L 10 R 1733/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 5 R 1139/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1733/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Verzinsung ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit sieht das Gesetz nicht vor; § 44 Abs. 1 SGB I wird insoweit durch Abs. 2 der Vorschrift relativiert. Witwenrente wird nicht antragsunabhängig geleistet; für die Frage ihrer Verzinsung gilt daher § 44 Abs. 2 erster Halbsatz SGB I.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 5. Februar 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ab welchem Zeitpunkt Rentenleistungen zu verzinsen sind.

Die am geborene Klägerin ist Witwe des am 1923 geborenen und am 21. Mai 2000 verstorbenen K. F. (Versicherter).

Am 6. November 2000 beantragte die Klägerin bei der Stadt D. mündlich Witwenrente und am 4. März 2002 ging bei der Beklagten der schriftliche Antrag auf Witwenrente ein. Am 6. Mai 2002 legte die Klägerin die Sterbeurkunde des Versicherten vor.

Mit Bescheid vom 14. Oktober 2002, zugegangen am 17. Oktober 2002, bewilligte die Beklagte der Klägerin eine große Witwenrente ab 21. Mai 2000. Auf den Widerspruch der Klägerin gewährte sie mit Bescheid vom 10. Januar 2003 höhere Witwenrente unter Berücksichtigung weiterer Versicherungszeiten (monatlicher Zahlbetrag 93,13 EUR, Stand Mai 2003, Nachzahlung 1522,21 EUR), lehnte eine Verzinsung jedoch auch mit Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 2003 ab. Die Verzinsung beginne gem. § 44 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Antrags beim zuständigen Leistungsträger.

Deswegen hat die Klägerin am 10. Juni 2003 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Rheinland-Pfalz vom 29. Januar 2003, Az.: L 6 RA 62/02, hingewiesen.

Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten. Das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz, dem über den Einzelfall hinaus nicht zu folgen sei, sei zu dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht ergangen. Auch sei das LSG davon ausgegangen, dass es sich um eine antragsunabhängige Leistung handle.

Mit Urteil vom 5. Februar 2004 hat das SG unter Abweisung der Klage im Übrigen die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte verurteilt, die Nachzahlung nach Ablauf eines Monats (gemäß den Urteilsgründen: "Kalendermonats") nach Bekanntgabe des Bescheides vom 14. Oktober 2002 bis zum Zeitpunkt der Zahlung zu verzinsen. Außerdem hat das SG die Berufung zugelassen.

Gegen das am 4. April 2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29. April 2005 Berufung eingelegt. Sie trägt im Wesentlichen vor, das Urteil stehe im Widerspruch zu der oben genanten Entscheidung des LSG Rheinland-Pfalz.

Die Klägerin beantragt zum Teil sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz sowie den Bescheid vom 10. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Mai 2003 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, die Rentenleistungen ab 1. Juli 2000 zu verzinsen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, dem SG sei im Ergebnis zu folgen. Der Beginn der Verzinsung richte sich nach § 44 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 erster Halbsatz SGB I. Es sei der Zeitpunkt des vollständigen Leistungsantrages entscheidend. Dies sei der Eingang der Sterbeurkunde am 6. Mai 2002 gewesen, weswegen die Verzinsung am 1. Dezember 2002 beginne.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen des weiteren Vorbringens und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine weitere Verzinsung, nachdem das SG die Beklagte im angefochtenen Urteil ("nach Ablauf eines Kalendermonats nach Bekanntgabe des Bescheides vom 14.10.2002") verurteilt hat, die Nachzahlung ab 1. Dezember 2002 zu verzinsen.

Gemäß § 44 Abs. 1 SGB I sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 v. H. zu verzinsen. Die Verzinsung beginnt nach § 44 Abs. 2 erster Halbsatz SGB I frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen Leistungsträger, nach dem zweiten Halbsatz dieses Absatzes beim Fehlen eines Antrags nach Ablauf eines Kalendermonats nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung. Nach § 41 SGB I werden Ansprüche auf Sozialleistungen mit ihrem Entstehen fällig, soweit die besonderen Teile des Sozialgesetzbuches keine Regelung enthalten. Ansprüche auf Sozialleistungen entstehen nach § 40 SGB I sobald ihre im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt § 44 Abs. 1 SGB I nicht isoliert zur Anwendung. Eine Verzinsung ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit sieht das Gesetz nicht vor.

Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass ein untrennbarer Zusammenhang zwischen § 44 Abs. 1 und § 44 Abs. 2 SGB I besteht. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem Wort " frühestens " in Abs. 2. Damit wird ein unmittelbarer Bezug zu Abs. 1 hergestellt und diese Vorschrift relativiert. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Bereits mit Urteil vom 11. August 1983 (5a RKnU 5/82 in SozR 1200 § 4 Nr. 7) hat das BSG für den Bereich der Gesetzlichen Unfallversicherung, in dem Leistungen schon damals antragsunabhängig zu gewähren waren (§ 1545 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) ausgeführt, dass § 44 Abs. 2 SGB I insoweit eine Einschränkung des Abs. 1 vornimmt. Zum gleichen Ergebnis ist der 2. Senat des BSG gelangt (Urteil vom 24. Januar 1992, 2 RU 17/91 in SozR 3-1200 § 44 Nr. 4). Auch der 9a-Senat hat in § 44 Abs. 2 eine Abweichung zu Abs. 1 gesehenen (Urteil vom 30. Januar 1991, 9a/9 RV 29/89 in SozR 3-1200 § 44 Nr. 3). Soweit das LSG Rheinland-Pfalz im Urteil vom 29. Januar 2003 (L 6 RA 62/02) - unter Zulassung der Revision - gegenteilig entschieden hat, steht dies der dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung entgegen. Der Senat schließt sich jedoch der Rechtsprechung des BSG an. Die vom LSG Rheinland-Pfalz angestellten Überlegungen berücksichtigen insbesondere den Umstand nicht, dass § 44 Abs. 2 zweiter Halbsatz SGB I gerade den Fall antragsunabhängiger Leistungen betrifft. Als antragsunabhängige Leistung aber hat das LSG Rheinland-Pfalz den dort streitig gewesenen und nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu beurteilenden Rentenanspruch qualifiziert, sich dann aber lediglich mit dem ersten Halbsatz des § 44 Abs. 2 SGB I auseinander gesetzt. Dies verkennt auch die Klägerin, wenn sie meint, allein deshalb, weil die Witwenrente antragsunabhängig zu gewähren sei, gelte allein § 44 Abs. 1 SGB I. Tatsächlich gilt in Fällen antragsunabhängiger Leistungen - wie dargelegt - § 44 Abs. 2 zweiter Halbsatz SGB I und eben nicht allein Abs. 1 der Vorschrift.

Im Übrigen trifft die Annahme der Klägerin, Witwenrente würde antragsunabhängig geleistet, nicht zu.

Die Witwenrente wird vom Todestag an geleistet, wenn an den Versicherten - wie hier - eine Rente im Sterbemonat nicht zu leisten ist (§ 99 Abs. 2 Satz 2 SGB VI) und nach Satz 3 der Regelung wird die Hinterbliebenenrente nicht für mehr als zwölf Kalendermonate vor dem Monat, in dem die Rente beantragt wird, geleistet. Dementsprechend gewährte die Beklagte Rente ab dem 21. Mai 2000. Auch wenn § 99 SGB VI maßgeblich auf den Zeitpunkt der Antragstellung abstellt, lässt sich allein daraus noch nicht entnehmen, das Entstehen von Rechten und Ansprüchen sei von einem Antrag abhängig (BSG, Urteil vom 2. August 2000, B 4 RA 54/99 R in SozR 3-2600 § 99 Nr. 5).

Dies ergibt sich vielmehr aus § 19 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 1 SGB VI (BSG, a. a. O.; Löns in Kreikebohm, Kommentar zum SGB VI, 2. Aufl., § 46 Rdnr. 23, Schmid in Kreikebohm, Kommentar zum SGB VI, 2. Aufl., § 115 Rdnr. 6ff und Niesel in Kasseler Kommentar § 99 SGB VI, Rdnr. 5 sowie § 115 SGB VI, Rdnr. 2ff), auch wenn der Antrag selbst keine materielle Anspruchsvoraussetzung darstellt. Nach diesen Vorschriften werden - vorbehaltlich anderer, hier nicht vorliegender Bestimmung - Leistungen auf Antrag erbracht bzw. beginnt das Verfahren mit dem Antrag. Es ist also zwischen der - antragsunabhängigen - Entstehung des so genannten Stammrechts und dem aus diesem Stammrecht abgeleiteten - antragsabhängigen - Anspruch auf die erste Einzelleistung zu unterscheiden (BSG, a.a.O.). Vor Antragstellung darf der Rentenversicherungsträger die Rente nicht leisten (BSG, a.a.O.). Dementsprechend besteht kein Anlass, Leistungen zu verzinsen, die der Rentenversicherungsträger nicht zeitnah erbringen durfte, was für eine Anwendung des § 44 Abs. 2 erster Halbsatz SGB I spricht.

Keine andere Beurteilung ergibt sich aus dem Umstand, dass - was durch § 99 SGB VI grundsätzlich bestätigt wird - regelmäßig auch für Zeiträume vor Antragstellung Leistungen zu erbringen sind, § 115 SGB VI also nur die Frage betrifft, ob Leistungen zu gewähren sind, nicht jedoch, für welchen Zeitraum. Denn dies ändert nichts daran, dass ohne einen Antrag überhaupt keine Leistungen gewährt werden dürfen. Dementsprechend ist § 44 Abs. 2 erster Halbsatz SGB I einschlägig.

Es bedarf im vorliegenden Fall allerdings keiner weiteren Unterscheidung der beiden Varianten des § 44 Abs. 2 SGB I. Beide Regelungen führen hier zum gleichen Ergebnis. Geht man für die von der Klägerin beanspruchte Rente von einer antragsunabhängigen Leistung aus und wendet deshalb zunächst § 44 Abs. 2 zweiter Halbsatz SGB I an, ergibt sich eine Verzinsung ab 1. Dezember 2002. Denn der Bescheid über die Bewilligung der Witwenrente datiert vom 14. Oktober 2002, die Verzinsung würde nach § 44 Abs. 2 zweiter Halbsatz SGB I nach Ablauf eines Kalendermonats nach Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung, hier also ab 1. Dezember 2002 erfolgen. Im Übrigen ist anerkannt, dass auch in Fällen des zweiten Halbsatzes der Beginn der Verzinsung durch entsprechende Antragstellung vorverlegt werden kann (BSG, Urt. vom 11. August 1983 und 24. Januar 1992, a. a. O.), was - ebenso wie im Falle einer antragsabhängigen Leistung - zur Anwendung des ersten Halbsatzes führt. Hier lag der Leistungsantrag der Beklagten, die von einem Hinterbliebenenrentenbegehren überhaupt erstmals im März 2002 erfuhr, erst mit der Vorlage der Sterbeurkunde (die auch gemäß dem ausdrücklichen Hinweis in dem von der Klägerin verwandten Antragsvordruck der Beklagten beizufügen ist) am 6. Mai 2002 vollständig vor. Die Verzinsung beginnt daher auch nach § 44 Abs. 2 erster Halbsatz SGB I erst ab dem 1. Dezember 2002.

Damit ist das angefochtene Urteil im Ergebnis nicht zu beanstanden und die Berufung zurückzuweisen. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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