L 16 KR 52/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 7 KR 20/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 52/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 8. Februar 2005 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Aufwendungen der Beklagten und der Beigeladenen. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird auf 8.493,33 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger zu Recht Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) für eine über 65-jährige Kanzleikraft an die Beklagte als Einzugsstelle entrichtet hat.

Der Kläger beschäftigte in seiner E Rechtsanwaltskanzlei u. a. die am 00.00.1934 geborene N N als Kanzleikraft über das Erreichen des 65. Lebensjahres hinaus (01.12.1999) bis zum 30.06.2004. Frau N bezog das Arbeitsentgelt neben einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Ihre Arbeitszeit in der Kanzlei lag oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze des § 8 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Das Bruttogehalt entsprach bis Ende 2002 den früheren Einkünften aus abhängiger Beschäftigung; ab 2003 lag es geringfügig darunter. Der Kläger entrichtete in der Folgezeit den Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Rentenversicherung an die Beklagte als Einzugsstelle.

Mit Schreiben vom 19.08.2003 beantragte er die Freistellung von der Zahlungspflicht, hilfsweise die Befreiung der Arbeitnehmerin von der Versicherungspflicht. Die Regelung des § 172 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI sei verfassungswidrig, da die abgeführten Beiträge bei der Mitarbeiterin N nicht rentenerhöhend berücksichtigt würden. Im Laufe einer zu erwartenden Beschäftigungszeit von fünf oder sechs Jahren über die Vollendung des 65. Lebensjahres hinaus fielen für ihn rund 10.000 EUR an Rentenversicherungsbeiträgen an, ohne dass es für diese Zahlungsbelastung ein Äquivalent gebe.

Mit Bescheid vom 29.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2003, eingegangen beim Kläger am 05.01.2004, lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zwar führten die fiktiven Beitragsanteile gemäß § 172 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 i. V. m. § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI nicht zu einer individuellen Zurechnung zu dem beschäftigten Arbeitnehmer. Der Vorschrift lägen jedoch arbeitsmarktpolitische Motive zugrunde: Sie habe das Ziel, Wettbewerbsvorteilen entgegen zu wirken, die Arbeitgeber versicherungsfreier Personen ohne diese Regelung hätten. Die Umsetzung dieses Zieles sei dem Gesetzgeber im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraumes erlaubt.

Zur Begründung seiner am 05.02.2004 zum Sozialgericht Duisburg erhobenen Klage hat sich der Kläger auf seinen bisherigen Vortrag bezogen. Ergänzend hat er vorgetragen, eine Verletzung des Gleichheitssatzes, der Eigentumsgarantie und der Berufsfreiheit sei offensichtlich. Gerade in jüngerer Zeit habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit den Entscheidungen zu den sog. Einmalzahlungen (vgl. BVerfGE 92, 53, 102, 127) deutlich gemacht, dass Leistungen an Sozialversicherungsträger nicht "im leeren Raum verpuffen" dürften.

Er hat schriftsätzlich beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 29.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2003 aufzuheben und festzustellen, dass er nicht verpflichtet ist, für seine Mitarbeiterin N N, Sstraße 00, L, Sozialversicherungsbeiträge zur Rentenversicherung der Angestellten abzuführen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat den angefochtenen Bescheid als rechtmäßig erachtet. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers hat sie nicht geteilt.

Das Sozialgericht hat mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 08.02.2005 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Verpflichtung zur Abführung des Arbeitgeberanteils zur Rentenversicherung ergebe sich aus § 172 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI, dessen Voraussetzungen unstreitig vorlägen. Die Normen seien auch nicht verfassungswidrig. Zwar stelle die Verpflichtung zur Beitragsentrichtung eine Berufsausübungsregelung dar und berühre insoweit den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Der Eingriff sei jedoch durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt. Ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG liege ebenfalls nicht vor. Die Eigentumsgarantie schütze nicht das Vermögen als solches gegen die Auferlegung öffentlich-rechtlicher Geldleistungen, soweit es dadurch nicht zu einer grundlegenden Beeinträchtigung der Vermögensverhältnisse komme. Eine solche habe der Kläger weder vorgetragen noch seien entsprechende Anhaltspunkte ersichtlich. Schließlich sei auch kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ersichtlich. Für die Gleichbehandlung von Arbeitgebern, die versicherungspflichtige und versicherungsfreie Arbeitnehmer beschäftigen, seien hinreichende, verfassungsrechtlich billigenswerte Gründe gegeben. Die bevorzugte Beschäftigung von Altersrentnern sei aus nachvollziehbaren sozialpolitischen Gründen unerwünscht. Auch solle der Arbeitgeber, der einen Altersrentner beschäftige, keinen ungerechtfertigten Kostenvorteil genießen. Entgegen der Auffassung des Klägers ergebe sich aus den Beschlüssen des BVerfG zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Berücksichtigung von Einmalzahlungen in der Sozialversicherung (BVerfG E 92, 53; 102, 127) nichts anderes. Das BVerfG habe nicht das Äquivalenzprinzip vertreten. Vielmehr habe das BVerfG die früheren Bestimmungen über die beitragsrechtliche Behandlung von Einmalzahlungen nur deshalb für verfassungswidrig gehalten, weil die Einmalzahlung bei der Leistungsbemessung nicht berücksichtigt wurde und damit Versicherte mit gleich hoher Beitragsleistung ohne sachlichen Grund leistungsrechtlich unterschiedlich behandelt wurden (LSG NRW, Urt. vom 22.05.2003, Az.: L 5 KR 147/02, www.sozialgerichtsbarkeit.de = JURIS- Dok. Nr. KSRE 075 291517).

Gegen das ihm am 23.02.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21.03.2005 Berufung eingelegt. Unter Bezugnahme auf den bisherigen Vortrag hat er ergänzend darauf hingewiesen, verfassungsrechtliche Bedenken ergäben sich daraus, dass § 172 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI ausschließlich den Sinn habe, Arbeitgeber zu "schröpfen" und sie abzuschrecken, Altersrentner "in Arbeit und Brot zu nehmen", die "wegen der jahrelangen Misswirtschaft der Bundesregierung heute auf Zuverdienste angewiesen" seien. Über das BVerfG, spätestens über den Europäischen Gerichtshof (EuGH) für Menschenrechte müsse eine "längst überfällige sozialgesetzliche Korrektur" erfolgen.

Für den Kläger, der ordnungsgemäß zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.01.2006 geladen worden ist, ist niemand erschienen. Er beantragt schriftsätzlich,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 8. Februar 2005 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 29.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2003 aufzuheben und festzustellen, dass er nicht verpflichtet ist, für seine Mitarbeiterin N N, Sstraße 00, L, Sozialversicherungsbeiträge zur Rentenversicherung der Angestellten abzuführen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 8. Februar 2005 zurückzuweisen.

Sie erachtet das erstinstanzliche Urteil als zutreffend. Die Beigeladene, die sich der Rechtsauffassung der Beklagten angeschlossen hat, stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie der Prozessakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung waren.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat trotz Nichterscheinens des Klägers durch einseitige mündliche Verhandlung entscheiden können, da in der ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht mit Urteil vom 08.02.2005 die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 29.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2003 ist rechtmäßig. Der Kläger war bis Juni 2004 verpflichtet, für seine Mitarbeiterin N N, Sozialversicherungsbeiträge zur Rentenversicherung der Angestellten abzuführen.

Die gesetzliche Verpflichtung des Klägers ergibt sich aus § 172 Abs. 1 SGB VI. Danach tragen Arbeitgeber für Beschäftigte, die

1. als Bezieher einer Vollrente wegen Alters,
2. als Versorgungsbezieher,
3. wegen Vollendung des 65. Lebensjahres oder
4. wegen einer Beitragserstattung

versicherungsfrei sind, die Hälfte des Beitrags, der zu zahlen wäre, wenn die Beschäftigten versicherungspflichtig wären; in der knappschaftlichen Rentenversicherung ist statt der Hälfte des Beitrags der auf Arbeitgeber entfallende Beitragsanteil zu zahlen. Satz 1 findet keine Anwendung auf versicherungsfrei geringfügig Beschäftigte und Beschäftigte nach § 1 Satz 1 Nr. 2. Personen, die eine Vollrente wegen Alters beziehen, sind gemäß § 5 Abs. 4 SGB VI versicherungsfrei. Die Voraussetzungen der Norm liegen unzweifelhaft vor.

Die Norm verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht. Zur Begründung bezieht sich der Senat gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die zutreffenden erstinstanzlichen Entscheidungsgründen, denen er sich nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage vollinhaltlich anschließt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Anlass zur Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG sieht der Senat im Hinblick auf die eindeutige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu der seit vielen Jahren im Wortlaut unveränderten Norm nicht.

Der Streitwert ist gemäß § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 52 Gerichtskostengesetz (GKG) festzusetzen, weil die Berufungseinlegung nach dem 01.07.2004 erfolgte (§ 72 Nr. 1 GKG i. d. F. des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 05.05.2004, BGBl. I, Seite 717) erfolgte. Der Wert entspricht mit 8.493,33 EUR dem vom Kläger mitgeteilten hälfigen Rentenversicherungsbeitrag im Beschäftigungszeitraum.
Rechtskraft
Aus
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