Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 10 RA 124/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 RA 93/00 BVA
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 16/01 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 25. Februar 2000 und der Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 1998 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtliche Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die beklagte Bundesrepublik Deutschland berechtigt war, das der Klägerin seit Mai 1992 gegen die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) zustehende Recht auf Entschädigungsrente nach § 5 des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet (EntschRG) vom 22.04.1992 (BGBl. I S. 906) ab März 1998 auf 700,00 DM zu kürzen.
Die am ... geborene Klägerin war vor 1933 Mitglied des kommunistischen Jugendverbandes und nahm mit Beginn des faschistischen Regimes an der "illegalen Parteiarbeit der KPD" teil. In ihrer Wohnung befand sich eine "illegale Literaturstelle der KPD". Auf Grund dieser Tätigkeit wurde sie 1935 verhaftet und nach fünf Monaten Untersuchungshaft wegen Vorbereitung zum Hochverrat vom Oberlandesgericht Dresden zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, die sie von Juli 1935 bis 18.10.1936 in der Frauenstrafanstalt Waldheim verbüßte. Nach Kriegsende wurde sie Mitglied der KPD und später der SED; sodann nahm sie zunächst vom 01.06.1948 bis 08.11.1952 eine Tätigkeit als Sachbearbeiterin beim Rat der Stadt ... auf und wechselte am 10.11.1952 als technische bzw. politische Mitarbeiterin in die SED-Kreisleitung ...
Vom 01.02.1956 bis 30.11.1966 war die Klägerin als hauptamtliche Mitarbeiterin beim ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit (MfS), zuletzt mit dem militärischen Dienstgrad eines Oberfeldwebels tätig, und zwar vom 01.02.1956 bis 14.07.1963 als operativer Mitarbeiter (Ermittlerin) im Referat II der Abteilung VIII der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit in ... und ab 15.07.1963 bis zum Ausscheiden aus dem MfS am 30.11.1966 in der Abteilung Kader und Schulung.
Nach den beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) vorhandenen Personalunterlagen und dienstlichen Beurteilungen vom 15.01.1957, 29.06.1959, 19.11.1960, 28.06.1961, 11.04.1963 und 16.03.1965 bearbeitete die Klägerin als Ermittlerin im Referat II der Abteilung III der MfS-Bezirksverwaltung einen Stadtbezirk ... sowie einen Teil des Landkreises. Sie führte die Ermittlungen "mit durchschnittlichen Arbeitsergebnissen" selbständig durch. Den Eintragungen zufolge verfügte sie über ein durchschnittliches Netz von Geheimen Informatoren (GI), deren regelmäßige Anleitung sie übernahm (vgl. Beurteilung vom 15.01.1957).
Mit Befehl vom 07.10.1958 wurde die Klägerin vom Feldwebel zum Oberfeldwebel befördert. Nach der Beurteilung vom 29.06.1959 bearbeitete sie zu dieser Zeit als Ermittlerin selbständig den Stadtbezirk ... und steuerte sechs GI; eine konspirative Wohnung oder Geheime Hauptinformatoren unterstanden ihr nicht. Nach Einschätzung ihrer Vorgesetzten zeigte die Klägerin in der Werbung von informellen Mitarbeitern (IM) Schwächen, da sie "in dieser Hinsicht nicht schwerpunktmäßig" gearbeitet habe. Insoweit bedürfe sie der ständigen Anleitung. Der dienstlichen Beurteilung vom 19.11.1960 ist zu entnehmen, dass die Klägerin weiterhin einen Stadtbezirk ... selbständig bearbeitet habe. Alle dort anfallenden Ermittlungen wurden zu 75 % durch das bestehende inoffizielle Netz erledigt. Wegen ihres angegriffenen Gesundheitszustandes (verminderte Sehkraft) könnten an die Klägerin jedoch keine höheren Anforderungen gestellt werden.
Im April 1961 wurde die Klägerin "von der Zusammenarbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern auf Grund ihres Gesundheitszustandes und ungenügender Qualifikation entbunden". Ihr sei die Aufgabe übertragen worden, "eilige Ermittlungen sowie solche, die nicht durch IM erledigt werden können, durchzuführen". Wegen des stark angegriffenen Gesundheitszustandes sei "kein voller Arbeitseinsatz gegeben, stärkerer Belastung (könne) sie nicht unterzogen werden" (vgl. Beurteilung vom 28.06.1961). Der Beurteilung vom 11.04.1963 zufolge war die Klägerin als Kommandierte der Abt. III einige Monate in der Ermittlergruppe der Abt. Kader und Schulung eingesetzt. Sie besitze die Qualifikation, Kaderermittlungen selbständig durchzuführen, wobei wegen des Gesundheitszustandes quantitätsmäßige Schwierigkeiten zu berücksichtigen seien. Nach Einschätzung ihrer Vorgesetzten verfügte die Klägerin "über ein durchschnittliches ideologisches Wissen und reiche parteipolitische Erfahrungen, was sie befähigt, die Ermittlungsergebnisse richtig einzuschätzen und schriftlich darzulegen".
Seit 15.07.1963 war die Klägerin in der Abt. Kader und Schulung als Ermittlerin in der Werbegruppe eingesetzt und bearbeitete Ermittlungsaufträge für andere Bezirksverwaltungen, einschließlich des MfS Berlin. Auf Grund ihrer dienstlichen Erfahrung sei sie in der Lage gewesen, die ihr übertragenen Kaderermittlungen gründlich durchzuführen (vgl. Beurteilung vom 16.03.1965). Für ihre Arbeitsergebnisse ist die Klägerin am 08.02.1961 mit der "Medaille für treue Dienste" in Bronze; am 07.10.1964 mit der "Verdienstmedaille der NVA" in Bronze; am 08.02.1966 mit der "Medaille für treue Dienste" in Silber und am 12.11.1966 mit der "Verdienstmedaille der NVA" in Silber ausgezeichnet worden.
Wegen des erlittenen NS-Unrechts war die Klägerin in der ehemaligen DDR seit 06.09.1958 Trägerin der "Medaille für Kämpfer gegen den Faschismus". Auf der Grundlage der "Anordnung über Ehrenpension für Kämpfer gegen den Faschismus und für Verfolgte des Faschismus sowie für deren Hinterbliebene (EhPensAO) vom 20.09.1976 (vertrauliche Dienstsache - VD 26/1976) war ihr in der DDR eine Ehrenpension zuerkannt, deren Betrag ab Juli 1990 monatlich - aufgewertet auf DM - von der DDR und ab 03.10.1990 zu Lasten der Beklagten von der beigeladenen BfA bis 30.04.1992 weitergezahlt wurde. Die BfA erkannte ihr für die Zeit ab 01.05.1992 in Ersetzung des Anspruchs auf eine Ehrenpension nach dem EhPensAO eine Entschädigungsrente nach dem Gesetz über Entschädigung für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet (EntschRG) vom 22.04.1992 (BGBl. I 906) in Höhe von 1.400,00 DM monatlich zu.
Nach Anhörung der Klägerin schlug die beigeladene Kommission der Bundesrepublik Deutschland zum Versorgungsruhens- und Entschädigungsrentengesetz dem Bundesversicherungsamt (BVA) mit Beschluss vom 16.12.1997 unter Hinweis auf § 5 Abs. 1 EntschRG eine Kürzung der Entschädigungsrente um die Hälfte auf 700,00 DM vor. Die Klägerin habe durch ihre Ermittlertätigkeit von Februar 1956 bis zumindest Anfang 1963 im Referat II der Abteilung III der MfS-Bezirksverwaltung ... gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Als Beobachtungs- und Ermittlungsorgan im MfS sei das Aufgabengebiet der Abteilung III gerade darauf gerichtet gewesen, Verdachtsgründe gegen Regimekritiker und Regimegegner sowie Ausreise- und Fluchtwillige zu "erarbeiten", die dann Grundlage für weitere Verfolgungsmaßnahmen durch das MfS gewesen seien. Die Klägerin habe aufgrund der durch die dienstlichen Beurteilungen dokumentierten "durchschnittlichen" bzw. "brauchbaren" Ermittlungsergebnisse einen mitursächlichen Beitrag zur Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit durch andere geleistet. Dies sei jedenfalls durch Hilfstatsachen erwiesen und rechtfertige, da eine besonders schwerwiegende Verletzung der vorgenannten Grundsätze der Klägerin nicht nachgewiesen werden könne, nach § 5 Abs. 1 EntschRG eine Kürzung der ihr gewährten Entschädigungsrente.
Dem Vorschlag der beigeladenen Kommission folgte das BVA und kürzte mit Bescheid vom 11.02.1998 den der Klägerin gegen die beigeladenen BfA zustehenden Anspruch auf Zahlung einer Entschädigungsrente von monatlich 1.400,00 DM mit sofortiger Wirkung auf monatlich 700,00 DM. Die Beklagte schloss sich unter Hinweis auf die in der Richtlinie 1/58 "für die Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik" vom 01.10.1958 (geheime Verschlusssache, GVS 1336/58) enthaltenen Grundsätze und Aufgabenbereiche der Arbeit der inoffiziellen Mitarbeiter der rechtlichen Würdigung der Ermittlungstätigkeit der Klägerin für die Zeit von 1956 bis 1963 durch die Kommission an.
Gegen diesen Bescheid richtete sich die am 23.02.1998 vor dem Sozialgericht Leipzig erhobene Klage. Die Klägerin machte im Wesentlichen geltend, die Ausführungen des BVA bewegten sich im spekulativen Bereich. Ein konkret belegbares Verhalten, aus dem sich ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit herleiten ließe, sei ihr nicht nachgewiesen worden. Allein der generelle Hinweis auf die Richtlinie 1/58 für die Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern reiche zur Begründung eines Verstoßes gegen die genannten Rechtsgüter nicht aus. Im Übrigen habe sie nur eine untergeordnete Dienststellung, zuletzt als Oberfeldwebel, inne gehabt und habe daher einen wesentlichen Beitrag zur Einleitung von Verfolgungsmaßnahmen gegen ermittelte Personen nicht leisten können.
Die Beklagte verwies darauf, dass die Klägerin als operative Mitarbeiterin an rechtsstaatswidrigen Eingriffen beteiligt gewesen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei zwar ein konkretes zeitliches und räumlich abgeschlossenes Verhalten erforderlich, jedoch kein "eigenhändiges Bewirken". Die Klägerin habe durch ihre über 6 ½-jährige Ermittlungstätigkeit durch Rat und Tat die Verletzung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit durch andere hauptamtliche Mitarbeiter des MfS gefördert. Der Verstoß gegen diese Grundsätze habe wesensnotwendig zu ihrer Amtsausübung gehört. Sie sei von 1956 bis 1963 maßgeblich mit der Koordinierung der Tätigkeit so genannter geheimer Informatoren (GI) betraut gewesen. In Anlehnung an die Richtlinie 1/58 sei die Tätigkeit der GI darauf gerichtet gewesen, Oppositionelle, Regierungsgegner und ausreisewillige DDR-Bürger ausfindig zu machen. Hier sei besonders verwerflich, dass weite Teile der DDR-Bevölkerung nahezu ohne konkreten Anlass planmäßig mit nachrichtendienstlichen Mitteln bearbeitet und bespitzelt worden seien. Hierzu habe die Klägerin zumindest, im Stadtbezirk Leipzig-West beigetragen.
Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 25.02.2000 ab. Mit Recht habe die Beklagte gestützt auf § 5 Abs. 1 und 2 EntschRG den laufenden Anspruch der Klägerin auf Entschädigungsrente gegen die beigeladene BfA von monatlich 1400,00 DM ab März 1998 auf monatlich 700,00 DM gekürzt, denn die Klägerin habe gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit verstoßen.
Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG zu den Voraussetzungen für eine Aberkennung oder Kürzung eines Rechts auf Entschädigungsrente wegen Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit (BSG SozR 3-8850 § 5 Nrn. 1 und 2; BSG Urteil vom 24.03.1998 - B 4 RA 78/96 R) sei es ausreichend, dass der Verstoß gegen diese Grundsätze gewissermaßen zur Amtsausübung der Klägerin gehört habe. Das werde durch den Inhalt ihrer "Amtsgeschäfte" hilfstatsächlich indiziert. Die Klägerin sei mehr als 10 Jahre hauptamtlich beim ehemaligen MfS der DDR tätig gewesen. Davon habe sie 6 ½ Jahre eine Ermittlungstätigkeit im Referat II der Abteilung VIII der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit in ... ausgeübt und sei selbständig für das Stadtgebiet ... zuständig gewesen. Unstreitig habe sie in dieser Zeit sechs sog. GI geführt, deren Anleitung in ihren dienstlichen Beurteilungen als "gründlich und gewissenhaft" bezeichnet worden sei. Sowohl ihre "fachlichen Kenntnisse" als auch ihre "Arbeitsergebnisse", seien als "durchschnittlich bewertet" worden. Nach der Beurteilung vom 19.11.1960 habe die Klägerin selbständig einen Stadtbezirk "bearbeitet" und die dort anfallenden Ermittlungen zu ca. 75 % durch das bestehende inoffizielle Netz erledigt. Sie habe bei ihrer Tätigkeit mit den geheimen Informatoren die Voraussetzungen und deren Aufgabenbereiche entsprechend der Richtlinie 1/58 "für die Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik" beachten müssen. Nach dieser Richtlinie habe sich das MfS beauftragt gesehen, "alle Versuche, den Sieg des Sozialismus aufzuhalten oder zu verhindern, - mit welchen Mitteln und Methoden es auch sei - vorbeugend im Keime zu ersticken". Als "Hauptmittel in diesem Kampf" seien inoffizielle Mitarbeiter eingesetzt worden, durch die die politisch operative Arbeit der Organe der Staatssicherheit im Wesentlichen realisiert worden sei. Diese IM seien in allen Berufs- und Altersgruppen angeworben worden und sollten in der Lage sein, sich, ohne Verdacht zu erregen, Personen zu nähern und anzupassen, Verbindungen und Vertrauensverhältnisse zu schaffen und das Wesen dieser Personen zu studieren. Daneben seien sog. GI eingesetzt worden, um u.a. Anzeichen feindlicher Tätigkeit und verdächtigter Personen festzustellen und Republikfluchten und Abwerbungen aufzuklären und zu verhindern (Seite 8 der Richtlinie 1/58). Die Festlegungen dieser Richtlinie seien für sämtliche Mitarbeiter der Haupt- und selbständigen Abteilung, der Bezirksverwaltung und Kreisdienststellen des MfS verbindlich gewesen (Seite 38 der RL 1/58). Vor diesem Hintergrund ergebe sich, dass die politisch operative Arbeit des MfS und seiner Organe auf eine völlige Durchdringung der Bevölkerung mit IM zu deren Kontrolle, Bespitzelung, Verfolgung und Unterdrückung gerichtet gewesen sei. Hierbei sei es im Wesentlichen nicht um die Abwehr von Spionage- oder Geheimdiensttätigkeiten, sondern um eine gezielte Überwachung, insbesondere von Ausreise- und Fluchtwilligen sowie mutmaßlichen Regimegegnern und Kritikern gegangen. Dadurch sei in erheblicher Weise in unveräußerliche Rechtsgüter wie Menschenwürde, Meinungs- und Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit, vor allem Versammlungsfreiheit sowie Reise- und Ausreisefreiheit eingegriffen worden. An diesen Eingriffen habe die Klägerin verantwortlich mitgewirkt, indem sie von Februar 1956 bis Ende des Jahres 1962 ein GI-Netz aufgebaut und die Bespitzelungstätigkeit der GI koordiniert habe. Sie habe insoweit einen wesentlichen Beitrag zur Einleitung von Verfolgungsmaßnahmen gegen Regimekritiker und fluchtwillige DDR-Bürger geleistet. Auch wenn ihr kein konkreter Fall habe nachgewiesen werden können, seien diese Verfolgungsmaßnahmen doch wesensnotwendig mit ihrer Tätigkeit verbunden, ja entsprechend den Festlegungen der RL 1/58 gerade Aufgabe und Ziel ihrer Tätigkeit gewesen. Dies sei durch die vorgenannten Beurteilungen und Aktenvermerke belegt.
Damit sei zumindest hilfstatsächlich erwiesen, dass die Klägerin durch ihrer Ermittlungstätigkeit gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit i.S.d. § 5 Abs. 1 EntschRG verstoßen habe. Diese Verstöße seien ihr subjektiv zuzurechnen. Ihr seien die Tatsachen bekannt gewesen, aus denen sich die Unvereinbarkeit ihres Handelns mit den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit ergebe. Die Beklagte habe gewürdigt, dass allein durch das Aushorchen und Ausspähen (ohne nähere Anhaltspunkte über die Vorgehensweise im Einzelnen) noch nicht die Würde des Menschen in so erheblichem Maße berührt worden sei, dass ein völliger Entzug der Entschädigungsrente gerechtfertigt wäre. Mit der Kürzung der Entschädigungsrente auf die Hälfte (und damit auf einen Betrag von monatlich 700,00 DM) habe die Beklagte die in den einschlägigen Beurteilung benannten "durchschnittlichen" Arbeitsergebnisse der Klägerin sowie ihre mit dem Dienstgrad "Oberfeldwebel" nur untergeordnete Funktion in der Hierarchie des MfS berücksichtigt.
Gegen das am 10.05.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 31.05.2000 eingelegte Berufung.
Die Klägerin trägt vor, die ihr zur Last gelegten Handlungen stellten keine die Kürzung der Entschädigungsrente rechtfertigende Verletzung von Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit im Sinne von § 5 Abs. 1 EntschRG dar. Nach der als maßgeblich zu unterstellenden Auffassung des BSG (Urteil vom 30.01.1997 - 4 RA 99/95) schütze der Grundsatz der Menschlichkeit die Würde eines Menschen und seine unverletzlichen Menschenrechte in der Weise, dass es jedem Machthaber sowie dem Machtsystem, dem er angehöre, schlechthin untersagt sei, die Würde des Menschen zu missachten oder seine Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit oder Freiheit anderen Werten insoweit zu unterstellen, dass diese im Kern vernichtet würden. Die Grundsätze im Sinne von § 5 Abs. 1 EntschRG böten nur eine allgemeine Rechtsorientierung. Hierauf komme es aber an, wenn ein menschenrechtswidriges Verhalten nicht jedermann vorgeworfen werden solle, der durch Tun oder Unterlassen das Herrschaftssystem der DDR unterstützt habe.
Die Entscheidung des Sozialgerichts sei bereits deshalb unrichtig, weil der Schuldvorwurf lediglich aus der Funktion der Klägerin, aus einer dienstlichen Bestimmung des MfS und aus nichtssagenden Beurteilungen abgeleitet worden sei. Das Innehaben einer dienstlichen Funktion im MfS lasse zwar einigermaßen zuverlässig Schlüsse zur Etablierung der Klägerin im politischen System der DDR und ihres Beitrages zur vermeintlichen Stabilisierung dieses Systems zu. Der Kürzungsgrund der Leistung stelle aber nicht hierauf ab, sondern auf eine individuelle Schuld und damit auf den Nachweis konkreten unmenschlichen Verhaltens. Diese Prüfung habe das Sozialgericht unterlassen. Zutreffend habe das Sozialgericht zwar festgestellt, dass die Hauptabteilung VIII das Beobachtungs- und Ermittlungsorgan im MfS war. Die Schlussfolgerung, dass dessen Tätigkeit im Wesentlichen darauf gerichtet gewesen sei, Verdachtsgründe gegen Regimekritiker und Regimegegner sowie Ausreise- und Fluchtwillige zu erarbeiten, die dann Grundlage für weitere Verfolgungsmaßnahmen durch das MfS waren, gehe ohne konkrete Anhaltspunkte jedoch fehl. Ungeklärt sei geblieben, ob die Klägerin tatsächlich gegen die genannten Grundsätze verstoßen habe. Vielmehr habe festgestellt werden müssen, dass der Klägerin kein konkreter Verstoß i.S.d. § 5 Abs. 1 EntschRG habe nachgewiesen werden können. Dennoch schlussfolgerte das Sozialgericht aus den Festlegungen der Richtlinie 1/58, dass diese Verfolgungsmaßnahmen "ja gerade Aufgabe und Ziel" der Tätigkeit der Klägerin gewesen seien. Zwar habe die Richtlinie - dem Sicherheitsverständnis der DDR folgend - die Möglichkeit geboten, geheimdienstliche Maßnahmen gegen Regimekritiker und andere missliebige Personen einzuleiten, was zweifelsfrei auch umfassend geschehen sei. Dies sei aber nicht die ausschließliche Zielstellung des MfS gewesen, so dass eine Differenzierung der Handlungen der Mitarbeiter des MfS - so auch der Handlungen der Klägerin - unerlässlich sei. Nicht unerheblich sei, dass auch in als rechtsstaatlich geltenden Staatswesen der Einsatz von verdeckt tätigen Personen gängige Praxis von Geheimdiensten und Polizei sei. Dies lasse aber nicht pauschalierend den Schluss zu, dass die Tätigkeit dieser Personen a priori auf die Verletzung von rechtsstaatlichen Grundsätzen ausgerichtet gewesen und die Koordinierung ihrer Tätigkeit gleichfalls dieser Wertung unterfalle. Es sei nicht ersichtlich, dass es die Klägerin unterlassen habe, in ihren Handlungen ein gebotenes Mindestmaß an Rechtlichkeit zu beachten und Personen durch ihre Handlungen in ihren Rechten verletzt worden seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 25.02.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11.02.1998 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Sozialgericht habe zutreffend festgestellt, dass die Klägerin im Rahmen ihrer von Februar 1956 bis Anfang 1963 ausgeübten Ermittlungstätigkeit gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit i.S.d. § 5 Abs. 1 EntschRG verstoßen habe. Die Klägerin habe an den Eingriffen in die genannten Grundsätze verantwortlich mitgewirkt, indem sie ein GI-Netz aufgebaut und die Bespitzelungstätigkeit der GI koordiniert habe. Irreführend und unzutreffend seien die Ausführungen der Klägerin, der Entziehungsgrund stelle auf eine individuelle Schuld und damit auf den Nachweis konkreten unmenschlichen Verhaltens ab. Das Bundessozialgericht habe in seinen grundlegenden Entscheidungen vom 30.01.1997 (BSG SozR 3-8850 § 5 Nr. 1, Nr. 2) und vom 24.03.1998 (B 4 RA 78/96 R) die Voraussetzungen für ein Vorliegen von Grundsatzverstößen im Sinne des § 5 Abs. 1 EntschRG näher konkretisiert. Danach sei der Tatbestand erfüllt, wenn der Inhaber eines Rechts auf Entschädigungsrente durch sein Verhalten (Handeln oder Unterlassen) in Ausübung ihm übertragener oder eingeräumter Gewalt den Unrechtserfolg des Verstoßes gegen einen der genannten Grundsätze herbeigeführt oder einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet habe, dass andere diesen Erfolg herbeiführten. Ferner müsse der Rechtsinhaber zurechnungsfähig im Sinne von § 104 Nr. 2, § 827 BGB gewesen sein und die Tatsachen gekannt haben, aus denen sich die Unvereinbarkeit seines Verhaltens mit den Grundsätzen der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit ergebe. Dabei sei es nicht erforderlich, dass der Berechtigte die Verletzung der Grundsätze selbst (mit)beschlossen oder sie ("eigenhändig") bewirkt habe. Es reiche aus, wenn er durch Rat oder Tat oder durch Organisations- oder Schulungsmaßnahmen oder in anderer Weise im Rahmen der ihm eingeräumten Gewalt den Verstoß gefördert habe. Dieser sei ihm insbesondere dann zuzurechnen, wenn er den Befehl hierzu gegeben oder einen ihm erteilten Befehl näher ausgeformt oder wenn er Anordnungen zu Verstößen gegen diese Grundsätze mitbeschlossen oder öffentlich unterstützt habe. Dafür reiche es nicht allein aus, dass der Berechtigte in der DDR ein herausgehobenes Funktionärsamt in der SED oder im Staat innehatte. Erforderlich ist vielmehr, dass der Betroffene die ihm übertragene oder überlassene Macht zur Einleitung, Förderung oder Durchsetzung von Verletzungen der durch die genannten Grundsätze geschützten Rechtsgüter ausgeübt habe. Das könne allerdings dadurch geschehen sein, dass die ihm verliehene Macht solche Verstöße gerade zum Inhalt hatte, also es gewissermaßen zu seiner Amtsausübung gehörte, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit zu verstoßen. Das werde durch den Inhalt der jeweiligen "Amtsgeschäfte" hilfstatsächlich indiziert. Diese Voraussetzungen seien vorliegend ganz offensichtlich erfüllt.
Allgemeinkundig sei mittlerweile, dass das MfS das wesentliche exekutive Machtsicherungsinstrument für die DDR gewesen sei. Ähnlich wie das Grenzsystem sei es eine Existenznotwendigkeit für die SED-Herrschaft gewesen. Der Apparat der Staatssicherheit sei auf Unterdrückung elementarer Menschenrechte ausgerichtet gewesen und habe schon für sich eine Verletzung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit beinhaltet. Die einem Funktionsträger des MfS übertragenen Aufgaben hatten Verstöße gegen die genannten Grundsätze damit schon zum Inhalt, sie gehörten gewissermaßen zur Ausübung seines Amtes. Die Ausführungen der Klägerin verkennen nicht nur die tatsächlichen Aufgaben sowie die Arbeitsweise und Methoden des MfS, sondern verharmlosten sie im Hinblick auf die zahlreichen Opfer der Verfolgungs- und Unterdrückungsmaßnahmen innerhalb der DDR- Bevölkerung in unerträglicher Weise. Schon bei der Lektüre der Richtlinie 1/58 werde deutlich, dass mit einer ganzen Armee sog. IM die Bevölkerung völlig durchdrungen, kontrolliert, bespitzelt, verfolgt und unterdrückt wurde. Dabei sei es gerade nicht um die Abwehr von Spionage- und Geheimdiensttätigkeit, sondern vorrangig und gezielt um die Überwachung der breiten Bevölkerung gegangen. Die Klägerin habe durch ihre Tätigkeit dazu beigetragen, dass der Unterdrückungsapparat des MfS funktionierte und habe auch Anteil an seinen "Erfolgen". Der Tatsache, dass konkrete Einzelfälle nicht mehr nachvollziehbar seien und der Klägerin im Dienstgrad eines "Oberfeldwebels" keine exponierte Stellung im MfS zugekommen sei, habe die Beklagte dahingehend Rechnung getragen, dass die Entschädigungsrente nicht vollständig aberkannt, sondern nur um die Hälfte gekürzt worden sei.
Die Beigeladenen beantragen ebenfalls,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie schließen sich den Ausführungen der Beklagten an.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und auf die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 144, 151, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ist zulässig und begründet. Die Kürzung des Rechts auf Entschädigungsrente ist rechtswidrig. Der Klägerin lässt sich eine Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit in besonders schwerem Maße nicht nachweisen.
Der Klägerin war im DDR-Staat ein subjektives Recht auf Ehrenpension nach § 3 Abs. 1 Buchst. a der Anordnung über Ehrenpensionen für Kämpfer gegen den Faschismus und für Verfolgte des Faschismus sowie für deren Hinterbliebene (EhPensFaschismA0 vom 20.09.1976, Vertrauliche Dienstsache - VD 26/19/76) zuerkannt. Der Zuerkennungsakt ist ein Verwaltungsakt im Sinne von Art. 19 Satz 1 Einigungsvertrag (EV). Danach bleiben Verwaltungsakte der DDR, die vor dem Beitritt ergangen sind, weiterhin wirksam. Sie können aufgehoben werden, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen des Einigungsvertrages unvereinbar sind (Art. 19 Satz 2 EV). Der Einigungsvertrag regelt ferner in Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 5 die Sicherstellung dieser Leistung durch die grundsätzliche weitere Geltung der EhPensFaschismAO. Deshalb stand der Klägerin ab 03.10.1990 zunächst das Recht auf Ehrenpension weiterhin zu. Es wurde materiell-rechtlich am 01.05.1992 mit In-Kraft-Treten des Gesetzes über Entschädigungen für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet (EntschRG vom 22.04.1992, BGBl. I S. 906) durch ein Recht auf Entschädigungsrente ersetzt (§§ 1, 2 Abs. 1 EntschRG). Gemäß § 2 Abs. 1 EntschRG hatte die Klägerin deshalb ab Mai 1992 gegen die Beklagte ein subjektives Recht auf Entschädigungsrente, aus dem monatliche Ansprüche auf Zahlung von 1.400,00 DM gegen die Beigeladene zu 2. erwuchsen.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die Beklagte auf Vorschlag der Beigeladenen zu 1) unter Hinweis auf § 5 Abs. 1 EntschRG die Entschädigungsrente um die Hälfte auf 700,00 DM gekürzt. Zwar eröffnet die genannte Vorschrift die Möglichkeit der Kürzung einer Entschädigungsrente. Voraussetzung ist aber der Nachweis, dass der Betroffene - hier die Klägerin - "gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat". Diese Voraussetzungen, von denen hier allein die erste Alternative (Tatbestand des Verstoßes) in Streit steht, sind indessen nicht erfüllt.
Der angefochtene Bescheid ist jedoch nicht wegen einer Verletzung von Verfahrensvorschriften rechtswidrig. Die Anhörung i.S.d. § 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist erfolgt. Schon vor der Geltung des Einigungsvertrages regelte das Gesetz zur Angleichung der Bestandsrenten an das Netto- Renten-Niveau der Bundesrepublik Deutschland und zur weiteren rentenrechtlichen Regelungen (Rentenangleichungsgesetz [RAG] vom 28.06.1990, GBl. I Nr. 38 S. 495) in den §§ 30 ff. die weitere Zahlung von Sonderleistungen, darunter auch die Ehrenpensionen für Kämpfer gegen den Faschismus und Verfolgte des Faschismus sowie deren Hinterbliebene (§ 32 RAG). Nach § 32 Abs. 3 RAG konnten Ehrenpensionen bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 27 Abs. 1 RAG gekürzt oder entzogen werden. § 27 RAG eröffnete die Möglichkeit der Kürzung oder Aberkennung, wenn der Berechtigte oder die Person, von der sich die Berechtigung ableitete, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße ihre Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hatte. Danach hatte schon der DDR-Gesetzgeber die Möglichkeit der Kürzung oder Aberkennung der Ehrenpensionen aus denselben Gründen, wie sie vorliegend zu prüfen sind, vorgesehen, obgleich er von der in § 27 RAG genannten Ermächtigung bis zum Zeitpunkt des Unterganges der DDR keinen Gebrauch mehr gemacht hatte.
Gemäß § 5 Abs. 1 EntschRG sind Entschädigungsrenten (nicht zu bewilligen), zu kürzen oder abzuerkennen, wenn der Berechtigte (oder derjenige, von dem sich die Berechtigung ableitet) gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat. Nach § 5 Abs. 2 EntschRG entscheidet das Bundesversicherungsamt (BVA) über die Kürzung oder Aberkennung einer Entschädigungsrente auf Vorschlag der Kommission nach § 3 des Gesetzes über das Ruhen von Ansprüchen aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen (Versorgungsruhensgesetz vom 25.07.1991, BGBl. I S. 1606). Hier hat die Beigeladene zu 1. mit Beschluss vom 16.12.1996 vorgeschlagen, der Klägerin die laufende Entschädigungsrente gemäß § 5 Abs. 1 EntschRG auf die Hälfte und damit auf 700,00 DM zu kürzen.
Durch das EntschRG wurde die schon im Einigungsvertrag (Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 5) vorgesehene Angleichung der Rechtslage der Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet mit derjenigen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) im bisherigen Bundesgebiet verwirklicht. Die Versagungsgründe (sog. Unwürdigkeitsklauseln) sind jedoch gegenüber dem BEG wesentlich milder gefasst (vgl. zum Ganzen: BSG, Urteil vom 30.01.1997 - 4 RA 99/95). Mit § 5 Abs. 1 EntschRG hat der Gesetzgeber die Unwürdigkeitsklausel in das Entschädigungsrecht aufgenommen. Danach besteht das Recht auf Entschädigungsrente insoweit nicht mehr, wie der Betroffene selbst gegen die Grundsätze verstoßen hat, auf denen die Gewährung der Entschädigungsrente beruht. Insoweit handelt es sich um eine spezial-gesetzliche Ermächtigung die Bindungswirkung früherer Verwaltungsakte zu durchbrechen (vgl. BSG a.a.O.; Urteile vom 30.01.1997, Az. 4 RA 23/96, sowie vom 24.03.1998, Az. B 4 RA 78/96 R).
Ein diesen Maßstäben gerecht werdender Kürzungsgrund liegt nach Überzeugung des Senats nicht vor. Ein erheblicher Verstoß der Klägerin gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit ist nicht belegt. Der Senat bemisst dabei die genannten Grundsätze in Anlehnung an die ständige Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 30.01.1997, Az. 4 RA 99/95, Az. 4 RA 33/95, Az. 4 RA 23/96; Urteil vom 24.03.1998, Az. B 4 RA 78/96 R) wie folgt:
Der Grundsatz der Menschlichkeit schützt die Würde (Art. 1 Abs. 1 GG) und die unveräußerlichen Menschenrechte (Art. 1 Abs. 2 GG) eines jeden, der in einem Gemeinwesen dem jeweiligen Inhaber der Macht sowie den Menschen unterworfen ist, denen jener Herrschaftsmacht verliehen oder faktisch einräumt hat. Schutzgut des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit (Art. 1 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1 bis 3, Art. 20 Abs. 3 GG) ist, dass jeder Gewaltinhaber sich um eine den jeweiligen Lebensverhältnissen angemessene Sachbehandlung, vor allem unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bemühen muss und insbesondere nicht willkürlich handeln darf.
Die Grundsätze der "Menschlichkeit" und "Rechtsstaatlichkeit" misst der Senat an den dem Grundgesetz eigenen Maßstäben. Insbesondere ist hinsichtlich des Verhaltens der Klägerin nicht auf das zum Zeitpunkt ihrer Tätigkeit jeweils geltende DDR-Recht abzustellen. Würde auf das ehemals geltende DDR-Recht abgestellt werden, liefe die Aberkennungs- und Kürzungsklausel des § 5 Abs. 1 EntschRG schlichtweg ins Leere. Gemessen an ihren eigenen Vorstellungen hielten sich sämtliche Gewaltinhaber der DDR an die gesetzlichen Vorgaben, so dass letztlich eine Aberkennung oder Kürzung nicht in Betracht käme. Deshalb kann Maßstab für die Unwürdig-Erklärung im Sinne des § 5 Abs. 1 EntschRG nur die zum Zeitpunkt der Aberkennung geltende Wertordnung des Grundgesetzes, namentlich die Grundrechte auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Freizügigkeit sowie das Rechtsstaatsprinzip, sein. Hierbei handelt es sich um die Mindestgarantien für ein menschenwürdiges, von staatlicher Willkür freies Dasein, wie sie auch in den Regelungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMK) oder des Internationalen Pakts über bürgerliche oder politische Rechte (IPBPR) niedergelegt sind und weltweit Beachtung finden.
In Anlehnung an die Rechtsprechung des BSG ist der Ermächtigungstatbestand des Verstoßes gegen die Menschlichkeit oder gegen die Rechtsstaatlichkeit erfüllt, wenn der Inhaber eines Rechts auf Entschädigungsrente durch sein Verhalten (Handeln oder Unterlassen) in Ausübung ihm übertragener oder eingeräumter Gewalt den Unrechtserfolg des Verstoßes gegen einen der genannten Grundsätze herbeigeführt oder einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet hat, dass andere diesen Erfolg herbeiführen; ferner muss er zurechnungsfähig im Sinne von §§ 104 Nr. 2, 827 BGB gewesen sein und die Tatsachen gekannt haben, aus denen sich die Unvereinbarkeit seines Verhaltens mit den Grundsätzen der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit ergab. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Berechtigte die Verletzung der Grundsätze selbst (mit)beschlossen oder sie ("eigenhändig") bewirkt hat. Es oder Schulungsmaßnahmen oder in anderer Weise im Rahmen der ihm eingeräumten Gewalt den Verstoß gefördert hat. Dieser ist ihm insbesondere dann zuzurechnen, wenn er den Befehl hierzu gegeben oder einen ihm erteilten Befehl näher ausgeformt oder wenn er Anordnungen zu Verstößen gegen diese Grundsätze mitbeschlossen oder öffentlich unterstützt hat.
Durch das Verhalten der Klägerin muss es zu einer Beeinträchtigung der durch die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit geschützten Rechtsgüter gekommen sein. Dabei schützt der in § 5 Abs. 1 EntschRG genannte Grundsatz der Menschlichkeit die (Ansehens-)Würde und die unveräußerlichen Menschenrechte (Art. 1 GG) eines jeden, der in einem Gemeinwesen dem jeweiligen Inhaber der Macht sowie den Menschen unterworfen ist, denen jener Herrschaftsmacht verliehen oder faktisch eingeräumt hat. Es ist jeden Machtinhaber sowie dem Machtsystem, dem er angehört, schlechthin untersagt, die Würde eines Menschen zu missachten oder seine Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit oder Freiheit anderen "Werten" soweit unterzuordnen, dass sie im Kern vernichtet werden. Schutzgut des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit ist, dass jeder Gewaltinhaber sich um eine den jeweiligen Lebensverhältnissen angemessene Sachbehandlung bemühen muss und vor allem nicht willkürlich handeln darf. Die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit gebieten den Machtinhabern also nur eine elementare Rechtsorientierung, die jenes Mindestmaß an Rechtlichkeit beachtet, welches jeden Staat von der "Räuberbande" unterscheidet. Hingegen gibt sich ein Unrechts- oder Willkürsystem gerade dadurch zu erkennen, dass diese elementaren Grundsätze anderen Zielsetzungen nach dem Motto, der Zweck heilige die Mittel, schlechthin untergeordnet werden (BSG a.a.O.).
In diesem Ausgangspunkt zutreffend gehen auch die Beklagte und die Beigeladenen davon aus, dass es nicht allein ausreicht, ob der Berechtigte in der DDR ein herausgehobenes Funktionärsamt in der SED oder im Staat inne hatte. Erforderlich ist vielmehr, dass der Betroffene die ihm übertragene oder überlassene Macht zur Einleitung, Förderung oder Durchsetzung von Verletzungen der durch die genannten Grundsätze geschützten Rechtsgüter ausgeübt hat. Das kann allerdings auch dadurch geschehen sein, dass die ihm verliehene Macht solche Verstöße gerade zum Inhalt hatte, also es gewissermaßen zu seiner Amtsausübung gehörte, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit zu verstoßen. Das wird nach der Rechtsprechung des BSG durch den Inhalt der jeweiligen "Amtsgeschäfte" hilfstatsächlich indiziert (zum Ganzen vgl. BSG SozR 3-8850 § 5 Nrn. 1 und 2; BSG, Urteil vom 24.03.1998 - B 4 RA 78/96 R).
Nach Überzeugung des Senates und entgegen der Ansicht des Sozialgerichts und der Beklagten sowie der Beigeladenen liegen die Voraussetzungen für eine Kürzung des subjektiven Rechts der Klägerin auf Entschädigungsrente nicht vor. Die Beklagte als auch das Sozialgericht stützen die verfügte Kürzung allein auf die Hilfserwägung, aus der Amtsausübung der Klägerin als Ermittlerin im Referat II der Abteilung VIII der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit in ... und der Führung von sechs Geheimen Informatoren sei ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit abzuleiten. Insoweit führen die Beklagte - auch im angefochtenen Bescheid - und die Beigeladenen aus, die Klägerin habe auf Grund der durch die dienstlichen Beurteilungen dokumentierten "durchschnittlichen" bzw. "brauchbaren" Ermittlungsergebnisse einen mitursächlichen Beitrag zur Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit durch andere geleistet. Dies sei jedenfalls durch Hilfstatsachen erwiesen. Damit ist indessen nicht nachgewiesen, dass die Klägerin gegen die genannten Grundsätze verstoßen hat.
Erforderlich für die Erfüllung des objektiven Tatbestands des § 5 Abs. 1 EntschRG ist vielmehr, dass der Betroffene gegen die genannten Grundsätze "verstoßen" hat. Dies erfordert ausweislich der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. nur BSG SozR 3-8850 § 5 Nr. 2 [S. 37 f. m.w.N.]) "ein konkretes räumlich und zeitlich eingegrenztes Verhalten, das einem Beweis zugänglich ist". Dadurch muss der Betroffene gegen die Inhalte der genannten Grundsätze verstoßen haben oder Verstößen gegen sie, obgleich ihm möglich und zumutbar, nicht entgegen getreten sein. Es genügt insoweit eine Mitwirkung an den Verstößen anderer Gewaltinhaber, die nicht auf die strafrechtlichen Teilnahmeformen begrenzt ist. Das bloße "Vorschubleisten", die bloß allgemeine Förderung des Unrechts- und Gewaltregimes der SED genügt dafür indessen nicht.
Die von der Beklagten und den Beigeladenen vorgetragenen Erwägungen belegen allein das Vorhandensein einer Dienststellung und eines näher bestimmten Aufgabenfeldes auf Seiten der Klägerin. Diese war ausweislich der vorhandenen und vom Senat beigezogenen Unterlagen, namentlich der verschiedenen Zeugnisse und Beurteilungen, in den genannten Zeiträumen als Ermittlerin im Referat II der Abteilung III der MfS-Bezirksverwaltung für einen Stadtbezirk ... und für einen Teil des Landkreises zuständig. Zu ihrem Aufgabenfeld zählten Ermittlungen für das MfS, die sie unter anderem durch Anleitung und Überwachung der ihr unterstehenden GI im Dienstgrad eines Feldwebels, ab 1958 eines Oberfeldwebels wahrnahm. Ab Juli 1963 war die Klägerin sodann in der Abt. Kader und Schulung als Ermittlerin in der Werbegruppe eingesetzt; dort hatte sie Ermittlungsaufträge für andere Bezirksverwaltungen einschließlich des MfS Berlin zu bearbeiten.
"Nachgewiesen" ist mithin allein, dass die Klägerin dem SED-Staat verpflichtet war, und namentlich für das MfS in ihrem "Zuständigkeitsfeld" gegen die eigene Bevölkerung konspirativ tätig gewesen ist. In diesem ihrem Tätigkeitsfeld hat die Klägerin das Unrechts- und Gewaltsystem der SED nachhaltig "gefördert". Insoweit war sie zweifellos im Machtapparat des SED-Staates integriert. Sie mag sich, woran der Senat überhaupt keinen Zweifel hat, gerade auch mit den totalitär geprägten und ausgerichteten Machstrukturen des SED-Staates identifiziert haben. All dies genügt aber nicht, um im Sinne des § 5 Abs. 1 EntschRG auf einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit konkret zu schließen. Die genannten Dienststellungen und das dargelegte jeweilige dienstliche Aufgabenfeld machen nur deutlich, welchen Verpflichtungen die Klägerin im Unrechts- und Gewaltsystem der SED allgemein nachzugehen hatte. Weder aus den jeweiligen Dienststellungen noch den verschiedenen Aufgabenfeldern ergibt sich, dass diese für sich genommen bereits über das bloße "Vorschubleisten" hinausgehende Handlungen oder pflichtwidrige Unterlassungen i.S.d. § 5 Abs. 1 EntschRG begangen hat. Ebenso wenig kann aufgrund der vorliegenden Unterlagen nachgewiesen werden, dass die Klägerin dazu beigetragen hat, dass andere Machtinhaber solche Verstöße begangen haben. Allein die bloße Dienststellung oder die bloße Amtsausübung - hier als Ermittlerin des MfS - genügen in dieser Allgemeinheit für sich genommen noch nicht, um einen konkreten Tatverstoß zu belegen, obgleich das MfS nach seinen Richtlinien als Einrichtung zur Erhaltung des totalitären SED-Staates zur flächendeckenden Beobachtung und Bespitzelung der DDR-Bevölkerung diente.
Denn Maßstab für die Aberkennung oder die Kürzung eines Rechts auf Entschädigungsrente ist - wie dargelegt - das Vorliegen eines "konkreten, räumlich und zeitlich eingegrenzten Verhaltens", das einem Beweis zugänglich ist. Insoweit findet sich, wie auch die Beklagte und die Beigeladenen einräumen, abgesehen von den in den Akten enthaltenen dienstlichen Beurteilungen, nicht ein einziger konkreter Anhalt dafür, der als Beleg dienen könnte. Ebenso wenig ist für den Senat zu ersehen, welche Anhaltspunkte das Vorliegen eines in diesem Sinne "konkreten Verhaltens", etwa in Form von konkreten Befehlen, Anleitungen oder eigenen Auswertungen, auf Seiten der Klägerin in Betracht kommen könnten.
Unerheblich im hier in Streit stehenden Zusammenhang sind die Bewertungen, Beurteilungen und Belobigungen der dienstlichen Tätigkeiten. Zwar ist nachgewiesen, dass die Klägerin im April 1961 "von der Zusammenarbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern auf Grund ihres Gesundheitszustandes und ungenügender Qualifikation entbunden" worden ist. Auch verfügte sie nach der Einschätzung ihrer Vorgesetzten "über ein durchschnittliches ideologisches Wissen und reiche parteipolitische Erfahrungen"; dies soll "sie befähigt (haben), die Ermittlungsergebnisse richtig einzuschätzen und schriftlich darzulegen". Auf Grund ihrer dienstlichen Erfahrung war die Klägerin, den von ihren Vorgesetzten getroffenen Bewertungen zufolge, "in der Lage, die ihr übertragenen Kaderermittlungen gründlich durchzuführen", wie dies etwa in der Beurteilung vom 16.03.1965 ausgeführt ist. Nachgewiesen ist überdies, dass die Klägerin am 08.02.1961 mit der "Medaille für treue Dienste" in Bronze, am 07.10.1964 mit der "Verdienstmedaille der NVA" in Bronze, am 08.02.1966 mit der "Medaille für teure Dienste" in Silber und am 12.11.1966 mit der "Verdienstmedaille der NVA" in Silber ausgezeichnet worden ist. All dies belegt für sich genommen zwar, dass die Klägerin das Unrechts- und Gewaltsystem der SED - nachhaltig - gefördert hat und im Machtapparat des SED-Staates, mit dem sie sich identifiziert hat, integriert war. Ein konkreter Unrechtserfolg, wie dies in § 5 Abs. 1 EntschRG als Voraussetzung für die hier verfügte Kürzung des Rechts auf Entschädigungsrente normiert ist, liegt darin indessen nicht.
Aus den genannten Gründen war auf die Berufung das Urteil des Sozialgerichts Leipzig aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtliche Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die beklagte Bundesrepublik Deutschland berechtigt war, das der Klägerin seit Mai 1992 gegen die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) zustehende Recht auf Entschädigungsrente nach § 5 des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet (EntschRG) vom 22.04.1992 (BGBl. I S. 906) ab März 1998 auf 700,00 DM zu kürzen.
Die am ... geborene Klägerin war vor 1933 Mitglied des kommunistischen Jugendverbandes und nahm mit Beginn des faschistischen Regimes an der "illegalen Parteiarbeit der KPD" teil. In ihrer Wohnung befand sich eine "illegale Literaturstelle der KPD". Auf Grund dieser Tätigkeit wurde sie 1935 verhaftet und nach fünf Monaten Untersuchungshaft wegen Vorbereitung zum Hochverrat vom Oberlandesgericht Dresden zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, die sie von Juli 1935 bis 18.10.1936 in der Frauenstrafanstalt Waldheim verbüßte. Nach Kriegsende wurde sie Mitglied der KPD und später der SED; sodann nahm sie zunächst vom 01.06.1948 bis 08.11.1952 eine Tätigkeit als Sachbearbeiterin beim Rat der Stadt ... auf und wechselte am 10.11.1952 als technische bzw. politische Mitarbeiterin in die SED-Kreisleitung ...
Vom 01.02.1956 bis 30.11.1966 war die Klägerin als hauptamtliche Mitarbeiterin beim ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit (MfS), zuletzt mit dem militärischen Dienstgrad eines Oberfeldwebels tätig, und zwar vom 01.02.1956 bis 14.07.1963 als operativer Mitarbeiter (Ermittlerin) im Referat II der Abteilung VIII der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit in ... und ab 15.07.1963 bis zum Ausscheiden aus dem MfS am 30.11.1966 in der Abteilung Kader und Schulung.
Nach den beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) vorhandenen Personalunterlagen und dienstlichen Beurteilungen vom 15.01.1957, 29.06.1959, 19.11.1960, 28.06.1961, 11.04.1963 und 16.03.1965 bearbeitete die Klägerin als Ermittlerin im Referat II der Abteilung III der MfS-Bezirksverwaltung einen Stadtbezirk ... sowie einen Teil des Landkreises. Sie führte die Ermittlungen "mit durchschnittlichen Arbeitsergebnissen" selbständig durch. Den Eintragungen zufolge verfügte sie über ein durchschnittliches Netz von Geheimen Informatoren (GI), deren regelmäßige Anleitung sie übernahm (vgl. Beurteilung vom 15.01.1957).
Mit Befehl vom 07.10.1958 wurde die Klägerin vom Feldwebel zum Oberfeldwebel befördert. Nach der Beurteilung vom 29.06.1959 bearbeitete sie zu dieser Zeit als Ermittlerin selbständig den Stadtbezirk ... und steuerte sechs GI; eine konspirative Wohnung oder Geheime Hauptinformatoren unterstanden ihr nicht. Nach Einschätzung ihrer Vorgesetzten zeigte die Klägerin in der Werbung von informellen Mitarbeitern (IM) Schwächen, da sie "in dieser Hinsicht nicht schwerpunktmäßig" gearbeitet habe. Insoweit bedürfe sie der ständigen Anleitung. Der dienstlichen Beurteilung vom 19.11.1960 ist zu entnehmen, dass die Klägerin weiterhin einen Stadtbezirk ... selbständig bearbeitet habe. Alle dort anfallenden Ermittlungen wurden zu 75 % durch das bestehende inoffizielle Netz erledigt. Wegen ihres angegriffenen Gesundheitszustandes (verminderte Sehkraft) könnten an die Klägerin jedoch keine höheren Anforderungen gestellt werden.
Im April 1961 wurde die Klägerin "von der Zusammenarbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern auf Grund ihres Gesundheitszustandes und ungenügender Qualifikation entbunden". Ihr sei die Aufgabe übertragen worden, "eilige Ermittlungen sowie solche, die nicht durch IM erledigt werden können, durchzuführen". Wegen des stark angegriffenen Gesundheitszustandes sei "kein voller Arbeitseinsatz gegeben, stärkerer Belastung (könne) sie nicht unterzogen werden" (vgl. Beurteilung vom 28.06.1961). Der Beurteilung vom 11.04.1963 zufolge war die Klägerin als Kommandierte der Abt. III einige Monate in der Ermittlergruppe der Abt. Kader und Schulung eingesetzt. Sie besitze die Qualifikation, Kaderermittlungen selbständig durchzuführen, wobei wegen des Gesundheitszustandes quantitätsmäßige Schwierigkeiten zu berücksichtigen seien. Nach Einschätzung ihrer Vorgesetzten verfügte die Klägerin "über ein durchschnittliches ideologisches Wissen und reiche parteipolitische Erfahrungen, was sie befähigt, die Ermittlungsergebnisse richtig einzuschätzen und schriftlich darzulegen".
Seit 15.07.1963 war die Klägerin in der Abt. Kader und Schulung als Ermittlerin in der Werbegruppe eingesetzt und bearbeitete Ermittlungsaufträge für andere Bezirksverwaltungen, einschließlich des MfS Berlin. Auf Grund ihrer dienstlichen Erfahrung sei sie in der Lage gewesen, die ihr übertragenen Kaderermittlungen gründlich durchzuführen (vgl. Beurteilung vom 16.03.1965). Für ihre Arbeitsergebnisse ist die Klägerin am 08.02.1961 mit der "Medaille für treue Dienste" in Bronze; am 07.10.1964 mit der "Verdienstmedaille der NVA" in Bronze; am 08.02.1966 mit der "Medaille für treue Dienste" in Silber und am 12.11.1966 mit der "Verdienstmedaille der NVA" in Silber ausgezeichnet worden.
Wegen des erlittenen NS-Unrechts war die Klägerin in der ehemaligen DDR seit 06.09.1958 Trägerin der "Medaille für Kämpfer gegen den Faschismus". Auf der Grundlage der "Anordnung über Ehrenpension für Kämpfer gegen den Faschismus und für Verfolgte des Faschismus sowie für deren Hinterbliebene (EhPensAO) vom 20.09.1976 (vertrauliche Dienstsache - VD 26/1976) war ihr in der DDR eine Ehrenpension zuerkannt, deren Betrag ab Juli 1990 monatlich - aufgewertet auf DM - von der DDR und ab 03.10.1990 zu Lasten der Beklagten von der beigeladenen BfA bis 30.04.1992 weitergezahlt wurde. Die BfA erkannte ihr für die Zeit ab 01.05.1992 in Ersetzung des Anspruchs auf eine Ehrenpension nach dem EhPensAO eine Entschädigungsrente nach dem Gesetz über Entschädigung für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet (EntschRG) vom 22.04.1992 (BGBl. I 906) in Höhe von 1.400,00 DM monatlich zu.
Nach Anhörung der Klägerin schlug die beigeladene Kommission der Bundesrepublik Deutschland zum Versorgungsruhens- und Entschädigungsrentengesetz dem Bundesversicherungsamt (BVA) mit Beschluss vom 16.12.1997 unter Hinweis auf § 5 Abs. 1 EntschRG eine Kürzung der Entschädigungsrente um die Hälfte auf 700,00 DM vor. Die Klägerin habe durch ihre Ermittlertätigkeit von Februar 1956 bis zumindest Anfang 1963 im Referat II der Abteilung III der MfS-Bezirksverwaltung ... gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Als Beobachtungs- und Ermittlungsorgan im MfS sei das Aufgabengebiet der Abteilung III gerade darauf gerichtet gewesen, Verdachtsgründe gegen Regimekritiker und Regimegegner sowie Ausreise- und Fluchtwillige zu "erarbeiten", die dann Grundlage für weitere Verfolgungsmaßnahmen durch das MfS gewesen seien. Die Klägerin habe aufgrund der durch die dienstlichen Beurteilungen dokumentierten "durchschnittlichen" bzw. "brauchbaren" Ermittlungsergebnisse einen mitursächlichen Beitrag zur Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit durch andere geleistet. Dies sei jedenfalls durch Hilfstatsachen erwiesen und rechtfertige, da eine besonders schwerwiegende Verletzung der vorgenannten Grundsätze der Klägerin nicht nachgewiesen werden könne, nach § 5 Abs. 1 EntschRG eine Kürzung der ihr gewährten Entschädigungsrente.
Dem Vorschlag der beigeladenen Kommission folgte das BVA und kürzte mit Bescheid vom 11.02.1998 den der Klägerin gegen die beigeladenen BfA zustehenden Anspruch auf Zahlung einer Entschädigungsrente von monatlich 1.400,00 DM mit sofortiger Wirkung auf monatlich 700,00 DM. Die Beklagte schloss sich unter Hinweis auf die in der Richtlinie 1/58 "für die Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik" vom 01.10.1958 (geheime Verschlusssache, GVS 1336/58) enthaltenen Grundsätze und Aufgabenbereiche der Arbeit der inoffiziellen Mitarbeiter der rechtlichen Würdigung der Ermittlungstätigkeit der Klägerin für die Zeit von 1956 bis 1963 durch die Kommission an.
Gegen diesen Bescheid richtete sich die am 23.02.1998 vor dem Sozialgericht Leipzig erhobene Klage. Die Klägerin machte im Wesentlichen geltend, die Ausführungen des BVA bewegten sich im spekulativen Bereich. Ein konkret belegbares Verhalten, aus dem sich ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit herleiten ließe, sei ihr nicht nachgewiesen worden. Allein der generelle Hinweis auf die Richtlinie 1/58 für die Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern reiche zur Begründung eines Verstoßes gegen die genannten Rechtsgüter nicht aus. Im Übrigen habe sie nur eine untergeordnete Dienststellung, zuletzt als Oberfeldwebel, inne gehabt und habe daher einen wesentlichen Beitrag zur Einleitung von Verfolgungsmaßnahmen gegen ermittelte Personen nicht leisten können.
Die Beklagte verwies darauf, dass die Klägerin als operative Mitarbeiterin an rechtsstaatswidrigen Eingriffen beteiligt gewesen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei zwar ein konkretes zeitliches und räumlich abgeschlossenes Verhalten erforderlich, jedoch kein "eigenhändiges Bewirken". Die Klägerin habe durch ihre über 6 ½-jährige Ermittlungstätigkeit durch Rat und Tat die Verletzung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit durch andere hauptamtliche Mitarbeiter des MfS gefördert. Der Verstoß gegen diese Grundsätze habe wesensnotwendig zu ihrer Amtsausübung gehört. Sie sei von 1956 bis 1963 maßgeblich mit der Koordinierung der Tätigkeit so genannter geheimer Informatoren (GI) betraut gewesen. In Anlehnung an die Richtlinie 1/58 sei die Tätigkeit der GI darauf gerichtet gewesen, Oppositionelle, Regierungsgegner und ausreisewillige DDR-Bürger ausfindig zu machen. Hier sei besonders verwerflich, dass weite Teile der DDR-Bevölkerung nahezu ohne konkreten Anlass planmäßig mit nachrichtendienstlichen Mitteln bearbeitet und bespitzelt worden seien. Hierzu habe die Klägerin zumindest, im Stadtbezirk Leipzig-West beigetragen.
Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 25.02.2000 ab. Mit Recht habe die Beklagte gestützt auf § 5 Abs. 1 und 2 EntschRG den laufenden Anspruch der Klägerin auf Entschädigungsrente gegen die beigeladene BfA von monatlich 1400,00 DM ab März 1998 auf monatlich 700,00 DM gekürzt, denn die Klägerin habe gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit verstoßen.
Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG zu den Voraussetzungen für eine Aberkennung oder Kürzung eines Rechts auf Entschädigungsrente wegen Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit (BSG SozR 3-8850 § 5 Nrn. 1 und 2; BSG Urteil vom 24.03.1998 - B 4 RA 78/96 R) sei es ausreichend, dass der Verstoß gegen diese Grundsätze gewissermaßen zur Amtsausübung der Klägerin gehört habe. Das werde durch den Inhalt ihrer "Amtsgeschäfte" hilfstatsächlich indiziert. Die Klägerin sei mehr als 10 Jahre hauptamtlich beim ehemaligen MfS der DDR tätig gewesen. Davon habe sie 6 ½ Jahre eine Ermittlungstätigkeit im Referat II der Abteilung VIII der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit in ... ausgeübt und sei selbständig für das Stadtgebiet ... zuständig gewesen. Unstreitig habe sie in dieser Zeit sechs sog. GI geführt, deren Anleitung in ihren dienstlichen Beurteilungen als "gründlich und gewissenhaft" bezeichnet worden sei. Sowohl ihre "fachlichen Kenntnisse" als auch ihre "Arbeitsergebnisse", seien als "durchschnittlich bewertet" worden. Nach der Beurteilung vom 19.11.1960 habe die Klägerin selbständig einen Stadtbezirk "bearbeitet" und die dort anfallenden Ermittlungen zu ca. 75 % durch das bestehende inoffizielle Netz erledigt. Sie habe bei ihrer Tätigkeit mit den geheimen Informatoren die Voraussetzungen und deren Aufgabenbereiche entsprechend der Richtlinie 1/58 "für die Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik" beachten müssen. Nach dieser Richtlinie habe sich das MfS beauftragt gesehen, "alle Versuche, den Sieg des Sozialismus aufzuhalten oder zu verhindern, - mit welchen Mitteln und Methoden es auch sei - vorbeugend im Keime zu ersticken". Als "Hauptmittel in diesem Kampf" seien inoffizielle Mitarbeiter eingesetzt worden, durch die die politisch operative Arbeit der Organe der Staatssicherheit im Wesentlichen realisiert worden sei. Diese IM seien in allen Berufs- und Altersgruppen angeworben worden und sollten in der Lage sein, sich, ohne Verdacht zu erregen, Personen zu nähern und anzupassen, Verbindungen und Vertrauensverhältnisse zu schaffen und das Wesen dieser Personen zu studieren. Daneben seien sog. GI eingesetzt worden, um u.a. Anzeichen feindlicher Tätigkeit und verdächtigter Personen festzustellen und Republikfluchten und Abwerbungen aufzuklären und zu verhindern (Seite 8 der Richtlinie 1/58). Die Festlegungen dieser Richtlinie seien für sämtliche Mitarbeiter der Haupt- und selbständigen Abteilung, der Bezirksverwaltung und Kreisdienststellen des MfS verbindlich gewesen (Seite 38 der RL 1/58). Vor diesem Hintergrund ergebe sich, dass die politisch operative Arbeit des MfS und seiner Organe auf eine völlige Durchdringung der Bevölkerung mit IM zu deren Kontrolle, Bespitzelung, Verfolgung und Unterdrückung gerichtet gewesen sei. Hierbei sei es im Wesentlichen nicht um die Abwehr von Spionage- oder Geheimdiensttätigkeiten, sondern um eine gezielte Überwachung, insbesondere von Ausreise- und Fluchtwilligen sowie mutmaßlichen Regimegegnern und Kritikern gegangen. Dadurch sei in erheblicher Weise in unveräußerliche Rechtsgüter wie Menschenwürde, Meinungs- und Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit, vor allem Versammlungsfreiheit sowie Reise- und Ausreisefreiheit eingegriffen worden. An diesen Eingriffen habe die Klägerin verantwortlich mitgewirkt, indem sie von Februar 1956 bis Ende des Jahres 1962 ein GI-Netz aufgebaut und die Bespitzelungstätigkeit der GI koordiniert habe. Sie habe insoweit einen wesentlichen Beitrag zur Einleitung von Verfolgungsmaßnahmen gegen Regimekritiker und fluchtwillige DDR-Bürger geleistet. Auch wenn ihr kein konkreter Fall habe nachgewiesen werden können, seien diese Verfolgungsmaßnahmen doch wesensnotwendig mit ihrer Tätigkeit verbunden, ja entsprechend den Festlegungen der RL 1/58 gerade Aufgabe und Ziel ihrer Tätigkeit gewesen. Dies sei durch die vorgenannten Beurteilungen und Aktenvermerke belegt.
Damit sei zumindest hilfstatsächlich erwiesen, dass die Klägerin durch ihrer Ermittlungstätigkeit gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit i.S.d. § 5 Abs. 1 EntschRG verstoßen habe. Diese Verstöße seien ihr subjektiv zuzurechnen. Ihr seien die Tatsachen bekannt gewesen, aus denen sich die Unvereinbarkeit ihres Handelns mit den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit ergebe. Die Beklagte habe gewürdigt, dass allein durch das Aushorchen und Ausspähen (ohne nähere Anhaltspunkte über die Vorgehensweise im Einzelnen) noch nicht die Würde des Menschen in so erheblichem Maße berührt worden sei, dass ein völliger Entzug der Entschädigungsrente gerechtfertigt wäre. Mit der Kürzung der Entschädigungsrente auf die Hälfte (und damit auf einen Betrag von monatlich 700,00 DM) habe die Beklagte die in den einschlägigen Beurteilung benannten "durchschnittlichen" Arbeitsergebnisse der Klägerin sowie ihre mit dem Dienstgrad "Oberfeldwebel" nur untergeordnete Funktion in der Hierarchie des MfS berücksichtigt.
Gegen das am 10.05.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 31.05.2000 eingelegte Berufung.
Die Klägerin trägt vor, die ihr zur Last gelegten Handlungen stellten keine die Kürzung der Entschädigungsrente rechtfertigende Verletzung von Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit im Sinne von § 5 Abs. 1 EntschRG dar. Nach der als maßgeblich zu unterstellenden Auffassung des BSG (Urteil vom 30.01.1997 - 4 RA 99/95) schütze der Grundsatz der Menschlichkeit die Würde eines Menschen und seine unverletzlichen Menschenrechte in der Weise, dass es jedem Machthaber sowie dem Machtsystem, dem er angehöre, schlechthin untersagt sei, die Würde des Menschen zu missachten oder seine Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit oder Freiheit anderen Werten insoweit zu unterstellen, dass diese im Kern vernichtet würden. Die Grundsätze im Sinne von § 5 Abs. 1 EntschRG böten nur eine allgemeine Rechtsorientierung. Hierauf komme es aber an, wenn ein menschenrechtswidriges Verhalten nicht jedermann vorgeworfen werden solle, der durch Tun oder Unterlassen das Herrschaftssystem der DDR unterstützt habe.
Die Entscheidung des Sozialgerichts sei bereits deshalb unrichtig, weil der Schuldvorwurf lediglich aus der Funktion der Klägerin, aus einer dienstlichen Bestimmung des MfS und aus nichtssagenden Beurteilungen abgeleitet worden sei. Das Innehaben einer dienstlichen Funktion im MfS lasse zwar einigermaßen zuverlässig Schlüsse zur Etablierung der Klägerin im politischen System der DDR und ihres Beitrages zur vermeintlichen Stabilisierung dieses Systems zu. Der Kürzungsgrund der Leistung stelle aber nicht hierauf ab, sondern auf eine individuelle Schuld und damit auf den Nachweis konkreten unmenschlichen Verhaltens. Diese Prüfung habe das Sozialgericht unterlassen. Zutreffend habe das Sozialgericht zwar festgestellt, dass die Hauptabteilung VIII das Beobachtungs- und Ermittlungsorgan im MfS war. Die Schlussfolgerung, dass dessen Tätigkeit im Wesentlichen darauf gerichtet gewesen sei, Verdachtsgründe gegen Regimekritiker und Regimegegner sowie Ausreise- und Fluchtwillige zu erarbeiten, die dann Grundlage für weitere Verfolgungsmaßnahmen durch das MfS waren, gehe ohne konkrete Anhaltspunkte jedoch fehl. Ungeklärt sei geblieben, ob die Klägerin tatsächlich gegen die genannten Grundsätze verstoßen habe. Vielmehr habe festgestellt werden müssen, dass der Klägerin kein konkreter Verstoß i.S.d. § 5 Abs. 1 EntschRG habe nachgewiesen werden können. Dennoch schlussfolgerte das Sozialgericht aus den Festlegungen der Richtlinie 1/58, dass diese Verfolgungsmaßnahmen "ja gerade Aufgabe und Ziel" der Tätigkeit der Klägerin gewesen seien. Zwar habe die Richtlinie - dem Sicherheitsverständnis der DDR folgend - die Möglichkeit geboten, geheimdienstliche Maßnahmen gegen Regimekritiker und andere missliebige Personen einzuleiten, was zweifelsfrei auch umfassend geschehen sei. Dies sei aber nicht die ausschließliche Zielstellung des MfS gewesen, so dass eine Differenzierung der Handlungen der Mitarbeiter des MfS - so auch der Handlungen der Klägerin - unerlässlich sei. Nicht unerheblich sei, dass auch in als rechtsstaatlich geltenden Staatswesen der Einsatz von verdeckt tätigen Personen gängige Praxis von Geheimdiensten und Polizei sei. Dies lasse aber nicht pauschalierend den Schluss zu, dass die Tätigkeit dieser Personen a priori auf die Verletzung von rechtsstaatlichen Grundsätzen ausgerichtet gewesen und die Koordinierung ihrer Tätigkeit gleichfalls dieser Wertung unterfalle. Es sei nicht ersichtlich, dass es die Klägerin unterlassen habe, in ihren Handlungen ein gebotenes Mindestmaß an Rechtlichkeit zu beachten und Personen durch ihre Handlungen in ihren Rechten verletzt worden seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 25.02.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11.02.1998 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Sozialgericht habe zutreffend festgestellt, dass die Klägerin im Rahmen ihrer von Februar 1956 bis Anfang 1963 ausgeübten Ermittlungstätigkeit gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit i.S.d. § 5 Abs. 1 EntschRG verstoßen habe. Die Klägerin habe an den Eingriffen in die genannten Grundsätze verantwortlich mitgewirkt, indem sie ein GI-Netz aufgebaut und die Bespitzelungstätigkeit der GI koordiniert habe. Irreführend und unzutreffend seien die Ausführungen der Klägerin, der Entziehungsgrund stelle auf eine individuelle Schuld und damit auf den Nachweis konkreten unmenschlichen Verhaltens ab. Das Bundessozialgericht habe in seinen grundlegenden Entscheidungen vom 30.01.1997 (BSG SozR 3-8850 § 5 Nr. 1, Nr. 2) und vom 24.03.1998 (B 4 RA 78/96 R) die Voraussetzungen für ein Vorliegen von Grundsatzverstößen im Sinne des § 5 Abs. 1 EntschRG näher konkretisiert. Danach sei der Tatbestand erfüllt, wenn der Inhaber eines Rechts auf Entschädigungsrente durch sein Verhalten (Handeln oder Unterlassen) in Ausübung ihm übertragener oder eingeräumter Gewalt den Unrechtserfolg des Verstoßes gegen einen der genannten Grundsätze herbeigeführt oder einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet habe, dass andere diesen Erfolg herbeiführten. Ferner müsse der Rechtsinhaber zurechnungsfähig im Sinne von § 104 Nr. 2, § 827 BGB gewesen sein und die Tatsachen gekannt haben, aus denen sich die Unvereinbarkeit seines Verhaltens mit den Grundsätzen der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit ergebe. Dabei sei es nicht erforderlich, dass der Berechtigte die Verletzung der Grundsätze selbst (mit)beschlossen oder sie ("eigenhändig") bewirkt habe. Es reiche aus, wenn er durch Rat oder Tat oder durch Organisations- oder Schulungsmaßnahmen oder in anderer Weise im Rahmen der ihm eingeräumten Gewalt den Verstoß gefördert habe. Dieser sei ihm insbesondere dann zuzurechnen, wenn er den Befehl hierzu gegeben oder einen ihm erteilten Befehl näher ausgeformt oder wenn er Anordnungen zu Verstößen gegen diese Grundsätze mitbeschlossen oder öffentlich unterstützt habe. Dafür reiche es nicht allein aus, dass der Berechtigte in der DDR ein herausgehobenes Funktionärsamt in der SED oder im Staat innehatte. Erforderlich ist vielmehr, dass der Betroffene die ihm übertragene oder überlassene Macht zur Einleitung, Förderung oder Durchsetzung von Verletzungen der durch die genannten Grundsätze geschützten Rechtsgüter ausgeübt habe. Das könne allerdings dadurch geschehen sein, dass die ihm verliehene Macht solche Verstöße gerade zum Inhalt hatte, also es gewissermaßen zu seiner Amtsausübung gehörte, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit zu verstoßen. Das werde durch den Inhalt der jeweiligen "Amtsgeschäfte" hilfstatsächlich indiziert. Diese Voraussetzungen seien vorliegend ganz offensichtlich erfüllt.
Allgemeinkundig sei mittlerweile, dass das MfS das wesentliche exekutive Machtsicherungsinstrument für die DDR gewesen sei. Ähnlich wie das Grenzsystem sei es eine Existenznotwendigkeit für die SED-Herrschaft gewesen. Der Apparat der Staatssicherheit sei auf Unterdrückung elementarer Menschenrechte ausgerichtet gewesen und habe schon für sich eine Verletzung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit beinhaltet. Die einem Funktionsträger des MfS übertragenen Aufgaben hatten Verstöße gegen die genannten Grundsätze damit schon zum Inhalt, sie gehörten gewissermaßen zur Ausübung seines Amtes. Die Ausführungen der Klägerin verkennen nicht nur die tatsächlichen Aufgaben sowie die Arbeitsweise und Methoden des MfS, sondern verharmlosten sie im Hinblick auf die zahlreichen Opfer der Verfolgungs- und Unterdrückungsmaßnahmen innerhalb der DDR- Bevölkerung in unerträglicher Weise. Schon bei der Lektüre der Richtlinie 1/58 werde deutlich, dass mit einer ganzen Armee sog. IM die Bevölkerung völlig durchdrungen, kontrolliert, bespitzelt, verfolgt und unterdrückt wurde. Dabei sei es gerade nicht um die Abwehr von Spionage- und Geheimdiensttätigkeit, sondern vorrangig und gezielt um die Überwachung der breiten Bevölkerung gegangen. Die Klägerin habe durch ihre Tätigkeit dazu beigetragen, dass der Unterdrückungsapparat des MfS funktionierte und habe auch Anteil an seinen "Erfolgen". Der Tatsache, dass konkrete Einzelfälle nicht mehr nachvollziehbar seien und der Klägerin im Dienstgrad eines "Oberfeldwebels" keine exponierte Stellung im MfS zugekommen sei, habe die Beklagte dahingehend Rechnung getragen, dass die Entschädigungsrente nicht vollständig aberkannt, sondern nur um die Hälfte gekürzt worden sei.
Die Beigeladenen beantragen ebenfalls,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie schließen sich den Ausführungen der Beklagten an.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und auf die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 144, 151, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ist zulässig und begründet. Die Kürzung des Rechts auf Entschädigungsrente ist rechtswidrig. Der Klägerin lässt sich eine Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit in besonders schwerem Maße nicht nachweisen.
Der Klägerin war im DDR-Staat ein subjektives Recht auf Ehrenpension nach § 3 Abs. 1 Buchst. a der Anordnung über Ehrenpensionen für Kämpfer gegen den Faschismus und für Verfolgte des Faschismus sowie für deren Hinterbliebene (EhPensFaschismA0 vom 20.09.1976, Vertrauliche Dienstsache - VD 26/19/76) zuerkannt. Der Zuerkennungsakt ist ein Verwaltungsakt im Sinne von Art. 19 Satz 1 Einigungsvertrag (EV). Danach bleiben Verwaltungsakte der DDR, die vor dem Beitritt ergangen sind, weiterhin wirksam. Sie können aufgehoben werden, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen des Einigungsvertrages unvereinbar sind (Art. 19 Satz 2 EV). Der Einigungsvertrag regelt ferner in Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 5 die Sicherstellung dieser Leistung durch die grundsätzliche weitere Geltung der EhPensFaschismAO. Deshalb stand der Klägerin ab 03.10.1990 zunächst das Recht auf Ehrenpension weiterhin zu. Es wurde materiell-rechtlich am 01.05.1992 mit In-Kraft-Treten des Gesetzes über Entschädigungen für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet (EntschRG vom 22.04.1992, BGBl. I S. 906) durch ein Recht auf Entschädigungsrente ersetzt (§§ 1, 2 Abs. 1 EntschRG). Gemäß § 2 Abs. 1 EntschRG hatte die Klägerin deshalb ab Mai 1992 gegen die Beklagte ein subjektives Recht auf Entschädigungsrente, aus dem monatliche Ansprüche auf Zahlung von 1.400,00 DM gegen die Beigeladene zu 2. erwuchsen.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die Beklagte auf Vorschlag der Beigeladenen zu 1) unter Hinweis auf § 5 Abs. 1 EntschRG die Entschädigungsrente um die Hälfte auf 700,00 DM gekürzt. Zwar eröffnet die genannte Vorschrift die Möglichkeit der Kürzung einer Entschädigungsrente. Voraussetzung ist aber der Nachweis, dass der Betroffene - hier die Klägerin - "gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat". Diese Voraussetzungen, von denen hier allein die erste Alternative (Tatbestand des Verstoßes) in Streit steht, sind indessen nicht erfüllt.
Der angefochtene Bescheid ist jedoch nicht wegen einer Verletzung von Verfahrensvorschriften rechtswidrig. Die Anhörung i.S.d. § 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist erfolgt. Schon vor der Geltung des Einigungsvertrages regelte das Gesetz zur Angleichung der Bestandsrenten an das Netto- Renten-Niveau der Bundesrepublik Deutschland und zur weiteren rentenrechtlichen Regelungen (Rentenangleichungsgesetz [RAG] vom 28.06.1990, GBl. I Nr. 38 S. 495) in den §§ 30 ff. die weitere Zahlung von Sonderleistungen, darunter auch die Ehrenpensionen für Kämpfer gegen den Faschismus und Verfolgte des Faschismus sowie deren Hinterbliebene (§ 32 RAG). Nach § 32 Abs. 3 RAG konnten Ehrenpensionen bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 27 Abs. 1 RAG gekürzt oder entzogen werden. § 27 RAG eröffnete die Möglichkeit der Kürzung oder Aberkennung, wenn der Berechtigte oder die Person, von der sich die Berechtigung ableitete, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße ihre Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hatte. Danach hatte schon der DDR-Gesetzgeber die Möglichkeit der Kürzung oder Aberkennung der Ehrenpensionen aus denselben Gründen, wie sie vorliegend zu prüfen sind, vorgesehen, obgleich er von der in § 27 RAG genannten Ermächtigung bis zum Zeitpunkt des Unterganges der DDR keinen Gebrauch mehr gemacht hatte.
Gemäß § 5 Abs. 1 EntschRG sind Entschädigungsrenten (nicht zu bewilligen), zu kürzen oder abzuerkennen, wenn der Berechtigte (oder derjenige, von dem sich die Berechtigung ableitet) gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat. Nach § 5 Abs. 2 EntschRG entscheidet das Bundesversicherungsamt (BVA) über die Kürzung oder Aberkennung einer Entschädigungsrente auf Vorschlag der Kommission nach § 3 des Gesetzes über das Ruhen von Ansprüchen aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen (Versorgungsruhensgesetz vom 25.07.1991, BGBl. I S. 1606). Hier hat die Beigeladene zu 1. mit Beschluss vom 16.12.1996 vorgeschlagen, der Klägerin die laufende Entschädigungsrente gemäß § 5 Abs. 1 EntschRG auf die Hälfte und damit auf 700,00 DM zu kürzen.
Durch das EntschRG wurde die schon im Einigungsvertrag (Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 5) vorgesehene Angleichung der Rechtslage der Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet mit derjenigen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) im bisherigen Bundesgebiet verwirklicht. Die Versagungsgründe (sog. Unwürdigkeitsklauseln) sind jedoch gegenüber dem BEG wesentlich milder gefasst (vgl. zum Ganzen: BSG, Urteil vom 30.01.1997 - 4 RA 99/95). Mit § 5 Abs. 1 EntschRG hat der Gesetzgeber die Unwürdigkeitsklausel in das Entschädigungsrecht aufgenommen. Danach besteht das Recht auf Entschädigungsrente insoweit nicht mehr, wie der Betroffene selbst gegen die Grundsätze verstoßen hat, auf denen die Gewährung der Entschädigungsrente beruht. Insoweit handelt es sich um eine spezial-gesetzliche Ermächtigung die Bindungswirkung früherer Verwaltungsakte zu durchbrechen (vgl. BSG a.a.O.; Urteile vom 30.01.1997, Az. 4 RA 23/96, sowie vom 24.03.1998, Az. B 4 RA 78/96 R).
Ein diesen Maßstäben gerecht werdender Kürzungsgrund liegt nach Überzeugung des Senats nicht vor. Ein erheblicher Verstoß der Klägerin gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit ist nicht belegt. Der Senat bemisst dabei die genannten Grundsätze in Anlehnung an die ständige Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 30.01.1997, Az. 4 RA 99/95, Az. 4 RA 33/95, Az. 4 RA 23/96; Urteil vom 24.03.1998, Az. B 4 RA 78/96 R) wie folgt:
Der Grundsatz der Menschlichkeit schützt die Würde (Art. 1 Abs. 1 GG) und die unveräußerlichen Menschenrechte (Art. 1 Abs. 2 GG) eines jeden, der in einem Gemeinwesen dem jeweiligen Inhaber der Macht sowie den Menschen unterworfen ist, denen jener Herrschaftsmacht verliehen oder faktisch einräumt hat. Schutzgut des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit (Art. 1 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1 bis 3, Art. 20 Abs. 3 GG) ist, dass jeder Gewaltinhaber sich um eine den jeweiligen Lebensverhältnissen angemessene Sachbehandlung, vor allem unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bemühen muss und insbesondere nicht willkürlich handeln darf.
Die Grundsätze der "Menschlichkeit" und "Rechtsstaatlichkeit" misst der Senat an den dem Grundgesetz eigenen Maßstäben. Insbesondere ist hinsichtlich des Verhaltens der Klägerin nicht auf das zum Zeitpunkt ihrer Tätigkeit jeweils geltende DDR-Recht abzustellen. Würde auf das ehemals geltende DDR-Recht abgestellt werden, liefe die Aberkennungs- und Kürzungsklausel des § 5 Abs. 1 EntschRG schlichtweg ins Leere. Gemessen an ihren eigenen Vorstellungen hielten sich sämtliche Gewaltinhaber der DDR an die gesetzlichen Vorgaben, so dass letztlich eine Aberkennung oder Kürzung nicht in Betracht käme. Deshalb kann Maßstab für die Unwürdig-Erklärung im Sinne des § 5 Abs. 1 EntschRG nur die zum Zeitpunkt der Aberkennung geltende Wertordnung des Grundgesetzes, namentlich die Grundrechte auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Freizügigkeit sowie das Rechtsstaatsprinzip, sein. Hierbei handelt es sich um die Mindestgarantien für ein menschenwürdiges, von staatlicher Willkür freies Dasein, wie sie auch in den Regelungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMK) oder des Internationalen Pakts über bürgerliche oder politische Rechte (IPBPR) niedergelegt sind und weltweit Beachtung finden.
In Anlehnung an die Rechtsprechung des BSG ist der Ermächtigungstatbestand des Verstoßes gegen die Menschlichkeit oder gegen die Rechtsstaatlichkeit erfüllt, wenn der Inhaber eines Rechts auf Entschädigungsrente durch sein Verhalten (Handeln oder Unterlassen) in Ausübung ihm übertragener oder eingeräumter Gewalt den Unrechtserfolg des Verstoßes gegen einen der genannten Grundsätze herbeigeführt oder einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet hat, dass andere diesen Erfolg herbeiführen; ferner muss er zurechnungsfähig im Sinne von §§ 104 Nr. 2, 827 BGB gewesen sein und die Tatsachen gekannt haben, aus denen sich die Unvereinbarkeit seines Verhaltens mit den Grundsätzen der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit ergab. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Berechtigte die Verletzung der Grundsätze selbst (mit)beschlossen oder sie ("eigenhändig") bewirkt hat. Es oder Schulungsmaßnahmen oder in anderer Weise im Rahmen der ihm eingeräumten Gewalt den Verstoß gefördert hat. Dieser ist ihm insbesondere dann zuzurechnen, wenn er den Befehl hierzu gegeben oder einen ihm erteilten Befehl näher ausgeformt oder wenn er Anordnungen zu Verstößen gegen diese Grundsätze mitbeschlossen oder öffentlich unterstützt hat.
Durch das Verhalten der Klägerin muss es zu einer Beeinträchtigung der durch die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit geschützten Rechtsgüter gekommen sein. Dabei schützt der in § 5 Abs. 1 EntschRG genannte Grundsatz der Menschlichkeit die (Ansehens-)Würde und die unveräußerlichen Menschenrechte (Art. 1 GG) eines jeden, der in einem Gemeinwesen dem jeweiligen Inhaber der Macht sowie den Menschen unterworfen ist, denen jener Herrschaftsmacht verliehen oder faktisch eingeräumt hat. Es ist jeden Machtinhaber sowie dem Machtsystem, dem er angehört, schlechthin untersagt, die Würde eines Menschen zu missachten oder seine Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit oder Freiheit anderen "Werten" soweit unterzuordnen, dass sie im Kern vernichtet werden. Schutzgut des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit ist, dass jeder Gewaltinhaber sich um eine den jeweiligen Lebensverhältnissen angemessene Sachbehandlung bemühen muss und vor allem nicht willkürlich handeln darf. Die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit gebieten den Machtinhabern also nur eine elementare Rechtsorientierung, die jenes Mindestmaß an Rechtlichkeit beachtet, welches jeden Staat von der "Räuberbande" unterscheidet. Hingegen gibt sich ein Unrechts- oder Willkürsystem gerade dadurch zu erkennen, dass diese elementaren Grundsätze anderen Zielsetzungen nach dem Motto, der Zweck heilige die Mittel, schlechthin untergeordnet werden (BSG a.a.O.).
In diesem Ausgangspunkt zutreffend gehen auch die Beklagte und die Beigeladenen davon aus, dass es nicht allein ausreicht, ob der Berechtigte in der DDR ein herausgehobenes Funktionärsamt in der SED oder im Staat inne hatte. Erforderlich ist vielmehr, dass der Betroffene die ihm übertragene oder überlassene Macht zur Einleitung, Förderung oder Durchsetzung von Verletzungen der durch die genannten Grundsätze geschützten Rechtsgüter ausgeübt hat. Das kann allerdings auch dadurch geschehen sein, dass die ihm verliehene Macht solche Verstöße gerade zum Inhalt hatte, also es gewissermaßen zu seiner Amtsausübung gehörte, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit zu verstoßen. Das wird nach der Rechtsprechung des BSG durch den Inhalt der jeweiligen "Amtsgeschäfte" hilfstatsächlich indiziert (zum Ganzen vgl. BSG SozR 3-8850 § 5 Nrn. 1 und 2; BSG, Urteil vom 24.03.1998 - B 4 RA 78/96 R).
Nach Überzeugung des Senates und entgegen der Ansicht des Sozialgerichts und der Beklagten sowie der Beigeladenen liegen die Voraussetzungen für eine Kürzung des subjektiven Rechts der Klägerin auf Entschädigungsrente nicht vor. Die Beklagte als auch das Sozialgericht stützen die verfügte Kürzung allein auf die Hilfserwägung, aus der Amtsausübung der Klägerin als Ermittlerin im Referat II der Abteilung VIII der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit in ... und der Führung von sechs Geheimen Informatoren sei ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit abzuleiten. Insoweit führen die Beklagte - auch im angefochtenen Bescheid - und die Beigeladenen aus, die Klägerin habe auf Grund der durch die dienstlichen Beurteilungen dokumentierten "durchschnittlichen" bzw. "brauchbaren" Ermittlungsergebnisse einen mitursächlichen Beitrag zur Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit durch andere geleistet. Dies sei jedenfalls durch Hilfstatsachen erwiesen. Damit ist indessen nicht nachgewiesen, dass die Klägerin gegen die genannten Grundsätze verstoßen hat.
Erforderlich für die Erfüllung des objektiven Tatbestands des § 5 Abs. 1 EntschRG ist vielmehr, dass der Betroffene gegen die genannten Grundsätze "verstoßen" hat. Dies erfordert ausweislich der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. nur BSG SozR 3-8850 § 5 Nr. 2 [S. 37 f. m.w.N.]) "ein konkretes räumlich und zeitlich eingegrenztes Verhalten, das einem Beweis zugänglich ist". Dadurch muss der Betroffene gegen die Inhalte der genannten Grundsätze verstoßen haben oder Verstößen gegen sie, obgleich ihm möglich und zumutbar, nicht entgegen getreten sein. Es genügt insoweit eine Mitwirkung an den Verstößen anderer Gewaltinhaber, die nicht auf die strafrechtlichen Teilnahmeformen begrenzt ist. Das bloße "Vorschubleisten", die bloß allgemeine Förderung des Unrechts- und Gewaltregimes der SED genügt dafür indessen nicht.
Die von der Beklagten und den Beigeladenen vorgetragenen Erwägungen belegen allein das Vorhandensein einer Dienststellung und eines näher bestimmten Aufgabenfeldes auf Seiten der Klägerin. Diese war ausweislich der vorhandenen und vom Senat beigezogenen Unterlagen, namentlich der verschiedenen Zeugnisse und Beurteilungen, in den genannten Zeiträumen als Ermittlerin im Referat II der Abteilung III der MfS-Bezirksverwaltung für einen Stadtbezirk ... und für einen Teil des Landkreises zuständig. Zu ihrem Aufgabenfeld zählten Ermittlungen für das MfS, die sie unter anderem durch Anleitung und Überwachung der ihr unterstehenden GI im Dienstgrad eines Feldwebels, ab 1958 eines Oberfeldwebels wahrnahm. Ab Juli 1963 war die Klägerin sodann in der Abt. Kader und Schulung als Ermittlerin in der Werbegruppe eingesetzt; dort hatte sie Ermittlungsaufträge für andere Bezirksverwaltungen einschließlich des MfS Berlin zu bearbeiten.
"Nachgewiesen" ist mithin allein, dass die Klägerin dem SED-Staat verpflichtet war, und namentlich für das MfS in ihrem "Zuständigkeitsfeld" gegen die eigene Bevölkerung konspirativ tätig gewesen ist. In diesem ihrem Tätigkeitsfeld hat die Klägerin das Unrechts- und Gewaltsystem der SED nachhaltig "gefördert". Insoweit war sie zweifellos im Machtapparat des SED-Staates integriert. Sie mag sich, woran der Senat überhaupt keinen Zweifel hat, gerade auch mit den totalitär geprägten und ausgerichteten Machstrukturen des SED-Staates identifiziert haben. All dies genügt aber nicht, um im Sinne des § 5 Abs. 1 EntschRG auf einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit konkret zu schließen. Die genannten Dienststellungen und das dargelegte jeweilige dienstliche Aufgabenfeld machen nur deutlich, welchen Verpflichtungen die Klägerin im Unrechts- und Gewaltsystem der SED allgemein nachzugehen hatte. Weder aus den jeweiligen Dienststellungen noch den verschiedenen Aufgabenfeldern ergibt sich, dass diese für sich genommen bereits über das bloße "Vorschubleisten" hinausgehende Handlungen oder pflichtwidrige Unterlassungen i.S.d. § 5 Abs. 1 EntschRG begangen hat. Ebenso wenig kann aufgrund der vorliegenden Unterlagen nachgewiesen werden, dass die Klägerin dazu beigetragen hat, dass andere Machtinhaber solche Verstöße begangen haben. Allein die bloße Dienststellung oder die bloße Amtsausübung - hier als Ermittlerin des MfS - genügen in dieser Allgemeinheit für sich genommen noch nicht, um einen konkreten Tatverstoß zu belegen, obgleich das MfS nach seinen Richtlinien als Einrichtung zur Erhaltung des totalitären SED-Staates zur flächendeckenden Beobachtung und Bespitzelung der DDR-Bevölkerung diente.
Denn Maßstab für die Aberkennung oder die Kürzung eines Rechts auf Entschädigungsrente ist - wie dargelegt - das Vorliegen eines "konkreten, räumlich und zeitlich eingegrenzten Verhaltens", das einem Beweis zugänglich ist. Insoweit findet sich, wie auch die Beklagte und die Beigeladenen einräumen, abgesehen von den in den Akten enthaltenen dienstlichen Beurteilungen, nicht ein einziger konkreter Anhalt dafür, der als Beleg dienen könnte. Ebenso wenig ist für den Senat zu ersehen, welche Anhaltspunkte das Vorliegen eines in diesem Sinne "konkreten Verhaltens", etwa in Form von konkreten Befehlen, Anleitungen oder eigenen Auswertungen, auf Seiten der Klägerin in Betracht kommen könnten.
Unerheblich im hier in Streit stehenden Zusammenhang sind die Bewertungen, Beurteilungen und Belobigungen der dienstlichen Tätigkeiten. Zwar ist nachgewiesen, dass die Klägerin im April 1961 "von der Zusammenarbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern auf Grund ihres Gesundheitszustandes und ungenügender Qualifikation entbunden" worden ist. Auch verfügte sie nach der Einschätzung ihrer Vorgesetzten "über ein durchschnittliches ideologisches Wissen und reiche parteipolitische Erfahrungen"; dies soll "sie befähigt (haben), die Ermittlungsergebnisse richtig einzuschätzen und schriftlich darzulegen". Auf Grund ihrer dienstlichen Erfahrung war die Klägerin, den von ihren Vorgesetzten getroffenen Bewertungen zufolge, "in der Lage, die ihr übertragenen Kaderermittlungen gründlich durchzuführen", wie dies etwa in der Beurteilung vom 16.03.1965 ausgeführt ist. Nachgewiesen ist überdies, dass die Klägerin am 08.02.1961 mit der "Medaille für treue Dienste" in Bronze, am 07.10.1964 mit der "Verdienstmedaille der NVA" in Bronze, am 08.02.1966 mit der "Medaille für teure Dienste" in Silber und am 12.11.1966 mit der "Verdienstmedaille der NVA" in Silber ausgezeichnet worden ist. All dies belegt für sich genommen zwar, dass die Klägerin das Unrechts- und Gewaltsystem der SED - nachhaltig - gefördert hat und im Machtapparat des SED-Staates, mit dem sie sich identifiziert hat, integriert war. Ein konkreter Unrechtserfolg, wie dies in § 5 Abs. 1 EntschRG als Voraussetzung für die hier verfügte Kürzung des Rechts auf Entschädigungsrente normiert ist, liegt darin indessen nicht.
Aus den genannten Gründen war auf die Berufung das Urteil des Sozialgerichts Leipzig aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
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