L 1 B 86/06 SF SK

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 6 SF 59/05 SK
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 1 B 86/06 SF SK
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ordnet das Gericht die Beweisaufnahme so an, dass der Sachverständige vor der mündlichen Verhandlung ein schriftliches Gutachten zu übersenden und dieses dann in der anberaumten Verhandlung mündlich zu erläutern hat, ist es notwendig, dass er sich für seinen Vortrag in der Verhandlung eine vollständige Kopie des Gutachtens anfertigt. Die Kosten hierfür trägt die Landeskasse.
Die Beschwerde des Antragsgegners wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Im Verfahren S 6 RJ 374/03 wurde die Antragstellerin mit richterlicher Verfügung vom 10. Juni 2005 zum Verhandlungstermin am 25. August 2005 als medizinische Sachverständige geladen. Die Ladung bezeichnete u. a. den Gegenstand der Vernehmung (fünf Beweisfragen zum Leistungsvermögen des Klägers) und enthielt die Bitte, den Kläger vor der Verhandlung ambulant zu untersuchen. Wie üblich enthielt die Ladung noch folgenden Zusatz:

"Sie werden gebeten, eine schriftliche Zusammenfassung des mündlich zu erstattenden Gutachtens vorzubereiten und die Akten sowie das Gutachten bis ... an das Gericht zurückzusenden."

An diese Vorgaben hielt sich die Antragstellerin. Sie übersandte dem Gericht am 11. August 2005 ein schriftliches "Gutachten" von 16 Seiten mit Original-Unterschrift. Das Schriftwerk wurde am Tag darauf den Beteiligten übersandt. In der mündlichen Verhandlung vom 25. August 2005 erhob die Kammer Beweis zu den in der Ladungsverfügung genannten Beweisfragen. Die Antragstellerin trug die zusammenfassende Beurteilung ihres sowohl dem Gericht als auch den Beteiligten bereits schriftlich vorliegenden Gutachtens vor. Den Beteiligten wurde Gelegenheit gegeben, Fragen an die Antragstellerin zu stellen und das Gutachten zu erörtern. Sodann wurde die Beweisaufnahme geschlossen (Sitzungsniederschrift vom 25. August 2005).

Mit ihrer Kostenrechnung vom 10. August 2005 machte die Antragstellerin u. a. 8,00 &8364; für 16 Kopien geltend. Diesen Posten erkannte die Kostenbeamtin des Sozialgerichts nicht an und entschädigte einen entsprechend geringeren Betrag. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin, weil sie die Kopien ihrer schriftlichen Ausarbeitungen benötigt habe, um ihr mündliches Gutachten erstatten zu können. Das Original habe sich bereits seit ein bis zwei Wochen vor dem Termin im Gericht befunden. Außerdem komme es öfter vor, dass die Beteiligten oder das Gericht Nachfragen hätten. Um diese zu beantworten, müsse sie eine Gutachtenkopie bei ihren Handakten haben.

Nach Schriftwechsel hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 16. Januar 2006 die Kosten festgesetzt. Es hat sich der Meinung des Oberlandesgerichts Stuttgart in dem Beschluss vom 12. September 2005 - 1 Ws 211/05 - mit vollem Wortlaut angeschlossen und die Kosten für 16 Kopien nach § 7 Abs. 2 Satz 1 und 3 JVEG für ersatzfähig erklärt. Die Kammer hat die Beschwerde nach § 4 Abs. 3 JVEG zugelassen.

Zur Begründung seiner rechtzeitig eingelegten Beschwerde hat der Antragsgegner auf den Gesetzeswortlaut des JVEG hingewiesen, der im Gegensatz zum ZSEG einen Ersatz von Gutachtenkopien für die Handakten eines Sachverständigen nicht mehr vorsehe. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie zur Entscheidung dem Landessozialgericht vorgelegt. Der zuständige Einzelrichter hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung das Verfahren auf den Senat übertragen (§ 4 Abs. 7 JVEG). Die Verfahrensakte S 6 RJ 374/03 und die Akte L 1 B 86/06 SF SK haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen. Auf ihren Inhalt wird im Übrigen verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Die Antragstellerin hat unter Berücksichtigung des vom Gericht eingeschlagenen Weges ihrer Vernehmung aus § 7 Abs. 1 Satz 1 JVEG Anspruch auf Vergütung der von ihr gefertigten Fotokopien.

Es trifft zwar zu, dass nach dem JVEG - im Gegensatz zu § 11 Abs. 2 ZSEG - Kopien für die Handakten eines Sachverständigen nicht mehr zu bezahlen sind. Vorliegend geht es aber nicht um Kopien für die Handakten, sondern darum, welche Auslagen für die vom Gericht durchgeführte Art und Weise der Sachverhaltsaufklärung notwendig waren.

Hinsichtlich der Kopien für die Handakten hat der Senat bereits in dem Beschluss vom 21. November 2005 - L 1 SF 22/05 SK - entschieden, dass solche nicht ersatzfähig sind. Jener Entscheidung lag zugrunde, dass die Sachverständige in der Berufungsinstanz eine schriftliche Ergänzung zu einem von ihr erstinstanzlich erstatteten Gutachten abgegeben hat und von diesen ergänzenden Ausführungen Kopien für ihre Handakten zurückbehalten und bezahlt haben wollte. Dieser Anspruch war unberechtigt. Anders ist es aber im vorliegenden Fall, wo ihr § 7 Abs. 1 Satz 1 JVEG als Anspruchsgrundlage zur Seite steht. Das erschließt sich aus der Geschichte, der Systematik und dem Sinn und Zweck der kostenrechtlichen Bestimmungen.

Das ZSEG regelte den Ersatz von Aufwendungen in § 8 durch eine ausdrückliche Aufzählung bestimmter Tatbestände. In § 11 Abs. 1 Satz 1 ZSEG gab es ergänzend eine Auffangvorschrift, wonach auch weitere Aufwendungen ersetzt werden konnten, wenn sie nur notwendig waren. § 11 Abs. 2 ZSEG traf weitere Spezialregelungen u. a. für Ablichtungen. Diese waren zu ersetzen, wenn sie angefordert, notwendig geworden oder für die Handakten eines Sachverständigen angefertigt worden waren. Letztere Bestimmung enthielt in der 2. Alternative (notwendige Ablichtungen) eine an sich überflüssige Regelung. Denn notwendige Kopierkosten waren schon durch § 11 Abs. 1 Satz 1 ZSEG erfasst. Bei der 3. Alternative (Kopierkosten für Handakten) hatte der Gesetzgeber das Notwendigkeitsprinzip durchbrochen. Denn es ist allenfalls sinnvoll, eine Kopie des Gutachtens für die Handakten anzufertigen, um eventuelle Rückfragen beantworten zu können. Notwendig für die Erstattung des Gutachtens sind solche Kosten aber nicht. Insgesamt war das ZSEG von dem Gedanken geprägt, lückenlos alle Aufwendungen eines Sachverständigen zu ersetzen, sofern diese notwendig waren (so auch Hartmann, Kostengesetze, 31. Aufl. § 11 ZSEG Rz. 2).

Das neue Entschädigungsrecht des JVEG hat dieses Prinzip beibehalten, allerdings konsequenter das Notwendigkeitsprinzip durchgesetzt (Hartmann, Kostengesetze, 35. Aufl. § 7 Rz. 2). Der Vergütungsgrundsatz findet sich jetzt in § 8 JVEG, der hinsichtlich des Ersatzes von Aufwendungen zwischen sonstigen und besonderen unterscheidet und dementsprechend auf §§ 7 und 12 JVEG verweist. Nach § 12 JVEG ist der üblicherweise mit einem Gutachten verbundene Aufwand des Sachverständigen mit der Vergütung nach §§ 9 bis 11 JVEG abgegolten, es sei denn, das JVEG bestimmt etwas anderes oder die Tatbestände des Satzes 2 (wortgleiche Aufzählung des alten § 8 ZSEG) greifen ein. Die Auffangvorschrift ist jetzt in § 7 Abs. 1 JVEG zu finden, der systemgerecht im Abschnitt 2 "Gemeinsame Vorschriften" angesiedelt ist. Danach sind die notwendigen baren Auslagen zu ersetzen. § 7 Abs. 2 Satz 3 JVEG übernimmt für Ablichtungen den alten § 11 Abs. 2 ZSEG insofern, als auch die angeforderten Ablichtungen bezahlt werden. Konsequent führt § 7 Abs. 2 Satz 3 JVEG aber die notwendigen Ablichtungen nicht mehr auf, weil diese schon von Abs. 1 Satz 1 erfasst sind. Konsequent sind auch die Kopierkosten für die Handakten nicht mehr ersatzfähig, weil diese für die Gutachtenerstellung an sich nicht notwendig sind.

Der Kostenbeamte hat demnach vier Tatbestandsmerkmale in folgender Reihe zu prüfen: - ob die geltend gemachten Kopierkosten zu dem Aufwand gehören, der üblicherweise mit der Erstattung eines Gutachtens verbun- den ist und infolgedessen durch die Vergütung nach §§ 9 bis 11 JVEG abgegolten ist (hierzu a), - ob die Kosten zu den in § 12 Abs. 1 Satz 2 JVEG aufgeführten gehören (hierzu b), - ob es sich um zusätzliche Ablichtungen handelt, die nach Auf- forderung durch das Gericht gemäß § 7 Abs. 2 Satz 3 JVEG an- gefertigt worden sind (hierzu c), - ob die Kosten nach § 7 Abs. 1 Satz 1 JVEG notwendig gewesen sind (hierzu d).

a) Zu dem Aufwand, der üblicherweise mit der Erstattung eines Gutachtens verbunden ist, gehören die geltend gemachten Kopierkosten nicht. Das Honorar nach §§ 9 bis 11 JVEG vergütet die aufgewandte Zeit und berücksichtigt besonders schwierige Fragestellungen. Vorliegend ist die besondere Art der Gutachtenerstattung zu berücksichtigen, die von der Antragstellerin zu leisten war. Gutachten können in zwei Formen erstattet werden. Erstens dadurch, dass ein komplettes schriftliches Gutachten erstellt wird, zu dem der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung nur noch mündliche Erläuterungen abgibt und Rückfragen des Gerichts und der Beteiligten beantwortet. Das SGG und die ZPO lassen aber auch die Möglichkeit zu, dass der Sachverständige zwar die Untersuchung und Befragung eines Klägers in der Klinik vor dem Termin vornimmt, sich auch hierüber Aufzeichnungen macht, ferner Literatur nachliest und schließlich in dem Verhandlungstermin mündlich sein Gutachten abgibt. In solchen Fällen ist das Gutachtenergebnis im Protokoll festzuhalten oder als schriftliche Zusammenfassung des mündlichen Vortrags in einer Anlage mit Original-Unterschrift des Sachverständigen zum Protokoll zu geben. Letzteres ist hier nicht geschehen. Da das Gutachten schon vor dem Termin mit Original-Unterschrift zu den Akten gelangt ist, hat das Gericht hier ein schriftliches Gutachten eingeholt und dieses im Termin lediglich mit der Sachverständigen erörtert. Entgegen der Ankündigung in der Ladung ist das Gutachten nicht erst im Termin und mündlich erstattet worden. Für die Erstellung eines schriftlichen Gutachtens ist es weder üblich noch notwendig, eine Gutachtenkopie anzufertigen. Das Honorar nach §§ 9 bis 11 JVEG deckt deshalb die Kopierkosten nicht ab.

Das würde im Übrigen auch gelten, wenn die Antragstellerin im Termin ein mündliches Gutachten abgegeben hätte und wenn man das am 8. November 2005 übersandte Schriftwerk als im Voraus angefertigte schriftliche Zusammenfassung des künftigen mündlichen Vortrags ansehen würde. Auch dann würden die Kopierkosten nicht zu dem Aufwand gehören, der nach §§ 9 bis 11 JVEG abgegolten ist.

b) Die geltend gemachten Kopierkosten gehören nicht zu dem Aufwand, der in den Ziffern 1 bis 4 des § 12 Abs. 1 Satz 2 JVEG beschrieben ist.

c) Es handelt sich auch nicht um zusätzliche Ablichtungen, zu denen die Antragstellerin vom Gericht gemäß § 7 Abs. 2 Satz 3 JVEG aufgefordert worden war. Eine solche Aufforderung ist nicht ergangen.

d) Die geltend gemachten Kopierkosten sind jedoch für die besondere Art der Gutachtenerstattung, die das Gericht hier gewählt hatte, im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 JVEG notwendig gewesen. Wie dargelegt, erfolgte die Beweisaufnahme der Kammer in zwei Schritten: Zunächst wurde ein schriftliches Gutachten eingeholt. Sodann erfolgte dessen Erörterung in der mündlichen Verhandlung. Das komplette Beweisergebnis lag erst vor, nachdem diese Erörterungen beendet und die Beweisaufnahme geschlossen war (so die Sitzungsniederschrift). Um diese von ihr abgeforderte Leistung zu erbringen, musste die Antragstellerin den Text ihres schriftlichen Gutachtens in der mündlichen Verhandlung vor sich liegen haben. Wie der Senat aus eigener Erfahrung weiß, geht es bei der Erörterung eines schriftlichen Gutachtens häufig um Formulierungsfragen. Medizinische Erkenntnisse müssen so dargelegt werden, dass sich auch medizinischen Laien verständlich sind. Oft benutzen gerade auch häufig herangezogene medizinische Sachverständige juristische oder berufskundliche Ausdrücke, deren zutreffende Verwendung stets zu diskutieren und ggf. durch Äußerungen zum Protokoll richtig- oder klarzustellen ist. Für diese Arbeit müssen die Beteiligten, das Gericht und auch der medizinische Sachverständige den Wortlaut des schriftlichen Gutachtens vor sich liegen haben. Da die Antragstellerin das Original ihres Gutachtens bereits übersandt hatte, war es also für sie notwendig, sich für die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung eine Kopie davon herzustellen.

In der Ladung heißt es zwar, dass die Antragstellerin "eine schriftliche Zusammenfassung des mündlich zu erstattenden Gutachtens" vorbereiten sollte. Missverständlich geht der Satz aber weiter, dass das "Gutachten" bis zu einem bestimmten Zeitpunkt dem Gericht übersandt werden soll. Selbst wenn das am 11. August 2005 eingegangene Schriftwerk die vorbereitete schriftliche Zusammenfassung des mündlich noch zu erstattenden Gutachtens gewesen sein sollte, ergibt sich keine andere Entscheidung. Auch dann wäre es für die Antragstellerin und das Gericht sowie auch für die Beteiligten notwendig gewesen, bei der mündlichen Gutachtenerstattung den Text der vorbereiteten Zusammenfassung vor sich liegen zu haben. Nur so wäre sichergestellt gewesen, dass sich die mündlichen und die schriftlichen Ausführungen deckten. Ggf. hätte dann die schon schriftlich ausgearbeitete Zusammenfassung ergänzt und klargestellt werden müssen. Es wäre also auch bei dieser Art der Beweisaufnahme notwendig gewesen, eine Kopie der schriftlichen Ausarbeitungen zu fertigen.

Mit dieser Entscheidung schließt sich auch der Senat dem Oberlandesgericht Stuttgart in dem Beschluss vom 12. September 2005 1 Ws 211/05 - an, allerdings nur im Ergebnis. Denn der dort entschiedene Fall betraf Kopien für Handakten. Das Gericht hatte ein schriftliches Gutachten angefordert und offensichtlich nicht von vornherein einen Verhandlungstermin zur Gutachtenerörterung angesetzt. Das OLG hat sich auf § 7 Abs. 2 Satz 3 JVEG und mehr auf Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte für den Fall einer eventuell später erforderlich werdenden Erörterung gestützt. Der vom Landessozialgericht Stuttgart entschiedene Fall (Beschluss vom 8. April 2005 - L 12 SB 1157/05 KO B) ist mit dem anhängigen nicht vergleichbar. Aus dem mitgeteilten Sachverhalt geht hervor, dass es sich offensichtlich um eine Kopie für die Handakten handelte, die das LSG Stuttgart nicht für ersatzfähig gehalten hat. Das Landessozialgericht Hessen hatte sich ebenfalls mit einer Gutachtenkopie für die Handakten eines Sachverständigen zu beschäftigen (Beschluss vom 11. April 2005 L 2/9 SF 82/04). Diese Kopie war vom Gericht nicht angefordert worden und deshalb auch nicht nach § 7 Abs. 2 Satz 3 JVEG zu entschädigen. Die erwähnten Gerichte hatten sich also nicht mit der Besonderheit zu befassen, dass die vom Sozialgericht durchführte Art der Sachverständigenanhörung in zwei Schritten die Gutachtenkopien notwendig machte.

Kosten sind nach § 4 Abs. 8 JVEG nicht zu erstatten.

Die Entscheidung ist unanfechtbar nach § 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG.
Rechtskraft
Aus
Saved