Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
55
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 55 AS 1404/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 B 71/06 ER AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller zukünftig - vorläufig bis zum Eintritt der Bestandskraft des Bescheides vom 18. Januar 2006 und längstens bis zum 30. Juni 2006 - Arbeitslosengeld II zu gewähren, ohne von der ihm aus der gesetzlichen Unfallversicherung gezahlten Verletztenrente einen Betrag in Höhe von zwei Dritteln der Mindestgrundrente nach § 31 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) als Einkommen zu berücksichtigen. Im Übrigen wird der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Die Antragsgegnerin trägt ein Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe:
Der durch dessen Bevollmächtigte schriftsätzlich gestellte Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm "Leistungen" nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) "in gesetzlicher Höhe zu zahlen", ist in Würdigung der ursprünglichen Antragsbegründung durch die Bevollmächtigte, aber auch der späteren Schriftsätze des Antragstellers selbst einschließlich des Überprüfungsantrags vom 15. Dezember 2005 und der Widerspruchsbegründung vom 20. Januar 2005 nach dessen Ablehnung dahingehend zu verstehen, dass die Antragsgegnerin verpflichtet werden soll, ihm vorläufig insoweit höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II) zu gewähren, als die aus der gesetzlichen Unfallversicherung gezahlte Verletztenrente (insgesamt) nicht als Einkommen angerechnet werden soll. Schließlich wird (wohl) ein ernährungsbedingter Mehrbedarf geltend gemacht.
Der so verstandene Antrag hat lediglich im tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist der Antrag abzulehnen.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sogenannte Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung ist, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als auch ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung –ZPO-).
Maßgeblich für die Beurteilung insbesondere des Anordnungsgrundes ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der jeweiligen Instanz. Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes durch Erlass einer einstweiligen Anordnung in Fällen der vorliegenden Art ist es, dem Betroffenen lediglich diejenigen Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller, d.h. gegenwärtig - noch - bestehender Notlagen notwendig sind. Regelungen über die einstweilige Bewilligung laufender Geldleistungen können daher grundsätzlich nur für die Gegenwart und die Zukunft, nicht aber für zurückliegende Zeiträume getroffen werden, weil in der Regel davon auszugehen ist, dass in der Vergangenheit liegende Notsituationen von dem Betroffenen bereits bewältigt worden sind (vgl. LSG Hamburg, Beschluss vom 7. Juli 2005 – L 5 B 116/05 ER AS -, SAR 2005, 86; OVG Hamburg, Beschluss vom 4. April 1990 - Bs IV 8/90 -, NVwZ 1990, 975 m.w.N.; ebenso Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2005, RdNr. 259 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegen hier hinsichtlich der begehrten Nichtberücksichtigung der Verletztenrente als Einkommen insoweit sowohl ein Anordnungsanspruch (dazu unter 1.) als auch ein Anordnungsgrund vor (dazu unter 2.), als ein Betrag in Höhe von zwei Dritteln der Mindestgrundrente nach § 31 BVG angerechnet wird. Im übrigen fehlt es bereits am Anordnungsanspruch. Hinsichtlich des (wohl) begehrten ernährungsbedingten Mehrbedarfs fehlt es - zumindest bislang - an der Glaubhaftmachung anspruchsbegründender Tatsachen; außerdem dürfte kein Rechtsschutzbedürfnis bestehen, weil der Antragsteller sich insoweit anscheinend noch nicht an die Antragsgegnerin gewandt hat.
1. Die Antragsgegnerin hat zu Unrecht die dem Antragsteller in Höhe von knapp 320 Euro gezahlte Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. als dem Grunde nach - d.h. vor Absetzung der Freibeträge nach § 11 Abs. 2 SGB II/ § 3 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) – in voller Höhe seinen Anspruch minderndes Einkommen angerechnet.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II haben erwerbsfähige Personen nur Anspruch auf Leistungen nach diesem Buch, soweit sie hilfebedürftig sind. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen sichern kann (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II). Bei grundsätzlich bestehender Hilfebedürftigkeit mindert (u.a.) das zu berücksichtigende Einkommen die Geldleistungen der Agentur für Arbeit (§ 19 Satz 2 SGB II).
Als Einkommen sind gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert, zu denen grundsätzlich auch die dem Antragsteller gezahlte Verletztenrente gehört, zu berücksichtigen. Ausgenommen sind allein die in § 11 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II aufgeführten Sozialleistungen sowie die in § 11 Abs. 3 SGB II und in § 1 Alg II-V aufgeführten Einkommensarten.
Von den geregelten Ausnahmefällen ist § 11 Abs. 3 Ziffer 1 Buchstabe a SGB II einschlägig. Danach sind Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären.
Bei der Verletztenrente handelt es sich teilweise um eine zweckbestimmte Leistung dieser Art.
Zweckbestimmt im Sinne der Vorschrift ist eine Leistung dann, wenn ihr eine bestimmte, vom Gesetzgeber erkennbar gebilligte Zweckrichtung zu eigen ist, die nicht in der Bestreitung des Lebensunterhalts besteht, so dass sie verfehlt würde, wenn der Empfänger durch eine Einkommensanrechnung gehindert wäre, sie ihrer eigentlichen Bestimmung zufließen zu lassen (LSG Hamburg, a.a.O.; Hengelhaupt a.a.O., § 11 RdNr. 213 m.w.N. aus der Rechtsprechung des BSG).
Die Zweckbestimmung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wird nicht ausdrücklich genannt, ergibt sich jedoch aus dem Regelungsgehalt der §§ 56 ff. Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) in Zusammenschau mit der Historie der gesetzlichen Unfallversicherung, die die zivilrechtliche Arbeitgeberhaftung grundsätzlich abgelöst hat, was seinen Niederschlag in den §§ 104 ff. SGB VII gefunden hat, wonach insbesondere außer bei vorsätzlichem Handeln und bei sog. Wegeunfällen die zivilrechtliche Haftung für Personenschäden einschließlich der ggf. damit verbundenen Schmerzensgeldansprüche entfällt.
Danach hat die Verletztenrente mehrere Funktionen: Sie dient der Sicherung des allgemeinen Lebensunterhalts und soll dabei in abstrakter und pauschalierender Ausgestaltung den Ausfall an Arbeitsentgelt und – einkommen ausgleichen, der durch eine versicherungsfall- , also arbeitsunfall- oder berufskrankheitenbedingte MdE eintritt (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, Loseblattkommentar, § 56 SGB VII Rdz. 6 m.N.). Sie hat jedoch nicht nur die Funktion eines materiellen, finanziellen Schadensausgleichs sowie Lohnersatzfunktion, sondern zugleich und vorrangig die Funktion eines Ersatzes des Gesundheitsschadens und eines immateriellen Schadensausgleichs (Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O. m.w.N.).
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten (§ 65 Abs. 3 SGB VII) und bei der Kumulation von Renten der gesetzlichen Renten- und der Unfallversicherung wird aus der Verletztenrente ein "immaterieller Schadensausgleich herausgelöst" (Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O.).
Dabei zeigt nach Überzeugung des erkennenden Gerichts die Regelung in § 93 Abs.2 Nr. 2 Buchstabe a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI), welchen Anteil an der Verletztenrente der Gesetzgeber selbst als immateriellen Schadensausgleich, also als "Schmerzensgeldsurrogat", ansieht, indem er den Betrag bei der Ermittlung der zusammentreffenden Rentenbeträge unberücksichtigt lässt, der bei gleichem Grad der MdE als Grundrente nach § 31 BVG geleistet würde, bei einer MdE um 20 v.H. zwei Drittel der Mindestgrundrente, bei einer MdE um 10 v.H. ein Drittel.
Daher handelt es sich nach Auffassung des erkennenden Gerichts bei der Verletztenrente in der in § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI genannten Höhe um eine zweckbestimmte Einnahme mit anderem Zweck als die Leistungen nach dem SGB II.
Dass das SGB VII diesen Zweck nicht ausdrücklich nennt, ist unschädlich, da § 11 Abs. 3 Ziffer 1 Buchstabe a SGB II nicht voraussetzt, dass der Empfänger die Leistung nur zu einem durch Gesetz oder Vereinbarung ausdrücklich genannten Zweck verwenden darf (LSG Hamburg, a.a.O.; Hengelhaupt a.a.O., RdNr. 215, m.w.N.). Ebenso wenig erforderlich ist, dass der Leistende ein Kontrollrecht oder Einfluss hinsichtlich der Verwendung hat (Hengelhaupt a.a.O.).
Gegenteiliges ergibt sich weder aus dem Wortlaut der Bestimmung noch aus den Gesetzesmaterialien. Gerade die in der Gesetzesbegründung (abgedruckt bei Hauck/Noftz, SGB II - Kommentar, M 010 S. 100) angeführte Orientierung am Sozialhilferecht hätte eine Übernahme der Formulierung des § 77 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) a.F. erwarten lassen, wenn der Gesetzgeber – wie dort geregelt - eine ausdrückliche Zweckbestimmung gewollt hätte.
Nach früherem Sozialhilferecht wurde die Verletztenrente in voller Höhe als Einkommen berücksichtigt, während dies im Arbeitslosenhilferecht in der im Ergebnis dem Tenor dieses Beschlusses entsprechender Weise nicht geschah wegen der eindeutigen Regelung in der Arbeitslosenhilfeverordnung 2002. Die Verwaltungsgerichte und auch das BSG hatten zu § 77 BSHG entschieden, dass die Verletztenrente mangels ausdrücklicher Zweckbestimmung als zweckneutrale Leistung auf die Sozialhilfe anzurechnen sei, es liege im Hinblick auf die Nichtberücksichtigung der Grundrente direkt oder entsprechend nach dem BVG weder eine planwidrige Gesetzeslücke noch eine Verfassungswidrigkeit insbesondere in Form der ungerechtfertigten Ungleichbehandlung vor (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2002 – B 2 U 12/02 R -, SGb 2004, 187 ff. m.w.N.).
Die erkennende Kammer kann es dahingestellt sein lassen, ob sie dieser Entscheidung unter der Geltung des § 77 BSHG gefolgt wäre. Unter der Geltung des SGB II ist dies jedenfalls nicht der Fall.
Einer Übertragung auf § 11 Abs. 3 SGB II steht bereits entgegen, dass § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG einen anderen Wortlaut hatte. Er privilegierte lediglich Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt wurden, während § 11 Abs. 3 SGB II lediglich zweckbestimmte Einnahmen voraussetzt.
Danach lässt sich die Nichtberücksichtigung der Verletztenrente im o.g. Umfang, also soweit sie dem immateriellen Schadensausgleich dient, zwanglos unter § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB II subsumieren, was aus Sicht der Kammer zur Vermeidung einer gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßenden Auslegung auch unumgänglich ist. Diese verfassungswidrige Ungleichbehandlung träte nicht im Verhältnis zu den Grundrentenemfängern/innen auf, die ein Sonderopfer erbracht haben, worauf das BSG in der oben zitierten Entscheidung zu Recht hingewiesen hat, sondern im Verhältnis zu den Empfängern zivilrechtlichen immateriellen Schadensausgleichs nach Personenschäden, der gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 3 SGB II nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist, gleich, ob er als Einmalzahlung oder in Rentenform gewährt wird. Dem Gericht ist keine Rechtfertigung dafür erkennbar, dass das Opfer z.B. einer fahrlässigen unerlaubten Handlung außerhalb einer Sonderbeziehung hinsichtlich der Berücksichtigung immaterieller Ausgleichsansprüche bei der Bemessung der existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II anders – und zwar deutlich besser - behandelt werden soll als der/die an den Folgen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit Leidende, dem/der das SGB VII die Ansprüche auf Schmerzensgeld nimmt und dies zum Teil mit der Verletztenrente wieder auffängt.
Der aus Sicht des Gerichts angesichts der unfallbedingten MdE des Antragstellers um 20 v.H. nicht zu berücksichtigende Anteil an der Verletztenrente in Höhe von zwei Dritteln der Grundrente nach § 31 BVG beeinflusst die Lage des Antragstellers auch nicht so günstig, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären.
Nach Sinn und Zweck der Regelung ist unter Berücksichtigung der Höhe und Dauer der Einnahmen eine Abwägung zu treffen, ob bei Beachtung des fiskalischen öffentlichen Interesses und einem Vergleich mit anderen Hilfebedürftigen ungekürzte Leistungen nach dem SGB II noch als gerechtfertigt erscheinen (LSG Hamburg, a.a.O., m.w.N.). Dies ist vorliegend im beschriebenen Umfang der Fall, wie schon die entsprechende gesetzliche Wertung in § 11 Abs. 1 SGB II zeigt, nach der Entschädigungsgrundrenten nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind.
Dem damit bestehenden materiellen Anspruch des Antragstellers steht nicht die Bestandskraft des die Verletztenrente dem Grunde nach voll anrechnenden Bewilligungsbescheides der Antragsgegnerin vom 16. November 2005 für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2006 entgegen, denn der Antragsteller hat insoweit mit Schreiben vom 15. Dezember 2005 die Überprüfung und Neufeststellung nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) beantragt.
Nach dieser Vorschrift besteht bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale ein Anspruch auf Rücknahme des rechtswidrigen bestandskräftigen Bescheids und Neubescheidung, wobei vorliegend eine gebundene Entscheidung zu ergehen hat, so dass das Gericht die konkrete Verpflichtung aussprechen kann.
2. Soweit ein Anordnungsanspruch besteht, liegt bezogen auf die Zukunft auch ein Anordnungsgrund vor, weil Grundsicherungsleistungen im Streit sind und diese, wenn sie in gesetzlicher Höhe erbracht werden, nur das Existenzminimum abdecken, das unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – zumindest nicht erheblich – unterschritten werden darf.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eine Verweisung auf das Hauptsacheverfahren schon deshalb unzumutbar ist, weil durch den dadurch bedingten Zeitablauf unter Umständen gesetzliche Ansprüche verloren gehen könnten.
Zwar ist anerkannt, dass trotz des Grundsatzes "keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums rückwirkend gewährt werden, wenn sie in einem Rechtsbehelfsverfahren erstritten werden (BVerfG, Entscheidung vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – m.N.), aber es stellt sich die Frage, wie mit ggf. hohen Nachzahlungen verfahren wird, wenn sich der/die Leistungsberechtigte zum Zeitpunkt der Nachzahlung noch im laufenden Bezug befindet. Es könnte zu einer Anrechnung als Einkommen und/oder zu einer Berücksichtigung als Vermögen kommen, so dass durch die rechtswidrige Nichtleistung über einen längeren Zeitraum der gegenwärtige Bedarf ungedeckt geblieben wäre und durch die nachträgliche Anspruchserfüllung künftige Ansprüche untergingen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Antragsteller – im Gegensatz zu seiner Bevollmächtigten bei der ersten Begründung des Antrags – die Nichtberücksichtigung der Verletztenrente in voller Höhe (und damit in etwa der dreifachen Höhe des Zwei-Drittel-Anteils an der Grundrente nach § 31 BVG) erreichen wollte und darüber hinaus die Gewährung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs.
Gründe:
Der durch dessen Bevollmächtigte schriftsätzlich gestellte Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm "Leistungen" nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) "in gesetzlicher Höhe zu zahlen", ist in Würdigung der ursprünglichen Antragsbegründung durch die Bevollmächtigte, aber auch der späteren Schriftsätze des Antragstellers selbst einschließlich des Überprüfungsantrags vom 15. Dezember 2005 und der Widerspruchsbegründung vom 20. Januar 2005 nach dessen Ablehnung dahingehend zu verstehen, dass die Antragsgegnerin verpflichtet werden soll, ihm vorläufig insoweit höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II) zu gewähren, als die aus der gesetzlichen Unfallversicherung gezahlte Verletztenrente (insgesamt) nicht als Einkommen angerechnet werden soll. Schließlich wird (wohl) ein ernährungsbedingter Mehrbedarf geltend gemacht.
Der so verstandene Antrag hat lediglich im tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist der Antrag abzulehnen.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sogenannte Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung ist, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als auch ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung –ZPO-).
Maßgeblich für die Beurteilung insbesondere des Anordnungsgrundes ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der jeweiligen Instanz. Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes durch Erlass einer einstweiligen Anordnung in Fällen der vorliegenden Art ist es, dem Betroffenen lediglich diejenigen Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller, d.h. gegenwärtig - noch - bestehender Notlagen notwendig sind. Regelungen über die einstweilige Bewilligung laufender Geldleistungen können daher grundsätzlich nur für die Gegenwart und die Zukunft, nicht aber für zurückliegende Zeiträume getroffen werden, weil in der Regel davon auszugehen ist, dass in der Vergangenheit liegende Notsituationen von dem Betroffenen bereits bewältigt worden sind (vgl. LSG Hamburg, Beschluss vom 7. Juli 2005 – L 5 B 116/05 ER AS -, SAR 2005, 86; OVG Hamburg, Beschluss vom 4. April 1990 - Bs IV 8/90 -, NVwZ 1990, 975 m.w.N.; ebenso Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2005, RdNr. 259 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegen hier hinsichtlich der begehrten Nichtberücksichtigung der Verletztenrente als Einkommen insoweit sowohl ein Anordnungsanspruch (dazu unter 1.) als auch ein Anordnungsgrund vor (dazu unter 2.), als ein Betrag in Höhe von zwei Dritteln der Mindestgrundrente nach § 31 BVG angerechnet wird. Im übrigen fehlt es bereits am Anordnungsanspruch. Hinsichtlich des (wohl) begehrten ernährungsbedingten Mehrbedarfs fehlt es - zumindest bislang - an der Glaubhaftmachung anspruchsbegründender Tatsachen; außerdem dürfte kein Rechtsschutzbedürfnis bestehen, weil der Antragsteller sich insoweit anscheinend noch nicht an die Antragsgegnerin gewandt hat.
1. Die Antragsgegnerin hat zu Unrecht die dem Antragsteller in Höhe von knapp 320 Euro gezahlte Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. als dem Grunde nach - d.h. vor Absetzung der Freibeträge nach § 11 Abs. 2 SGB II/ § 3 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) – in voller Höhe seinen Anspruch minderndes Einkommen angerechnet.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II haben erwerbsfähige Personen nur Anspruch auf Leistungen nach diesem Buch, soweit sie hilfebedürftig sind. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen sichern kann (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II). Bei grundsätzlich bestehender Hilfebedürftigkeit mindert (u.a.) das zu berücksichtigende Einkommen die Geldleistungen der Agentur für Arbeit (§ 19 Satz 2 SGB II).
Als Einkommen sind gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert, zu denen grundsätzlich auch die dem Antragsteller gezahlte Verletztenrente gehört, zu berücksichtigen. Ausgenommen sind allein die in § 11 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II aufgeführten Sozialleistungen sowie die in § 11 Abs. 3 SGB II und in § 1 Alg II-V aufgeführten Einkommensarten.
Von den geregelten Ausnahmefällen ist § 11 Abs. 3 Ziffer 1 Buchstabe a SGB II einschlägig. Danach sind Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären.
Bei der Verletztenrente handelt es sich teilweise um eine zweckbestimmte Leistung dieser Art.
Zweckbestimmt im Sinne der Vorschrift ist eine Leistung dann, wenn ihr eine bestimmte, vom Gesetzgeber erkennbar gebilligte Zweckrichtung zu eigen ist, die nicht in der Bestreitung des Lebensunterhalts besteht, so dass sie verfehlt würde, wenn der Empfänger durch eine Einkommensanrechnung gehindert wäre, sie ihrer eigentlichen Bestimmung zufließen zu lassen (LSG Hamburg, a.a.O.; Hengelhaupt a.a.O., § 11 RdNr. 213 m.w.N. aus der Rechtsprechung des BSG).
Die Zweckbestimmung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wird nicht ausdrücklich genannt, ergibt sich jedoch aus dem Regelungsgehalt der §§ 56 ff. Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) in Zusammenschau mit der Historie der gesetzlichen Unfallversicherung, die die zivilrechtliche Arbeitgeberhaftung grundsätzlich abgelöst hat, was seinen Niederschlag in den §§ 104 ff. SGB VII gefunden hat, wonach insbesondere außer bei vorsätzlichem Handeln und bei sog. Wegeunfällen die zivilrechtliche Haftung für Personenschäden einschließlich der ggf. damit verbundenen Schmerzensgeldansprüche entfällt.
Danach hat die Verletztenrente mehrere Funktionen: Sie dient der Sicherung des allgemeinen Lebensunterhalts und soll dabei in abstrakter und pauschalierender Ausgestaltung den Ausfall an Arbeitsentgelt und – einkommen ausgleichen, der durch eine versicherungsfall- , also arbeitsunfall- oder berufskrankheitenbedingte MdE eintritt (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, Loseblattkommentar, § 56 SGB VII Rdz. 6 m.N.). Sie hat jedoch nicht nur die Funktion eines materiellen, finanziellen Schadensausgleichs sowie Lohnersatzfunktion, sondern zugleich und vorrangig die Funktion eines Ersatzes des Gesundheitsschadens und eines immateriellen Schadensausgleichs (Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O. m.w.N.).
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten (§ 65 Abs. 3 SGB VII) und bei der Kumulation von Renten der gesetzlichen Renten- und der Unfallversicherung wird aus der Verletztenrente ein "immaterieller Schadensausgleich herausgelöst" (Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O.).
Dabei zeigt nach Überzeugung des erkennenden Gerichts die Regelung in § 93 Abs.2 Nr. 2 Buchstabe a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI), welchen Anteil an der Verletztenrente der Gesetzgeber selbst als immateriellen Schadensausgleich, also als "Schmerzensgeldsurrogat", ansieht, indem er den Betrag bei der Ermittlung der zusammentreffenden Rentenbeträge unberücksichtigt lässt, der bei gleichem Grad der MdE als Grundrente nach § 31 BVG geleistet würde, bei einer MdE um 20 v.H. zwei Drittel der Mindestgrundrente, bei einer MdE um 10 v.H. ein Drittel.
Daher handelt es sich nach Auffassung des erkennenden Gerichts bei der Verletztenrente in der in § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI genannten Höhe um eine zweckbestimmte Einnahme mit anderem Zweck als die Leistungen nach dem SGB II.
Dass das SGB VII diesen Zweck nicht ausdrücklich nennt, ist unschädlich, da § 11 Abs. 3 Ziffer 1 Buchstabe a SGB II nicht voraussetzt, dass der Empfänger die Leistung nur zu einem durch Gesetz oder Vereinbarung ausdrücklich genannten Zweck verwenden darf (LSG Hamburg, a.a.O.; Hengelhaupt a.a.O., RdNr. 215, m.w.N.). Ebenso wenig erforderlich ist, dass der Leistende ein Kontrollrecht oder Einfluss hinsichtlich der Verwendung hat (Hengelhaupt a.a.O.).
Gegenteiliges ergibt sich weder aus dem Wortlaut der Bestimmung noch aus den Gesetzesmaterialien. Gerade die in der Gesetzesbegründung (abgedruckt bei Hauck/Noftz, SGB II - Kommentar, M 010 S. 100) angeführte Orientierung am Sozialhilferecht hätte eine Übernahme der Formulierung des § 77 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) a.F. erwarten lassen, wenn der Gesetzgeber – wie dort geregelt - eine ausdrückliche Zweckbestimmung gewollt hätte.
Nach früherem Sozialhilferecht wurde die Verletztenrente in voller Höhe als Einkommen berücksichtigt, während dies im Arbeitslosenhilferecht in der im Ergebnis dem Tenor dieses Beschlusses entsprechender Weise nicht geschah wegen der eindeutigen Regelung in der Arbeitslosenhilfeverordnung 2002. Die Verwaltungsgerichte und auch das BSG hatten zu § 77 BSHG entschieden, dass die Verletztenrente mangels ausdrücklicher Zweckbestimmung als zweckneutrale Leistung auf die Sozialhilfe anzurechnen sei, es liege im Hinblick auf die Nichtberücksichtigung der Grundrente direkt oder entsprechend nach dem BVG weder eine planwidrige Gesetzeslücke noch eine Verfassungswidrigkeit insbesondere in Form der ungerechtfertigten Ungleichbehandlung vor (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2002 – B 2 U 12/02 R -, SGb 2004, 187 ff. m.w.N.).
Die erkennende Kammer kann es dahingestellt sein lassen, ob sie dieser Entscheidung unter der Geltung des § 77 BSHG gefolgt wäre. Unter der Geltung des SGB II ist dies jedenfalls nicht der Fall.
Einer Übertragung auf § 11 Abs. 3 SGB II steht bereits entgegen, dass § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG einen anderen Wortlaut hatte. Er privilegierte lediglich Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt wurden, während § 11 Abs. 3 SGB II lediglich zweckbestimmte Einnahmen voraussetzt.
Danach lässt sich die Nichtberücksichtigung der Verletztenrente im o.g. Umfang, also soweit sie dem immateriellen Schadensausgleich dient, zwanglos unter § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB II subsumieren, was aus Sicht der Kammer zur Vermeidung einer gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßenden Auslegung auch unumgänglich ist. Diese verfassungswidrige Ungleichbehandlung träte nicht im Verhältnis zu den Grundrentenemfängern/innen auf, die ein Sonderopfer erbracht haben, worauf das BSG in der oben zitierten Entscheidung zu Recht hingewiesen hat, sondern im Verhältnis zu den Empfängern zivilrechtlichen immateriellen Schadensausgleichs nach Personenschäden, der gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 3 SGB II nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist, gleich, ob er als Einmalzahlung oder in Rentenform gewährt wird. Dem Gericht ist keine Rechtfertigung dafür erkennbar, dass das Opfer z.B. einer fahrlässigen unerlaubten Handlung außerhalb einer Sonderbeziehung hinsichtlich der Berücksichtigung immaterieller Ausgleichsansprüche bei der Bemessung der existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II anders – und zwar deutlich besser - behandelt werden soll als der/die an den Folgen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit Leidende, dem/der das SGB VII die Ansprüche auf Schmerzensgeld nimmt und dies zum Teil mit der Verletztenrente wieder auffängt.
Der aus Sicht des Gerichts angesichts der unfallbedingten MdE des Antragstellers um 20 v.H. nicht zu berücksichtigende Anteil an der Verletztenrente in Höhe von zwei Dritteln der Grundrente nach § 31 BVG beeinflusst die Lage des Antragstellers auch nicht so günstig, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären.
Nach Sinn und Zweck der Regelung ist unter Berücksichtigung der Höhe und Dauer der Einnahmen eine Abwägung zu treffen, ob bei Beachtung des fiskalischen öffentlichen Interesses und einem Vergleich mit anderen Hilfebedürftigen ungekürzte Leistungen nach dem SGB II noch als gerechtfertigt erscheinen (LSG Hamburg, a.a.O., m.w.N.). Dies ist vorliegend im beschriebenen Umfang der Fall, wie schon die entsprechende gesetzliche Wertung in § 11 Abs. 1 SGB II zeigt, nach der Entschädigungsgrundrenten nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind.
Dem damit bestehenden materiellen Anspruch des Antragstellers steht nicht die Bestandskraft des die Verletztenrente dem Grunde nach voll anrechnenden Bewilligungsbescheides der Antragsgegnerin vom 16. November 2005 für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2006 entgegen, denn der Antragsteller hat insoweit mit Schreiben vom 15. Dezember 2005 die Überprüfung und Neufeststellung nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) beantragt.
Nach dieser Vorschrift besteht bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale ein Anspruch auf Rücknahme des rechtswidrigen bestandskräftigen Bescheids und Neubescheidung, wobei vorliegend eine gebundene Entscheidung zu ergehen hat, so dass das Gericht die konkrete Verpflichtung aussprechen kann.
2. Soweit ein Anordnungsanspruch besteht, liegt bezogen auf die Zukunft auch ein Anordnungsgrund vor, weil Grundsicherungsleistungen im Streit sind und diese, wenn sie in gesetzlicher Höhe erbracht werden, nur das Existenzminimum abdecken, das unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – zumindest nicht erheblich – unterschritten werden darf.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eine Verweisung auf das Hauptsacheverfahren schon deshalb unzumutbar ist, weil durch den dadurch bedingten Zeitablauf unter Umständen gesetzliche Ansprüche verloren gehen könnten.
Zwar ist anerkannt, dass trotz des Grundsatzes "keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums rückwirkend gewährt werden, wenn sie in einem Rechtsbehelfsverfahren erstritten werden (BVerfG, Entscheidung vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – m.N.), aber es stellt sich die Frage, wie mit ggf. hohen Nachzahlungen verfahren wird, wenn sich der/die Leistungsberechtigte zum Zeitpunkt der Nachzahlung noch im laufenden Bezug befindet. Es könnte zu einer Anrechnung als Einkommen und/oder zu einer Berücksichtigung als Vermögen kommen, so dass durch die rechtswidrige Nichtleistung über einen längeren Zeitraum der gegenwärtige Bedarf ungedeckt geblieben wäre und durch die nachträgliche Anspruchserfüllung künftige Ansprüche untergingen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Antragsteller – im Gegensatz zu seiner Bevollmächtigten bei der ersten Begründung des Antrags – die Nichtberücksichtigung der Verletztenrente in voller Höhe (und damit in etwa der dreifachen Höhe des Zwei-Drittel-Anteils an der Grundrente nach § 31 BVG) erreichen wollte und darüber hinaus die Gewährung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs.
Rechtskraft
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