Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
19
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 19 SO 56/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 19.02.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2005 verurteilt, der Klägerin ab Januar 2005 weitere Grundsicherungsleistungen in Höhe von 154,- EUR monatlich zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 2.Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Anrechnung des an die Eltern der Klägerin gezahlten Kindergeldes auf die ihr gewährten Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung sowie die Kürzung dieser Leistungen aufgrund der kostenlosen Inanspruchnahme des Mittagessens in einer Werkstatt für Behinderte (WfB).
Die 1969 geborene Klägerin ist dauerhaft voll erwerbsgemindert. Sie wohnt im Haushalt ihrer Eltern und arbeitet in einer WfB. Dort nimmt sie ein kostenloses Mittagessen ein.
Mit Bescheid vom 19.01.2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen für die Monate November und Dezember 2004 nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG) sowie Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung ab Januar 2005 nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Dabei rechnete sie zum einen das an die Eltern der Klägerin gezahlte Kindergeld in Höhe von monatlich 154 Euro zum anderen monatlich 30 Euro wegen der kostenlosen Inanspruchnahme des Mittagessens in der WfB bedarfsmindernd an.
Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, Kindergeld sei grundsätzlich Einkommen des Kindergeldberechtigten und könne daher nicht bedarfsmindernd auf die ihr gewährten Leistungen angerechnet werden. Dies wäre nur dann möglich, wenn es durch einen gesonderten zweckorientierten Zuwendungsakt weitergegeben werde, dies sei aber nicht der Fall. Die Vorschrift des §82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII gelte nur für Minderjährige und nicht für Volljährige. Gegen die Anrechnung spreche auch, dass der Gesetzgeber in §43 Abs. 2 SGB XII entschieden habe, Unterhaltsansprüche behinderter Kinder gegenüber ihren Eltern nicht zu berücksichtigen und diese Vorschrift dürfe nicht unterlaufen werden. Zwar stelle die kostenfreie Gewährung einer Mahlzeit eine geldwerte Leistung dar und unterliege dem Grunde nach dem Einkommensbegriff, doch greife hier die Ausnahmeregelung des §82 Abs. 1 SGB XII, wonach Leistungen des SGB XII nicht als Einkommen gelten.
Die Beteiligten einigten sich darauf, die Entscheidung über den Widerspruch hinsichtlich der Anrechnung des Kindergeldes für das Jahr 2004 bis zur rechtskräftigen Entscheidung des OVG NRW Az.: 16 A 2568/04 auszusetzen. Im übrigen wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 03.03.2005 im Hinblick auf die Kürzung der Leistungen für November und Dezember 2004 aufgrund der kostenlosen Inanspruchnahme des Mittagessens in der WfB als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, bei der Unterbringung eines Hilfeempfängers in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung oder in einer Einrichtung zur teilstationären Betreuung (WfB) seien ersparte Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt zu berücksichtigen. Diese häuslichen Ersparnisse seien analog §85 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zu ermitteln. Eine Anrechnung von monatlich 30 Euro für die Gewährung von kostenlosem Mittagessen sei nicht zu beanstanden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.04.2005 wies die Beklagte den Widerspruch gegen die Anrechnung des Kindergeldes und die Kostenersparnis für das kostenlose Mittagessen ab Januar 2005 als unbegründet zurück und führte begründend aus, nach §82 SGB XII sei das Kindergeld bedarfsmindernd den minderjährigen Kindern zuzuordnen, soweit es bei diesen zur Deckung des Lebensunterhaltes benötigt werde. Der Entwurf des Kommunalen Entlastungsgesetzes KEG (BT Drucksache 712/04) sehe durch eine Ergänzung des §82 Abs. 1 SGB XII darüber hinaus vor, Kindergeld auch bei volljährigen Kindern, die Leistungen der Grundsicherung erhielten, diesen als Einkommen anzurechnen. Eine Ablehnung des Gesetzesentwurfes des Bundesrates durch den Bundestag sei nicht erfolgt, so dass im Fortgang der parlamentarischen Beratung eine Kindergeldanrechnung für diesen Personenkreis zu erwarten sei. Vor dem Hintergrund dieser Gesetzesentwicklung sei das Kindergeld ab dem 01.01.2005 auch bei volljährigen behinderten Kindern diesen bedarfsmindernd zuzurechnen.
Eine Anrechnung des kostenfreien Mittagessens sei möglich, da schon nach §28 SGB XII aufgrund ganz oder teilweiser Bedarfsdeckung eine Regelsatzabweichung zulässig sei. Darüber hinaus gelte als allgemeine Vorschrift für alle Hilfearten der Nachranggrundsatz des §2 SGB XII, das kostenlose Mittagessen sei als Selbsthilfemöglichkeit zur Bedarfsdeckung auszuschöpfen.
Mit ihrer am 29.03.2005 erhobenen Klage hat sich die Klägerin zunächst gegen den Widerspruchsbescheid vom 03.03.2005 und mit Schriftsatz vom 18.05.2005, eingegangen bei Gericht am 20.05.2005, auch gegen den Widerspruchsbescheid vom 22.04.2005 gewendet. Sie verweist zur Begründung im Wesentlichen auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren und trägt weiter vor, das Bundesverwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 28.04.2005 (Az.: 5 C 28/04) eindeutig klargestellt, dass das Kindergeld als Einkommen bei der Person anzurechnen sei, an die es ausgezahlt werde und dies seien hier ihre Eltern. Eine Überleitung an sie selbst sei nur möglich, wenn die Eltern ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkämen, dies sei nicht der Fall. Der Regelsatz setze sich aus der Summe der Verbrauchsausgaben zusammen, zu der auch die Ernährung gehöre. Diese Bedarfsposition Ernährung lasse sich aber nicht aus dem Regelsatz herauslösen, weil sie mit den einmaligen Leistungen zu einer Pauschale verrechnet worden sei. Daher sie die Kürzung des Regelsatzes willkürlich und rechtswidrig.
Die Klägerin beantragt,
1.die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.03.2005 zu verurteilen, der Klägerin weitere Grundsicherungsleistungen für November 2004 und Dezember 2004 in Höhe von monatlich 30,- EUR zu zahlen.
2.die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2005 zu verurteilen, der Klägerin weitere Grundsicherungsleistungen ab Januar 2005 in Höhe von monatlich 30,- EUR zu zahlen.
3.die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2005 zu verurteilen, der Klägerin weitere Grundsicherungsleistungen ab Januar 2005 in Höhe von monatlich 154,- EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf ihre Widerspruchsbescheide und trägt weiter vor, während das bis zum 31.12.2004 geltende GrSiG in den §§2 und 3 von einer bedarfsorientierten Leistung gesprochen habe, verweise §42 SGB XII nunmehr auf den maßgebenden bedarfsgerechten Regelsatz der Hilfe zum Lebensunterhalt nach den 3. Kapitel SGB XII. Es eröffne sich daher die Regelung des §28 SGB XII, wonach aufgrund ganz oder teilweiser Bedarfsdeckung eine Regelsatzabweichung zulässig sei. Darüber hinaus sei der als allgemeine Vorschrift für alle Hilfearten geltende Nachranggrundsatz anzuwenden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 19.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.03.2005 nicht und durch den angefochtenen Bescheid vom 19.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2005 teilweise beschwert im Sinne des §54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat ab Januar 2005 Anspruch auf Gewährung von Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung in Höhe von monatlich weiteren 154 Euro. Darüber hinaus besteht weder für die Monate November und Dezember 2004 noch für die Zeit ab Januar 2005 ein Anspruch auf weitere Leistungen in Höhe von monatlich 30 Euro.
I. Die Klägerin hat ab Januar 2005 Anspruch auf Gewährung von Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung in Höhe von monatlich weiteren 154 Euro. Die Beklagte hat das Kindergeld zu Unrecht als Einkommen der Klägerin bedarfsmindernd bei den ihr gewährten Leistungen zur Grundsicherung bei Erwerbsminderung angerechnet.
Gemäß §§41 Abs. 2 i.V.m. 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII ist bei Minderjährigen das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes benötigt wird. Aus diesem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ergibt sich, dass das Kindergeld grundsätzlich nur bei Minderjährigen als Einkommen angerechnet werden darf. Für Volljährige Kinder hat der Gesetzgeber keine Regelung getroffen und folglich gilt § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII für diese nicht (vgl. auch Lehr- und Praxiskommentar SGB XII/Brühl, §82 Rn. 64 ff; Urteil des BVerwG vom 28.04.2005, Az: 5 C 28/04).
Eine Regelungslücke, die mittels Auslegung zu schließen wäre, liegt hier nach Auffassung der Kammer nicht vor. Eine Regelungslücke im Gesetz kann dann angenommen werden, wenn der Gesetzgeber einen Sachverhalt irrtümlich nicht geregelt hat, obwohl er eine entsprechende Regelung treffen wollte. Anhaltspunkte, die für ein gesetzgeberisches Versehen sprechen sind nicht ersichtlich, zumal auch in der Gesetzesbegründung (BT Drucks 15/1514) zur Erläuterung der neuen Anrechnungsregelung lediglich Bezug auf minderjährige Kinder genommen wird. Wenn der Gesetzgeber die Anrechnungsregelung in §82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII auch auf Volljährige hätte anwenden wollen, so hätte es nahegelegen, den Zusatz der "Minderjährigen" nicht aufzunehmen und zu formulieren, dass das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen ist, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes benötigt wird.
Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung, führt auch der Entwurf des KEG, in welchem eine Änderung des §82 Abs.1 SGB XII dahingehend vorgesehen war, dass man das Kindergeld auch dem Grundsicherungsempfänger als Einkommen zurechnen müsse, zu keinem anderen Ergebnis. Dieser auf Initiative des Bundesrates eingebrachte Gesetzesentwurf ist am 03.06.2005 in zweiter Beratung im Bundestag abgelehnt worden. Nach Auffassung der Kammer ist damit eindeutig der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck gekommen, eine Einkommensanrechnungsregelung von Kindergeld ausdrücklich auf Minderjährige zu beschränken und diese nicht auch -wie von der Beklagten gewollt- auf Volljährige auszuweiten.
Schließlich darf auch, wie die Klägerin zutreffend ausführt, die Entscheidung des Gesetzgebers, Unterhaltsansprüche behinderter volljähriger Kinder gegenüber ihren Eltern in den Fällen des §43 Abs. 2 Satz 1 SGB XII nicht zu berücksichtigen, nicht dadurch unterlaufen werden, dass Teile des Elterneinkommens, z.B. das Kindergeld, doch auf die Grundsicherungsleistungen angerechnet werden (vgl. auch Urteil des BVerwG vom 28.04.2005, Az.: 5 C 28/04).
Mangels einer besonderen Zurechnungsvorschrift bleibt es daher bei dem Grundsatz, dass das Kindergeld als Einkommen des Berechtigen gilt (vgl. Grube/Wahrendorf SGB XII §82 Rn. 19). Es ist damit Einkommen der Eltern der Klägerin. Eine Anrechnung beim Kind ist nur statthaft, sofern die Eltern den Kindergeldbetrag durch einen qualifizierten und zweckorientierten Zuwendungsakt an das Kind weiterleiten. Ausreichend ist dafür nicht, dass es dem Kind durch das "Wirtschaften in einen Topf" zugute kommt (LPK-SGB XII/Brühl, §82 Rn. 68; Urteil des Bayerischen VGH vom 09.02.2004, Az.: 12 B 03.2299; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.02.2002, Az.: 12 A 10375/02). Diese Voraussetzungen sind indes nicht erfüllt, das Kindergeld der Eltern wird nicht durch einen besonderen Zuwendungsakt an die Klägerin weitergeleitet. Ob tatsächlich Unterhaltsleistungen von den Eltern im Familienhaushalt an die Klägerin geleistet werden, ist nicht entscheidend. Dem Anspruch auf Grundsicherung kann nicht entgegengehalten werden, dass der Grundsicherungsbedarf ggf. durch tatsächliche Unterhaltsleistungen der Eltern in Höhe des Kindergeldes gedeckt werden. Gegen die Annahme einer solchen Bedarfsdeckung spricht, dass Eltern bei Ausbleiben von Grundsicherungsleistungen in deren Umfang nur anstelle dieser Grundsicherungsleistungen Unterhalt leisten, weil die Grundsicherungspflicht anders als die Sozialhilfepflicht nach Maßgabe der durch §43 Abs. 2 Satz 1 SGB XII gezogenen Grenzen der Unterhaltspflicht vorgeht (Urteil des BverwG vom 28.04.2005, Az.: 5 C 28/04).
II. Hingegen hat die Klägerin keinen Anspruch auf weitere Leistungen in Höhe von monatlich 30 Euro ab November 2004. Nach den bis zum 31.12.2004 geltenden Vorschriften des GSiG haben Anspruch auf Leistungen der beitragsunabhängigen, bedarfsorientierten Grundsicherung Antragsberechtigte, soweit sie ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrem Einkommen und Vermögen beschaffen können, wobei für den Einsatz von Einkommen und Vermögen auf die §§76 bis 88 BSHG verwiesen wird (vgl. §§2 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 2). Wie die Beklagte zu Recht ausführt, muss hier die Vorschrift des §85 Abs. 1 Nr. 3 BSHG für die Anrechnung der ersparten Aufwendungen für die Inanspruchnahme des kostenlosen Mittagessens herangezogen werden. Zwar verweist die Norm nicht explizit auch auf die WfB, doch kann der Gesetzestext dahingehend ausgelegt werden. Die Klägerin spart durch die Nutzung des kostenlosen Mittagessens in der WfB Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt.
Im Übrigen rechtfertigt nach Auffassung der Kammer bereits allein der Grundsatz des §2 Abs. 1 BSHG eine Anrechnung der 30 Euro für die kostenlose Inanspruchnahme des Mittagessens. Dieser das gesamte Sozialhilferecht, somit auch die Leistungen zur Grundsicherung, prägende Grundsatz des Nachranges der Sozialhilfe besagt, dass Sozialhilfe nicht erhält, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Das in der WfB zur Verfügung gestellte kostenlose Mittagessen stellt eine solche Selbsthilfemöglichkeit dar. Die Klägerin hat es also grundsätzlich auch wahrzunehmen. Ein Wahlrecht zwischen der Selbsthilfe und der Inanspruchnahme der Sozialhilfe besteht dabei nicht (vgl. Urteil des VG Minden vom 26.10.2004, Az.: 6 K 1293/02 m.w.N.). Nach Auffassung der Kammer ist auch die festgelegte Höhe von 30 Euro monatlich an ersparten Aufwendungen als angemessen anzusehen. Da dieser Nachranggrundsatz der Sozialhilfe auch in das ab dem 01.01.2005 geltende SGB XII übernommen worden ist, konnte allein deshalb die Beklagte die Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung um 30 Euro monatlich für die kostenlose Inanspruchnahme des Mittagessens kürzen. Daran ändert auch die von der Klägerin zitierte Vorschrift des §82 Abs. 1 SGB XII nichts.
Im Übrigen verweist die Beklagte zu Recht auf die Regelungen der §§42 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, wonach bei ganzer oder teilweiser Bedarfsdeckung eine Regelsatzabweichung zulässig ist. Die Klägerin kann ihren Bedarf anderweitig decken, so dass die Beklagte hier den Regelsatz kürzen durfte.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Anrechnung des an die Eltern der Klägerin gezahlten Kindergeldes auf die ihr gewährten Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung sowie die Kürzung dieser Leistungen aufgrund der kostenlosen Inanspruchnahme des Mittagessens in einer Werkstatt für Behinderte (WfB).
Die 1969 geborene Klägerin ist dauerhaft voll erwerbsgemindert. Sie wohnt im Haushalt ihrer Eltern und arbeitet in einer WfB. Dort nimmt sie ein kostenloses Mittagessen ein.
Mit Bescheid vom 19.01.2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen für die Monate November und Dezember 2004 nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG) sowie Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung ab Januar 2005 nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Dabei rechnete sie zum einen das an die Eltern der Klägerin gezahlte Kindergeld in Höhe von monatlich 154 Euro zum anderen monatlich 30 Euro wegen der kostenlosen Inanspruchnahme des Mittagessens in der WfB bedarfsmindernd an.
Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, Kindergeld sei grundsätzlich Einkommen des Kindergeldberechtigten und könne daher nicht bedarfsmindernd auf die ihr gewährten Leistungen angerechnet werden. Dies wäre nur dann möglich, wenn es durch einen gesonderten zweckorientierten Zuwendungsakt weitergegeben werde, dies sei aber nicht der Fall. Die Vorschrift des §82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII gelte nur für Minderjährige und nicht für Volljährige. Gegen die Anrechnung spreche auch, dass der Gesetzgeber in §43 Abs. 2 SGB XII entschieden habe, Unterhaltsansprüche behinderter Kinder gegenüber ihren Eltern nicht zu berücksichtigen und diese Vorschrift dürfe nicht unterlaufen werden. Zwar stelle die kostenfreie Gewährung einer Mahlzeit eine geldwerte Leistung dar und unterliege dem Grunde nach dem Einkommensbegriff, doch greife hier die Ausnahmeregelung des §82 Abs. 1 SGB XII, wonach Leistungen des SGB XII nicht als Einkommen gelten.
Die Beteiligten einigten sich darauf, die Entscheidung über den Widerspruch hinsichtlich der Anrechnung des Kindergeldes für das Jahr 2004 bis zur rechtskräftigen Entscheidung des OVG NRW Az.: 16 A 2568/04 auszusetzen. Im übrigen wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 03.03.2005 im Hinblick auf die Kürzung der Leistungen für November und Dezember 2004 aufgrund der kostenlosen Inanspruchnahme des Mittagessens in der WfB als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, bei der Unterbringung eines Hilfeempfängers in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung oder in einer Einrichtung zur teilstationären Betreuung (WfB) seien ersparte Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt zu berücksichtigen. Diese häuslichen Ersparnisse seien analog §85 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zu ermitteln. Eine Anrechnung von monatlich 30 Euro für die Gewährung von kostenlosem Mittagessen sei nicht zu beanstanden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.04.2005 wies die Beklagte den Widerspruch gegen die Anrechnung des Kindergeldes und die Kostenersparnis für das kostenlose Mittagessen ab Januar 2005 als unbegründet zurück und führte begründend aus, nach §82 SGB XII sei das Kindergeld bedarfsmindernd den minderjährigen Kindern zuzuordnen, soweit es bei diesen zur Deckung des Lebensunterhaltes benötigt werde. Der Entwurf des Kommunalen Entlastungsgesetzes KEG (BT Drucksache 712/04) sehe durch eine Ergänzung des §82 Abs. 1 SGB XII darüber hinaus vor, Kindergeld auch bei volljährigen Kindern, die Leistungen der Grundsicherung erhielten, diesen als Einkommen anzurechnen. Eine Ablehnung des Gesetzesentwurfes des Bundesrates durch den Bundestag sei nicht erfolgt, so dass im Fortgang der parlamentarischen Beratung eine Kindergeldanrechnung für diesen Personenkreis zu erwarten sei. Vor dem Hintergrund dieser Gesetzesentwicklung sei das Kindergeld ab dem 01.01.2005 auch bei volljährigen behinderten Kindern diesen bedarfsmindernd zuzurechnen.
Eine Anrechnung des kostenfreien Mittagessens sei möglich, da schon nach §28 SGB XII aufgrund ganz oder teilweiser Bedarfsdeckung eine Regelsatzabweichung zulässig sei. Darüber hinaus gelte als allgemeine Vorschrift für alle Hilfearten der Nachranggrundsatz des §2 SGB XII, das kostenlose Mittagessen sei als Selbsthilfemöglichkeit zur Bedarfsdeckung auszuschöpfen.
Mit ihrer am 29.03.2005 erhobenen Klage hat sich die Klägerin zunächst gegen den Widerspruchsbescheid vom 03.03.2005 und mit Schriftsatz vom 18.05.2005, eingegangen bei Gericht am 20.05.2005, auch gegen den Widerspruchsbescheid vom 22.04.2005 gewendet. Sie verweist zur Begründung im Wesentlichen auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren und trägt weiter vor, das Bundesverwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 28.04.2005 (Az.: 5 C 28/04) eindeutig klargestellt, dass das Kindergeld als Einkommen bei der Person anzurechnen sei, an die es ausgezahlt werde und dies seien hier ihre Eltern. Eine Überleitung an sie selbst sei nur möglich, wenn die Eltern ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkämen, dies sei nicht der Fall. Der Regelsatz setze sich aus der Summe der Verbrauchsausgaben zusammen, zu der auch die Ernährung gehöre. Diese Bedarfsposition Ernährung lasse sich aber nicht aus dem Regelsatz herauslösen, weil sie mit den einmaligen Leistungen zu einer Pauschale verrechnet worden sei. Daher sie die Kürzung des Regelsatzes willkürlich und rechtswidrig.
Die Klägerin beantragt,
1.die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.03.2005 zu verurteilen, der Klägerin weitere Grundsicherungsleistungen für November 2004 und Dezember 2004 in Höhe von monatlich 30,- EUR zu zahlen.
2.die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2005 zu verurteilen, der Klägerin weitere Grundsicherungsleistungen ab Januar 2005 in Höhe von monatlich 30,- EUR zu zahlen.
3.die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2005 zu verurteilen, der Klägerin weitere Grundsicherungsleistungen ab Januar 2005 in Höhe von monatlich 154,- EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf ihre Widerspruchsbescheide und trägt weiter vor, während das bis zum 31.12.2004 geltende GrSiG in den §§2 und 3 von einer bedarfsorientierten Leistung gesprochen habe, verweise §42 SGB XII nunmehr auf den maßgebenden bedarfsgerechten Regelsatz der Hilfe zum Lebensunterhalt nach den 3. Kapitel SGB XII. Es eröffne sich daher die Regelung des §28 SGB XII, wonach aufgrund ganz oder teilweiser Bedarfsdeckung eine Regelsatzabweichung zulässig sei. Darüber hinaus sei der als allgemeine Vorschrift für alle Hilfearten geltende Nachranggrundsatz anzuwenden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 19.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.03.2005 nicht und durch den angefochtenen Bescheid vom 19.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2005 teilweise beschwert im Sinne des §54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat ab Januar 2005 Anspruch auf Gewährung von Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung in Höhe von monatlich weiteren 154 Euro. Darüber hinaus besteht weder für die Monate November und Dezember 2004 noch für die Zeit ab Januar 2005 ein Anspruch auf weitere Leistungen in Höhe von monatlich 30 Euro.
I. Die Klägerin hat ab Januar 2005 Anspruch auf Gewährung von Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung in Höhe von monatlich weiteren 154 Euro. Die Beklagte hat das Kindergeld zu Unrecht als Einkommen der Klägerin bedarfsmindernd bei den ihr gewährten Leistungen zur Grundsicherung bei Erwerbsminderung angerechnet.
Gemäß §§41 Abs. 2 i.V.m. 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII ist bei Minderjährigen das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes benötigt wird. Aus diesem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ergibt sich, dass das Kindergeld grundsätzlich nur bei Minderjährigen als Einkommen angerechnet werden darf. Für Volljährige Kinder hat der Gesetzgeber keine Regelung getroffen und folglich gilt § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII für diese nicht (vgl. auch Lehr- und Praxiskommentar SGB XII/Brühl, §82 Rn. 64 ff; Urteil des BVerwG vom 28.04.2005, Az: 5 C 28/04).
Eine Regelungslücke, die mittels Auslegung zu schließen wäre, liegt hier nach Auffassung der Kammer nicht vor. Eine Regelungslücke im Gesetz kann dann angenommen werden, wenn der Gesetzgeber einen Sachverhalt irrtümlich nicht geregelt hat, obwohl er eine entsprechende Regelung treffen wollte. Anhaltspunkte, die für ein gesetzgeberisches Versehen sprechen sind nicht ersichtlich, zumal auch in der Gesetzesbegründung (BT Drucks 15/1514) zur Erläuterung der neuen Anrechnungsregelung lediglich Bezug auf minderjährige Kinder genommen wird. Wenn der Gesetzgeber die Anrechnungsregelung in §82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII auch auf Volljährige hätte anwenden wollen, so hätte es nahegelegen, den Zusatz der "Minderjährigen" nicht aufzunehmen und zu formulieren, dass das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen ist, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes benötigt wird.
Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung, führt auch der Entwurf des KEG, in welchem eine Änderung des §82 Abs.1 SGB XII dahingehend vorgesehen war, dass man das Kindergeld auch dem Grundsicherungsempfänger als Einkommen zurechnen müsse, zu keinem anderen Ergebnis. Dieser auf Initiative des Bundesrates eingebrachte Gesetzesentwurf ist am 03.06.2005 in zweiter Beratung im Bundestag abgelehnt worden. Nach Auffassung der Kammer ist damit eindeutig der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck gekommen, eine Einkommensanrechnungsregelung von Kindergeld ausdrücklich auf Minderjährige zu beschränken und diese nicht auch -wie von der Beklagten gewollt- auf Volljährige auszuweiten.
Schließlich darf auch, wie die Klägerin zutreffend ausführt, die Entscheidung des Gesetzgebers, Unterhaltsansprüche behinderter volljähriger Kinder gegenüber ihren Eltern in den Fällen des §43 Abs. 2 Satz 1 SGB XII nicht zu berücksichtigen, nicht dadurch unterlaufen werden, dass Teile des Elterneinkommens, z.B. das Kindergeld, doch auf die Grundsicherungsleistungen angerechnet werden (vgl. auch Urteil des BVerwG vom 28.04.2005, Az.: 5 C 28/04).
Mangels einer besonderen Zurechnungsvorschrift bleibt es daher bei dem Grundsatz, dass das Kindergeld als Einkommen des Berechtigen gilt (vgl. Grube/Wahrendorf SGB XII §82 Rn. 19). Es ist damit Einkommen der Eltern der Klägerin. Eine Anrechnung beim Kind ist nur statthaft, sofern die Eltern den Kindergeldbetrag durch einen qualifizierten und zweckorientierten Zuwendungsakt an das Kind weiterleiten. Ausreichend ist dafür nicht, dass es dem Kind durch das "Wirtschaften in einen Topf" zugute kommt (LPK-SGB XII/Brühl, §82 Rn. 68; Urteil des Bayerischen VGH vom 09.02.2004, Az.: 12 B 03.2299; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.02.2002, Az.: 12 A 10375/02). Diese Voraussetzungen sind indes nicht erfüllt, das Kindergeld der Eltern wird nicht durch einen besonderen Zuwendungsakt an die Klägerin weitergeleitet. Ob tatsächlich Unterhaltsleistungen von den Eltern im Familienhaushalt an die Klägerin geleistet werden, ist nicht entscheidend. Dem Anspruch auf Grundsicherung kann nicht entgegengehalten werden, dass der Grundsicherungsbedarf ggf. durch tatsächliche Unterhaltsleistungen der Eltern in Höhe des Kindergeldes gedeckt werden. Gegen die Annahme einer solchen Bedarfsdeckung spricht, dass Eltern bei Ausbleiben von Grundsicherungsleistungen in deren Umfang nur anstelle dieser Grundsicherungsleistungen Unterhalt leisten, weil die Grundsicherungspflicht anders als die Sozialhilfepflicht nach Maßgabe der durch §43 Abs. 2 Satz 1 SGB XII gezogenen Grenzen der Unterhaltspflicht vorgeht (Urteil des BverwG vom 28.04.2005, Az.: 5 C 28/04).
II. Hingegen hat die Klägerin keinen Anspruch auf weitere Leistungen in Höhe von monatlich 30 Euro ab November 2004. Nach den bis zum 31.12.2004 geltenden Vorschriften des GSiG haben Anspruch auf Leistungen der beitragsunabhängigen, bedarfsorientierten Grundsicherung Antragsberechtigte, soweit sie ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrem Einkommen und Vermögen beschaffen können, wobei für den Einsatz von Einkommen und Vermögen auf die §§76 bis 88 BSHG verwiesen wird (vgl. §§2 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 2). Wie die Beklagte zu Recht ausführt, muss hier die Vorschrift des §85 Abs. 1 Nr. 3 BSHG für die Anrechnung der ersparten Aufwendungen für die Inanspruchnahme des kostenlosen Mittagessens herangezogen werden. Zwar verweist die Norm nicht explizit auch auf die WfB, doch kann der Gesetzestext dahingehend ausgelegt werden. Die Klägerin spart durch die Nutzung des kostenlosen Mittagessens in der WfB Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt.
Im Übrigen rechtfertigt nach Auffassung der Kammer bereits allein der Grundsatz des §2 Abs. 1 BSHG eine Anrechnung der 30 Euro für die kostenlose Inanspruchnahme des Mittagessens. Dieser das gesamte Sozialhilferecht, somit auch die Leistungen zur Grundsicherung, prägende Grundsatz des Nachranges der Sozialhilfe besagt, dass Sozialhilfe nicht erhält, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Das in der WfB zur Verfügung gestellte kostenlose Mittagessen stellt eine solche Selbsthilfemöglichkeit dar. Die Klägerin hat es also grundsätzlich auch wahrzunehmen. Ein Wahlrecht zwischen der Selbsthilfe und der Inanspruchnahme der Sozialhilfe besteht dabei nicht (vgl. Urteil des VG Minden vom 26.10.2004, Az.: 6 K 1293/02 m.w.N.). Nach Auffassung der Kammer ist auch die festgelegte Höhe von 30 Euro monatlich an ersparten Aufwendungen als angemessen anzusehen. Da dieser Nachranggrundsatz der Sozialhilfe auch in das ab dem 01.01.2005 geltende SGB XII übernommen worden ist, konnte allein deshalb die Beklagte die Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung um 30 Euro monatlich für die kostenlose Inanspruchnahme des Mittagessens kürzen. Daran ändert auch die von der Klägerin zitierte Vorschrift des §82 Abs. 1 SGB XII nichts.
Im Übrigen verweist die Beklagte zu Recht auf die Regelungen der §§42 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, wonach bei ganzer oder teilweiser Bedarfsdeckung eine Regelsatzabweichung zulässig ist. Die Klägerin kann ihren Bedarf anderweitig decken, so dass die Beklagte hier den Regelsatz kürzen durfte.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
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