L 3 R 113/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 12 RJ 136/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 113/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 182/06 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.05.2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin von der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente beanspruchen kann. Dabei ist insbesondere streitig, ob Arbeitszeiten der Klägerin im Ghetto Krakau-Podgorze als Zeiten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung auf die allgemeine Wartezeit anrechenbar sind.

Die jüdische Klägerin wurde am 00.00.1929 als polnische Staatsangehörige in L geboren. Seit Dezember 1949 lebt sie in Israel und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit. Sie ist anerkannte Verfolgte im Sinne des § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) und erhielt Leistungen wegen eines Schadens an Körper oder Gesundheit. Ferner hat sie von der Claims Conference eine Entschädigung auf Grund ihres Verfolgungsschicksals im Ghetto Krakau in den Jahren 1940 bis 1943 erhalten.

Im Juli 1963 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Entschädigung wegen Schadens an Körper oder Gesundheit und machte als Ursache für die Schädigung schwere Lebensbedingungen im Ghetto und in der Illegalität, Hunger, zu schwere Zwangsarbeiten für ein Kind, Misshandlungen, durchgemachte Infektionen, Leben in ständiger Angst und Schrecken geltend. Hierzu erklärte sie in einer eidesstattlichen Versicherung vom 14.08.1963, dass sie zusammen mit ihrer Mutter und ihren anderen Geschwistern in das Ghetto Krakau-Podgorze, das im Jahre 1941 errichtet worden sei, gekommen sei. Sie habe trotz ihres jugendlichen Alters Zwangsarbeit verrichten müssen. Damals hätten auch ihre gesundheitlichen Beschwerden begonnen. Der am 00.00.1926 geborene Zeuge K E erklärte in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 21.07.1963, dass die Klägerin trotz ihres noch so jungen Alters schwere ungewohnte Zwangsarbeiten habe leisten müssen. Sie sei nach der Arbeit ständig mit heftigen Kopfschmerzen und Schmerzen in den Beinen nach Hause gekommen. Der Zeuge K1 P bestätigte in seiner Erklärung vom 29.07.1963, dass die antijüdischen Maßnahmen begonnen hätten, als die Deutschen im Jahre 1939 die Stadt besetzten. Der Vater der Klägerin sei von den Deutschen erschossen worden und die Klägerin sei dann lange krank gewesen. Sie seien zusammen in das Ghetto Krakau-Podgorze gekommen, wo sich die Verhältnisse rapide verändert hätten. Sie hätten trotz ihres jungen Alters schwere Zwangsarbeiten leisten müssen, was weit die Kräfte der Klägerin überstiegen habe. Sie hätten gehungert, an Kälte gelitten, und die Klägerin habe von Tag zu Tag schlechter ausgesehen. In dem ärztlichen Gutachten vom 09.09.1963 ist unter der Rubrik Angaben des Antragstellers über die seiner Meinung nach durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen erstmalig entstandene Krankheiten, Beschwerden und deren Ursachen vermerkt: "Im kindlichen Alter den menschenunwürdigsten Bedingungen ausgesetzt, mangelernährt, Kälte-/Nässeschäden ausgesetzt, Zwangsarbeit verrichtet, mißhandelt, ständig unter Todesfurcht lebend, kam es zu fieberhaften Erkrankungen, Durchfällen, rheumatischen Beschwerden und schwerer Neurose".

Mit Datum vom 03.11.2002 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Altersrente auf Grund von Ghettobeitragszeiten. Sie gab an, in den Jahren 1941 bis 1943 im Ghetto Krakau ungewohnte physische Zwangsarbeiten verrichtet zu haben. In dem ihr von der Beklagten übersandten Antragsformular machte sie keine Angaben zum Versicherungsverlauf. In dem Fragebogen für die Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung der Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigung in einem Ghetto (ZRBG) gab die Klägerin an, innerhalb des Ghettos Krakau von morgens bis abends tätig gewesen zu sein. Während der Arbeit sei sie von Polizisten bewacht worden, der Arbeitseinsatz sei nicht freiwillig durch eigene Bemühungen oder durch Vermittlung zustande gekommen. Sie hätte verschiedene Tätigkeiten verrichtet und könne sich nicht mehr erinnern, wie viele Stunden täglich sie gearbeitet habe. Für ihre Arbeit sei sie mit Essen entlohnt worden, sie habe weder Barlohn noch Sachbezüge erhalten. Ferner gab sie an, dass sie die Fragen nicht vollständig beantworten könne, weil sie sich nicht erinnern könne. Die Beklagte zog die Entschädigungsakte bei und lehnte mit Bescheid vom 31.10.2003 die Gewährung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG ab. Die Klägerin habe angegeben, dass sie während der Arbeit bewacht worden sei und ihr Arbeitseinsatz durch Zuweisung zustande gekommen sei. Barlohn oder Sachbezüge seien nicht gewährt worden. Es sei daher nicht glaubhaft, dass eine entgeltliche Beschäftigung in einem Ghetto ausgeübt worden sei. Es habe sich vielmehr um ein Zwangsarbeitsverhältnis gehandelt.

Die Klägerin legte am 30.01.2004 Widerspruch ein. Die Prozessbevollmächtigte trug vor, dass es völlig unwahrscheinlich sei, dass die Klägerin während der Arbeit bewacht worden sei, vielmehr sei das Ghetto bewacht worden. Im Übrigen falle auf, dass die Klägerin die Fragen offensichtlich nicht verstanden habe. Während sie einerseits angegeben habe, von morgens bis abends gearbeitet zu haben, habe sie später erklärt, sich nicht erinnern zu können, wie lange sie gearbeitet habe. Auch die Frage nach den Arbeiten habe sie nicht richtig beantwortet. Dort stehe offensichtlich "verschiedene". Es sei klar erkennbar, dass die Klägerin die Frage nach dem Zustandekommen des Arbeitseinsatzes nicht verstanden habe. Die Tatsache, dass sie innerhalb des Ghettos gearbeitet habe, schließe das Vorliegen von Zwangsarbeit aus. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.06.2004 wies die Beklagte den Widerspruch aus den Gründen des angefochtenen Bescheides zurück. Ein Beschäftigungsverhältnis aus eigenem Willensentschluss im Ghetto Krakau sei nicht überwiegend wahrscheinlich, vielmehr bestünden begründete Zweifel.

Die Klägerin hat am 14.07.2004 durch ihre Prozessbevollmächtigte Klage erhoben. Diese hat vorgetragen, dass der Fragebogen katastrophal ausgefüllt sei. Aus ihm ergebe sich, dass die Klägerin vom Morgen bis zum Abend innerhalb des Ghettos von Krakau beschäftigt gewesen sei. Es werde nicht berücksichtigt, dass die Klägerin eine durch in ihrer Jugend erlittene Verfolgungsmaßnahmen psychisch kranke Frau sei. Die Angabe der Klägerin und der Zeugen im Entschädigungsverfahren, dass sie Zwangsarbeit geleistet habe, dürfe nicht überbewertet und als Rechtstatsache behandelt werden. Wenn sie die Arbeit im Ghetto als Zwangsarbeit empfunden habe, verwundere es nicht und sei ihr auch nicht entgegen zu halten, dass sie im ZRBG Verfahren ebenfalls das Wort Zwangsarbeit verwende. Für die Ableistung der Zwangsarbeitspflicht im Generalgouvernement sei ein Gestellungsbefehl erforderlich gewesen und die Zwangsarbeit sei außerhalb der Wohngemeinde in besonderen Zwangsarbeitslagern verrichtet worden, was dem erzieherischen Zweck der Zwangsarbeit Nachdruck verleihen sollte. Für die eingerichteten Arbeitslager, die nur in frostfreien Zeiten arbeiteten, habe man sich freiwillig melden können. Aber auch bei lagermäßigem Einsatz habe nicht immer Zwangsarbeit vorliegen müssen. Anders sei es nicht zu erklären, dass z.B. aus Warschau niemand mehr in die Arbeitslager der Wasserwirtschaft gehen wollte und diese wegen der katastrophalen Verhältnisse aufgelöst worden seien. Die Klägerin habe im Ghetto Krakau gearbeitet, was sich aus der Entschädigungsakte zweifelsfrei ergebe. Auch in den Ghettos habe man zwischen normaler Arbeitsaufnahme und der Möglichkeit der Einberufung zur Ableistung von Arbeit unter Zwang unterschieden. Bei der Einführung des Arbeitszwangs habe die Bestrafung der Juden im Vordergrund gestanden und nicht die Erzielung eines produktiven Gewinns. Erst zum Ende des Jahres 1942 habe sich dies geändert. Erst ab Herbst des Jahres 1942 hätten Juden kein Arbeitsentgelt mehr erhalten, sondern es sei eine Judenleihgebühr zu zahlen gewesen und die Juden seien von der SS unterhalten worden. Für den Distrikt Warschau sei es mit Anordnung vom 14.09.1942 verboten worden, Lohnzahlungen an Juden zu leisten.

Mit Urteil vom 10.05.2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht, dass sie im Ghetto eine Beschäftigung, die aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen sei, gegen Entgelt ausgeübt habe. Im Rahmen des Antragsverfahrens habe sie vielmehr ausdrücklich Zwangsarbeit vorgetragen. Sie habe dargelegt, dass die Arbeit weder freiwillig noch durch Vermittlung zustande gekommen sei. Somit bleibe nur der zwangsweise Einsatz als weitere Möglichkeit übrig. Darüber hinaus habe die Klägerin angegeben, während der Arbeit bewacht worden zu sein. Bewachung während der Arbeit sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Merkmal eines Zwangsarbeitsverhältnisses. Diese Angabe habe die Klägerin auch nicht ausdrücklich widerrufen. Vielmehr habe sie mit allgemeinen Ausführungen versucht darzulegen, dass diese Angabe unwahrscheinlich sei. Darüber hinaus sei von Bedeutung, dass die Klägerin weder Barlohn noch Sachbezüge, sondern nur Essen erhalten habe. Der Erhalt von Essen für geleistete Arbeit stelle kein Entgelt im Sinne des ZRBG dar. Eine Verletzung der Aufklärungs- und Beratungspflichten der Beklagten sei nicht anzunehmen. Die Angaben der Klägerin im Rahmen des Rentenantragsverfahrens stimmten mit den Angaben überein, die im Rahmen des Entschädigungsverfahrens von Zeugen geschildert worden seien.

Gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 10.06.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 27.06.2005 Berufung eingelegt. Bereits in der Klagebegründung sei dargelegt worden, dass polnische Juden als Ghettobewohner keine Zwangsarbeit leisteten, sondern freiwillige Arbeitsverhältnisse gegen Entgelt eingingen. Die Beschreibung der Tätigkeiten als Zwangsarbeit sei unschädlich. Das Empfinden, unter Zwang gestanden zu haben, habe sich schon aus der Pflicht ergeben, im Ghetto wohnen zu müssen und auch aus den dortigen besonderen Lebensverhältnissen. Auch in den Ghettos habe es eigene Ordnungseinheiten gegeben. Die Polizisten seien in der Öffentlichkeit präsent gewesen und es sei nicht verwunderlich, wenn auch an den Produktionsstätten und Werkstätten Mitglieder der Ghettopolizei ihren Dienst versahen. Es habe sich hierbei um eine allgemeine Bewachung gehandelt; sie habe nicht dazu gedient, zu verhindern, dass der Arbeitsplatz oder das Ghetto verlassen werde. Das Leben im Ghetto sei davon bestimmt gewesen, sich Gedanken darüber zu machen, wie man sich ausreichend ernähren konnte. Daher sei es verständlich, dass "Essen" im Vordergrund gestanden habe. Geld habe nur den Zweck gehabt, Lebensmittel zu erwerben. Diese seien rationiert gewesen und hätten nur gegen Marken erworben werden können. Darüber hinaus sei die Nichtzahlung des Entgelts ausschließlich aus Verfolgungsgründe erfolgt und damit unschädlich. Allein der Entgeltanspruch führe dazu, dass die Klägerin so zu stellen sei, als habe sie das Monatsgehalt tatsächlich erhalten. Hier liege die Nichtzahlung des tariflichen Entgelts aus einer entgeltlichen Beschäftigung vor, für die Beiträge aus Verfolgungsgründen nicht gezahlt worden seien. Ohne die Verfolgung hätte es sich um eine versicherungspflichtige Beschäftigung gehandelt. Dem sei auch nicht eine Lohnzahlung an den Judenrat entgegenzuhalten, da die Entgeltzahlung an Dritte das Bestehen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht vernichte. Im Übrigen verlange das ZRBG nicht ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, sondern nur eine Beschäftigung gegen Entgelt. Im Ghetto sei die Möglichkeit, ein im heutigen Sinn freies Beschäftigungsverhältnis zu begründen, gering gewesen und es habe keine Möglichkeit bestanden, ein Vertragsverhältnis in einem gegenseitigen Nehmen und Geben auszuhandeln. Die Freiwilligkeit sei schon insoweit anzunehmen, als ein Arbeitsverhältnis über den Judenrat aufgenommen worden sei. Auch stehe eine Entschädigung nach dem Stiftungsgesetz einer Leistung nach dem ZRBG nicht entgegen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.05.2005 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 31.10.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2004 zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG für von ihr im Ghetto Krakau zurückgelegte Zeiten einer Beschäftigung sowie unter Berücksichtigung von Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI eine Regelaltersrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte, die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten (AZ: 000) sowie die Entschädigungsakte des Amtes für Wiedergutmachung in Saarburg (AZ: 000) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 31.10.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2004 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht gemäß § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in ihren Rechten. Die Beklagte hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Regelaltersrente hat.

Nach § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) hat ein Versicherter Anspruch auf Altersrente, wenn er das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt hat. Zwar hat die Klägerin das 65. Lebensjahr bereits im Juli 1988 vollendet, sie kann jedoch die erforderliche Wartezeit nicht vorweisen. Als anrechnungsfähige Versicherungszeiten kommen insoweit Beitrags- und Ersatzzeiten im Sinne der §§ 50 Abs.1 Nr.1, 51 Abs.1 und Abs.4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Abs.1 SGB VI Ersatzzeiten als rentenrechtliche Zeiten allerdings nur Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetz nur Versicherten, d.h. Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar, § 250 SGB VI RdNr.10; Schmidt in Kreikebohm, SGB VI, 2. Aufl., § 250 RdNr.6; BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R).

Die Klägerin hat keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt. Nach den §§ 55 Abs. 1, 247 Abs. 3 S. 1 SGB VI sind Beitragszeiten solche Zeiten, für die nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Zwar gelten für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto nach § 2 Abs.1 ZRBG Beiträge als gezahlt und werden als sogenannte "Ghettobeitragszeiten" bei der Anrechnung auf die Wartezeit als Beitragszeiten berücksichtigt, jedoch kann die Klägerin die begehrte Anerkennung der geltend gemachten Beschäftigungen im Ghetto Krakau-Podgorze von August 1941 bis Oktober 1942 nicht auf das ZRBG stützen, weil die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 ZRBG nicht erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift erhalten Verfolgte im Sinne des BEG Leistungen nach dem ZRBG, die sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, welches sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, und dort eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt haben. Damit knüpft das ZRBG erkennbar an die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit für eine versicherungspflichtige Beschäftigung in einem Ghetto an. Dies ergibt sich auch aus der hierzu vorliegenden Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 14/8583, S. 1, 6; 14/8602, S. 1, 5), wonach dieses Gesetz ausdrücklich in Reaktion und (Akzeptanz) der Rechtsprechung des BSG verabschiedet worden ist, um -entgegen § 272 SGB VI- in vielen Fällen die daraus resultierenden Rentenansprüche ins Ausland erst zahlbar zu machen. Eine Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises über den von der Ghetto-Rechtsprechung begünstigten hinaus ist ersichtlich vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen. Die in § 1 ZRBG genannten Kriterien folgen vielmehr der Rechtsprechung des BSG und verdeutlichen die Trennung zu nichtversicherter Zwangsarbeit (BT- Drucks. 14/8583, S. 6; 14/8602, S 6 -vgl.: BSG, Urteil vom 07.10.2004, Az: B 13 RJ 59/03 R, in SozR 4-5050 § 15 Nr 1-).

Es kann dahin stehen, ob diese Beschäftigung nachgewiesen oder in entsprechender Anwendung des § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) lediglich glaubhaft gemacht sein muss (vgl. § 1 Abs. 2 ZRBG); denn die Klägerin hat schon nicht glaubhaft gemacht, in der geltend gemachten Zeit versicherungspflichtig beschäftigt gewesen zu sein.

Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. § 3 Abs. 1 WGSVG). Glaubhaftmachung bedeutet danach mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es genügt die gute Möglichkeit, dass der entscheidungserhebliche Vorgang sich so zugetragen hat, wie behauptet wird. Es muss also mehr für als gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen. Dabei sind gewisse noch verbleibende Zweifel unbeachtlich (vgl. BSG SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).

Nach der insoweit erforderlichen Gesamtwürdigung aller Umstände ist es jedoch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin in der streitgegenständlichen Zeit freiwillige Beschäftigungen gegen Entgelt verrichtet hat.

Auch bei Arbeiten, die unter den allgemeinen Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verrichtet wurden, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich der erkennende Senat anschließt, eine von den Merkmalen der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit bestimmte Beschäftigung, die grundsätzlich der Versicherungspflicht unterliegt von nicht versicherungspflichtiger Zwangsarbeit abzugrenzen (BSG SozR 3-5070 § 14 Nr. 2, 3; BSG SozR 3-2200 § 1248 Nr. 15, 16, 17). Dabei ist das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses danach zu beurteilen, ob die Beschäftigung auf Grund einer zweiseitigen Vereinbarung aufgenommen wurde und den Austausch wirtschaftlicher Werte (Arbeit gegen Lohn) zum Inhalt hatte; die Ausübung einer Beschäftigung im Sinne von "Zwangsarbeit” genügt dabei nicht (BSG SozR-3 5070 § 14 Nr. 2 S. 6 ff, Nr. 3 S. 18 ff). Zwangsarbeit ist in Abgrenzung zur versicherungspflichtigen Beschäftigung die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) bzw. gesetzlichem Zwang, wie z.B. bei Strafgefangenen und Kriegsgefangenen oder in Zwangsarbeitslagern (vgl. z.B. BSGE 80, 250, 253 = SozR 3-2200 § 1248 Nr. 15; Gagel in Festschrift für Otto Krasney, 1997, S 147, 157f). Typisch ist dabei insbesondere die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeiten, ohne dass die Arbeiter hierauf selbst Einfluss haben. Weiterhin ist charakteristisch für Zwangsarbeit, dass ein Entgelt für die individuell geleistete Arbeit nicht oder nur in geringem Maße an die Arbeiter ausgezahlt wird (vgl. hierzu BSGE 38, 245 = SozR 5070 § 14 Nr. 12; BSG, Urteil vom 20.02.1975 - 4 RJ 15/74-, BSG SozR 5070 § 14 Nr. 9). Entsprechendes gilt für die Überwachung der Arbeiter während der Arbeit, um zu verhindern, dass diese sich aus dem obrigkeitlichen Gewahrsam entfernen können (zur Abgrenzung vgl. BSGE 12, 71 = SozR Nr. 18 zu § 537 RVO). Diese Kriterien zeigen, dass eine verrichtete Arbeit sich umso mehr von dem Typus des Arbeits- bzw. Beschäftigungsverhältnisses entfernt und dem Typus der Zwangsarbeit annähert, als sie durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann (vgl. BSG, Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 71/99 R).

Der guten Möglichkeit der Verrichtung einer freiwilligen Arbeitsaufnahme stehen bereits die Angaben der Klägerin sowohl im Entschädigungsverfahren als auch im Verwaltungsverfahren entgegen. Bereits im Entschädigungsverfahren hat die Klägerin angegeben, schwere Zwangsarbeiten geleistet zu haben. Bestätigt wird dies von den Zeugen E und P. Zwar ist einzuräumen, dass der Klägerin anlässlich ihrer damaligen Erklärung - ebenso wie den seinerzeit schriftlich gehörten Zeugen E und P - nicht die rechtliche Ausprägung des Begriffs der Zwangsarbeit bekannt und bewusst war. Das Wort "Zwang" hat jedoch - neben seiner inhaltlichen Bedeutung in dem Rechtsbegriff der Zwangsarbeit - insbesondere einen allgemein gültigen Sinngehalt dahingehend, dass er das Merkmal der Freiwilligkeit ausschließt. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Klägerin diesen Begriff durch ihre Angaben in dem Fragebogen für die Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung der Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto inhaltlich konkretisierte, indem sie darlegte, dass die Arbeitseinsätze nicht freiwillig oder durch Vermittlung zustande gekommen seien. Ferner sei sie während der Arbeitseinsätze am Arbeitsplatz bewacht worden. Hiermit beschreibt sie zwei wesentliche Kriterien, die für das Vorliegen von Zwangsarbeit in Abgrenzung zu einer versicherungspflichtigen Beschäftigung sprechen. Es überzeugt nicht, wenn vorgetragen wird, dass Ghettopolizei im Rahmen allgemeiner Bewachung an den Produktionsstätten und Werkstätten ihren Dienst versah. Offen bleibt, aus welchen Gründen eine allgemeine Bewachung an Produktions- und Werkstätten erforderlich gewesen sein soll.

Darüber hinaus ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Klägerin eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt hat, denn es ist nicht wahrscheinlich, dass sie für ihre Arbeitsleistung im Ghetto Krakau-Podgorze eine Gegenleistung erhalten hat, die den Umfang freien Unterhaltes überstieg.

Als freier Unterhalt ist dasjenige Maß von Wirtschaftsgütern anzusehen, das zur unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitnehmers erforderlich ist, nicht aber das, was darüber hinaus geht (Verbandskommentar, RVO, 4. und 5. Buch, Stand März 1956, § 1227, Anm. 2 m.w.N; Eicher/Hase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 6. Aufl. 1978, § 1228 Anm. 5). Werden an Stelle des freien Unterhaltes Sachbezüge oder auch geringfügige Geldbeträge zur Bestreitung des notwendigen Unterhaltes geleistet, so ist dies keine freie Unterhaltsgewährung mehr. Dagegen zählen Sachbezüge in geringem Umfang zur Befriedigung kleinerer Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten noch zum freien Unterhalt (vgl. hierzu Etmer, RVO Bd. I, Stand März 1966, § 1248 Anm. 4). Bei Gewährung von Lebensmitteln ist zu prüfen, ob sie nach Umfang und Art des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch oder vorbestimmt zur beliebigen Verfügung gegeben werden (RVO mit Anmerkungen, herausgegeben von Mitgliedern des Reichsversicherungsamtes, Bd. IV - Invalidenversicherung 2. Aufl., Berlin 1930, § 1227 Anm. 2). In diesem Zusammenhang ist jedoch stets ergänzend zu berücksichtigen, dass nur diejenige für die geleistete Arbeit gewährte Gegenleistung der Zahlung eines Entgeltes gleichzustellen ist, die zum Umfang und der Art der geleisteten Arbeit noch in einem "angemessenen” Verhältnis steht, weil allzu geringfügige Leistungen außerhalb eines jeden Verhältnisses zur erbrachten Leistung schon nicht mehr Entgeltcharakter haben. Das Entgelt in Form von Sachbezügen muss somit eine Mindesthöhe erreichen, um von einer entgeltlichen versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgehen zu können (BSG, Urteil vom 07.10.2004, aaO). Dies ist im Fall der Klägerin nicht glaubhaft gemacht.

Schon die eigenen Angaben der Klägerin sind nicht geeignet, ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis glaubhaft zu machen. Sie selbst hat im Verwaltungsverfahren angegeben, für ihre von morgens bis abends dauernde Tätigkeit Essen, aber keinen Barlohn oder Sachbezüge erhalten zu haben. Allein die Gewährung freien Unterhalts für eine von morgens bis abends dauernde Tätigkeit stellt keine angemessene Gegenleistung dar, wobei die Gewährung nur freien Unterhalts ohnehin versicherungsfrei war (§ 1227 RVO in der während der streitigen Zeit geltenden Fassung; § 1228 RVO in der Fassung vom 01.02.1957; vgl. auch Verbandskommentar, RVO, 4. und 5. Buch, Stand März 1956, § 1227, Anm. 2 mwN; Eicher/Haase/Reuschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 6. Aufl. 1978, § 1228 Anm. 5). Für die Gewährung allenfalls nur geringfügiger Leistungen sprechen auch die Angaben der Klägerin in ihrem Entschädigungsantrag vom 09.07.1963, in dem sie ihre Gesundheitsstörungen auf die schweren Lebensbedingungen auch im Ghetto und dort durchlittenen Hunger zurückführte. Gestützt wird dies durch die Angaben des Zeugen P, der im Jahr 1963 erklärte, dass sie im Ghetto gehungert hätten.

Soweit geltend gemacht wird, dass ein Entgelt ausschließlich aus Verfolgungsgründen nicht gezahlt worden sei und allein der Entgeltanspruch dazu führe, dass die Klägerin für den Bereich der Rentenversicherung so zu stellen sei, als sei ihr das Monatsgehalt tatsächlich ausgezahlt worden, kann dem nicht gefolgt werden. Das Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) fingiert in seinen §§ 12 und 15 lediglich eine Beitragszahlung für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, die aus Verfolgungsgründen unterblieben ist, nicht jedoch das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses bei Nichtzahlung von Entgelt aus Verfolgungsgründen. Das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ist vielmehr Voraussetzung für die Beitragsfiktion. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Reichsversicherungsamtes vom 29.10.1930, Az: III AV 44/30 B (in: Amtliche Nachrichten für Reichsversicherung, 1931 IV 34). Zwar hat das Reichsversicherungsamt der Beitragsbemessung eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses in der o.a. Entscheidung das tarifvertraglich geschuldete und nicht das tatsächliche Entgelt zugrunde gelegt, jedoch ist diese Entscheidung auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar. Dem vom Reichsversicherungsamt zu entscheidenden Sachverhalt lag ein freiwillig zustande gekommenes, der Versicherungspflicht unterliegendes Beschäftigungsverhältnis zugrunde. Hier fehlt es jedoch schon an dem für die Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses wesentlichen Element der Freiwilligkeit.

Da die Voraussetzung für die Anerkennung einer Beitragszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht glaubhaft gemacht werden konnte, kommt auch die Anerkennung von Ersatzzeiten nicht in Betracht.

Veranlassung, den Sachverständigen H zu befragen -wie von der Klägerin angeregt-, bestand nicht. Es ist nicht erkennbar, dass dieser Angaben zu den konkreten Lebensumständen der Klägerin im Ghetto Krakau machen kann, die alleine maßgeblich für die Beurteilung der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung sind. Dies hat die Klägerin auch nicht vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.

Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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