S 17 VG 100/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
17
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 17 VG 100/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Entschädigung als Opfer einer Gewalttat.

Der am 00.00.1979 geborene Kläger begründete seinen Antrag vom 13.01.2005 wie folgt: Er habe in der Nacht des 00.00.0000 einen Brand im Treppenhaus des u.a. von ihm bewohnten Mietshauses bemerkt und sei, da er das Treppenhaus durch Feuer versperrt gefunden habe, aus einem Fenster im ersten Obergeschloss auf die Straße gesprungen. Hierbei habe er sich - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - das linke Bein verletzt. Anschließend sei er aufgestanden und habe sich sicherheitshalber auf die gegenüberliegende Straßenseite begeben, wo er sich auf den Gehweg gelegt und beide Beine hochgehalten habe. Nunmehr sei ein Wagen der Feuerwehr unmittelbar neben ihm zum Halten gekommen und ein Insasse dieses Wagens sei aus dem Wagen dem Kläger direkt auf die Beine gesprungen, wobei sich der Kläger einen Fersenbeintrümmerbruch rechts zugezogen habe.

Der Beklagte lehnte den Antrag zunächst mit Bescheid vom 09.08.2005 wegen Fristversäumnis ab. Auf den Widerspruch des Klägers vom 06.09.2005 hin erkannte er mit Abhilfebescheid vom 26.09.2005 an, dass wegen eines folgenlos verheilten Fersenbruchs links Anspruch auf Heilbehandlung bestanden habe. Mit Bescheid vom 10.10.2005 wies er den Widerspruch im Übrigen mit der Begründung zurück, die Fersenbeintrümmerfraktur rechts habe im Wesentlichen der Feuerwehrmann verursacht, sie sei keine Folge der Brandstiftung. Hiergegen richtet sich die am 20.10.2005 erhobene Klage.

Der Kläger wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen und führt aus, der Fersenbeintrümmerbruch rechts sei nach der hier anzuwendenden Adäquanztheorie kausal auf die Brandstiftung zurückzuführen.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 09.08.2005 in der Fassung des Bescheides vom 26.09.2005 und des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2005 zu verurteilen, die bei ihm eingetretene Fersenbeintrümmerfraktur rechts als Folge einer Gewalttat anzuerkennen und entsprechende Leistungen zu erbringen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bleibt bei seiner Auffassung.

Das Gericht hat die Akte der Staatsanwaltschaft B, 000 UJs 000/00, sowie die Schwerbehindertenakte des Versorgungsamts B beigezogen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Entscheidungen des Beklagten nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da er keinen Anspruch auf Gewaltopferentschädigung auch hinsichtlich der Fersenbeintrümmerfraktur rechts hat.

Ein Anspruch auf Entschädigung für die Opfer von Gewalttaten setzt voraus, dass der Anspruchsteller infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG). Einem tätlichen Angriff steht u.a. die wenigestens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen Menschen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen gleich, § 1 Abs. 2 Nr. 2 OEG. Hierunter fällt auch (wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist) die hier vorliegende Brandstiftung.

Die Fersenbeintrümmerfraktur rechts hat der Kläger jedoch nicht infolge der Brandstiftung erlitten.

Das Gericht braucht nicht zu prüfen, ob sich die Vorgänge, auf die der Kläger die Verletzungen am rechten Fuß zurückführt, tatsächlich wie vom Kläger geschildert zugetragen haben. Selbst unter vollständiger Zugrundelegung des klägerischen Vortrags besteht kein Anspruch, denn der tätliche Angriff (d.h. die Brandstiftung) stand in keinem ursächlichen Verhältnis zur Verletzung am rechten Fuß.

Anders als der Kläger meint, gilt im Sozialrecht nicht die zivilrechtliche sog. Adäquanztheorie (hiergegen ausdrücklich die st. Rspr. des BSG, vgl. nur BSG, Urteil vom 07.11.2001, B 9 VG 2/01 R; aus der Literatur etwa Erlenkämper/Fichte, Sozialrecht, 5. Aufl., 2002, S. 644 ), sondern die für das gesamte Sozialrecht gültige Lehre von der wesentlichen Bedingung (Erlenkämper/Fichte, a.a.O., S. 61 ff). Sie unterscheidet sich von der Adäquanztheorie dadurch, dass sie die Ursachenbeziehung ex-post, speziell und konkret betrachtet (BSG, a.a.O.).

Im vorliegenden Fall kommt eine ursächliche Beziehung zwischen der Brandstiftung und der Verletzung des rechten Beines allein unter dem Gesichtspunkt des sog. mittelbaren Schadens (zu dieser Rechtsfigur etwa Erlenkämper/Fichte, aaO, S. 87 ff) in Betracht, die auch im sozialen Entschädigungsrecht (und somit im Bereich des OEG) Anwendung findet (vgl. nur Fehl, in: Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl., 1992, § 1 BVG, Rn. 68 f). Mittelbar kausal ist ein Schaden zu einer vorangegangenen Schädigung, wenn diese zumindest eine wesentliche Teilursache hierfür setzt (Erlenkämper/Fichte, a.a.O., S. 87, 646). Haben andere (außerhalb der Schädigung liegende) Ereignisse mitgewirkt, so ist das Gewicht dieser Mitwirkung im Verhältnis zum anerkannten Leiden und der anerkannten Schädigung zu beurteilen (BSG, Urteil vom 20.05.1992, 9a RV 28/90 = SozR 3-3100 § 1 Nr. 7, bestätigt durch BVerfG, Beschluss vom 20.11.1992, 1 BvR 1375/92, ebenda Nr. 8).

Während dies für (Straßenverkehrs-) "Unfälle des täglichen Lebens" zu bejahen ist (BSG, a.a.O.), ist im vorliegenden Fall zu beachten, dass sich in dem Gang der Ereignisse, der zur Verletzung am rechten Fuß geführt hat, weder ein typisches Risiko des Straßenverkehrs noch ein typisches Risiko von Lösch- und Rettungsarbeiten bei einem Brandereignis verwirklicht hat. Der Umstand, dass der Kläger sich schädigungsbedingt in einer Position befand, die im Straßenverkehr üblicherweise niemand einnimmt und dass er nicht in der Lage war, dem aus dem Kraftfahrzeug springenden Feuerwehrmann auszuweichen, schuf lediglich eine Ausgangslage, in der der weitere Schaden eintreten konnte. Hierzu allerdings bedurfte es noch eines weiteren Ereignisses (dem Verhalten des Feuerwehrmannes), das zwar im Sinne der weiten, naturwissenschaftlichen Äquivalenztheorie kausal zum Brandereignis war, darüber hinaus jedoch in keinem inneren Zusammenhang dazu stand, denn wesentliche Ursache für die Verletzung am rechten Fuß war nicht die Anwesenheit des Feuerwehrmannes am Ort des Geschehens, sondern der Umstand, dass das Kraftfahrzeug nebem dem Kläger hielt und sich der Feuerwehrmann vor dem Aussteigen nicht vergewisserte, dass der Weg frei war.

Ein Anspruch kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch den (nicht näher bekannten) Feuerwehrmann in Betracht. Das Gericht hat keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Feuerwehrmann dem Kläger vorsätzlich (d.h. bewusst und gewollt) auf die Beine gesprungen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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