L 16 Kr 44/97

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 Kr 1/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 Kr 44/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aachen vom 04.03.1997 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsver fahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin von der Beklagten die Übernahme der Kosten für medizinische Fußpflege ab Januar 1996 verlangen kann.

Die 1935 geborene Klägerin erhielt auf Kosten der Beklagten seit Jahren medizinische Fußpflege. Die Beklagte wies die Klägerin in den Jahren 1994 und 1995 wiederholt daraufhin, es handele sich bei der Kostenübernahme um eine Ausnahmeentscheidung ohne Rechtsanspruch. Mit Bescheid vom 09.01.1996 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die Kosten für die medizinische Fußpflege könnten ab Januar 1996 nicht mehr übernommen werden, da es sich nicht um eine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse handele. Auch der verordnende Arzt für Chirurgie T erhielt die Mitteilung, die "medizinische Fußpflege" könne nicht mehr im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung als Heilmittel verordnet werden. Eine Erstattung an die Versicherte könne daher nicht mehr erfolgen.

Die Klägerin beantragte am 05.03.1996 die weitere Kostenübernahme über den 31.12.1995 hinaus. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.03.1996 in der Fassung des Bescheides vom 09.05.1996 ab mit der Begründung: Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkasse habe im Mai 1994 beschlossen, daß "medizinische Fußpflege" nicht mehr im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung als Heilmittel verordnet werden könne. Die Anlage 2 der Heilmittel- und Hilfsmittel-Richtlinien sei entsprechend ergänzt worden. Damit habe der Bundesausschuß klargestellt, daß für pflegerische Maßnahmen am Fuß, auch wenn diese unter erschwerten Bedingungen durchgeführt werden müßten, der Patient selbst zuständig sei und eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse nicht erfolgen könne. Der hiergegen gerichtete Widerspruch, mit dem die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung des Arztes für Chirurgie T vom 24.04.1996 über die Notwendigkeit der Fußpflegemaßnahmen einreichte, wies der Widerspruchsausschuß der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.1996 als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat am 14.01.1997 vor dem Sozialgericht Aachen Klage erhoben und vorgetragen: Sie sei schwerstpflegebedürftig. Ihre Füße seien aufgrund zahlreicher Operationen stark deformiert. Die Behandlung erfolge zur Verhinderung von Infektionen und Wundbildung. Im Falle der Nichtfortsetzung der Fußpflege werde sich medizinische Behandlungsbedürftigkeit einstellen, die weitaus höhere Kosten für die Beklagte verursachen werde.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 04.03.1997 abgewiesen, weil die medizinische Fußpflege gemäß Ziffer 13 der Anlage 2 der Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien seit dem 25.05.1994 nicht mehr zu den Heilmitteln gehöre, die zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden könnten. Eine Ausnahmeentscheidung sei nicht möglich, weil insoweit eine Rechtsgrundlage fehle.

Die Klägerin hat gegen den am 13.03.1997 zugestellten Gerichtsbescheid am 07.04.1997 Berufung eingelegt und vorgetragen: Sie leide wegen Kinderlähmung an poliogeschädigten Füßen beiderseits mit erheblichen Deformitäten nach 16 Operationen. Seit ca. 20 Jahren sei die medizinische Fußpflege notwendig. Dies habe ihr behandelnder Arzt in der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung vom 24.04.1996 bestätigt. Sie könne die Kostenübernahme verlangen. Die medizinische Fußpflege sei ein Heilmittel. Wenn auch die Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien Anlage 2 geändert worden seien, so könne ihnen im vorliegenden Fall nicht gefolgt werden. Bei einem bestehenden Anspruch auf notwendige Behandlung (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) sei eine Ausnahmeentscheidung gegenüber der grundsätzlichen Verbindlichkeit der Richtlinien möglich. Ohne eine fachgerechte medizinische Fußpflege träten die ständig drohenden Infektionen und Wundbildungen auf. Im übrigen sei der Ausschluß der medizinischen Fußpflege in diesem Fall nicht wirtschaftlich, weil es ohne diese Maßnahmen zu einem daraus resultierenden wesentlich höheren ärztlichen Behandlungsbedarf mit entsprechenden Kostenfolgen komme. - Die Klägerin hat zwei Fotos eingereicht, auf denen Teile des rechten Unterschenkels und Fußes (ohne Zehen) sichtbar sind.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aachen vom 04.03.1997 zu ändern und die Bescheide der Beklagten vom 09.01.1996 und 19.03.1996 in der Fassung des Bescheides vom 09.05.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.12.1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für medizinische Fußpflege über den 31.12.1995 hinaus zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den Gerichtsbescheid für zutreffend und ihre angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Zusätzlich verweist sie auf die Verbindlichkeit der durch den Bundesausschuß für Ärzte und Krankenkassen geänderten Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien (Anlage 2 Nr. 13).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten vom 09.01., 19.03. und 09.05.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.12.1996 sind nämlich nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Klägerin kann nämlich von der Beklagten die Kosten für medizinische Fußpflege über den 31.12.1995 hinaus nicht verlangen.

Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf § 13 Abs. 3 SGB V. Danach sind der Versicherten Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung zu erstatten, wenn sie dadurch entstanden sind, daß die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Alternative 1) oder die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Alternative 2). Zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (bei Alternative 1: Unvermögen zur rechtzeitigen Leistung; bei Alternative 2: rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) muß ein Kausalzusammenhang bestehen, ohne den die Bedingung des § 13 Abs. 1 SGB V für eine Ausnahme vom Sachleistungsgrundsatz nicht erfüllt ist (BSG Urteil vom 24.09.1996 - 1 RK 33/95 -). Das bedeutet zunächst, daß die Krankenkasse nur für solche Leistungen aufzukommen hat, die sie auch bei rechtzeitiger bzw. ordnungsgemäßer Bereitstellung der geschuldeten Behandlung hätte gewähren müssen (BSG Beschluss vom 15.04.1997 - 1 BK 31/96 -). Die Beklagte mußte der Klägerin aber in der Zeit ab Januar 1996 die medizinische Fußpflege als Sach- oder Dienstleistung (§ 13 Abs. 1 SGB V) nicht zur Verfügung stellen, so daß ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin bereits hieran scheitert. Die medizinische Fußpflege ist nämlich in der Anlage 2 Nr. 13 der Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien in der seit dem 25.05.1994 gültigen Fassung genannt. Damit gehört sie nach einem entsprechenden Beschluss des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkasse zu den Maßnahmen, die vertragsärztlich nicht als Heilmittel verordnet werden können. Der Ausschluß der Verordnung der medizinischen Fußpflege gilt ohne Ausnahmen und damit auch für einen Fall, in welchem eine Eigenpflege - auch aufgrund sonstiger medizinischer Umstände - nicht möglich ist. Die vorgenannten Richtlinien haben die Qualität von Rechtsnormen. Sie regeln im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V) den Umfang der möglichen Verordnung von Heilmitteln mit bindender Wirkung sowohl für die behandelnden Vertragsärzte als auch für die Versicherten. Der Ausschluß der medizinischen Fußpflege aus dem Bereich der verordnungsfähigen Heilmittel ist von den Gerichten zu beachten. Die Versicherte, die sich eine in den Richtlinien ausgeschlossene Maßnahme auf eigene Rechnung beschafft, kann im Kostenerstattungsverfahren nicht einwenden, die Maßnahme sei gleichwohl zweckmäßig und in ihrem konkreten Fall wirtschaftlich gewesen (vgl. BSG Urteile vom 20.03.1996 - 6 RKa 62/94 -; vom 16.09.1997 - 1 RK 28/95, 17/95, 14/96, 30/95 und 32/95 - nach der bereits vorliegenden Presse-Mitteilung Nr. 61/97; vgl. auch Beschlüsse des Senats vom 13.04.1997 - L 16 Kr 66/96 - und vom 29.09.1997 - L 16 Kr 17/97 -).

Entgegen der Auffassung der Klägerin verstoßen die Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien durch den generellen Ausschluß der medizinischen Fußpflege als Heilmittel nicht gegen § 23 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Diese Vorschrift greift nämlich nicht ein, weil durch die medizinische Fußpflege nicht eine Schwäche der Gesundheit der Klägerin beseitigt wird. Wenn es an einer anderen Körperstelle als dem Fuß der Klägerin, nämlich am Unterschenkel, zu Infektionen und Wundbildungen (vgl. die von der Klägerin eingereichten zwei Fotos) kommt, so kann die Klägerin eine ärztliche Behandlung beanspruchen (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB V). Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß etwaige Infektionen und Wundbildungen durch die medizinische Fußpflege, also die Pflege einer anderen Körperstelle, verhindert werden. In diesem Zusammenhang bezieht sich der Senat auf den von ihm eingeholten Befundbericht vom 07.08.1997. Danach kam es bereits 1987 an der rechten unteren Extremität zu einer Ödembildung und einem großen Ulcus cruris (15 x 40 cm), obgleich zu diesem Zeitpunkt noch medizinische Fußpflege verordnet wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlaß, die Revision zuzulassen, besteht nicht, da die Voraussetzungen gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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