S 21 KR 837/05 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 21 KR 837/05 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Anforderungen an den Wirksamkeitsnachweis noch nicht zugelassener Medikamente ist zu senken, wenn eine lebensbedrohliche Erkrankung zu behandeln ist und ärztliche Einrichtungen mit besonderem Fachwissen für dieses Krankheitsbild den Einsatz empfehlen.
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragsstellerin vorläufig für die Dauer von 12 Monaten das Arzneimittel Herceptin im Rahmen der ärztlichen Verordnung als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.

2. Die Antragsgegnerin hat der Antragsstellerin deren außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die 1947 geborene Antragstellerin ist bei der Beklagten aufgrund versicherungspflichtiger Beschäftigung krankenversichert. Bei ihr war im September 2001 ein Mammakarzinom der rechten Brust diagnostiziert worden, wobei der Primärtumor eine Größe von mehr als 2 cm aufwies. Die Antragstellerin wurde mittels 6 Zyklen einer taxan-basierten Kombinationschemotherapie präoperativ behandelt. Im Anschluss daran erfolgte eine brusterhaltende Tumorentfernungsoperation mit Wegnahme der Lymphknoten aus der Achselhöhle. Postoperativ erhielt sie eine Bestrahlung der operierten Brustseite. Es schloss sich dann eine Hormontherapie mit dem Antiöstrogen Tamoxifen an. Im Rahmen von Nachsorgeuntersuchungen im Klinikum für Gynäkologie und Geburtshilfe der G.-Universität F. ergaben sich Befunde, welche auf ein Lokalrezidiv des Mammakarzinoms im Bereich der rechten Brust hindeuteten. Eine am 26.08.2005 durchgeführte Stanzbiopsie bestätigte den Verdacht. Hierauf unterzog sich die Antragsstellerin einer Ablatio der rechten Brust, die gleichfalls im Klinikum der G.-Universität am 08.09.2005 durchgeführt wurde. Die pathologische Untersuchung des entfernten Brustgewebes im S. Institut für Pathologie ergab einen invasiv-duktalen Tumortyp (Untersuchungsbericht vom 09.09.2005). Die sodann gleichfalls im S. Institut für Pathologie anhand des Gewebes vorgenommene immunhistochemische Rezeptorenbestimmung führte zu der Beurteilung, dass eine überwiegend mäßiggradige Positivität von ca. 70 % der Tumorzellen für den Östrogenrezeptor, keine Expression des Progesteronrezeptors, aber eine starke Überexpression des HER-2-Rezeptors (Humaner Epithelialer [Wachstums] Rezeptor 2) entsprechend einem Score 3+ (positiv) bestand (pathologischer Bericht vom 30.08.2005).

Mit den vorliegenden Befunden und dem postoperativen histologischen Ergebnissen wurde der Fall der Antragsstellerin in der interdisziplinären Tumorkonferenz der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Klinikums der G.-Universität vorgestellt. Dort wurde folgende Therapieempfehlung ausgesprochen:

1. Arimidex einmal täglich

2. zusätzlich Herceptin Monotherapie aufgrund des erhöhten Risikos bei der Klägerin (Arztbrief und Bericht vom 20.09.2005).

Bei dem Medikament Herceptin handelt es sich um den monoklonalen Antikörper Trastuzumab, dessen Wirkungsweise darauf beruht, bei einer Überexpression des HER-2-Rezeptors diesen Rezeptor "zu blocken" und damit ein Tumorwachstum zu behindern. Herceptin ist seit Oktober 2000 als Medikament für die Behandlung von Frauen mit metastasiertem Mammakarzinom, deren Tumoren HER-2 überexprimieren in folgenden Fallkonstellationen zugelassen:

a) als Monotherapie zur Behandlung von Patientinnen, die mindestens 2 Chemotherapieregime gegen ihre metastasierende Erkrankung erhalten haben und für die ein Anthrazyklin ungeeignet ist,

b) in Kombination mit Paclitaxel zur Behandlung von Patientinnen, die noch keine Chemotherapie erhalten haben und für die ein Anthrazyklin ungeeignet ist,

c) in Kombination mit Docetaxel zur Behandlung von Patientinnen, die noch keine Chemotherapie gegen ihre metastasierende Erkrankung erhalten haben (vgl. Angaben in Rote Liste). Hersteller von Herceptin® ist das Pharmaunternehmen Hoffmann-La Roche AG.

Für den adjuvanten Einsatz von Herceptin im Rahmen der Therapie von Patientinnen mit einem primären HER-2/neu-positiven Mammakarzinom zwecks Senkung des Rezidiv-Risikos liegt bislang keine arzneimittelrechtliche Zulassung vor. Ob ein solcher Einsatz erfolgversprechend und angesichts der Nebenwirkungen von Herceptin sinnvoll ist, ist derzeit Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung, ausgehend von den bisherigen Erkenntnissen, dass Patientinnen mit einer HER-2-neu Überexpression ein besonders aggressives Brustkrebsleiden mit schnellem Tumorwachstum aufweisen. Hier soll der Antikörper Trastuzumab den HER-2-Rezeptor blockieren und das Tumorwachstum bremsen. Derzeit laufen weltweit 4 große, randomisierte Phase III – Studien zu Herceptin® in der Adjuvanz, nämlich in Amerika die NSABP-B31-Studie und die NCCTG N9831-Studie, ferner die in den USA und in Europa gemeinsam aufgelegte Studie BCIRG006–Studie sowie die von der Breast International Group (BIG) geleitete und von der Firma Hoffmann-La Roche AG geförderte HERA-Studie (Herceptin Adjuvant Trial). Alle Studien haben ihre Patientinnenrekrutierung abgeschlossen und befinden sich in der Nachbeobachtungsphase (Follow Up). Eine erste Zwischenauswertung dieser Studien ist auf dem Kongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) Ende Mai 2005 vorgestellt worden. Die dabei gegebene erste Zwischenanalyse gepoolter Daten der NSABP-B31 – und der NCCTG-N9831-Studie lautet, dass gegenüber einer alleinigen adjuvanten Chemotherapie die zusätzliche Gabe von Herceptin und Fortsetzung dieser Behandlung mit Herceptin über ein Jahr hinweg das krankheitsfreie Überleben signifikant verbessere und auch das Gesamtüberleben deutlich hiervon profitierte. Zu der BCIRG006-Studie – es handelt sich um eine Arzneimittelzulassungsstudie – veröffentlichte der Hersteller Hoffmann-La Roche am 14.09.2005 eine Pressemitteilung des Inhalts, dass Zwischenauswertungen eine Risikoreduktion des Rezidives im Trastuzumab-Behandlungsarm von 39 % im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie ohne adjuvante Antikörpergabe ergeben hätten. Zu der HERA-Studie war auf dem diesjährigen Kongress des ASCO-Meetings die Zwischenauswertung gezogen worden, nach einem mittleren Beobachtungszeitrum von einem Jahr habe sich eine signifikante Verbesserung des krankheitsfreien Überlebens nach einjähriger Trastuzumabtherapie im Vergleich zum Kontrollarm ohne Trastuzumabgabe ergeben, weshalb der Kontrollarm geschlossen und den betroffenen Patienten ebenfalls die Gabe von Trastuzumab angeboten worden sei. Der Anstieg des geschätzten krankheitsfreien Überlebens unter Trastuzumabgabe hochgerechnet auf 2 Jahre betrage etwa 8,4 Prozentpunkte. Das Gesamtüberleben der Patientinnen mit einjähriger Trastuzumabtherapie habe sich allerdings von demjenigen ohne diese Antikörpergabe nicht unterschieden. Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie hat zwischenzeitlich in einer Stellungnahme vom 21.06.2005 (abrufbar unter www.dgho.de) den Einsatz von Herceptin bei Patientinnen mit HER-2-Überexpression auch in der adjuvanten Situation empfohlen. Auch die Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) der Deutschen Krebsgesellschaft hat eine Behandlungsempfehlung vom 19.07.2005 zur adjuvanten Gabe von Trastuzumab in das Internet eingestellt (abrufbar unter www.ago-online.de) Die NCCN, ein Zusammenschluss 19 führender Krebsversorgungszentren in den USA, hat ebenfalls über Internet eine Empfehlung zur adjuvaten Chemotherapie beim Mammakarzinom publiziert, die in Umsetzung der Zwischenauswertungen aus den beiden US-Amerikanischen Untersuchen eine Empfehlung für die Gabe von Trastuzumab einschließt. Das amerikanische National Cancer Institut weist in seinen im Internet gegebenen Therapieempfehlungen zum Breast Cancer (abrufbar unter www.cancer.gov) auf die publizierten Zwischenauswertungen der beiden amerikanischen Studien und der HERA-Studie hin. Die Pharmafirma Hoffmann–La Roche AG teilt als Hersteller von Herceptin® mit, dass sie voraussichtlich Anfang 2006 auf Grundlage der Daten der Zwischenauswertung der HERA-Studie einen Zulassungserweiterungsantrag für das Trastuzumabpräparat bei der europäischen Arzeneimittelbehörde (EMEA) einreichen werde. Auch die Firma Genetech plant eigenen Angaben zufolge, in den USA einen Antrag auf die Zulassung von Trastuzumab zur adjuvanten Behandlung beim Mammakarzinom bei der amerikanischen Arzneimittelbehörde zu stellen.

Für die Antragstellerin beantragte die Stationsärztin Dr. L. der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe der G.-Universität mit Arztbrief vom 20.09.2005 bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Herceptinmonotherapie der Antragsstellerin unter Hinweise auf die Behandlungsempfehlung der interdisziplinären Tumorkonferenz und auf ein erhöhtes Risiko für den Eintritt eines weiteren Rezidives bei der Antragsstellerin. Die voraussichtlich entstehenden Kosten für diese Behandlung wurden mit zunächst 3.500,- Euro und für weitere ein Jahr andauernde Infusionen im Abstand von 3 Wochen pro Einzelgabe mit 2.633,- Euro beziffert. Die Antragsgegnerin ließ vom medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage erstellen. In diesem führte die Ärztin Dr. E. unter dem Datum vom 23.09.2005 aus, abgeschlossene und vollständig publizierte Phase III-Studien über die Wirksamkeit von Herceptin in der adjuvanten Behandlung des Mammakarzinoms lägen bisher nicht vor. Die bisher vorgelegten Kongressbeiträge und - Vorträge - ließen viele Fragen bei der Auswertung der Studien unbeantwortet. Zum jetzigen Zeitpunkt sei eine eindeutige Überlegenheit einer adjuvanten Behandlung mit Herceptin im Vergleich zu den etablierten Standardschematas, insbesondere in Bezug auf das Gesamtüberleben, nicht belegt. Auch seien die Nebenwirkungen (z. B. die kardiale Toxizität) noch nicht klar beurteilbar. Auch unter Auswertung der Stellungnahme des Kompetenz Centrums Onkologie des MDK Nordrhein lasse sich eine sozialmedizinische Empfehlung für die beantragte Indikation zum jetzigen Zeitpunkt nicht geben. Für die Fallkonstellation, wie sie bei der Antragstellerin vorliege, gäbe es zu dem keine Studie zum Einsatz von Herceptin. Die weitere Behandlung der Antragsstellerin könne mittels der etablierten adjuvanten Polychemotherapien nach dem CMF- oder einem anthrazyklinhaltigen Protokoll erfolgen.

Hierauf teilte die Antragsgegnerin der Antragsstellerin am 27.09.2005 mit, dass dem Antrag auf Übernahme der Kosten für eine Behandlung mittels einer Herceptinmonotherapie nicht entsprochen werde. Die Antragsstellerin erhob Widerspruch und reichte folgende weitere Unterlagen zur Begründung ein: Arztbrief und Stellungnahme der interdisziplinären Brustklinik der G.-Universität vom 27.09.2005, unterzeichnet von der Ärztin Dr. S., den Arztbrief des S. Institutes für Pathologie vom 30.08.2005 über das Ergebnis der immunhistochemischen Rezeptorenbestimmung sowie einen weiteren Arztbrief mit Stellungnahme aus der Brustklinik des Klinikums der G.-Universität vom 31.10.2005, unterzeichnet von dem Oberarzt Dr. M. unter Hinweis auf und Vorlage der Stellungnahme der DGHO vom 21.06.2005 sowie eines Artikels aus der Zeitschrift Medizinaspekte über die Beteiligung der Frauenklinik am Universitätsklinikum E. an weltweiten Herceptin-Studien, in dem es u. a. heißt, der künstliche Eiweiß-Wirkstoff Herceptin könne ungefähr jeder vierten Patientin helfen, deren Tumor eine Überexpression des HER-2-Rezeptors ausweise. In der Stellungnahme der Brustklinik vom 31.10.2005 wird ausgeführt, bei der Antragsstellerin handle es sich um eine Situation, die den Konstellationen der Studien zur Anwendung von Herceptin in der adjuvanten Situation vergleichbar sei. Das bei der Antragsstellerin aufgetretene Lokalrezidiv mit einem deutlich erhöhten Risiko für eine weitere Progression der Erkrankung sei deshalb ebenfalls unbedingt mit Herceptin zu behandeln. Die Antragsgegnerin legte diese Unterlagen erneut dem MDK vor, für den Dr. R. in ihrem weiteren sozialmedizinischen Gutachten nach Aktenlage vom 31.10.2005 unter Beifügung der aktualisierten Version der 47-seitigen Stellungnahme des Kompetenz Centrums Onkologie des MDK, Stand 28.10.2005, folgendes ausführte: Die Ergebnisse der vorliegenden aktuellen Phase III-Studien zur klinischen Wirksamkeit von Herceptin bezögen sich ausschließlich auf das primäre Mammakarzinom. Bei der Antragsstellerin liege hingegen eine andere klinische Situation vor, nämlich ein Mammakarzinomrezidiv mit HER-2-neu-positiven Rezeptor, welches mittlerweile kurativ entfernt worden sei. Wegen dieser unterschiedlichen Erkrankungssituation greife auch keine der mittlerweile in der Stellungnahme des Kompetenz Centrums Onkologie der MDK-Gemeinschaft benannten Fallgruppen, bei denen in Auswertung der vorliegenden vorläufigen Studienergebnisse einer adjuvante Gabe von Herceptin empfohlen werde. Die eigene aktuelle Literaturrecherche bezüglich der Wirksamkeit von Herceptin in der bei der Antragsstellerin vorliegenden klinischen Situation sei erfolglos geblieben. Somit könne auch nach erneuter Überprüfung des Sachverhaltes die beantragte Herceptintherapie aus sozialmedizinischer Sicht nicht empfohlen werden.

Die Antragsgegnerin hat der Antragsstellerin mitgeteilt, dass der Vorgang zur abschließenden Entscheidung dem Widerspruchsausschuss vorgelegt werde. Eine Widerspruchsentscheidung ist bislang nicht ergangen.

Die Antragsstellerin hat am 24.11.2005 beim Sozialgericht Frankfurt am Main den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und folgende weitere medizinische Unterlagen vorgelegt:

• Entlassungsbericht der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe der G.-Universität vom 20.09.2005,

• Bericht des S. Instituts für Pathologie vom 09.09.2005,

• Arztbrief des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie der G.-Universität vom 29.08.2005.

Die Antragsstellerin trägt vor, sie benötige das Medikament Herceptin sehr dringend, da bei ihr vor zwei Wochen im Rahmen einer Ultraschalluntersuchung ein neuer Knoten an der von dem Karzinom betroffenen Brustseite festgestellt worden sei. Auch sei ihr ärztlicherseits empfohlen worden, Herceptin möglichst direkt im zeitlichen Anschluss an die letzte Brustoperation einzunehmen. Auch bestehe bei ihr eindeutig ein erhöhtes Risiko, ein weiteres Rezidiv der Grunderkrankung zu erleiden. Diese Risikolage könne nach den vorliegenden Studienergebnissen mit Herceptin positiv beeinflusst werden. Bei der rechtlichen Würdigung sei zu berücksichtigen, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem jüngsten Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) unter Rückgriff auf die Grundrechte aus Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und Artikel 2 Abs. 2 GG vorgegeben habe, dass bei lebensbedrohlichen Erkrankungen eine besondere Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe, die auch Behandlungen einschließe, deren Wirksamkeit nicht eindeutig erwiesen sei.

Die Antragsstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr das Arzneimittel Herceptin im Rahmen der ärztlichen Verordnung zur Verfügung zu stellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

Sie trägt vor, der begehrte Erlass der einstweiligen Anordnung scheitere bereits am Nichtvorliegen eines Anordnungsanspruches. In der Hauptsache bestehe für die Antragsstellerin keine überwiegende Aussicht auf Erfolg. Bei der beantragten adjuvanten Trastuzumabtherapie handle es sich bezogen auf die bei der Antragsstellerin vorliegende Erkrankung des rezidivierenden Mammakarzinoms um eine experimentelle Therapie, die grundsätzlich nicht verordnungsfähig sei. Auch die vom Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 19.03.2002 – B 1 KR 37/00 R – aufgestellten Grundsätze für die Ausdehnung des Anwendungsbereiches eines zugelassenen Arzneimittels auf weitere Indikationen (sogenannter Off-Label-Use) lägen nicht vor. Nach den im Verwaltungsverfahren eingeholten gutachterlichen Stellungnahmen der Frau Dr. R. vom MDK sei eine Wirksamkeit von Herceptin für die bei der Antragstellerin bestehende Erkrankungssituation nicht nachgewiesen. Aufgrund der gegeben Datenlage bestehe keinesfalls die begründete Aussicht, dass mit dem streitgegenständlichen Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Weiter sei zu berücksichtigen, dass derzeit ungewiss sei, in welchem Maße die beanspruchte Therapie insbesondere im Hinblick auf Kardio- und Spättoxizität zu Folgeschäden führe, für die dann eine Gefährdungshaftung des Herstellers nach dem Arzneimittelgesetz nicht bestehe. Dementsprechend sei die Antragsstellerin auf die in dem Gutachten des MDK vom 23.09.2005 angeführten etablierten adjuvanten Polychemotherapien zu verweisen. In Betracht zu ziehen sei auch, dass die Antragsstellerin, die derzeit Krankengeld beziehe, die von ihr gewünschte Behandlung mit Herceptin® zumindest eine zeitlang aus eigenen Mitteln finanzieren könne oder eine Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers in Betracht komme.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der in Kopie vorliegenden Verwaltungsverfahrensakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet. Die Antragsstellerin hat einen Anspruch auf vorläufige Gewährung der umstrittenen Behandlung mit Herceptin.

Nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes (Anordnungsanspruch) des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Anordnungsgrund; Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Die hier in Betracht kommende Regelungsanordnung (Satz 2) ist zu bejahen, weil sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden sind (§ 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung -ZPO-).

Der Anordnungsgrund ergibt sich aus der Notwendigkeit eines baldigen Beginnes der streitgegenständlichen Therapie, die der Antragsstellerin ihren unwidersprochen gebliebenen Angaben zufolge ärztlicherseits im baldigen Anschluss an die durchgeführte Mammaablatio angeraten worden ist. Dass bei der Klägerin, die bereits von einem Rezidiv der im September 2001 erst diagnostizierten, Mammakarzinomerkrankung betroffen ist, ein deutlich gesteigertes Risiko für ein Fortschreiten der Erkrankung besteht, ergibt sich für das Gericht aus den vorgelegten Arztbriefen und Stellungnahmen vom 31.10.2005 sowie 20.09.2005 der behandelnden Ärzte aus der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Klinikums der G.-Universität. Des Weiteren zeigen die Zwischenergebnisse der zur adjuvanten Therapie des Mammakarzinoms mit Trastuzumab erstellten Studien, dass sowohl nach der Anlage der Studien als auch nach den vorläufigen Ergebnissen das zugrunde gelegte Behandlungskonzept nur bei einem baldigen Beginn der Herceptin- Therapie Erfolg verspricht. Dementsprechend kann es der Antragsstellerin nicht zugemutet werden, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens oder gar das Vorliegen gesicherter Erkenntnisse zum adjuvanten Anwendungsbereich von Herceptin nach vollständiger Auswertung der Studien abzuwarten. Entgegen der Antragsgegnerin kann die Antragsstellerin auch nicht darauf verwiesen werden, die streitgegenständliche Behandlung mit Herceptin zumindest für eine gewisse Zeit aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Dem steht bereits ihr niedriger Krankengeldbezug von derzeit täglich 15,87 Euro entgegen. Auch bei einem Einsatz des Einkommens des Ehegatten von täglich 47,59 Euro an Arbeitslosengeld vermag sie bei weitem nicht die Kosten zu decken, welche durch eine Beschaffung von Herceptin anfallen. Schon die in dem Gutachten des Kompetenz Centrums Onkologie im Rahmen von gesundheitsökonomischen Überlegungen benannten Beschaffungskosten für eine einjährige Therapie von schätzungsweise ca. 27.800 Euro bei einer Patientin mit einem Gewicht vom weniger als 50 Kilogramm und von ca. 41.300 Euro für eine Patientin mit einem höheren Gewicht bis 75 Kilogramm machen deutlich, dass die Antragsstellerin eine Eigenfinanzierung ohne Gefährdung ihres eigenen Lebensunterhaltens nicht aufzubringen vermag.

Auch ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht worden. Ein solcher besteht in der Regel dann, wenn eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten des Widerspruchs- bzw. Klageverfahrens ergibt, dass ein Anspruch eines Antragsstellers auf die beantragte Therapie besteht. Jedoch kann nicht in allen Fällen eine derartig positive Prognose der Erfolgsaussichten verlangt werden. Das in Artikel 19 Abs. 4 GG gewährte Grundrecht auf lückenlosen gerichtlichen Rechtsschutz gegen geltend gemachte rechtswidrige Eingriffe der öffentlichen Gewalt in Rechte des Bürgers gebietet es nach ständiger Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Vornamesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtschutz zu gewähren, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Je schwerer die Belastungen des Betroffenen liegen, die mit der Versagung des vorläufigen Rechtschutzes verbunden sind, um so weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden (vgl. die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichtes vom 22.11.2002, NJW 2003, S.1236 f. und vom 19.03.2004, NJW 2004, S. 310).

Die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten des Hauptsachebegehrens der Antragsstellerin ergibt, dass diese zumindest offen, eher positiv sind. Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i. V. m. § 31 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetz – Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) ist eine Krankenkasse zur Versorgung des bei ihr versicherten Mitglieds mit den für eine Krankenbehandlung notwendigen Arzneimitteln verpflichtet. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt allerdings den sich aus §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst hiernach nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Der Gesichtpunkt der Gewährleistung optimaler Arzneimittelsicherheit gebietet es aber, dass Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit, also die Einhaltung der Mindestsicherheits- und Qualitätsstandards in einem dafür vorgesehenen Verfahren nachgewiesen worden sind (vgl. BSG, Urteil vom 18.05.2004 - B 1 KR 21/02 R -, SGb 2004, S. 415). Das hier in Rede stehende Medikament Herceptin ist in der Bundesrepublik Deutschland arzneimittelrechtlich nur zur Behandlung eines metastasierenden Mammakarzinoms zugelassen, nicht jedoch für eine adjuvante Therapie bei Brustkrebspatientinnen. Eine solche Zulassung besteht auch ansonsten nicht in Europa. Zwar umfasst ein Anspruch auf Krankenbehandlung grundsätzlich nicht die Verordnung von nicht zugelassenen Arzneimitteln. Dies gilt jedoch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes nicht uneingeschränkt. Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 19.03.2002 (B 1 KR 37/00 R, BSGE 89, 184 ff.) Kriterien für eine in der vertragsärztlichen Versorgung mögliche zulassungsüberschreitende Anwendung eines Medikaments (Off-Label-Use) entwickelt. Danach kommt ein zulassungsüberschreitender Einsatz von Arzneimitteln dann in Betracht, wenn eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, keine andere Therapie verfügbar ist und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg – kurativ oder palliativ - erzielt werden kann.

Bei der Brustkrebserkrankung der Antragstellerin handelt es sich offensichtlich um eine schwerwiegende Erkrankung. Die besondere Aggressivität des im September 2001 erstdiagnostizierten Primärtumors mit einem damaligen Ausmaß von mehr als 2 cm zeigt sich insbesondere in dem Umstand, dass trotz präoperativer 6 Zyklen umfassenden Chemotherapie mit einem taxanhaltigen Protokoll, nachfolgender brusterhaltender Tumorentfernungsoperation mit Ausräumung der Lymphknoten aus den Achselhöhlen, nachfolgender Bestrahlung und nachfolgender Hormontherapie mit Tamoxifen im August 2005 ein Rezidiv des Mammakarzinoms an der vorbehandelnden rechten Brust aufgetreten ist. Dieses erneute Tumorwachstum ist von den behandelnden Ärzten der Brustklinik der G.-Universität F. nachvollziehbar als eine deutlich gesteigerte Risikosituation eingestuft worden, womit zum Ausdruck gebracht wird, dass auch die Situation nach Entfernung der erneut tumorbefallenen rechtsseitigen Brust im Hinblick auf ein zu befürchtendes weiter fortschreitendes Tumorwachstum ungünstig ist. Aus den ausführlichen Stellungnahmen der behandelnden Ärzte ergibt sich weiter, dass andere Therapiemöglichkeiten zur Verringerung des Rezidivrisikos als die empfohlene Herceptin-Monotherapie nicht bestehen. Eine weitere Verabreichung des bis zum Tumorrezedivs eingenommenen antiöstrogen wirkenden Medikaments Tamoxifen ist nicht aussichtsreich und dementsprechend auch von der interdisziplinären Tumorkonferenz der Brustklinik der G.-Universität nicht empfohlen worden. Nach den Wechseljahren gilt Tamoxifen als endokrine Therapie der ersten Wahl. Schreitet die Erkrankung indessen unter Tamoxifen erneut fort, ist eine weitere endokrine Behandlung mit einem anderen zytostatischen Antiöstrogen angezeigt. In Betracht kommt ein Arotamasehemmer, der in nicht–ovariellen Geweben die Umwandlung von Androgenen in Östrogene vermindert, dem Hauptsyntheseweg von Östrogenen nach den Wechseljahren. Auf diesen Wirkungsmechanismus zielt die von der Interdisziplinären Tumorkonferenz empfohlene Einnahme von Arimidex, einem Arotamasehemmer ab. Dessen Anwendung verspricht jedoch nur sehr eingeschränkten Erfolg, da ausweislich des Ergebnisses der immunhistochemischen Rezeptorenbestimmung nur ca. 70% der Tumorzellen positiv für den Östrogenrezeptor sind, weshalb in dem pathologischen Bericht auch von einer mäßiggradigen Positivität gesprochen wird. Auch die im Falles eines Fortschreitens des Karzinoms unter Arotamasehemmer generell in Betracht kommende hochdosierte Gabe von Gestagenen verspricht im Falle der Klägerin keine Erfolgsaussicht. Die pathologische Analyse weist insoweit keine Expression der Tumorzellen für den Progesteronrezeptor aus. Die in dem MDK-Gutachten der Frau Dr. E. vom 23.09.2005 als adjuvante Behandlungsform benannte Polychemotherapie nach dem CMF-Protokoll oder einem anthrazyklinhaltigen Chemotherapieschema ist nicht Bestandteil der Behandlungsempfehlung der Brustklinik der G.-Universität für die Klägerin. Dies ist nachvollziehbar, da ein Rückgriff auf diese Chemotherapien für ältere Frauen als frühe Behandlung in Hinblick auf ein zu erwartendes, aber noch nicht eingetretenes Rezidiv, Nachteile bringt. Im Falle eines dann doch auftretenden Tumorrezidivs kann auf diese Zytostatikabehandlugen nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg zurückgegriffen werden. Im Falle der Klägerin kommt hinzu, dass die im Jahre 2001 durchgeführte Chemotherapie mit 6 mal TAC-präoperativ Taxan enthielt, das als Reserveterapheutika bei fortgeschrittenem und vorbehandeltem Ovarial- und Brustkrebs in Kombination mit anderen Zytostatika dient. Es handelt sich um eine sehr toxische Substanz. Ein erneuter Rückgriff auf ein taxanhaltiges Chemotherapieprotokoll erscheint in einem Stadium, in dem ein erneutes Tumorrezidiv zu befürchten, aber noch nicht eingetreten ist, nicht sinnvoll, wovon offensichtlich auch die interdisziplinäre Tumorkonferenz in ihrer Behandlungsempfehlung ausgegangen ist.

Angesichts des bereits eingetretenen Rezidivs und der gesteigerten Gefahr für ein weiteres Tumorwachstum auch nach vollständiger Ablatio der rechten Mamma, kann die Antragsstellerin nicht darauf verwiesen werden, sie möge bis zum befürchtetem erneuten Rezidiveintritt zuwarten. Vielmehr hat sie unter dem Gesichtspunkt, dass zu einer Krankenbehandlung auch ein Behandlungsregime zählt, das einem Tumorfortschreiten vorbeugen soll, Anspruch auf eine sogenannte adjuvante Behandlungsweise, bei der die begründete Aussicht besteht, einen erneuten Tumorbefall zu verhindern oder zumindest zeitlich hinaus zu schieben. Dass bei einer Behandlung mit Herceptin eine Aussicht auf einen so verstandenen Behandlungserfolg besteht, jedenfalls ein solcher nicht mit hinreichender Gewissheit ausgeschlossen werden kann, ergibt sich für das Gericht aus der Behandlungsempfehlung der interdiziplinären Tumorkonferenz der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, wie sie in dem Arztbrief vom 20.09.2005 niedergelegt worden ist.

Die gegebene Therapieempfehlung geht ersichtlich von der Prämisse aus, dass der Einsatz von Herceptin bei Patientinnen mit einer HER-2-neu Überexpression auch außerhalb des bislang arzneimittelrechtlich anerkannten Einsatzbereiches eines metastasierendem Mammakarzinoms bei kurativ behandelten Patientinnen mit einem besonderen Risikoprofil für ein erneutes oder weiteres Tumorwachstum geeignet ist, ein Fortschreiten der Grunderkrankung zumindest zeitlich hinauszuzögern oder diesem nachhaltig entgegenzuwirken. Diese Einschätzung stützt sich auf die derzeit vorliegenden Interimsanalysen der beiden amerikanischen Phase III-Studien, der weiteren in den USA und Europa durchgeführten Studie der Breast Cancer Inernational Reserch Group sowie der so genannten HERA-Studie. Dementsprechend haben die Ärzte der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Klinikums der G.-Universität in ihren für die Antragsstellerin gemachten Eingaben auf die Stellungnahme der DGHO zur adjuvanten Anwendung von Herceptin beim Mammakarzinom und auf den vorgelegten Artikel aus Medizin Aspekte zu den weltweiten Herceptin-Studien verwiesen. Das erkennende Gericht geht ebenso wie das Hessische Landessozialgericht in seinem Beschluss vom 27.10.2005 (L 8 KR 190/05 ER), das Sozialgericht Heilbronn in dessen Beschluss vom 14.09.2005 (S 9 KR 2432/05 ER) sowie das Sozialgericht Bayreuth in dessen Beschluss vom 26.09.2005 (S 9 KR 284/05 ER) davon aus, dass die bisher vorliegenden Zwischenergebnisse über den Einsatz von Herceptin im Rahmen einer adjuvanten Behandlung die Einschätzung rechtfertigen, Herceptin sei geeignet, sowohl die Rezidivrate als auch das Mortalitätsrisiko deutlich zu senken. Dementsprechend haben auch die ärztlichen Fachgesellschaften, nämlich die DGHO, die AGO und NCCN sich für die adjuvante Therapie mit Herceptin im Falle von Brustkrebspatientinnen mit einer Überexpression des HER-2-Rezeptors auf der Zellmembran von Tumorzellen ausgesprochen. Auch das Kompetenz Centrum Onkologie des MDK hat den bisher bekannt gemachten vorläufigen Studienergebnissen insoweit Rechnung getragen, als es Konstellationen benannt hat, für die die adjuvante Gabe von Herceptin empfohlen wird. Inwieweit diese Empfehlung dem bisherigen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisstand hinreichend Rechnung tragen, kann im einstweiligen Rechtschutzverfahren keiner Erklärung zugeführt werden.

Das Gericht verkennt nicht, dass bei der Klägerin insoweit ein Sonderfall besteht, als bei ihr, anders als in den vorliegenden neuen Herceptin-Studien, nicht die Erstbehandlung eines neu diagnostizierten Mammakarzinoms mittels Chemotherapie und adjuvanter Gabe von Herceptin in Rede steht. Die Antragsstellerin hat nämlich bereits eine umfassende Behandlung ihres im September 2001 erstdiagnostiziertem rechtzeitigen Mammakarzinoms erfahren. Diese Behandlungen konnten das Auftreten eines Rezidivs im Sommer 2005 nicht verhindern. Das Rezidiv ist zwar mittels Ablatio der erneut befallenen Brustdrüse behandelt worden. Auch wenn es sich bei dem Rezidiv um ein sogenanntes Lokalrezidiv, also ohne Mitbeteiligung anderer Organe und ohne Metastasierung, handelt, besteht bei der Antragsstellerin eine massive und lebensbedrohende Gefahr für ein Fortschreiten des Tumorprozesses. Dies hat insbesondere nochmals der Oberarzt Dr. M. der Brustklinik der G.-Universität in seinem Arztbrief vom 31.10.2005 zum Ausdruck gebracht. Er hat für das Gericht nachvollziehbar ausgeführt, angesichts des aufgetretenen Lokalrezidivs bestehe ein deutlich erhöhtes Risiko für eine weitere Progression der Erkrankung. Deshalb sehe er die Notwendigkeit für eine unbedingte Behandlung der Klägerin mit Herceptin. Aus den weiteren Stellungnahmen und Berichten aus der Brustklinik geht weiter hervor, dass Rezidive von behandelnden Mammakarzinomen in der Form von Lokalrezidiven eher seltene Krankheitsverläufe sind, was jedoch nicht besagt, dass ihr Gefährdungspotenzial niedriger liegt. Wegen dieser relativ seltenen Erkrankungskonstellation ist, wie die Ärztin Frau Dr. S. in ihren Arztbrief vom 27.09.2005 mitgeteilt hat, auch für die Zukunft nicht damit zu rechnen, dass es auf solche Patientinnen mit Überexpression des Tumors auf den HER-2-Neurezeptor ausgerichtete Studien zur Erfolgsaussicht einer Behandlung mittels adjuvanter postoperativer Herceptingabe geben werde. Damit liegt eine Situation vor, bei der auch in Zukunft mit dem Vorliegen vom Studien oder veröffentlichten Forschungsergebnissen zum adjuvanten Einsatz von Herceptin bei der Krankheitssituation, in der sich die Klägerin derzeit befindet, nicht zu rechnen ist. Nach den vom Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 19.03.2002 für den zulässigen Off-Label-Use aufgestellten Kriterien wäre damit die verlangte hohe Evidenzstufe nicht erreichbar. Ein solches Ergebnis ist jedoch nach dem jüngsten Beschluss des 1 Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 von Verfassungswegen nicht hinzunehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung ausgeführt, dass es einer besonderen Rechtfertigung vor Artikel 2 Abs. 1 GG i.V. m. dem Sozialstaatsprinzip bedürfe, wenn einem Versicherten Leistungen für die Behandlung einer Krankheit und insbesondere einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung durch gesetzliche Bestimmungen oder durch deren fachgerichtliche Auslegung und Anwendung vorenthalten würden. Maßstab für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des Leistungsrechtes der gesetzlichen Krankenversicherung und seiner fachgerichtlichen Auslegung und Anwendung im Einzelfall seien darüber hinaus auch die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Gestaltung des Leistungsrechtes der gesetzlichen Krankenversicherung habe sich an der objektiv- rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu stellen. Dies gelte insbesondere in Fällen der Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung. Denn das Leben stelle einen Höchstwert innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung dar. Behördliche und gerichtliche Verfahren müssen dieser Bedeutung und der im Grundrecht auf Leben enthaltenden grundlegenden objektiven Wertentscheidung gerecht werden und sie bei der Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechtes berücksichtigen. Aus diesen Gesichtspunkten hat das Bundesverfassungsgericht hergeleitet, dass eine Einstandspflicht der gesetzlichen Krankenkassen für Behandlungsmethoden – im entschiedenen Fall ging es um die Anwendung der Bioresonanztherapie bei Duchenne´scher Muskeldystrophie -, die nicht dem allgemein anerkannten medizinischen Standard entsprechen und die sich als Behandlungsmethode auch nicht in der medizinischen Praxis durchgesetzt hätten, nicht mit der Begründung verneint werden könne, deren Wirksamkeit sei nicht hinreichend nachgewiesen. In solchen Fällen müsse auch auf einem niedrigeren Evidenzniveau der Nachweis der Wirksamkeit der strittigen Behandlungsform geführt werden können. Dabei müsse allerdings die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen. Bedeutsam sei insoweit insbesondere auch die fachliche Einschätzung der Wirksamkeit der Methode im konkreten Einzelfall durch die Ärzte des Erkrankten. Hinweise auf die Eignung der im Streit befindlichen Behandlung könnten sich auch aus der wissenschaftlichen Diskussion ergeben.

Auch wenn die dem Senatsbeschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 06.12.2005 zugrunde liegende Fallkonstellation nicht deckungsgleich ist mit der hier zur Entscheidung anstehenden, sind dieser ganz aktuellen Verfassungsgerichtsentscheidung doch aus den zitierten Grundrechten hergeleitete Vorgaben für die Auslegung und Anwendung der leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB V zu entnehmen, die eine Ausweitung der bislang vom Bundessozialgericht aufgestellten Kriterien für einen zulässigen Off-Label-Use nahelegen. Auch für den Nachweis einer Wirksamkeit von Arzneimitteln, die außerhalb der Indikationslage, für die sie nach dem Arzneimittelgesetz zugelassen worden sind, eingesetzt werden sollen, muss eine niedrigere Evidenzstufe ausreichen als die vom Bundessozialgericht verlangte. Es kann nicht mehr allein abgestellt werden auf das Vorhandensein von auf den jeweiligen Anwendungsbereich bezogener Studien oder veröffentlichter Forschungsergebnissen, aufgrund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen des streitigen Arzneimitteleinsatzes besteht. Vielmehr kann auch ein Wirksamkeitsnachweis durch ärztliche Erfahrung grundsätzlich ausreichen, sofern gewährleistet ist, dass das positive Votum für einen Off-Label-Use auf besonders ausgewiesener ärztlicher Fachkunde beruht.

Auf ein solches Votum kann sich die Antragsstellerin für die von ihr zur Senkung des Rezidivrisikos begehrte Behandlung mit dem Arzneimittel Herceptin berufen. Die entsprechende Therapieempfehlung stammt von der interdisziplinären Tumorkonferenz der Brustklinik und Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Klinikums der G.-Universität F ... Ein diagnostischer und therapeutischer Schwerpunkt dieser Einrichtung bezieht sich auf Brustkrebs und in diesem Sektor insbesondere auf die Entwicklung innovativer Therapiekonzepte. Der Leiter dieser Fachklinik ist Prof. Dr. M. K ... Er gehört zu den ständigen Teilnehmern des Konsensus- Panels der Konferenzen in S. G. (vgl. z. B. seinen Bericht über die Ergebnisse der Konferenz in S. G. von 2003, Deutsches Ärzteblatt, Jahrgang 101, Heft 4 2004, Seite A 190).

Nach alledem war dem Antrag stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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