L 2 B 44/05 AS ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 6 AS 313/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 B 44/05 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bei einem nach § 421 Buchstabe 1 SGB II einem Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II gewährten Existenzgründungszuschuss handelt es sich um nach § 11 Abs. 1 SGB II zu berücksichtigende Einnahmen. Der Bezug des Existenzgründungszuschusses durch ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II kann deshalb zur Minderung bzw. dem Ausschluss der Hilfebedürftigkeit führen.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer verfolgt sein Begehren weiter, die Beschwerdegegnerin im Eilverfahren zu verpflichten, ihm höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zu gewähren.

Der am 1955 geborene Beschwerdeführer ist arbeitslos. Er lebt mit der Beigeladenen (seiner Ehefrau) zusammen in einer Wohnung. Die Beigeladene ist derzeit selbständig und betreibt ein Gewerbe. Ein Geschäftslokal außerhalb der Wohnung existiert nicht. Zunächst war Gegenstand des Gewerbes der Verkauf von Geschenkartikeln. Mittlerweile hat die Beigeladene die Ausrichtung des Gewerbes verändert und ist als Testkäuferin tätig. In der Wohnung lebt auch noch das Enkelkind L. –S ...

Am 28. November 2004 stellte der Beschwerdeführer bei der Beschwerdegegnerin einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Im Antragsverfahren legte er unter anderem einen Bescheid der Bundesagentur für Arbeit (BA) vom 13. Oktober 2004 vor, mit dem die BA der Beigeladenen ab dem 1. November 2004 einen Existenzgründungszuschuss in Höhe von monatlich 600 Euro für das erste Jahr der Selbständigkeit bewilligt hat. Weiter legte er einen Nachweis über das Bestehen einer freiwilligen Krankenversicherung der Beigeladenen bei der AOK Sachsen-Anhalt mit monatlichen Beiträgen von 196,62 Euro vor. In einer Erklärung vom 19. Januar 2005 führte die Beigeladene aus, sie benötige den Existenzgründungszuschuss, um eine Existenz aufzubauen und die freiwillige Krankenversicherung zu bezahlen. Der Beschwerdeführer und die Beigeladene legten keine Nachweise für im Zusammenhang mit der Gewerbeausübung der Beigeladenen entstandene notwendige Ausgaben oder Einnahmen vor.

Mit Bescheid vom 27. Mai 2005 bewilligte die Beschwerdegegnerin für den Beschwerdeführer und die Beigeladene als Bedarfsgemeinschaft monatliche Leistungen in Höhe von 264,19 Euro. Dabei berücksichtigte sie beim Beschwerdeführer eine Unfallrente und bei der Beigeladenen den monatlichen Existenzgründungszuschuss abzüglich eines Pauschalbetrages für Versicherungen von 30 Euro, von 17,88 Euro für die Kfz-Haftpflichtversicherung und des Erwerbstätigenfreibetrages mit 110,42 Euro mit einem verbleibenden Betrag in Höhe von 441,70 Euro als monatliches Einkommen. Der Beschwerdeführer erhob gegen die Bewilligung Widerspruch, weil er mit der Leistungshöhe nicht einverstanden war.

Mit einem am 17. Juni 2005 beim Sozialgericht Dessau eingegangenem Antrag hat der Beschwerdeführer einstweiligen Rechtsschutz mit dem Ziel der Gewährung höherer Leistungen zum Lebensunterhalt begehrt.

Die Beschwerdegegnerin wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2005 als unbegründet zurück. Ein hiergegen gerichtetes Klageverfahren ist beim Sozialgericht Dessau anhängig. In Änderungsbescheiden vom 27. Juni und 22. Juli 2005 berücksichtigte die Beschwerdegegnerin ebenfalls den Existenzgründungszuschuss in der dargestellten Art und Weise als Einkommen.

Das Sozialgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 8. Juli 2005 abgelehnt und u. a. ausgeführt: Bei dem Existenzgründungszuschuss handele es sich um zu berücksichtigendes Einkommen. Die Anrechnung werde nicht durch § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II ausgeschlossen. Es handele sich nicht um zweckbestimmte Einnahmen im Sinne dieser Vorschrift. Der Existenzgründungszuschuss diene ebenso wie die Leistungen nach dem SGB II der Sicherung des Lebensunterhalts und darüber hinaus der Eingliederung in Arbeit. Im konkreten Fall seien keine besonderen betrieblichen Ausgaben geltend gemacht worden, die abzusetzen seien.

Gegen den ihm am 13. Juli 2005 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 28. Juli 2005 Beschwerde eingelegt. Das Landessozialgericht hat die Ehefrau des Beschwerdeführers zum Verfahren beigeladen.

Der Beschwerdeführer hat die Beschwerde darauf beschränkt, "feststellen zu lassen, dass der der Ehefrau des Antragstellers gewährte Existenzgründungszuschuss ...nicht als Einkommen angerechnet wird". Er beruft sich auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 23. Juni 2005 (Az.: L 8 AS 97/05 ER).

Der Beschwerdeführer beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Dessau vom 8. Juli 2005 aufzuheben und die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, ihm für sich und seine Frau als Bedarfsgemeinschaft ab Rechtshängigkeit des Antragsverfahrens höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) ohne Anrechnung des monatlich gewährten Existenzgrundzuschusses als Einkommen zu gewähren.

Die Beschwerdegegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für richtig.

Die Beigeladene hat selbst keinen Antrag gestellt. Sie hat erklärt: Für das zweite Jahr ihrer Selbständigkeit liege noch kein Bescheid der BA über die Bewilligung des Existenzgründungszuschusses vor. Sie erwarte aber einen solchen Bescheid. Den im zweiten Jahr der Selbständigkeit geringeren Betrag von 360,00 Euro im Monat habe sie für Oktober 2005 bereits erhalten. Eine Gewinn- und Verlustrechnung für ihr Gewerbe habe sie nicht erstellt. Von Zahlungen zur Rentenversicherung als Selbständige sei sie befreit. Seit dem 1. Januar 2005 sei sie über die Beschwerdegegnerin krankenversichert. Sie habe aber noch für die Zeit bis einschließlich Mai 2005 Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung gezahlt. Insoweit habe sie von der Krankenkasse eine Rückerstattung verlangt. Dieser Antrag werde derzeit noch bearbeitet.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).

Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Einschlägig ist hier die letztgenannte Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile. Sie entspricht der Regelungsanordnung des § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Eine derartige Regelungsanordnung kann vom Gericht erlassen werden, wenn der Antragsteller glaubhaft macht (§ 920 Zivilprozessordnung - ZPO - in Verbindung mit § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG), dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und dass der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche, in § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG näher gekennzeichnete Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund).

Der Anordnungsgrund setzt voraus, dass dem Beschwerdeführer bei Abwägung seiner Interessen gegen die der Beschwerdegegnerin nicht zugemutet werden kann, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Dies wird regelmäßig dann der Fall sein, wenn rechtswidrig zur Existenzsicherung notwendige Leistungen vorenthalten werden.

Der Anordnungsanspruch kann sich hier aus § 19 Satz 1 SGB II ergeben. Danach erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II u. a. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Erwerbsfähige Berechtigte sind nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die u. a. hilfebedürftig sind. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Leistungen erhält nach § 7 Abs. 2 und Abs. 3 SGB II auch der zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Ehepartner.

Der Beschwerdeführer ist erwerbsfähig und hilfebedürftig, weil er keine eigenen Einkünfte hat. Gleiches gilt für die Beigeladene. Somit haben beide grundsätzlich Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Der Beschwerdeführer greift im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur die vorgenommene Berücksichtigung des Existenzgründungszuschusses bei der Einkommensanrechnung an. Insofern kann es der Senat offen lassen, ob die Leistungsgewährung im Übrigen rechtmäßig erfolgt ist. Grundsätzlich ist das Begehren zwar auf eine höhere Leistung gerichtet, so dass vom angerufenen Gericht alle für die Leistungshöhe relevanten Faktoren zu überprüfen sind. Der Senat hält aber im Eilverfahren die vom Antragsteller und Beschwerdeführer vorgenommene Beschränkung auf einen bestimmten für die Leistungshöhe relevanten Streitpunkt für zulässig.

Die von der Beschwerdegegnerin vorgenommene Einkommensanrechnung ist nicht zu beanstanden. Bei dem der Beigeladenen gewährten Existenzgründungszuschuss handelt es sich um nach § 11 Abs. 1 SGB II zu berücksichtigendes Einkommen. Die Beschwerdegegnerin war nicht verpflichtet, weitere Beträge nach § 11 Abs. 2 SGB II von dem Einkommen abzusetzen. Denn im Eilverfahren sind keine weiteren Versicherungsbeiträge oder mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben glaubhaft gemacht worden. Die tatsächlichen gezahlten Beiträge zur privaten Krankenversicherung können nicht vom Einkommen der Beigeladenen abgesetzt werden. Denn diese sind schon dem Grunde nach nicht angemessen. Als Selbständige ist die Beigeladene nicht pflichtversichert in der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie ist aber als Bezieherin von Arbeitslosengeld II pflichtversichert nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 a Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), wobei die Beiträge von dem Leistungsträger getragen werden. Es ist somit für die Beigeladene nicht erforderlich, einen privaten Krankenversicherungsschutz aufrecht zu halten.

Bei dem Existenzgründungszuschuss handelt es sich auch nicht um Einkommen, dass nach § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II anrechnungsfrei bleibt. Nach dieser Vorschrift sind zweckbestimmte Einnahmen nicht als Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II zu berücksichtigen. Zweckbestimmte Einnahmen liegen vor, wenn die Einnahmen nicht ebenso wie die Leistungen nach dem SGB II dazu dienen, den Lebensunterhalt zu sichern. Das LSG Niedersachsen-Bremen hat in einer Entscheidung vom 23. Juni 2005 (Az.: L B AS 97/05 ER) ausgeführt, bei dem Existenzgründungszuschuss handele es sich um eine Leistung im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II, denn er diene der sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung und nicht der Sicherung des Lebensunterhaltes. Dieser Auffassung folgt der erkennende Senat nicht. Der Existenzgründungszuschuss ist an die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit gebunden. Dies spricht dafür, ihn wie Einkommen aus dieser Tätigkeit zu behandeln. Zur sozialen Sicherung aufgewendete Beträge können bei entsprechendem Nachweis abgesetzt werden, sofern sie gesetzlich vorgeschrieben oder notwendig sind. Wenn aber keine Beiträge für einen Krankenversicherungsschutz erforderlich sind und wie im vorliegenden Fall Beitragsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung besteht, würde die Nichtberücksichtigung des Existenzgründungszuschusses zu einem nicht gewollten realen Einkommenszuwachs für die Bedarfsgemeinschaft führen. Für eine Anrechnung spricht der aus den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens zum SGB II deutlich werdende Wille des Gesetzgebers. Nach § 16 Abs. 1 SGB II in der ursprünglichen Fassung durch Art. 1 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2004 (BGBl. I 2954) bestand die Möglichkeit für den Leistungsträger nach dem SGB II, den Existenzgründungszuschuss nach § 421 Abs. 1 SGB III auch im Rahmen des SGB II zu gewähren. Diese Leistungen wären dann als Leistungen nach dem SGB II ("nach diesem Buch") gemäß § 11 Abs. 1 SGB II nicht auf das Arbeitslosengeld II anzurechnen gewesen. Im Gesetzgebungsverfahren zum Kommunalen Optionsgesetz vom 30. Juli 2004 (BGBl. I 2014) ist dies aber korrigiert worden und diese Möglichkeit der Leistungsgewährung entfiel durch eine noch vor dem Inkrafttreten des SGB II wirksam werdende Gesetzesänderung. Damit wollte der Gesetzgeber auch verhindern, dass der Existenzgründungszuschuss kumulativ zum Arbeitslosengeld II gezahlt werden kann (siehe BT-Drucks. 15/2997, S. 24 zu Art. 1 Nr. 9a – dort wird auch ausdrücklich von der "lebensunterhaltssichernden Funktion" des Existenzgründungszuschusses gesprochen). Neben dem Bezug von Arbeitslosengeld II ist deshalb nun nur noch die Gewährung des Existenzgründungszuschusses möglich, wenn die Leistungsvoraussetzungen nach dem SGB III vorliegen (vgl. Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II § 29 Rdnr. 4). Es handelt sich dann um eine Leistung nach dem SGB III. Daraus kann gefolgert werden, dass diese nicht ohne Anrechnung kumulativ zur Leistungsgewährung nach dem SGB II das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft erhöhen soll.

Der Senat verkennt dabei nicht, dass es für den Leistungsbezieher eine Erleichterung bedeuten würde, wenn der Existenzgründungszuschuss entsprechend der Auffassung des LSG Niedersachsen-Bremen von vornherein nicht als zu berücksichtigendes Einkommen behandelt würde. Der Leistungsbezieher könnte dann unabhängig vom Nachweis mit der Gewerbeausübung verbundener Aufwendung oder von Aufwendungen zur sozialen Absicherung den Existenzgründungszuschuss im Sinne einer "Anschubfinanzierung" für den Aufbau der selbständigen Existenz nutzen. Dennoch erscheint dieser Weg dem Senat aus den oben aufgezeichneten Gründen nicht gangbar. Das Problem, notwenige Mittel für den Aufbau einer Existenz anrechnungsfrei zu Verfügung zu stellen, kann eventuell auf entsprechenden Antrag hin nach Einzelfallprüfung durch Gewährung sonstiger Leistungen zur Eingliederung nach § 16 Abs. 2 SGB II gelöst werden.

Mangels eines Anordnungsanspruchs muss dem Begehren des Beschwerdeführers somit der Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Der Beschluss ist nach § 177 SGG unanfechtbar. Auf § 178a SGG wird hingewiesen.
Rechtskraft
Aus
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