Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 8 KR 53/06 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes liegt ein Anordnungsanspruch auf Bewilligung eines Arzneimittels ("Herceptin") auch dann vor, wenn dieses nicht zugelassen ist, herkömmliche Behandlungsmaßnahmen ausgeschöpft sind bzw. nicht zur Verfügung stehen und durch das Arzneimittel eine begründete Aussicht auf Besserung der lebensgefährdenden Erkrankung besteht.
I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin vorläufig bis zur Entscheidung der nach Abschluss des Vorverfahrens noch anhängig zu machenden Hauptsache das Arzneimittel "Hercep-tin" als Sachleistung zur Verfügung zu stellen, sofern dieses vertragsärztlich verordnet wird.
II. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die vorläufige Versorgung mit einem Arzneimittel.
Die ... geborene Antragstellerin leidet an einem Mammakarzinom links. Nach opera-tiver Primärtherapie in Form einer Mastektomie mit Primärrekonstruktion unterzog sie sich im ... Klinikum " ... vom 26.05. bis 23.09.2005 einer Chemotherapie. Auf-grund einer ungünstigen Prognose bei multizentrischem Mammakarzinom links wurde die Antragstellerin in die GAIN-Studie eingeschlossen. Nach Abschluss der Maßnahme bean-tragte der Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Prof. Dr. K ...,am 14.10.2005 die Kostenübernahme für eine Herceptin-Therapie. Die zusätzliche Behand-lung mit diesem Medikament über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr in Form einer wöchentlichen oder alternativ 3-wöchentlichen Gabe sei indiziert. Die Voraussetzun-gen für einen "Off-Label-Use" seien gegeben.
Die Antragsgegnerin holte daraufhin vom medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MdK) Sachsen ein Gutachten ein. Dr. H ... führte in seinem Gutachten vom 23.12.2005 aus, dass die Datenlage nicht ausreiche und ein Einsatz aus sozialmedizinischer Sicht nicht empfohlen werden könne, wenngleich Herceptin ein in Deutschland zugelassenes und ver-kehrsfähiges Arzneimittel sei und in Eigenverantwortung des behandelnden Arztes im Rahmen seiner Therapiefreiheit verordnet werden könne.
Durch Bescheid vom 09.01.2006, dem keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt worden war, lehnte die Antragsgegnerin unter Bezugnahme auf das Gutachten des MdK die Kos-tenübernahme ab. Zwar liege eine lebensbedrohliche Erkrankung vor; die übliche Behand-lung der Erkrankung erfolge jedoch durch operative Maßnahmen im Zusammenhang mit Bestrahlung und Chemotherapie. Die Überlegenheit der Trastuzumab-Therapie bei einer Gruppe im Vergleich zu einer Kontrollgruppe (mit Anthrazykline als auch Taxane) habe nicht belegt werden können. Die bisher verfügbaren Daten sprächen gegen den Nutzen einer Gabe von Trastuzumab nach Abschluss einer adjuvanten Therapie mit Anthrazykli-nen (Epirobecin) und Taxanen (Taxol).
Hiergegen legte die Antragstellerin 10.02.2006 Widerspruch ein. Die Brustkrebserkran-kung sei lebensbedrohlich und beeinträchtige ihre Lebensqualität nachhaltig. Die vorge-schlagenen Therapiemaßnahmen seien bereits durchgeführt worden. Alternativen zu einer adjuvanten Behandlung mit Herceptin gebe es nicht. Die adjuvante Herceptin-Therapie stelle eine wissenschaftlich anerkannte Therapieoption dar. Hierzu gäbe es vier große, ran-domisierte Phase III-Studien. 2 US-amerikanische Studien und die weltweit durchgeführte HERA-Studie seien ausgesprochen positiv ausgefallen. Nach übereinstimmender Einschätzung wissenschaftlicher Kreise sei der adjuvante Einsatz von Herceptin zur Behandlung von Brustkrebspatientinnen gerechtfertigt, was auch durch Pres-severöffentlichungen belegt sei.
Die Antragstellerin hat deswegen am 17.02.2006 beim Sozialgericht Leipzig vorläufigen Rechtsschutz begehrt. Da sie an einem multizentrischen Mammakarzinom leide, sei sie Hochrisikopatientin. Deswegen sei eine adjuvante Therapie mit dem Arzneimittel Hercep-tin erforderlich, damit Rezidive vermieden würden und die Überlebenszeit verlängert wer-den könne. Der Einsatz von Herceptin in der Lage der Antragstellerin entspreche dem ak-tuellen Stand medizinischen Wissens und dem Konsens der einschlägigen Fachkreise. Der Behandlungs- und Überlebensvorteil sei auch durch eine spätere Behandlung nicht in glei-chem Maße gegeben bzw. nicht nachholbar. Sie und ihrem Ehemann, die 3 Kinder hätten, seien nicht in der Lage, die Kosten für eine derartige Behandlung vorzufinanzieren. Um eine Verschlechterung der Krankheitssituation zu verhindern, sei eine umgehende Behand-lung dringend erforderlich. Es sei ihr nicht zuzumuten, die Entscheidung über den Wider-spruch abzuwarten.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, der Antragstellerin das Arzneimit-tel Herceptin bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache als Sachleistung zur Verfügung zu stellen, soweit ihr dieses vertragsärztlich verordnet wird.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Verordnung von Arzneimitteln außerhalb der zugelassenen Indikation sei im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung grundsätzlich nicht möglich. Dies gelte auch bei regel-mäßiger Verordnung als Therapieversuch außerhalb klinischer Studien. Der MdK sei nach eingehender Prüfung und Rücksprache mit dem Kompetenz-Centrum Onkologie zu der Schlussfolgerung gelangt, dass nicht in jedem Fall von einem Benefit der Herceptin-Behandlung im Vergleich zu anderen Behandlungsalternativen ausgegangen werden kön-ne. Es gebe anerkannte Therapieoptionen mit der Chance auf Heilung oder auf eine spürba-re positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Daher scheide eine Kassenleistung auch in Anbetracht drohender Nebenwirkungen aus. Ferner fehle es an einem Anordnungsgrund, da zugelassene Chemotherapie-Schemata zur Verfügung stünden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Aktenin-halt, eine Gerichtsakte sowie ein Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin, Bezug ge-nommen.
II.
Der statthafte und zulässige Antrag ist begründet. Das Gericht kann nach Maßgabe des § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streiti-ges Rechtverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Da die Antragstellerin die Kostenübernahme für eine Therapie mit dem Arzneimittel "Her-ceptin" begehrt, erstrebt sie vorläufigen Rechtsschutz entsprechend § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Denn anders als bei einer sogenannten Sicherungsanordnung (§ 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG), bei der die Sicherung eines status quo im Vordergrund steht, geht es bei einer soge-nannten Regelungsanordnung, wie im vorliegenden Fall, um die Begründung einer neuen Rechtsposition.
Für die Regelungsanordnung sind (ebenso wie nach § 123 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsord-nung (VwGO) i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)) der durch die einstweilige Anordnung zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) und der Grund, weshalb die einstweilige Anordnung ergehen soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen.
Die Voraussetzungen für einen Anordnungsanspruch sind im Falle der Vorwegnahme der Hauptsache nur glaubhaft gemacht, wenn eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für das Ob-siegen im Hauptsacheverfahren besteht (so: OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.08.1992, DVBl. 93, 66). Andererseits muss die Anwendung des vorläufigen Rechts-schutzes unter Beachtung des jeweils betroffenen Grundrechtes und des Erfordernisses des effektiven Rechtsschutzes aus Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) erfolgen. Dann müssen jedoch gewichtige Anhaltspunkte dafür sprechen, dass das Rechtsmittel in der Hauptsache aller Voraussicht nach erfolgreich sein wird (BVerfG, Beschluss vom 25.10.1988, NJW 89, 827).
Nimmt der Erlass der einstweiligen Anordnung die Hauptsache aber vorweg, sind an die Prognose der Erfolgsaussichten besondere Anforderungen zu stellen. Denn mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung darf grundsätzlich nicht etwas begehrt und im gerichtlichen Verfahren zugesprochen werden, was als Vorgriff auf den im Hauptsachever-fahren geltend zu machenden Anspruch anzusehen ist, weil das Gericht dem Wesen und dem Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend die Grenzen der vorläufigen Rege-lung grundsätzlich nicht überschreiten und damit das im Verwaltungs- und Klageverfahren verfolgte Ziel nicht vorwegnehmen darf (Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 123 Rdnr. 13 ff).
Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes kann mit der einstweiligen Anordnung die Hauptsache ausnahmsweise nur vorweggenommen werden, wenn ohne die einstweilige Anordnung schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile für den An-tragsteller entstehen (BVerfGE 46, 166 ff). Die Entscheidung, ob in Anbetracht der beson-deren Umstände des Falles ausnahmsweise durch die einstweilige Anordnung die Hauptsa-che vorweggenommen werden darf, hängt damit wesentlich von der Bedeutung und Dring-lichkeit des Anspruches und der Größe sowie Irreparabilität des Schadens für den An-tragsteller bzw. die Allgemeinheit ab. Für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichtes maßgeblich (BVerfGE 42, 299).
Hier besteht einer hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache. Zwar ist durch die einstweilige Anordnung grundsätzlich eine Vorwegnahme der Hauptsa-che unzulässig; im Hinblick auf die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes nach Arti-kel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) ist hier indes eine Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig. Die sonst für die Antragstellerin zu erwarten-den Nachteile wären unzumutbar; insbesondere steht zu befürchten, dass andernfalls die Entscheidung in der Hauptsache höchstwahrscheinlich zu spät käme. Wenn jedoch das Recht des Antragstellers vereitelt werden könnte oder ihm aus sonstigen Gründen eine bloß vorläufige Regelung nicht zumutbar wäre, kann ausnahmsweise eine Vorwegnahme der Hauptsache, insbesondere eine endgültige Befriedigung des geltend gemachten Anspru-ches erfolgen.
Vorliegend hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen ver-mocht. Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krank-heitsbeschwerden zu lindern (§ 27 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V)). Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung müssen nach § 12 Abs. 1 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.
Laut Antragstellung von Prof. Dr. K ... vom 14.10.2005 ist die Polychemotherapie bereits abgeschlossen. Prof. Dr. K ... wies bei Antragstellung darauf hin, dass die Antragstellerin Hochrisiko-Patientin sei, und es keine weiteren alternativen Behandlungsmöglichkeiten mit einem zugelassenen Antikörper gebe. Dass – entgegen der Rechtsauffassung der An-tragsgegnerin – für die Behandlung der Antragstellerin weitere "zugelassene Chemothera-pie-Schemata" zur Verfügung stehen sollen, steht nach der – im vorläufigen Rechtsschutz-verfahren nur gebotenen und möglichen – summarischen Betrachtungsweise für das Ge-richt nicht fest. Vielmehr hat der behandelnde Arzt selbst ausgeführt, dass die Polychemo-therapie abgeschlossen sei.
Nach § 31 Abs. 1 SGB V haben Versicherte grundsätzlich nur Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit sie in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähig sind. Unstreitig besitzt Herceptin für die Anwendung bei Brustkrebspati-entinnen weder die deutsche noch eine europaweite Zulassung. Anders als bei konventio-nellen Chemotherapien werden gesunde Zellen hierbei nicht in Mitleidenschaft gezogen. Ebenso unstreitig ist die Erweiterung der Zulassung noch nicht beantragt worden, selbst wenn Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung vorliegen, die eine entsprechende Wirksamkeit, auch außerhalb der arzneimittelrechtlichen Indikation, auf onkologischem Gebiet belegen sollen.
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 19.03.2002, Az.: B 1 KR 37/00 R) kommt die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwen-dungsgebiet aber nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit dieses angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die er-warten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Studien liegen für das Krankheitsbild der Antragstellerin vor, selbst wenn deren wis-senschaftliche Qualität vom MDK und der Antragsgegnerin in Zweifel gezogen worden sind. Es würde indes die - im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes und ohne sachverständi-ge Mithilfe dem Gericht eingeräumten - Möglichkeiten sprengen, in dieser medizinwissen-schaftlichen Auseinandersetzung Position zu beziehen.
Trotz insoweit fehlender arzneimittelrechtlicher Zulassung und unter Beachtung des be-troffenen Grundrechtes ist dennoch eine Kostenübernahme für die adjuvante Therapie mit Herceptin angezeigt. Das erkennende Gericht hat im Falle einer inhalativen Applikation statt der arzneimittelrechtlich zugelassenen intravenösen und später dann subcutanen Injek-tion entschieden, dass zwar grundsätzlich im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG zum sogenannten "Off-Label-Use" auch die Darreichungsform ein Zulassungskriterium ist. Eine davon ab-weichende Applikation umfasst damit grundsätzlich nicht den von der Zulassung des Arz-neimittels gedeckten Bereich (Beschluss vom 07.05.2003, Az: S 8 KR 9/03 ER; vgl. auch: BSG, wie vor; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 19.08.2002, Az: L 1 B 66/02 KR ER). Gleichwohl hat es unter Güterabwägung der Form der Anwendung im Hinblick auf die Schwere der Erkrankung keine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen (ebenso: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25.06.2002, Az: L 4 KR 90/02 ER). Dies liegt darin begründet, dass - wenn nach der vorgenannten Rechtsprechung des BSG unter bestimmten Voraussetzungen eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversi-cherung für Fertigarzneimittel besteht, die für Anwendungsgebiete verordnet werden, auf die sich die Zulassung nicht erstreckt - dies erst recht gelten muss für Arzneimittel, die zwar in einer anderen Form, aber doch in dem Anwendungsbereich, für den sie zugelassen sind, eingesetzt werden. Hier handelt es sich unstreitig um ein arzneimittelrechtlich zuge-lassenes Arzneimittel außerhalb der vorgeschriebenen Indikation.
Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes, der das Gericht im Grund-satz folgt, ein zugelassenes Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der Krankenversi-cherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt; hiervon kann jedoch ausnahmsweise abgewichen werden, wenn es bei einer schweren Krankheit keine Behandlungsalternative gibt und nach dem Stand der wissen-schaftlichen Erkenntnis die begründete Aussicht besteht, dass mit dem Medikament ein Behandlungserfolg erzielt werden kann (BSG, Urteil vom 19.03.2002, Az: B 1 KR 37/00 R). Denn in Anbetracht der Schwere der Erkrankung und der unstreitig lebensbe-drohlichen Brustkrebserkrankung ist der Antragstellerin nicht zuzumuten, den Erfolg mög-licher weiterer Studien abzuwarten. Versicherte haben indes einen Rechtsanspruch auf Linderung ihrer Leiden und auf eine, den weiteren Krankheitsverlauf aufhaltende, Behand-lung. Dies gilt selbst dann, wenn die Auswirkungen von Herceptin auf Brustkrebspatien-tinnen noch nicht mit letzter Konsequenz wissenschaftlich fundiert nachgewiesen worden sein sollten.
Maßgeblich ist für das Gericht insgesamt eine Folgenabwägung: Abzuwägen ist zwischen einer - zwar nach den vorgenannten Maßstäben wissenschaftlich möglicherweise noch nicht nachgewiesenen, nach Auskunft der behandelnden Klinik aber erfolgversprechenden - Behandlung mit einer adjuvanten Therapie unter Herceptin einerseits und einer risikobe-hafteten und nach Auskunft des " ..." – Krankenhauses abgeschlossenen und damit auf Dauer wahrscheinlich wirkungslosen fortgesetzten Bestrahlung andererseits. Hier über-wiegt das Interesse der Antragstellerin auf Inanspruchnahme der Therapie, zumal nach den von ihr angeführten Studien und wissenschaftlichen Unterlagen ernsthafte Gesichtspunkte für die beantragte Therapie sprechen. Nach der beigefügten Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) der Professoren Drs. P ..., E ... und F ...vom 21.06.2005 werde insgesamt "vom wissenschaftlichen Standpunkt her" Pati-entinnen mit Brustkrebs und erb-B2-Überexpression eine mindestens einjährige adjuvante Behandlung mit Trastuzumab (Herceptin) angeraten. In fast allen Parametern (krankheits-freies Überleben, rückfallfreies Überleben und metastasenfreies Überleben) sei das Rück-fallrisiko durch den Einsatz von Herceptin auf die Hälfte verringert worden. Prinzipiell vergleichbare Ergebnisse hätten auch 2 amerikanische randomisierte Studien an 3351 Pati-entinnen ergeben. Auch hier hätten sich signifikante Verbesserungen des krankheitsfreien Überlebens und insbesondere auch des Gesamtüberlebens bereits früh in einer noch sehr kurzen Nachbeobachtungszeit gezeigt. Im Vergleich zur HERA-Studie hätten die US-Studien die Wirksamkeit bei gleichzeitiger Paclitaxel- und Herceptingabe leicht erhöht. Das krankheitsfreie Überleben war so um 52 %, bei HERA um 46 %, verbessert worden. Aufgrund dieser Datenlage empfehlen sie den Einsatz von Herceptin. Dies Ergebnis wird auch gestützt von einem im Auftrag der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin er-stellten Gutachten von Prof. Dr. U ..., Chefarzt der Frauenklinik und Leiter des Brustzent-rums im Klinikum ..., ..., vom 09.02.2006. Dieser konnte zu-sammenfassend die adjuvante Therapie für die Gesamtdauer von 52 Wochen nach abge-schlossener Chemotherapie uneingeschränkt empfehlen. Deren Situation entspreche genau den Einschlusskriterien der HERA-Studie, die einen signifikanten, beträchtlichen Benefit durch die Hinzunahme der Antikörpertherapie gezeigt habe. Somit erscheint dem Gericht bei vorläufiger Würdigung im Eilrechtsschutz der beantragte Einsatz von Herceptin im Falle der Antragstellerin gerechtfertigt.
Dieses Ergebnis wird ferner gestützt durch die neuere Rechtsprechung des Bundesverfas-sungsgerichts (vgl.: Beschluss vom 06.12.2005, Az: 1 BvR 347/98). Danach hat sich die Gestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung an der objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechts-güter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG), d.h. die Grundrechte auf Leben und kör-perliche Unversehrtheit, zu stellen (BVerfGE 46, 160 (164)). Es ist demzufolge mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedroh-liche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwir-kung auf den Krankheitsverlauf besteht (BVerfG, Beschluss, a.a.O.). Denn der Schutz des Einzelnen in Fällen von Krankheit ist in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes eine Grundaufgabe des Staates. Dieser ist der Gesetzgeber dadurch nachgekommen, indem er durch Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung als öffentlich-rechtlicher Pflichtversicherung für den Krankenschutz eines Großteils der Bevölkerung, Sorge getra-gen und die Art und Weise der Durchführung dieses Schutzes geregelt hat (BVerfGE 68, 193 (209)). Mit dieser Versicherungsform wird auch einkommensschwachen Bevölke-rungsteilen ein voller Krankenversicherungsschutz zu moderaten Beiträgen ermöglicht (BVerfGE 103, 172 (185)).
Wenngleich die Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots nach § 12 SGB V nicht zu bean-standen ist und ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf bestimmte Leistungen der Kran-kenbehandlung nicht besteht, muss die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende, Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen. Nach fachmedizinischer Einschätzung von Prof. Dr. K ..., an der zu zweifeln das Gericht keine Veranlassung sieht, ist die beantragte Herceptin-Behandlung ohne alternative Behandlungsmöglichkeit. Nach summarischer Prüfung war festzustellen, dass die vom behandelnden Arzt nach gewissenhafter fachlicher Einschätzung vorgenommene oder vom ihm beabsichtigte Behandlung ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Erfolg der Heilung oder auch nur auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall ergeben.
So verweist auch das Bundesverfassungsgericht (vgl. Beschluss, wie vor) darauf, dass auf die Wirksamkeit einer Behandlungsmethode im Einzelfall jedenfalls bei seltenen Krank-heiten abzustellen ist. Nach § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V kann der Vertragsarzt Arzneimittel, die auf Grund der Richtlinie nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise dennoch in medizinisch begründeten Einzelfällen verordnen. Die Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts, wonach die Übernahme der Kosten durch die gesetzlichen Krankenkassen auch in den Fällen einer lebensbedrohlichen oder vorhersehbar tödlich verlaufenden Krankheit ausgeschlossen seien, für die eine dem allgemein anerkannten medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethode nicht existiere (so: BSGE 86, 54 (66)), steht mithin nicht im Einklang mit dem Grundgesetz.
Zwar verlieren demzufolge die Zulassungsvorschriften zu einem erheblichen Teil ihre Be-deutung, wenn in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Erweiterung der Anwen-dungsgebiete eines Arzneimittels ohne Zulassung im Verfahren nach § 35 Abs. 2 SGB V erreicht werden kann; mithin könnten sich die Hersteller den Aufwand und die Kosten ei-nes neuen Zulassungsverfahrens ersparen. Gleichwohl hat auch das BSG darauf abgeho-ben, dass in der medizinischen Diskussion weitgehende Einigkeit darüber besteht, dass in bestimmten Versorgungsbereichen und bei einzelnen Krankheitsbildern auf einen, die Zu-lassungsgrenzen überschreitenden, Einsatz von Medikamenten nicht völlig verzichtet wer-den kann. Andernfalls würde den Patienten eine dem Stand der medizinischen Erkenntnis-se entsprechende Behandlung vorenthalten. Für einen Gebrauch außerhalb der zugelasse-nen Indikation im engeren Sinne wird ein Bedarf gesehen, etwa bei ernsten, lebensbedro-henden Krankheiten wie Krebs oder Aids oder bei einem mit schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Schmerzen verbundenen Leiden, das wegen fehlender therapeuti-scher Alternative nicht wirksam behandelt werden kann.
So liegt der Fall hier. Da die Antragsgegnerin letztlich nicht in der Lage war, effektive andere Behandlungsalternativen im Falle der Antragstellerin zu benennen, lediglich ein vom behandelnden Krankenhaus für abgeschlossen erklärtes und von MdK und Antrags-gegnerin nicht näher konkretisiertes zugelassenes "Chemotherapie-Schemata", besteht zu Gunsten der Antragstellerin ein Rechtsanspruch auf Leistung. Im Falle der Verordnung bleiben der Beklagten im Übrigen mögliche Regressansprüche erhalten (vgl. dazu auch: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 24.06.2002, Az: S L 5 B 22/02 KR ER). Wegen der Schwere der Erkrankung der Antragstellerin und der daraus resultierenden besonderen Dringlichkeit eines Therapiebeginns wären die Folgen einer ablehnenden Entscheidung für sie von besonderem, in der Lebensqualität erheblich beeinträchtigenden Gewicht. Eine weiter fortschreitende Erkrankung ist nach der, auch von der Antragsgegnerin nicht in Zweifel gezogenen, Einschätzung des behandelnden Arztes zumindest wahrscheinlich. Da nach den angegebenen wissenschaftlichen Studien eine, die weitere Krebserkrankung auf-haltende und möglicherweise heilende, Wirkung durch eine Therapie mit Herceptin er-reicht werden kann, war die Antragsgegnerin vorläufig zur Kostenübernahme zu verpflich-ten. Mithin ist der Erlass einer bestimmten Regelung zur Gewährung effektiven Rechts-schutzes schlechterdings notwendig (vgl. dazu: Kopp/Schenke a.a.O., § 123 Rdnr. 4 m.w.N.), andernfalls käme eine Entscheidung in der Hauptsache höchstwahrscheinlich zu spät.
Zudem ist eine besondere Dringlichkeit, die das Gericht zum Erlass einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, mit der erforderlichen Sicherheit dargetan. Es besteht die Gefahr einer gesundheitlichen Verschlechterung der lebensgefährdenden Erkrankung ohne die vorläufige Bewilligung der beantragten Maßnahme. Daher besteht vorliegend auch ein Anordnungsgrund.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
II. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die vorläufige Versorgung mit einem Arzneimittel.
Die ... geborene Antragstellerin leidet an einem Mammakarzinom links. Nach opera-tiver Primärtherapie in Form einer Mastektomie mit Primärrekonstruktion unterzog sie sich im ... Klinikum " ... vom 26.05. bis 23.09.2005 einer Chemotherapie. Auf-grund einer ungünstigen Prognose bei multizentrischem Mammakarzinom links wurde die Antragstellerin in die GAIN-Studie eingeschlossen. Nach Abschluss der Maßnahme bean-tragte der Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Prof. Dr. K ...,am 14.10.2005 die Kostenübernahme für eine Herceptin-Therapie. Die zusätzliche Behand-lung mit diesem Medikament über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr in Form einer wöchentlichen oder alternativ 3-wöchentlichen Gabe sei indiziert. Die Voraussetzun-gen für einen "Off-Label-Use" seien gegeben.
Die Antragsgegnerin holte daraufhin vom medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MdK) Sachsen ein Gutachten ein. Dr. H ... führte in seinem Gutachten vom 23.12.2005 aus, dass die Datenlage nicht ausreiche und ein Einsatz aus sozialmedizinischer Sicht nicht empfohlen werden könne, wenngleich Herceptin ein in Deutschland zugelassenes und ver-kehrsfähiges Arzneimittel sei und in Eigenverantwortung des behandelnden Arztes im Rahmen seiner Therapiefreiheit verordnet werden könne.
Durch Bescheid vom 09.01.2006, dem keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt worden war, lehnte die Antragsgegnerin unter Bezugnahme auf das Gutachten des MdK die Kos-tenübernahme ab. Zwar liege eine lebensbedrohliche Erkrankung vor; die übliche Behand-lung der Erkrankung erfolge jedoch durch operative Maßnahmen im Zusammenhang mit Bestrahlung und Chemotherapie. Die Überlegenheit der Trastuzumab-Therapie bei einer Gruppe im Vergleich zu einer Kontrollgruppe (mit Anthrazykline als auch Taxane) habe nicht belegt werden können. Die bisher verfügbaren Daten sprächen gegen den Nutzen einer Gabe von Trastuzumab nach Abschluss einer adjuvanten Therapie mit Anthrazykli-nen (Epirobecin) und Taxanen (Taxol).
Hiergegen legte die Antragstellerin 10.02.2006 Widerspruch ein. Die Brustkrebserkran-kung sei lebensbedrohlich und beeinträchtige ihre Lebensqualität nachhaltig. Die vorge-schlagenen Therapiemaßnahmen seien bereits durchgeführt worden. Alternativen zu einer adjuvanten Behandlung mit Herceptin gebe es nicht. Die adjuvante Herceptin-Therapie stelle eine wissenschaftlich anerkannte Therapieoption dar. Hierzu gäbe es vier große, ran-domisierte Phase III-Studien. 2 US-amerikanische Studien und die weltweit durchgeführte HERA-Studie seien ausgesprochen positiv ausgefallen. Nach übereinstimmender Einschätzung wissenschaftlicher Kreise sei der adjuvante Einsatz von Herceptin zur Behandlung von Brustkrebspatientinnen gerechtfertigt, was auch durch Pres-severöffentlichungen belegt sei.
Die Antragstellerin hat deswegen am 17.02.2006 beim Sozialgericht Leipzig vorläufigen Rechtsschutz begehrt. Da sie an einem multizentrischen Mammakarzinom leide, sei sie Hochrisikopatientin. Deswegen sei eine adjuvante Therapie mit dem Arzneimittel Hercep-tin erforderlich, damit Rezidive vermieden würden und die Überlebenszeit verlängert wer-den könne. Der Einsatz von Herceptin in der Lage der Antragstellerin entspreche dem ak-tuellen Stand medizinischen Wissens und dem Konsens der einschlägigen Fachkreise. Der Behandlungs- und Überlebensvorteil sei auch durch eine spätere Behandlung nicht in glei-chem Maße gegeben bzw. nicht nachholbar. Sie und ihrem Ehemann, die 3 Kinder hätten, seien nicht in der Lage, die Kosten für eine derartige Behandlung vorzufinanzieren. Um eine Verschlechterung der Krankheitssituation zu verhindern, sei eine umgehende Behand-lung dringend erforderlich. Es sei ihr nicht zuzumuten, die Entscheidung über den Wider-spruch abzuwarten.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, der Antragstellerin das Arzneimit-tel Herceptin bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache als Sachleistung zur Verfügung zu stellen, soweit ihr dieses vertragsärztlich verordnet wird.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Verordnung von Arzneimitteln außerhalb der zugelassenen Indikation sei im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung grundsätzlich nicht möglich. Dies gelte auch bei regel-mäßiger Verordnung als Therapieversuch außerhalb klinischer Studien. Der MdK sei nach eingehender Prüfung und Rücksprache mit dem Kompetenz-Centrum Onkologie zu der Schlussfolgerung gelangt, dass nicht in jedem Fall von einem Benefit der Herceptin-Behandlung im Vergleich zu anderen Behandlungsalternativen ausgegangen werden kön-ne. Es gebe anerkannte Therapieoptionen mit der Chance auf Heilung oder auf eine spürba-re positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Daher scheide eine Kassenleistung auch in Anbetracht drohender Nebenwirkungen aus. Ferner fehle es an einem Anordnungsgrund, da zugelassene Chemotherapie-Schemata zur Verfügung stünden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Aktenin-halt, eine Gerichtsakte sowie ein Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin, Bezug ge-nommen.
II.
Der statthafte und zulässige Antrag ist begründet. Das Gericht kann nach Maßgabe des § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streiti-ges Rechtverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Da die Antragstellerin die Kostenübernahme für eine Therapie mit dem Arzneimittel "Her-ceptin" begehrt, erstrebt sie vorläufigen Rechtsschutz entsprechend § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Denn anders als bei einer sogenannten Sicherungsanordnung (§ 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG), bei der die Sicherung eines status quo im Vordergrund steht, geht es bei einer soge-nannten Regelungsanordnung, wie im vorliegenden Fall, um die Begründung einer neuen Rechtsposition.
Für die Regelungsanordnung sind (ebenso wie nach § 123 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsord-nung (VwGO) i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)) der durch die einstweilige Anordnung zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) und der Grund, weshalb die einstweilige Anordnung ergehen soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen.
Die Voraussetzungen für einen Anordnungsanspruch sind im Falle der Vorwegnahme der Hauptsache nur glaubhaft gemacht, wenn eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für das Ob-siegen im Hauptsacheverfahren besteht (so: OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.08.1992, DVBl. 93, 66). Andererseits muss die Anwendung des vorläufigen Rechts-schutzes unter Beachtung des jeweils betroffenen Grundrechtes und des Erfordernisses des effektiven Rechtsschutzes aus Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) erfolgen. Dann müssen jedoch gewichtige Anhaltspunkte dafür sprechen, dass das Rechtsmittel in der Hauptsache aller Voraussicht nach erfolgreich sein wird (BVerfG, Beschluss vom 25.10.1988, NJW 89, 827).
Nimmt der Erlass der einstweiligen Anordnung die Hauptsache aber vorweg, sind an die Prognose der Erfolgsaussichten besondere Anforderungen zu stellen. Denn mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung darf grundsätzlich nicht etwas begehrt und im gerichtlichen Verfahren zugesprochen werden, was als Vorgriff auf den im Hauptsachever-fahren geltend zu machenden Anspruch anzusehen ist, weil das Gericht dem Wesen und dem Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend die Grenzen der vorläufigen Rege-lung grundsätzlich nicht überschreiten und damit das im Verwaltungs- und Klageverfahren verfolgte Ziel nicht vorwegnehmen darf (Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 123 Rdnr. 13 ff).
Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes kann mit der einstweiligen Anordnung die Hauptsache ausnahmsweise nur vorweggenommen werden, wenn ohne die einstweilige Anordnung schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile für den An-tragsteller entstehen (BVerfGE 46, 166 ff). Die Entscheidung, ob in Anbetracht der beson-deren Umstände des Falles ausnahmsweise durch die einstweilige Anordnung die Hauptsa-che vorweggenommen werden darf, hängt damit wesentlich von der Bedeutung und Dring-lichkeit des Anspruches und der Größe sowie Irreparabilität des Schadens für den An-tragsteller bzw. die Allgemeinheit ab. Für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichtes maßgeblich (BVerfGE 42, 299).
Hier besteht einer hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache. Zwar ist durch die einstweilige Anordnung grundsätzlich eine Vorwegnahme der Hauptsa-che unzulässig; im Hinblick auf die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes nach Arti-kel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) ist hier indes eine Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig. Die sonst für die Antragstellerin zu erwarten-den Nachteile wären unzumutbar; insbesondere steht zu befürchten, dass andernfalls die Entscheidung in der Hauptsache höchstwahrscheinlich zu spät käme. Wenn jedoch das Recht des Antragstellers vereitelt werden könnte oder ihm aus sonstigen Gründen eine bloß vorläufige Regelung nicht zumutbar wäre, kann ausnahmsweise eine Vorwegnahme der Hauptsache, insbesondere eine endgültige Befriedigung des geltend gemachten Anspru-ches erfolgen.
Vorliegend hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen ver-mocht. Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krank-heitsbeschwerden zu lindern (§ 27 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V)). Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung müssen nach § 12 Abs. 1 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.
Laut Antragstellung von Prof. Dr. K ... vom 14.10.2005 ist die Polychemotherapie bereits abgeschlossen. Prof. Dr. K ... wies bei Antragstellung darauf hin, dass die Antragstellerin Hochrisiko-Patientin sei, und es keine weiteren alternativen Behandlungsmöglichkeiten mit einem zugelassenen Antikörper gebe. Dass – entgegen der Rechtsauffassung der An-tragsgegnerin – für die Behandlung der Antragstellerin weitere "zugelassene Chemothera-pie-Schemata" zur Verfügung stehen sollen, steht nach der – im vorläufigen Rechtsschutz-verfahren nur gebotenen und möglichen – summarischen Betrachtungsweise für das Ge-richt nicht fest. Vielmehr hat der behandelnde Arzt selbst ausgeführt, dass die Polychemo-therapie abgeschlossen sei.
Nach § 31 Abs. 1 SGB V haben Versicherte grundsätzlich nur Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit sie in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähig sind. Unstreitig besitzt Herceptin für die Anwendung bei Brustkrebspati-entinnen weder die deutsche noch eine europaweite Zulassung. Anders als bei konventio-nellen Chemotherapien werden gesunde Zellen hierbei nicht in Mitleidenschaft gezogen. Ebenso unstreitig ist die Erweiterung der Zulassung noch nicht beantragt worden, selbst wenn Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung vorliegen, die eine entsprechende Wirksamkeit, auch außerhalb der arzneimittelrechtlichen Indikation, auf onkologischem Gebiet belegen sollen.
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 19.03.2002, Az.: B 1 KR 37/00 R) kommt die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwen-dungsgebiet aber nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit dieses angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die er-warten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Studien liegen für das Krankheitsbild der Antragstellerin vor, selbst wenn deren wis-senschaftliche Qualität vom MDK und der Antragsgegnerin in Zweifel gezogen worden sind. Es würde indes die - im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes und ohne sachverständi-ge Mithilfe dem Gericht eingeräumten - Möglichkeiten sprengen, in dieser medizinwissen-schaftlichen Auseinandersetzung Position zu beziehen.
Trotz insoweit fehlender arzneimittelrechtlicher Zulassung und unter Beachtung des be-troffenen Grundrechtes ist dennoch eine Kostenübernahme für die adjuvante Therapie mit Herceptin angezeigt. Das erkennende Gericht hat im Falle einer inhalativen Applikation statt der arzneimittelrechtlich zugelassenen intravenösen und später dann subcutanen Injek-tion entschieden, dass zwar grundsätzlich im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG zum sogenannten "Off-Label-Use" auch die Darreichungsform ein Zulassungskriterium ist. Eine davon ab-weichende Applikation umfasst damit grundsätzlich nicht den von der Zulassung des Arz-neimittels gedeckten Bereich (Beschluss vom 07.05.2003, Az: S 8 KR 9/03 ER; vgl. auch: BSG, wie vor; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 19.08.2002, Az: L 1 B 66/02 KR ER). Gleichwohl hat es unter Güterabwägung der Form der Anwendung im Hinblick auf die Schwere der Erkrankung keine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen (ebenso: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25.06.2002, Az: L 4 KR 90/02 ER). Dies liegt darin begründet, dass - wenn nach der vorgenannten Rechtsprechung des BSG unter bestimmten Voraussetzungen eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversi-cherung für Fertigarzneimittel besteht, die für Anwendungsgebiete verordnet werden, auf die sich die Zulassung nicht erstreckt - dies erst recht gelten muss für Arzneimittel, die zwar in einer anderen Form, aber doch in dem Anwendungsbereich, für den sie zugelassen sind, eingesetzt werden. Hier handelt es sich unstreitig um ein arzneimittelrechtlich zuge-lassenes Arzneimittel außerhalb der vorgeschriebenen Indikation.
Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes, der das Gericht im Grund-satz folgt, ein zugelassenes Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der Krankenversi-cherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt; hiervon kann jedoch ausnahmsweise abgewichen werden, wenn es bei einer schweren Krankheit keine Behandlungsalternative gibt und nach dem Stand der wissen-schaftlichen Erkenntnis die begründete Aussicht besteht, dass mit dem Medikament ein Behandlungserfolg erzielt werden kann (BSG, Urteil vom 19.03.2002, Az: B 1 KR 37/00 R). Denn in Anbetracht der Schwere der Erkrankung und der unstreitig lebensbe-drohlichen Brustkrebserkrankung ist der Antragstellerin nicht zuzumuten, den Erfolg mög-licher weiterer Studien abzuwarten. Versicherte haben indes einen Rechtsanspruch auf Linderung ihrer Leiden und auf eine, den weiteren Krankheitsverlauf aufhaltende, Behand-lung. Dies gilt selbst dann, wenn die Auswirkungen von Herceptin auf Brustkrebspatien-tinnen noch nicht mit letzter Konsequenz wissenschaftlich fundiert nachgewiesen worden sein sollten.
Maßgeblich ist für das Gericht insgesamt eine Folgenabwägung: Abzuwägen ist zwischen einer - zwar nach den vorgenannten Maßstäben wissenschaftlich möglicherweise noch nicht nachgewiesenen, nach Auskunft der behandelnden Klinik aber erfolgversprechenden - Behandlung mit einer adjuvanten Therapie unter Herceptin einerseits und einer risikobe-hafteten und nach Auskunft des " ..." – Krankenhauses abgeschlossenen und damit auf Dauer wahrscheinlich wirkungslosen fortgesetzten Bestrahlung andererseits. Hier über-wiegt das Interesse der Antragstellerin auf Inanspruchnahme der Therapie, zumal nach den von ihr angeführten Studien und wissenschaftlichen Unterlagen ernsthafte Gesichtspunkte für die beantragte Therapie sprechen. Nach der beigefügten Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) der Professoren Drs. P ..., E ... und F ...vom 21.06.2005 werde insgesamt "vom wissenschaftlichen Standpunkt her" Pati-entinnen mit Brustkrebs und erb-B2-Überexpression eine mindestens einjährige adjuvante Behandlung mit Trastuzumab (Herceptin) angeraten. In fast allen Parametern (krankheits-freies Überleben, rückfallfreies Überleben und metastasenfreies Überleben) sei das Rück-fallrisiko durch den Einsatz von Herceptin auf die Hälfte verringert worden. Prinzipiell vergleichbare Ergebnisse hätten auch 2 amerikanische randomisierte Studien an 3351 Pati-entinnen ergeben. Auch hier hätten sich signifikante Verbesserungen des krankheitsfreien Überlebens und insbesondere auch des Gesamtüberlebens bereits früh in einer noch sehr kurzen Nachbeobachtungszeit gezeigt. Im Vergleich zur HERA-Studie hätten die US-Studien die Wirksamkeit bei gleichzeitiger Paclitaxel- und Herceptingabe leicht erhöht. Das krankheitsfreie Überleben war so um 52 %, bei HERA um 46 %, verbessert worden. Aufgrund dieser Datenlage empfehlen sie den Einsatz von Herceptin. Dies Ergebnis wird auch gestützt von einem im Auftrag der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin er-stellten Gutachten von Prof. Dr. U ..., Chefarzt der Frauenklinik und Leiter des Brustzent-rums im Klinikum ..., ..., vom 09.02.2006. Dieser konnte zu-sammenfassend die adjuvante Therapie für die Gesamtdauer von 52 Wochen nach abge-schlossener Chemotherapie uneingeschränkt empfehlen. Deren Situation entspreche genau den Einschlusskriterien der HERA-Studie, die einen signifikanten, beträchtlichen Benefit durch die Hinzunahme der Antikörpertherapie gezeigt habe. Somit erscheint dem Gericht bei vorläufiger Würdigung im Eilrechtsschutz der beantragte Einsatz von Herceptin im Falle der Antragstellerin gerechtfertigt.
Dieses Ergebnis wird ferner gestützt durch die neuere Rechtsprechung des Bundesverfas-sungsgerichts (vgl.: Beschluss vom 06.12.2005, Az: 1 BvR 347/98). Danach hat sich die Gestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung an der objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechts-güter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG), d.h. die Grundrechte auf Leben und kör-perliche Unversehrtheit, zu stellen (BVerfGE 46, 160 (164)). Es ist demzufolge mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedroh-liche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwir-kung auf den Krankheitsverlauf besteht (BVerfG, Beschluss, a.a.O.). Denn der Schutz des Einzelnen in Fällen von Krankheit ist in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes eine Grundaufgabe des Staates. Dieser ist der Gesetzgeber dadurch nachgekommen, indem er durch Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung als öffentlich-rechtlicher Pflichtversicherung für den Krankenschutz eines Großteils der Bevölkerung, Sorge getra-gen und die Art und Weise der Durchführung dieses Schutzes geregelt hat (BVerfGE 68, 193 (209)). Mit dieser Versicherungsform wird auch einkommensschwachen Bevölke-rungsteilen ein voller Krankenversicherungsschutz zu moderaten Beiträgen ermöglicht (BVerfGE 103, 172 (185)).
Wenngleich die Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots nach § 12 SGB V nicht zu bean-standen ist und ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf bestimmte Leistungen der Kran-kenbehandlung nicht besteht, muss die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende, Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen. Nach fachmedizinischer Einschätzung von Prof. Dr. K ..., an der zu zweifeln das Gericht keine Veranlassung sieht, ist die beantragte Herceptin-Behandlung ohne alternative Behandlungsmöglichkeit. Nach summarischer Prüfung war festzustellen, dass die vom behandelnden Arzt nach gewissenhafter fachlicher Einschätzung vorgenommene oder vom ihm beabsichtigte Behandlung ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Erfolg der Heilung oder auch nur auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall ergeben.
So verweist auch das Bundesverfassungsgericht (vgl. Beschluss, wie vor) darauf, dass auf die Wirksamkeit einer Behandlungsmethode im Einzelfall jedenfalls bei seltenen Krank-heiten abzustellen ist. Nach § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V kann der Vertragsarzt Arzneimittel, die auf Grund der Richtlinie nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise dennoch in medizinisch begründeten Einzelfällen verordnen. Die Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts, wonach die Übernahme der Kosten durch die gesetzlichen Krankenkassen auch in den Fällen einer lebensbedrohlichen oder vorhersehbar tödlich verlaufenden Krankheit ausgeschlossen seien, für die eine dem allgemein anerkannten medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethode nicht existiere (so: BSGE 86, 54 (66)), steht mithin nicht im Einklang mit dem Grundgesetz.
Zwar verlieren demzufolge die Zulassungsvorschriften zu einem erheblichen Teil ihre Be-deutung, wenn in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Erweiterung der Anwen-dungsgebiete eines Arzneimittels ohne Zulassung im Verfahren nach § 35 Abs. 2 SGB V erreicht werden kann; mithin könnten sich die Hersteller den Aufwand und die Kosten ei-nes neuen Zulassungsverfahrens ersparen. Gleichwohl hat auch das BSG darauf abgeho-ben, dass in der medizinischen Diskussion weitgehende Einigkeit darüber besteht, dass in bestimmten Versorgungsbereichen und bei einzelnen Krankheitsbildern auf einen, die Zu-lassungsgrenzen überschreitenden, Einsatz von Medikamenten nicht völlig verzichtet wer-den kann. Andernfalls würde den Patienten eine dem Stand der medizinischen Erkenntnis-se entsprechende Behandlung vorenthalten. Für einen Gebrauch außerhalb der zugelasse-nen Indikation im engeren Sinne wird ein Bedarf gesehen, etwa bei ernsten, lebensbedro-henden Krankheiten wie Krebs oder Aids oder bei einem mit schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Schmerzen verbundenen Leiden, das wegen fehlender therapeuti-scher Alternative nicht wirksam behandelt werden kann.
So liegt der Fall hier. Da die Antragsgegnerin letztlich nicht in der Lage war, effektive andere Behandlungsalternativen im Falle der Antragstellerin zu benennen, lediglich ein vom behandelnden Krankenhaus für abgeschlossen erklärtes und von MdK und Antrags-gegnerin nicht näher konkretisiertes zugelassenes "Chemotherapie-Schemata", besteht zu Gunsten der Antragstellerin ein Rechtsanspruch auf Leistung. Im Falle der Verordnung bleiben der Beklagten im Übrigen mögliche Regressansprüche erhalten (vgl. dazu auch: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 24.06.2002, Az: S L 5 B 22/02 KR ER). Wegen der Schwere der Erkrankung der Antragstellerin und der daraus resultierenden besonderen Dringlichkeit eines Therapiebeginns wären die Folgen einer ablehnenden Entscheidung für sie von besonderem, in der Lebensqualität erheblich beeinträchtigenden Gewicht. Eine weiter fortschreitende Erkrankung ist nach der, auch von der Antragsgegnerin nicht in Zweifel gezogenen, Einschätzung des behandelnden Arztes zumindest wahrscheinlich. Da nach den angegebenen wissenschaftlichen Studien eine, die weitere Krebserkrankung auf-haltende und möglicherweise heilende, Wirkung durch eine Therapie mit Herceptin er-reicht werden kann, war die Antragsgegnerin vorläufig zur Kostenübernahme zu verpflich-ten. Mithin ist der Erlass einer bestimmten Regelung zur Gewährung effektiven Rechts-schutzes schlechterdings notwendig (vgl. dazu: Kopp/Schenke a.a.O., § 123 Rdnr. 4 m.w.N.), andernfalls käme eine Entscheidung in der Hauptsache höchstwahrscheinlich zu spät.
Zudem ist eine besondere Dringlichkeit, die das Gericht zum Erlass einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, mit der erforderlichen Sicherheit dargetan. Es besteht die Gefahr einer gesundheitlichen Verschlechterung der lebensgefährdenden Erkrankung ohne die vorläufige Bewilligung der beantragten Maßnahme. Daher besteht vorliegend auch ein Anordnungsgrund.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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