S 25 KR 958/05 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
25
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 25 KR 958/05 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Soweit es an einer abschließenden Studie über Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzenimittels fehle, eine Heilung oder Besserung einer schwerwiegenden Erkrankung jedoch möglich ist, muss eine Folgenabwägung vorgenommen werden. Bei Brustkrebs mit HER-2-Rezeptor ist aufgrund der Schwere der Erkrankung und der nachgewiesenen Wahrscheinlichkeit einer Senkung der Rezidivrate sowie des Mortalitätsrisikos auch in der adjuvanten Therapie von einer Pflicht zur Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenkasse auszugehen.
1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig für die Dauer von zwölf Monaten das Arzneimittel "Herceptin" im Rahmen der vertragsärztlichen Verordnung als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

2. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für eine Therapie mit dem Arzneimittel Herceptin zum Zwecke der Nachbehandlung eines operierten Mammakarzinoms.

Die 1958 geborene Antragstellerin ist als Familienangehörige bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Am 12. Juni 2004 wurde in M. eine Primäroperation mit Brusterhaltender Therapie und Lymphonodektomie bei Mammakarzinom links vorgenommen. Anschließend erfolgte von Juli 2004 bis November 2004 eine Chemotherapie mit einem Zyklus EC und fünf Zyklen FEC. Im Dezember 2005 wurde eine Strahlentherapie abgeschlossen. Bei der Antragstellerin liegt ein Mammakarzinom mit den folgenden Risikoparametern vor: negative Östrogen – und Progesteronrezeptoren, HER-2/neu 3-fach positive Überexpression und junges Erkrankungsalter. Seit dem 31. Oktober 2005 unterzieht sich die Antragstellerin einer adjuvanten Therapie mit dem Arzneimittel Herceptin (Wirkstoff Trastuzumab). Für diese adjuvante Therapie besitzt Herceptin weder die deutsche noch eine europaweite Zulassung. Herceptin ist bislang nur für die Behandlung des metastasierenden Mammakarzinoms arzneimittelrechtlich zugelassen.

Unter Vorlage des Arztberichts des Klinikums der Universität M. vom 06. Juli 2004, eines Schreibens der Kliniken der G. – Universität M. vom 18. Juli 2005 und des Arztberichts der Frauenklinik R. vom 11. November 2004 beantragte die Antragstellerin am 21. Juli 2005 bei der Antragsgegnerin die Kostenübernahme für eine einjährige Herceptintherapie.

Nach Einholung eines Kurzgutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vom 25. Juli 2005 lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) vom 28. Juli 2005 die beantragte Kostenübernahme mit der Begründung ab, dass die Wirksamkeit von Herceptin für eine Anwendung außerhalb der Zulassung noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen sei. Über den hiergegen eingelegten Widerspruch vom 20. September 2005 ist bislang nicht entschieden.

Am 29. Dezember 2005 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Frankfurt am Main den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie ist der Ansicht, eine Therapie mit dem Arzneimittel Herceptin sei aufgrund ihrer hohen Risikosituation erforderlich, um Rezidive zu vermeiden und ihre Überlebenszeit zu verlängern. Die Kriterien für den Zulassungsüberschreitenden Einsatz von Arzneimitteln (Off-Label-Use) seien erfüllt. Es läge eine schwerwiegende Erkrankung ohne Therapiealternativen vor. Der Einsatz von Herceptin in ihrer Behandlungssituation entspreche dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft und dem Konsens der einschlägigen Fachkreise. Qualität und Wirksamkeit der adjuvanten Herceptintherapie sei in vier Studien nachgewiesen worden. Es bestehe die begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg. Sie sei nicht in der Lage, die notwendige Behandlung aus eigenen Mitteln sicherzustellen.

Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr das Arzneimittel Herceptin bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache als Sachleistung zur Verfügung zu stellen, soweit ihr dieses vertragsärztlich verordnet wird.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch vorliegen. Wissenschaftlich nachprüfbare Daten über die Wirksamkeit und den Nutzen der Therapie anhand von Phase III-Studien seien bisher nicht veröffentlicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Beteiligtenvorbringens wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag ist begründet, denn die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen vor.

Nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (S. 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (S. 2).

Vorliegend kommt eine Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG in Betracht, da die vorläufige Begründung einer Rechtsposition begehrt wird. Eine solche Regelungsanordnung ist nur dann begründet, wenn ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund vorliegen und eine Abwägung der betroffenen Interessen zugunsten des Antragstellers ausfällt. Ein Anordnungsanspruch ist dabei gegeben, wenn der zu sichernde Anspruch des Antragstellers mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zusteht. Ein Anordnungsgrund liegt bei der Regelungsanordnung vor, wenn eine Regelung entsprechend § 86 b Abs. 2 S. 1 SGG zur Abwendung eines wesentlichen Nachteils nötig erscheint.

Die vorstehend genannten Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, denn die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch auf Kostenübernahme der Behandlung mit Herceptin glaubhaft gemacht (§ 920 Absatz 2 Zivilprozessordnung – ZPO -).

Die Kammer bejaht einen Anordnungsgrund für eine vorläufige Regelung. Die Leistungsträger im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung haben den Versicherten zu gewährleisten, dass die normierten Sach- und Dienstleistungen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V -) zur Verfügung gestellt werden. Die Grundentscheidung, jedem Versicherten die zur Erhaltung, Wiederherstellung oder Besserung des Gesundheitszustandes erforderlichen Dienste oder Heil- und Hilfsmittel zu verschaffen, dient dem Schutz der Mehrheit der Kassenmitglieder. Deren verfügbares, für die Lebensführung verwendbares (Erwerbs-)Einkommen reicht in der Regel nicht aus, Arzneien, Heil- oder Hilfsmittel zusätzlich zum Beitrag in mehr als geringem Umfang vorzufinanzieren (Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 16. Dezember 1993, 4 RK 5/92, BSGE 73, 271, 275 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 4). Der Gesetzgeber geht davon aus, dass den Versicherten regelmäßig erhebliche finanzielle Mittel für eine zusätzliche selbständige Vorsorge im Krankheitsfall und insbesondere für die Beschaffung von notwendigen Leistungen der Krankenbehandlung außerhalb des Leistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zur Verfügung stehen (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 06. Dezember 2005, 1 BvR 347/98, Absatz-Nr. 52) Das gesetzliche Naturalleistungsgebot schließt dementsprechend grundsätzlich auch die Selbstbeschaffung von Diensten oder Sachen aus. Gerade bei schwerwiegenden Erkrankungen, wie hier, kann die Leistungserbringung im Rahmen der Sachleistung dann nicht in Frage gestellt werden, wenn Heilung oder Besserung der Krankheit nicht von vorneherein gänzlich auszuschließen sind. Jede Krebserkrankung ist lebensbedrohlich und beeinträchtigt die Betroffenen nachhaltig und erheblich in der Lebensqualität. In dieser Situation ist es der Antragstellerin, die zudem zwei minderjährige Kinder zu versorgen hat, nicht zuzumuten, einen Großteil des monatlichen Einkommens für die Beschaffung des hier streitigen Präparats, dessen Kosten sich auf durchschnittlich 2600 EUR monatlich belaufen, aufzuwenden.

Auch ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht worden. Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 31 Abs. 1 SGB V ist eine Krankenkasse zur Versorgung des bei ihr versicherten Mitglieds mit den für eine Krankenbehandlung notwendigen Arzneimitteln verpflichtet. Der Anspruch eines versicherten Mitglieds unterliegt jedoch den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst hiernach nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Der Gesichtspunkt der Gewährleistung optimaler Arzneimittelsicherheit gebietet es aber, dass Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit, also die Einhaltung der Mindestsicherheits- und Qualitätsstandards in einem dafür vorgesehenen Verfahren nachgewiesen worden sind (BSG, Urteil vom 18. Mai 2004 - B 1 KR 21/02 R; SozR 4-2500 § 31 Nr. 1 = BSGE 93, 1). Eine solche abschließende Studie fehlt für die vorliegend umstrittene adjuvante Therapie noch, worauf die Antragsgegnerin zu Recht hinweist. Gleichwohl schließt dies nicht generell eine vorläufige Regelung zur Frage der Leistungserbringung aus. Die erkennende Kammer stellt hierzu auf eine Folgenabwägung ab. Aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit der Rechtsschutzgarantie aus Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgt, dass eine Folgenabwägung vorzunehmen ist, welche die verfassungsrechtlich geschützten Belange der Antragstellerin hinreichend zur Geltung bringt. Dabei sind die Grundsätze anzuwenden, die das Bundesverfassungsgericht entwickelt hat, wenn von der Entscheidung in einem gerichtlichen Verfahren mittelbar Lebensgefahr für den Einzelnen ausgehen kann (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 22.11.2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, 1236; Beschluss vom 19. März 2004, 1 BvR 131/04, NJW 2004, 3100). Danach sind die Folgen gegeneinander abzuwägen, die auf der einen Seite entstehen würden, wenn das Gericht eine einstweilige Anordnung nicht erließe, sich jedoch im Verfahren der Hauptsache herausstellte, dass der Anspruch doch bestanden hätte, und auf der anderen Seite entstünden, wenn das Gericht die beantragte einstweilige Anordnung erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellte, dass der Anspruch nicht bestand.

Diese Folgenabwägung fällt zu Gunsten der Antragstellerin aus. Je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden. Auch bei Verpflichtungs- beziehungsweise Vornahmesachen ist jedenfalls dann vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25. Oktober 1988, 2 BvR 745/88, BVerfGE 79, 69; zuletzt Beschluss vom 19. März 2004, 1 BvR 131/04, NJW 2004, 3100). Solche anders nicht abwendbare Nachteile können bei dem bestehenden Krankheitsbild einer Krebserkrankung der Antragstellerin ersichtlich nicht hinweggedacht werden. Für die vorliegende Entscheidung ist zu berücksichtigen, dass in der medizinischen Diskussion zu diesem Krankheitsbild weitgehend Einigkeit darüber bestehen dürfte, dass in bestimmten Versorgungs- und Therapiebereichen auf einen die Zulassungsgrenzen überschreitenden Einsatz von Medikamenten nicht völlig verzichtet werden kann, wenn dem Patienten eine dem Stand neuester medizinischer Erkenntnisse entsprechende Behandlung nicht vorenthalten werden soll (vgl. dazu die Nachweise in BSG, Urteil vom 19. März 2002 - B 1 KR 37/00 R -; SozR 3-2500, § 31 Nr. 8 = BSGE 89, 184; Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 13. April 2005 - L 8 KR 38/05 ER -). Sollte die erst genannte Alternative erfüllt sein, d. h. sollte eine einstweilige Anordnung im Ergebnis zu Unrecht abgelehnt werden, so entstünden der Antragstellerin schwerwiegende Nachteile. Im Wege der Therapie mit Herceptin könnte ihre Erkrankung dann jedenfalls nicht mehr behandelt werden. Sie würde damit einem erhöhten Rezidiv- und Mortalitätsrisiko ausgesetzt. Die – möglicherweise rechtswidrige - Haltung der Antragsgegnerin könnte dazu führen, dass sich für die Antragstellerin eine Rechtsschutzlücke auftäte, die nach den oben genannten Kriterien vor dem Hintergrund einer möglichen Verletzung von Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht hingenommen werden darf. Demgegenüber wiegen die Folgen, die bei einer zu Unrecht ergangenen einstweiligen Anordnung zum Nachteil der Antragsgegnerin eintreten, weniger schwer. Zwar entstünde der Antragsgegnerin im diesem Falle ein finanzieller Schaden. Sie könnte ihn nach § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 945 ZPO von der Antragstellerin ersetzt verlangen, wenn sich im anschließenden Verfahren der Hauptsache herausstellen sollte, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis nicht begründet war. Selbst wenn ein solcher Schadensersatzanspruch im Ergebnis nicht durchsetzbar wäre, führt dennoch die Abwägung eines bloßen finanziellen Schadens der Antragsgegnerin auf der einen Seite, des Schutzes von Leben und körperlicher Unversehrtheit der Antragstellerin auf der anderen Seite zu der aus dem Tenor ersichtlichen Entscheidung.

Mit Blick hierauf war im Rahmen der Folgenabwägung bei der angestrebten Behandlung der Antragstellerin auch darauf abzustellen, dass die Antragstellerin, die an einer schwerwiegenden, lebensbedrohlichen Erkrankung leidet, unwidersprochen vorgetragen hat, eine Behandlungsalternative besteht nicht. Eine solche wurde ihr von der Antragsgegnerin auch nicht benannt. Zwar sind abschließende wissenschaftliche Daten über die Wirksamkeit und den Nutzen der Therapie bisher noch nicht veröffentlicht. Jedoch deuten die von der Antragstellerin vorgelegten Berichte über die bislang durchgeführten Studien und die Veröffentlichung im New England Journal of Medicine vom 20. Oktober 2005 (NEJM 2005; 353: 1659 – 1672) sowie das in ihrem Auftrag erstellte Gutachten des Privatdozenten Dr. U., Leitender Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe G., zur Behandlungssituation der Antragstellerin darauf hin, dass bei einer Behandlung mit Herceptin sowohl die Rezidivrate als auch das Mortalitätsrisiko deutlich geringer ist als bei der alleinigen Chemotherapie. Es besteht die realistische Aussicht auf Verbesserung der Heilungs- bzw. zumindest längerer Überlebenschancen. In diese Richtung weisen auch Informationen des Deutschen Krebsforschungszentrums vom Mai 2005, wonach sich in Studien im Frühsommer 2005 andeute, dass auch Frauen profitieren würden, die keine Metastasen hätten, aber unter einer vielleicht aggressiveren Form von Brustkrebs leiden würden (vgl. www.krebsinformation.de/fragen-und-antworten/herceptin.htm). Das Deutsche Ärzteblatt hat in seiner Online - Ausgabe vom20.Oktober2005(http://www.aerzteblatt.de/v4/news/news.asp?p=Herceptin&src=suche&id=21773) ebenfalls über die HERA – Studie berichtet, aufgrund deren Ergebnisse es feststehen dürfte, dass Herceptin demnächst auch eine Zulassung für die Behandlung beim operablen Karzinom ohne Metastasen erhält. Die Antragstellerin kann sich außerdem auf positive Bewertungen der Fachgesellschaften, u.a. der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie, berufen. Sämtlichen medizinischen Fachartikeln ist zu entnehmen, dass der voraussichtliche Behandlungsvorteil von Herceptin in Fällen einer Überexpression von HER 2 – neu in der nicht metastasierenden Erkrankungssituation aufgrund der vorliegenden Phase III – Studien inzwischen fachwissenschaftlichen Konsens bildet. Die Erkenntnisse über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels Herceptin in dem neuen Anwendungsgebiet lassen demnach erste wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen über einen voraussichtlichen Nutzen auch in der adjuvanten Krebstherapie zu. Mit Blick hierauf sprechen gewichtige Gründe dafür, dass auch im Hauptsacheverfahren die Voraussetzungen für einen zulassungsübergreifenden Einsatz von Herceptin bejaht werden könnte. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 06. Dezember 2005 (1 BvR 347/98) entschieden, es sei mit Art. 2 Absatz 1 GG in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar, einen Versicherten, der an einer lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, für die schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen, von der Leistung einer bestimmten Behandlungsmethode durch die Krankenkasse auszuschließen, wenn die von ihm gewählte Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen.

Vor diesem Hintergrund war deshalb im Rahmen der Folgenabwägung zunächst ein Behandlungszyklus von zwölf Monaten zuzusprechen, der ggf. verlängert werden kann.

Der hier bejahte Anordnungsanspruch verstößt nicht gegen Vorschriften des Arzneimittelgesetzes (AMG). Die für Deutschland fehlende Verkehrsfähigkeit des Präparats Herceptin schließt die Behandlung nicht aus, weil die unmittelbare Anwendung am Patienten keine Abgabe (eines Heilmittels) im Sinne des AMG darstellt. Der einzelne Arzt ist weder arzneimittelrechtlich noch berufsrechtlich gehindert, bei seinen Patienten auf eigene Verantwortung ein auf dem Markt verfügbares Arzneimittel für eine Therapie einzusetzen (BSG, Urteil vom 19. März 2002 - B 1 KR 37/00 R -, SozR 3-2500 § 31 Nr. 8 = BSGE 89, 184). Wegen eines zeitlich begrenzten Therapieversuchs besteht nicht die Gefahr, dass die hier ausgesprochene Verpflichtung faktisch eine Markteinführung bewirkt und so die Vorschriften des AMG unterläuft (vgl. dazu Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 13. April 2005, L 8 KR 38/05 ER).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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