher nicht erfolgen. Es ergäben sich auch aus epidemiologischer und arbeitsmedizinisch-toxikologischer Sicht keine konsistenten Hinweise für ein vermehrtes Vorkommen von Urothelkarzinomen der Blase nach berufsbedingter Exposition gegenüber Benzol, seinen Homologen oder Styrol. Die vom Kläger in das Verfahren eingebrachten einzelnen Publikationen stellten Mitteilungen dar, die keinesfalls geeignet seien, ein erhöhtes Blasenkrebsrisiko durch Benzol oder gar seine Homologe (Toluol, Xylole) bzw. Styrol zu belegen. In den zitierten Untersuchungen handele es sich in allen Fällen um eine Kombinationsbelastung gegenüber den verschiedensten chemischen Substanzen bzw. Verbindungsgruppen. Auch der Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesminister für Arbeit habe in den letzten Jahren keine Veranlassung gesehen, sich mit dem Thema "Benzol-Harnblasenkarzinom" zu befassen. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse hierzu lägen nicht vor. Aus diesem Grunde könne die Erkrankung des Klägers auch nicht als Berufskrankheit Nr. 1303 der Anlage zur BKV anerkannt und entschädigt werden. Die Feststellungen auf medizinischem Fachgebiet treffe das Gericht aufgrund der überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. R. Die gegenteilige Auffassung des Sachverständigen Dr. B resultiere erkennbar aus dem Irrtum, dass sich eine Exposition des Klägers gegenüber aromatischen Aminen aufgrund der Verwendung von Nitrofarbstoffen sichern ließe. Diese Annahme werde jedoch durch das Gutachten von Prof. Dr. Dr. R widerlegt. Ihm räume die Kammer hinsichtlich der Beurteilung der in Streit stehenden Zusammenhangsfragen auch eine größere Kompetenz ein, da dieser Facharzt für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin sei. Seine Auffassung werde zudem durch die ergänzende Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten im Gerichtsverfahren inhaltlich voll bestätigt.
Gegen dieses ihm am 2. Februar 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. März 2004 Berufung eingelegt. Er verweist auf das nach seiner Ansicht zutreffende Gutachten von Dr. B.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 12. Ja- nuar 2004 aufzuheben, 2. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. März 2000 in Gestalt des Widerspruchsbeschei- des vom 26. Oktober 2000 zu verurteilen, ihm unter Anerkennung seiner Harnblasenerkrankung als BK 1303 oder Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV, hilfsweise wie eine Berufskrankheit, Verletzten- rente nach einer MdE um 100 v. H. nach Maßgabe des Gesetzes zu gewähren.
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Urologen Priv.-Doz. Dr. M. F , Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Urologie der Universitätsklinik H , vom 30. Mai 2005 eingeholt.
Die den Kläger betreffende Verwaltungsakten sowie die Gerichtsakte haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen. Auf ihren Inhalt wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verletztenrente wegen des bei ihm aufgetretenen Blasenkrebses. Die Voraussetzungen einer Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII in Verbindung mit Nr. 1301 bzw. 1303 der Anlage l zur BKVO sind nicht erfüllt. Der Senat weist die Berufung aus den Gründen des erstinstanzlichen Urteils zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren kein dem Kläger günstiges Ergebnis erbracht hat. Nach den darin zitierten Untersuchungsergebnissen kann ein Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers und dem Auftreten des Harnblasenkrebses selbst dann nicht wahrscheinlich gemacht werden, wenn der Kläger tatsächlich in größerem Umfang als zunächst angegeben Autos lackiert haben sollte. Von einem höheren Risiko betroffen sind vielmehr nur Berufsgruppen, die mit wasserlöslichen Azo-Farbstoffen arbeiten, da nur diese harnblasengängig sind. Insoweit hat sich das Gutachten ausführlich mit einer Anzahl neuerer epidemiologischer Studien zum Auftreten von Harnblasenkrebs insbesondere bei Personen mit beruflicher Exposition gegen Ölprodukte und gegen aromatische Amine befasst. Während bei der ersten Personengruppe kein signifikant erhöhtes Risiko festgestellt werden konnte, wurden aus der zweiten Gruppe lediglich Arbeiter aus der Textil- und Lederindustrie als gefährdet eingestuft, die einen intensiven Kontakt mit (wasserlöslichen) aromatischen Aminen über die Haut oder über dem Atmung haben. Diese Gutachtenergebnisse überzeugen den Senat in vollem Umfang; sie stehen im Einklang mit dem Vorgutachten von Prof. Dr. Dr. R und ergänzen es. Der Senat sieht das Gutachten auf neuestem wissenschaftlichen Stand stehend, in sich widerspruchsfrei und insgesamt als völlig überzeugend an.
Gibt es demnach auch in der neueren Forschung keine Hinweise auf eine erhöhte berufsspezifische Gefährdung des Klägers, so kommt auch eine Anerkennung seiner Erkrankung wie eine Berufskrankheit (§ 9 Abs. 2 SGB VII) nicht in Betracht.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Harnblasenkrebserkrankung des Klägers als Berufskrankheit anzuerkennen und zu entschädigen.
Der im Jahre 1942 geborene Kläger zeigte der Beklagten seine Erkrankung im Dezember 1999 an und führte sie auf den langjährigen Umgang mit krebserregenden Stoffen als Tankstellenverwalter seit März 1973 zurück.
Im Feststellungsverfahren zog die Beklagte medizinische Befundberichte über den Kläger bei, u. a. einen Bericht vom 16. Januar 2000 der urologischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses A , in dem der Kläger operiert worden war. Hierin führt der Chefarzt Prof. Dr. G zur Vorgeschichte aus, der Kläger habe seit 30 Jahren ca. ein Päckchen Zigaretten pro Tag geraucht.
Der Kläger gab laut Ermittlungsbericht des Technischen Aufsichtsdienstes vom 17. Januar 2000 an, von April 1973 bis Januar 1981 sei er überwiegend im Werkstattbereich der von ihm damals gepachteten Tankstelle tätig gewesen und habe alle Pflege- und Wartungsarbeiten, Kleinreparaturen und Reifenwechsel ausgeführt, u. a. auch Lackierarbeiten, letztere in einem Umfang von zwei Fahrzeugen pro Monat, wobei er ca. vier Stunden pro Fahrzeug benötigt habe. Von Januar 1981 bis September 1991 führte der Kläger nach seinen Angaben in einem anderen von ihm gepachteten Tankstellenbetrieb Lackierarbeiten an ca. zehn Fahrzeugen pro Jahr durch, außerdem in größerem Umfang Entwachsungsarbeiten (ca. sechs Autos pro Tag). Seit August 1991 erledigte der Kläger ausschließlich Verwaltungsarbeiten.
Zum Zigarettenkonsum gab er gegenüber dem Technischen Aufsichtsdienst an, in den letzten 10 bis 15 Jahren zehn Zigaretten pro Tag bis zu seiner Operation geraucht zu haben.
Die Beklagte holte eine gewerbeärztliche Stellungnahme ein und lehnte mit Bescheid vom 27. März 2000 die Gewährung von Leistungen ab. Die Voraussetzungen für die Anerkennung als Berufskrankheit Nr. 1303 (Erkrankung durch Benzol oder seine Homologe) oder Nr. 1301 (Schleimhautveränderungen, Krebs und andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine) der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) lägen nicht vor. Es fehle am rechtlich wesentlichen Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Erkrankung. Nach den heutigen wissenschaftlichen und arbeitsmedizinischen Erkenntnissen sei Benzol nicht als Ursache für Blasenkrebs bekannt. Benzol schädige vornehmlich die Blutbildungsorgane. Die Verursachung durch aromatische Amine scheide aus, da eine berufliche Einwirkung kanzerogener aromatischer Amine nicht wahrscheinlich gemacht werden könne.
Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch brachte der Kläger seine Erkrankung weiterhin in einen Zusammenhang mit aromatischen Aminen und bezog sich insoweit auf Forschungsergebnisse, bei denen im Tierversuch eine Harnblasenkarzigonität nachgewiesen worden sei.
Mit Bescheid vom 26. Oktober 2000 wies die Beklagte den Widerspruch des Kläger als unbegründet zurück. Experimentelle und epidemiologische Studien aus 1994 und 1997 hätten die in einer Studie aus 1990 angenommene Erhöhung des Blasenkrebsrisikos nach Benzolexposition nicht bestätigt. Den gefährdeten Beruf des Spritzlackierers habe der Kläger angesichts des nicht nennenswerten Umfangs an Lackierarbeiten nicht ausgeübt.
Am 9. November 2000 hat der Kläger Klage erhoben. Die Beklagte habe nicht hinreichend aufgeklärt, inwieweit er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit gegenüber Benzol, seinen Homologen oder Styrol ausgesetzt gewesen sei. Es gebe eine Reihe von Studien, die auf ein nachhaltig erhöhtes Risiko für Harnwegkrebs durch Exposition mit diesen Stoffen hindeuteten.
Der Kläger hat beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 27. März 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2000 aufzuheben, 2. die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Anerkennung seiner Harnblasenerkrankung als BK 1303 oder Nr. 1301 der Anlage zur BKV, hilfsweise wie eine BK, Verletz- tenrente nach einer MdE um 100 v. H. nach Maßgabe des Gesetzes zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden verwiesen.
Das Sozialgericht hat Zeugen- und Sachverständigenbeweis erhoben.
Es hat zunächst das schriftliche Gutachten des leitenden Arztes der II. Medizinischen Abteilung (Hämatologie und internistische Onkologie) des Allgemeinen Krankenhaus A Dr. B vom 23. Oktober 2002 eingeholt. Ferner hat das Gericht über den angegebenen Umfang der Lackierarbeiten bzw. die Angaben zum Tabakkonsum Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen W und B. Schließlich hat es ein arbeitsmedizinisches Gutachten nach Aktenlage von Prof. Dr. Dr. R vom 20. Oktober 2003 eingeholt.
Mit Urteil vom 12. Januar 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die form- und fristgerecht erhobene Klage sei zulässig, jedoch nicht begründet. Die Beklagte habe zu Recht die Anerkennung als Berufskrankheit nach der Ziff. 1301 der Anlage zur BKV abgelehnt, weil sich eine berufliche Einwirkung kanzerogener aromatischer Amine nicht feststellen lasse. Dabei habe es die Kammer dahingestellt lassen können, in welchem Umfang der Kläger in dem Zeitraum von April 1973 bis 1986 tatsächlich Lackierarbeiten an Fahrzeugen durchgeführt habe. Denn es gebe keine definitiven Hinweise dafür, dass der Kläger hierbei Lacke verwendet habe, die aromatische Nitroverbindungen enthielten. Nitrofarben bzw. Nitrolacke würden nur deshalb so bezeichnet, weil sie als Bindemittel zu einem großen Teil Nitrocellulose enthalten, nicht wegen ihres Gehaltes an Nitrofarbstoffen. Nitrofarbstoffe würden nicht für Autolacke bzw. -farben verwendet, sondern gelangten im Bereich der Färbung von Naturfasern, Wolle, Seide, Kosmetika und vereinzelt auch bei Lebensmitteln zum Einsatz. Auch Azofarbstoffe gelangten nicht als Bestandteil von Autolacken zum Einsatz, weil sie nicht ausreichend lichtstabil seien. Eine berufliche Exposition gegenüber aromatischen Aminen sei weder direkt noch indirekt (metabolisch) zu sichern und im Metier des Tankstellenpächters erfahrungsgemäß auch nicht zu erwarten. Die Anerkennung der Harnblasenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit Nr. 1301 der Anlage zur BKV könne daher nicht erfolgen. Es ergäben sich auch aus epidemiologischer und arbeitsmedizinisch-toxikologischer Sicht keine konsistenten Hinweise für ein vermehrtes Vorkommen von Urothelkarzinomen der Blase nach berufsbedingter Exposition gegenüber Benzol, seinen Homologen oder Styrol. Die vom Kläger in das Verfahren eingebrachten einzelnen Publikationen stellten Mitteilungen dar, die keinesfalls geeignet seien, ein erhöhtes Blasenkrebsrisiko durch Benzol oder gar seine Homologe (Toluol, Xylole) bzw. Styrol zu belegen. In den zitierten Untersuchungen handele es sich in allen Fällen um eine Kombinationsbelastung gegenüber den verschiedensten chemischen Substanzen bzw. Verbindungsgruppen. Auch der Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesminister für Arbeit habe in den letzten Jahren keine Veranlassung gesehen, sich mit dem Thema "Benzol-Harnblasenkarzinom" zu befassen. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse hierzu lägen nicht vor. Aus diesem Grunde könne die Erkrankung des Klägers auch nicht als Berufskrankheit Nr. 1303 der Anlage zur BKV anerkannt und entschädigt werden. Die Feststellungen auf medizinischem Fachgebiet treffe das Gericht aufgrund der überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. R. Die gegenteilige Auffassung des Sachverständigen Dr. B resultiere erkennbar aus dem Irrtum, dass sich eine Exposition des Klägers gegenüber aromatischen Aminen aufgrund der Verwendung von Nitrofarbstoffen sichern ließe. Diese Annahme werde jedoch durch das Gutachten von Prof. Dr. Dr. R widerlegt. Ihm räume die Kammer hinsichtlich der Beurteilung der in Streit stehenden Zusammenhangsfragen auch eine größere Kompetenz ein, da dieser Facharzt für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin sei. Seine Auffassung werde zudem durch die ergänzende Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten im Gerichtsverfahren inhaltlich voll bestätigt.
Gegen dieses ihm am 2. Februar 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. März 2004 Berufung eingelegt. Er verweist auf das nach seiner Ansicht zutreffende Gutachten von Dr. B.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 12. Ja- nuar 2004 aufzuheben, 2. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. März 2000 in Gestalt des Widerspruchsbeschei- des vom 26. Oktober 2000 zu verurteilen, ihm unter Anerkennung seiner Harnblasenerkrankung als BK 1303 oder Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV, hilfsweise wie eine Berufskrankheit, Verletzten- rente nach einer MdE um 100 v. H. nach Maßgabe des Gesetzes zu gewähren.
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Urologen Priv.-Doz. Dr. M. F , Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Urologie der Universitätsklinik H , vom 30. Mai 2005 eingeholt.
Die den Kläger betreffende Verwaltungsakten sowie die Gerichtsakte haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen. Auf ihren Inhalt wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verletztenrente wegen des bei ihm aufgetretenen Blasenkrebses. Die Voraussetzungen einer Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII in Verbindung mit Nr. 1301 bzw. 1303 der Anlage l zur BKVO sind nicht erfüllt. Der Senat weist die Berufung aus den Gründen des erstinstanzlichen Urteils zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren kein dem Kläger günstiges Ergebnis erbracht hat. Nach den darin zitierten Untersuchungsergebnissen kann ein Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers und dem Auftreten des Harnblasenkrebses selbst dann nicht wahrscheinlich gemacht werden, wenn der Kläger tatsächlich in größerem Umfang als zunächst angegeben Autos lackiert haben sollte. Von einem höheren Risiko betroffen sind vielmehr nur Berufsgruppen, die mit wasserlöslichen Azo-Farbstoffen arbeiten, da nur diese harnblasengängig sind. Insoweit hat sich das Gutachten ausführlich mit einer Anzahl neuerer epidemiologischer Studien zum Auftreten von Harnblasenkrebs insbesondere bei Personen mit beruflicher Exposition gegen Ölprodukte und gegen aromatische Amine befasst. Während bei der ersten Personengruppe kein signifikant erhöhtes Risiko festgestellt werden konnte, wurden aus der zweiten Gruppe lediglich Arbeiter aus der Textil- und Lederindustrie als gefährdet eingestuft, die einen intensiven Kontakt mit (wasserlöslichen) aromatischen Aminen über die Haut oder über dem Atmung haben. Diese Gutachtenergebnisse überzeugen den Senat in vollem Umfang; sie stehen im Einklang mit dem Vorgutachten von Prof. Dr. Dr. R und ergänzen es. Der Senat sieht das Gutachten auf neuestem wissenschaftlichen Stand stehend, in sich widerspruchsfrei und insgesamt als völlig überzeugend an.
Gibt es demnach auch in der neueren Forschung keine Hinweise auf eine erhöhte berufsspezifische Gefährdung des Klägers, so kommt auch eine Anerkennung seiner Erkrankung wie eine Berufskrankheit (§ 9 Abs. 2 SGB VII) nicht in Betracht.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
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