L 16 KR 99/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 8 (9) Kr 9/94
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 99/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
12 KR 10/99 R
Datum
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
Rev. d. Klg. zurückgewiesen
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Dortmund vom 18. März 1997 wird zurückgewiesen. Auf den Hilfsantrag der Klägerin wird der Rechtsstreit an das zuständige Landgericht Dortmund verwiesen. Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungs verfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die klagende Arbeitgeberin nimmt die Beklagte als Einzugsstelle auf Zahlung in Höhe des Betrages in Anspruch, den sie als Arbeitnehmeranteil an Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für den Beschäftigten S.R. (d e r Beschäftigte) abgeführt hat - auf eine Beitragsnacherhebung durch die Beklagte, erfolgt zu einem Zeitpunkt, der eine Nachholung des Abzugs des Beitragsanteils vom Arbeitsentgelt bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen nicht mehr möglich machte (§ 28 g S. 3 1. Halbs. des Sozialgesetzbuches (SGB) IV).

Der Beschäftigte war von November 1988 bis September 1991 für die Klägerin tätig. Er erzielte nach dem Lohnjournal der Klägerin von Januar bis September 1989 monatliche Bruttoarbeitsentgelte von im arithmetischen Mittel 1522,58 DM, im Oktober 1989 2446,40 DM und von Oktober 1989 bis zu seinem Ausscheiden Entgelte von im arithmetischen Mittel 2280,89 DM. Der Beschäftigte war zugleich als Student an der Fachhochschule I eingeschrieben und hatte der Klägerin darüber Bescheinigungen vorgelegt. Er hat dazu im späteren Arbeitsgerichtsstreit mit seiner Arbeitgeberin (5 Ca 2627/92 ArbG Iserlohn) vorgetragen: er habe sein Studium im Wintersemester 1985/86 aufgenommen und sei als Student bei der Techniker Krankenkasse versichert gewesen; nach der Regelstudienzeit von 6 Semestern habe er im vorlesungsfreien Semester bei der Klägerin mit stundenweiser, befristeter Aushilfstätigkeit angefangen, um sich mit ihr im Februar 1988 auf eine Arbeitszeit "vormittags bis maximal 12 Uhr" zu verständigen; auf Drängen der Klägerin habe er seine Tätigkeit im Herbst 1989 erweitert, und im November 1990 habe er der Arbeitgeberin mitgeteilt, daß er ab dem 1.12.1990 versicherungspflichtig tätig sein wolle, weil er heiraten und mit seiner Frau versichert sein wolle. Nach Darstellung der Klägerin wurden für die Zeit ab Dezember 1990 Sozialversicherungsbeiträge abgeführt, weil der Beschäftigte mitgeteilt hatte, daß er sein Studium abgebrochen habe.

Am 8.11.1989 hatte ein Betriebsprüfer der Funktionsvorgängerin der Beklagten bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durchgeführt; sein Bericht vom selben Tage (Ablichtung Blatt 26 der Gerichtsakten) weist den Beschäftigten S.R. betreffende Feststellungen nicht aus.

Im August 1992 führte die Funktionsvorgängerin der Beklagten bei der Klägerin eine Beitragskonten-Abstimmung nach § 28 p SGB IV für die Zeit vom 1.10.1989 bis zum 30.6.1992 durch. In Auswertung der Prüfung entschied die Beklagte mit an die Klägerin adressiertem, von dieser nicht angefochtenem Bescheid vom 10.8.1992: die Klägerin habe für den Beschäftigten S.R. und für die Zeit vom 1.10.1989 bis zum 30.11.1990 11.382,54 DM Gesamtsozialversicherungsbeiträge (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil ohne Umlage) nachzuentrichten, weil Versicherungsfreiheit aufgrund des Studiums nicht anzunehmen sei, da die zulässige wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden überschritten worden sei.

Die Klägerin teilte diesen Sachverhalt dem Beschäftigten mit und forderte ihn vergeblich auf, ihr den von ihr abgeführten Arbeitnehmeranteil von 5.691,27 DM zu erstatten. Im nachfolgenden Arbeitsgerichtsrechtsstreit (ArbG Iserlohn 5 Ca 2627/92) der Klägerin gegen den Beschäftigten verkündete die Klägerin der Funktionsvorgängerin der Beklagten den Streit und trug vor: der AOK hätten bei der Betriebsprüfung am 8.11.1989 auch den Beschäftigten S.R. betreffenden Unterlagen vorgelegen; so auch die Gehaltsabrechnung vom 5.11.1989 für Oktober 1989, auf dem der Prüfer Urbaniak den handschriftlichen Vermerk "Student" angebracht habe (Doppel Blatt 16 der Gerichtsakten); eine Beanstandung sei nicht erfolgt; der rechtzeitige Beitragsabzug sei deshalb ohne ihr Verschulden unterblieben (§ 28 g S 3 2. Halbs SGB IV).

Mit Urteil vom 5.4.1993 hat das ArbG Iserlohn die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, auch wenn der rechtzeitige Beitragsabzug ohne Verschulden der Arbeitgeberin iS von § 28 g S 3 SGB IV unterblieben wäre, könnten die Beitragsanteile gemäß § 28 g S 2 SGB IV nur im Lohnabzugsverfahren geltend gemacht werden; ein solcher Abzug stehe aber nicht in Streit und auf Verschulden des Beschäftigten könne sich die Klägerin nicht berufen. Die Klägerin hat gegen das Urteil Berufung nicht eingelegt.

Sie hat, beginnend mit Schreiben vom 27.4.1993, von der Funktionsvorgängerin Zahlung in Höhe der abgeführten Arbeitnehmeranteile verlangt, weil sie im Wege des Herstellungsanspruchs so zu stellen sei, als sei die Prüfung 1989 ordnungsgemäß erfolgt. Auf die Bitte der Klägerin um einen formellen Bescheid teilte ihr die Funktionsvorgängerin der Beklagten mit Bescheid vom 11.8.1993 und den Widerspruch der Klägerin in der Sache zurückweisendem Widerspruchsbescheid vom 15.12.1994 (zugestellt am 21.2.1994) mit: offen sei, in welchem Umfang dem Betriebsprüfer 1989 die Tätigkeit des Beschäftigten S.R. bekannt gewesen sei; die Prüfung sei wie üblich nur für die Vergangenheit erfolgt; zu Prognosen für die Zukunft sei die Einzugsstelle nicht berechtigt; das Institut des Herstellungsanspruchs sei nicht einschlägig und darüber hinaus könne die Kasse für einen Schadenersatzanspruch eine Rechtsgrundlage nicht erkennen; sie lehne die beantragte Beitragserstattung ab.

Die Klägerin hat am 7.3.1994 Klage erhoben und Aufhebung der Bescheide sowie Zahlung von 5.691,27 DM nebst Zinsen verlangt. Das SG Dortmund hat die Klage durch Urteil vom 18. März 1997 ohne mündliche Verhandlung abgewiesen. Die Klägerin hat am 16.4.1997 Berufung eingelegt, ihr Vorbringen wiederholt und ergänzt. Der erkennende Senat hat den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit mit Beschluss vom 15. Dezember 1997 (L 16 Kr 50/97) für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit - unter Aufhebung des Urteils des SG Dortmund vom 18. März 1997 an das Landgericht Dortmund verwiesen. Mit Beschluss vom 3. Juli 1998 (B 12 SF 1/98 R) hat das Bundessozialgericht den Beschluss des Senats vom 15. Dezember 1997 auf die Beschwerde der Klägerin aufgehoben. Auf die Gründe der Gerichtsentscheidungen wird Bezug genommen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt schriftsätzlich,

die Beklagte unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 15.2.1994 zu verurteilen, an sie 5.691,27 DM nebst 7 % Zinsen seit dem 15.3.1993 zu zahlen,

ersthilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden,

zweithilfsweise, den Rechtsstreit zur Entscheidung in der Sache an das zuständige Gericht zu verweisen.

Die Beklagte verbleibt bei ihrer Rechtsauffassung. Sie weist erneut darauf hin, daß aus der Unterlassung von Beanstandungen bei Betriebsprüfungen Vertrauensschutz nicht hergeleitet werden könne (Hinweis auf BSG in Die Beiträge 65,32 und in USK 76 30; 77 13; 78 224; 80 53; 83 214; 84 46; 87 50).

Wegen des Sachverhalts im übrigen wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze verwiesen (§ 136 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)); außer den Streitakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Erwägungen des Senats gewesen: ein Band Verwaltungsakten der Beklagten.

II.

Der Senat konnte - auf diese Möglichkeit sind die Beteiligten mit Schreiben vom 24.9.1998 hingewiesen worden - die Berufung, wie geschehen, durch Beschluss zurückweisen, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs 4 S 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)). § 153 Abs 2 SGG entsprechend sieht der Senat weitgehend von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückweist.

Nach dem Beschluss des BSG vom 3.7.1998 hat der Senat ohne Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs über die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche zu entscheiden, soweit das SG über diese entschieden hat.

Über einen Anspruch auf Schadenersatz aus Amtspflichtverletzung nach § 839 Abs 1 BGB - darin pflichtet das BSG aaO dem Senat im aufgehobenen Beschluss vom 15.12.1997 bei - hat das SG im angefochtenen Urteil vom 18.3.1997 nicht entschieden. Es war dem erkennenden Senat insoweit mithin unbenommen, auf den Hilfsantrag der Klägerin aus den im Beschluss vom 15.12.1997 dargelegten Gründen an seinem Verweisungsausspruch festzuhalten.

Das SG hat mit Urteil vom 18.3.1997 entschieden, daß die Beitragsbescheide der Beklagten nicht nach § 44 SGB X zurückzunehmen seien. Der Senat hält auch insoweit an seiner im Beschluss vom 15.12.1997 dargelegten Auffassung fest und folgt damit dem SG, zwar nicht in seiner Begründung, aber im Ergebnis.

Das SG hat ferner mit Urteil vom 18.3.1997 entschieden, daß die Klägerin den geltend gemachten Anspruch nicht aus einem sozialrechtlichem Herstellungsanspruch herleiten kann. Der Senat folgt dem SG insoweit aus den im Beschluss vom 15.12.1997 dargelegten Gründen im Ergebnis und in der Begründung.

Soweit der Senat in seinem Beschluss vom 15.12.1997 über die vom SG im Urteil angeführten Gründen hinaus auf der Grundlage des vom SG entschiedenen Sachverhalts weitere Ansatzpunkte denkbarer sozialrechtlicher Subsumption des geltend gemachten Anspruchs aufgezeigt, letztlich aber verworfen hat, bleibt der Senat auch insoweit bei dieser Wertung. Ergänzend ist insoweit nur zu bemerken, daß der Senat (- deshalb die Zulassung der Revision (§§ 153 Abs 4 S. 2, 158 S. 3, 160 Abs 2 Nr 1 SGG) -) den im Beschluss vom 15.12.1997 behandelten s o z i a l r e c h t l i c h e n Schadenersatzanspruch als in den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch eingeflossenes Rechtsinstitut ohnehin für obsolet hält, so daß als alleinige Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsanspruch nach dem Dafürhalten des Senats der vor den ordentlichen Gerichten zu verfolgende Anspruch wegen Amtspflichtverletzung verbleibt. Der vom BSG im Beschluss vom 3.7.1998 erwähnte Anspruch wegen positiver Forderungsverletzung (vgl. dazu BSGE 26,129,133 = SozR Nr 1 zu § 1436 RVO; BSGE 49,291,293 = SozR 4100 § 145 Nr 1; BSGE 73,217,221) hingegen schied von vornherein aus, weil zwischen der Einzugsstelle und der gesetzlich in Dienst genommenen Klägerin keine vertraglichen oder vertragsähnlichen, durch übereinstimmende Willenserklärungen begründete, die Durchführung von Betriebsprüfungen betreffenden Beziehungen bestanden haben (vgl. §§ 53 ff, 61 S. 2 SGB X).

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
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