L 4 B 408/05 ER SO

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 56 SO 534/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 B 408/05 ER SO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Dezember 2005 wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Der Antragsteller begehrt im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens die Gewährung eines Kredites aus Sozialhilfemitteln sowie die Begleichung ärztlicher Behandlungskosten und die Übernahme eines Mietrückstandes.

Der 49-jährige Antragsteller ist im 53. Fachsemester als Student der Rechtswissenschaften an der Freien Universität B. eingeschrieben. Er wurde erneut zur Ablegung des schriftlichen Teils des Ersten Juristischen Staatsexamens im April 2006 zugelassen.

Finanziell wird der Antragsteller teilweise von seiner Mutter unterstützt.

Die Antragsgegnerin hatte dem Antragsteller für das dritte Quartal 2004 Krankenhilfe bewilligt. Im September 2004 begab sich dieser in ärztliche Behandlung bei Dr. H ... Die Abrechung für die Behandlung erfolgte nicht unter Verwendung eines entsprechenden Krankenscheins. Hierfür wurden dem Antragsteller vielmehr – wie bei einem Privatpatienten - Euro 155,84 in Rechnung gestellt (Schreiben vom 22.12.04). Die Begleichung dieser Rechnung steht noch aus.

Per 10.10.05 wies das Mietkonto des Antragstellers einen Rückstand von Euro 103,53 zuzüglich Mahngebühren auf – beides nach Angaben des Antragstellers jedoch wahrscheinlich von seiner Mutter inzwischen beglichen. Weitere Mahnungen legte der Antragsteller nicht vor.

Mit Schreiben vom 13.10.05 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Hamburg sinngemäß beantragt, die Antragsgegnerin zur Kreditgewährung in Höhe von Euro 28.000,- – anfangs zuzüglich, später inklusive Euro 8.000,- wegen des bevorstehenden Examens –, zur Übernahme des von Dr. H. in Rechnung gestellten Betrages und des Mietrückstandes zu verpflichten. Mit Beschluss vom 16.12.05 hat das Sozialgericht Hamburg den Antrag abgelehnt. Mit der am 22.12.05 gegen diesen Beschluss eingelegten Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter. Zusätzlich stellt er diverse Befangenheitsanträge gegen Richter.

Der Antragsteller ist der Auffassung, ihm sei ein Kredit in Höhe von Euro 28.000,- aus Sozialhilfemitteln zu gewähren. Zur Begründung fügt er an, der Anspruch ergebe sich aus einer zu Unrecht nicht vorgenommenen Auszahlung von Sozialhilfemitteln seit 1998. Er benötige außerdem für die anstehenden Prüfungen diverse Arbeitsmaterialien, eine Unterkunft in B. sowie angemessene Bekleidung, wofür ebenfalls kreditweise Sozialhilfemittel zu gewähren seien.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 16.12.05 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm aus Sozialhilfemitteln einen Kredit in Höhe von Euro 28.000,-, mindestens jedoch Euro 8.000,- zu gewähren, die Rechnung von Dr. H. vom 22.12.04 zu begleichen und den per 10.10.05 bestehenden Mietrückstand zuzüglich Mahngebühren zu übernehmen.

Er beantragt außerdem,

die Richterin am Sozialgericht Radüge als Richterin der ersten Instanz sowie diejenigen Richter des Landessozialgerichts abzulehnen, die bisher die Richterin am Sozialgericht Radüge nicht abgelehnt haben oder die in vorherigen Verfahren den Anträgen des Antragstellers auf Erlass einstweiliger Anordnungen nicht entsprochen haben.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Grundsätzlich könne der Antragsteller nur Leistungsansprüche aus dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) haben, da bei ihm eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit nicht vorliege. Im Übrigen stünden ihm als Student wegen der Ausschlussregelung § 22 Abs. 1 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) keine laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt zu. Für die Übernahme ärztlicher Behandlungskosten sowie von Mietrückständen sei sie zwar gemäß § 34 SGB XII grundsätzlich zuständig. Im konkreten Fall bestünden jedoch keine Ansprüche. Vor einer Anrufung der Gerichte müsse der Antragsteller seine Ansprüche erst einmal bei der zuständigen Grundsicherungs- und Sozialabteilung geltend machen. Der Antragsteller habe sich trotz der gewährten Krankenhilfe als Privatpatient behandeln lassen, so dass wegen § 18 SGB XII eine Übernahme ausgeschlossen sei. Soweit er geltend machen wolle, ihm habe kein Behandlungsschein für die Inanspruchnahme von Dr. H. zur Verfügung gestanden, würde es an einer Bekanntgabe des Bedarfs gemäß § 48 SGB XII fehlen. Bezüglich des Mietrückstandes sei die Gefährdung des Mietverhältnisses weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Da der Antragsteller offenbar auch einen Umzug nach B. plane, sei die Sicherung seiner Unterkunft in Hamburg nicht erforderlich.

II

1. Das Beschwerdegericht ist nicht an einer Entscheidung über die Beschwerde gehindert. Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers gegen Richter des Landessozialgerichts ist wegen offensichtlicher Unzulässigkeit unbeachtlich. Es ist zu unbestimmt und lässt mangels namentlicher Nennung nicht erkennen, welche Richter des Landessozialgerichts wegen Befangenheit abgelehnt werden sollen. Selbst unterstellt, das Ablehnungsgesuch bezöge sich nur auf die für dieses Beschwerdeverfahren zuständigen Richter des erkennenden Senats, wäre es ebenfalls offensichtlich unzulässig und damit unbeachtlich. Einer formellen Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch bedarf es dann nicht, wenn nicht ein einzelner Richter, sondern ein ganzes Kollegium oder ein ganzes Gericht abgelehnt wird und das Gesuch überhaupt nicht oder nur mit solchen Umständen begründet wird, die eine Besorgnis der Befangenheit unter keinen Umständen rechtfertigen können (BVerwG v. 07.10.87 in NJW 1988, 722). Dies ist hier der Fall. Der Antragsteller richtet sein Ablehnungsgesuch gegen alle Richter, welche seinem Ablehnungsantrag gegen die bisher tätig gewordene erstinstanzliche Richterin nicht stattgegeben oder die in früheren Verfahren seine Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen abgelehnt bzw. seine Beschwerden zurückgewiesen haben. Damit wendet er sich ohne jede Differenzierung gegen jeden Richter, der in der Vergangenheit an einer negativen Entscheidung eines seiner Begehren beteiligt war. Der ungünstige Ausgang früherer Verfahren rechtfertigt nicht die pauschale Ablehnung aller daran beteiligt gewesener Gerichtspersonen.

Soweit der Antragsteller die Richterin am Sozialgericht Radüge wegen Befangenheit ablehnt, ist der erkennende Senat für die Entscheidung nicht zuständig, aber es bedarf auch keiner Weiterleitung an den zuständigen Senat, denn über die Frage einer Befangenheit der Richterin am Sozialgericht Radüge wurde bereits unter dem 06.04.05 (L 1 B 56/05 SE SO) und nochmals unter dem 30. März 2006 (L 1 B 301/05 SE SO) entschieden und dabei festgestellt, dass die Besorgnis der Befangenheit nicht begründet ist. Neue Gesichtspunkte trägt der Antragsteller nicht vor.

Soweit der Antragsteller geltend macht, die Richterin am Sozialgericht Radüge habe den angegriffenen Beschluss wegen der noch offenen Entscheidung über einen gegen sie gerichteten Befangenheitsantrag nicht erlassen dürfen, hat ein eventueller Verfahrensfehler jedenfalls inzwischen keine Auswirkungen mehr, weil der 1. Senat mit Beschluss vom 30. März 2006 (L 1 B 301/05 SE SO) festgestellt hat, dass die Besorgnis der Befangenheit nicht begründet ist.

2. Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen und die es dem Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt hat (§ 174 Sozialgerichtsgesetz – SGG –), bleibt in der Sache ohne Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86 b SGG wegen fehlender Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches abgelehnt.

Soweit der Antragsteller die Kreditgewährung aus Sozialhilfemitteln begehrt, ist der Antrag unzulässig, denn ihm steht ein bereits rechtskräftiger Beschluss des Landessozialgerichts Hamburg vom 20.04.05 (L 3 B 91/05 ER SO) entgegen. Auch im Eilverfahren erwachsen ablehnende Beschlüsse, wenn gegen sie kein Rechtsmittel mehr zulässig ist, in Rechtskraft. Dies ist hier der Fall, denn gemäß § 177 SGG besteht gegen Beschlüsse des Landessozialgerichts grundsätzlich keine Anfechtungsmöglichkeit. Ein gleichlautender erneuter Antrag ist nur dann zulässig, wenn sich die entscheidungserheblichen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse geändert haben. Der hier vorliegende Antrag entspricht dem Antrag, der schon Gegenstand des mit Beschluss des Landessozialgerichts vom 20.04.05 abgeschlossenen Verfahrens gewesen ist. Eine Änderung der maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse ist seitdem nicht eingetreten. Die erneute Zulassung zur Prüfung ist keine solche Änderung.

Selbst wenn die erneute Zulassung des Antragstellers zur Ablegung des Ersten Juristischen Staatsexamens als Änderung der tatsächlichen Verhältnisse aufzufassen wäre, scheiterte der Anspruch aus materiellen Gründen. Zunächst ist nach eigenem Vortag des Antragstellers unklar, ob er gesundheitlich zur Teilnahme am Prüfungstermin in der Lage ist, so dass schon aus diesem Grunde der geltend gemachte Bedarf für auswärtige Unterbringung, Kleidung und Prüfungsmaterialien fraglich ist und es für eine einstweilige Anordnung an der erforderlichen Dringlichkeit fehlt. Letztlich steht jedoch § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII dem Begehren des Antragstellers entgegen. § 8 SGB XII beschreibt den Leistungskatalog der Sozialhilfe, wobei nach dem Vortrag des Antragstellers allenfalls die Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 8 Nr. 1 SGB XII in Frage kommt. Der Antragsteller gehört jedoch nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis. Gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB XII erhalten Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) dem Grunde nach förderungsfähig ist, keine Hilfe zum Lebensunterhalt. Der Antragsteller betreibt ein Studium der Rechtswissenschaften im 53. Fachsemester an der Freien Universität B ... Diese Ausbildung ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 6 BAföG dem Grunde nach förderungsfähig. Dass der Antragsteller tatsächlich keine Leistungen nach dem BAföG erhält, ist unbeachtlich, da es nur auf den abstrakten Charakter der Ausbildung – hier Hochschulstudium – ankommt. Es liegt auch kein besonderer Härtefall nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII vor, der die Gewährung von Sozialhilfe ausnahmsweise als Beihilfe oder in Form eines Darlehens zulässt. Ein solcher Härtefall ist nur dann gegeben, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehe, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden und vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden ist (BVerwG 14.10.93, BVerwGE 94, 224, 228). Hilfebedürftige, die eine förderungsfähige Ausbildung absolvieren, aber nach den dafür vorgesehenen Leistungsgesetzen nicht (mehr) gefördert werden, sind in der Regel gehalten, von der Ausbildung ganz oder vorübergehend Abstand zu nehmen, um für die Dauer der Hilfebedürftigkeit den Ausschluss von der Hilfe zum Lebensunterhalt abzuwenden. Dies entspricht dem Anliegen des Gesetzgebers, nach dem die Sozialhilfe keine verkappte Ausbildungsförderung darstellen darf. Nach mehr als 26-jähriger Studiendauer stellt es für den Antragsteller keine unzumutbare Härte dar, das Studium aufzugeben und sich einer Erwerbstätigkeit zuzuwenden.

Der Antragsteller dringt auch nicht mit seinem Antrag auf Begleichung der Behandlungskosten bei Dr. H. durch. Es fehlt bereits am Anordnungsanspruch. Zwar ist die Antragsgegnerin gemäß § 48 SGB XII grundsätzlich zur Gewährung von Leistungen zur Krankenbehandlung verpflichtet, denn insoweit greift der Leistungsausschluss des § 22 SGB XII nicht. Nach § 18 SGB XII setzt die Sozialhilfe jedoch erst ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe bekannt wird, dass die Leistungsvoraussetzungen vorliegen. Hieraus folgt, dass eine Hilfe für die Vergangenheit nicht beansprucht werden kann. Früher bestehende Bedarfe können sozialhilferechtlich nicht mehr berücksichtigt werden. Ihrer grundsätzlichen Verpflichtung ist die Antragsgegnerin dadurch gerecht geworden, dass sie dem Antragsteller einen Behandlungsschein für die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe ausgestellt hat. Einen zusätzlichen privatärztlichen Behandlungsbedarf hat der Antragsteller bei ihr nicht geltend gemacht, sondern erst im Nachhinein im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens mitgeteilt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass dem Antragsteller gegenüber der Praxis Dr. H. Schulden in Höhe der Behandlungskosten erwachsen sind, denn Schulden, die vor dem Bekanntwerden des Bedarfsfalls entstehen, sind grundsätzlich nicht mit Mitteln der Sozialhilfe zu tilgen (Rothkegel, Sozialhilferecht, 2005, Kap. 17 Rn 12). Dies ergibt sich auch aus einem Umkehrschluss zu § 34 SGB XII, wonach nur ganz bestimmte Schulden, nämlich wenn sie im Zusammenhang mit der Sicherung von Wohnraum stehen oder vergleichbar sind, im Ausnahmefall vom Sozialhilfeträger übernommen werden können. Für anderweitige Verbindlichkeiten besteht eine entsprechende Regelung nicht.

Für die vom Antragsteller begehrte Übernahme der ausstehenden Miete fehlt es ebenfalls an einem Anordnungsgrund. Die Übernahme von Mietschulden gemäß § 34 SGB XII gehört zur Hilfe zum Lebensunterhalt. Wie oben bereits dargelegt, scheitert ein Anspruch auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt an der Ausschlussregelung des § 22 SGB XII.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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