L 11 B 719/05 AS ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AS 457/05 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 719/05 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.11.2005 insoweit aufgehoben, als die Antragsgegnerin verpflichtet wurde, dem Antragsteller die Geschäftsanteile für seine Wohnung G.straße, N. in Höhe von 500,- EUR sowie 10,- EUR Aufnahmegebühr vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache als Darlehen zu gewähren. Der Antrag wird auch insoweit abgelehnt.
II. Die Antragsgegnerin hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Streitig ist die Höhe der von der Antragsgegnerin (Ag) zu berücksichtigenden Kosten für die Unterkunft und die Übernahme der Kosten für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen (500,- EUR) und einer Aufnahmegebühr in Höhe von 10,- EUR im Rahmen der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der 1950 geborene Antragsteller (Ast) beantragte am 04.05.2005 nach Erschöpfung des Anspruches auf Arbeitslosengeld Alg II. Ab 01.08.2005 zog er in eine sogenannte Genossenschaftswohnung, wofür er Gesellschaftsanteile in Höhe von 500,- EUR zu erwerben und eine Aufnahmegebühr in Höhe von 10,- EUR zu zahlen hatte.

Mit Bescheid vom 05.10.2005 bewilligte die Ag Alg II, jedoch lediglich unter Berücksichtigung der Unterkunftskosten bis zur Obergrenze in Höhe von 277,- EUR. Die Übernahme der Kosten für den Erwerb von Gesellschaftsanteilen und der Aufnahmegebühr lehnte sie ab (Bescheid vom 01.12.2005). Den Widerspruch hiergegen wies die Ag mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2006 zurück. Der Ast hat dagegen Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben.

Seinen an das SG gerichtete Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat der Ast mit bestehenden Mietrückständen und einer drohenden Beitreibung der Kosten der von ihm zu erwerbenden Gesellschaftsanteile und der Aufnahmegebühr begründet. Das SG hat mit Beschluss vom 22.11.2005 die Ag verpflichtet, dem Ast die Geschäftsanteile in Höhe von 500,- EUR sowie die Aufnahmegebühr in Höhe von 10,- EUR vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache als Darlehen zu gewähren. Im Übrigen hat es den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Hinsichtlich der Aufnahmegebühr und der Kosten für den Erwerb der Gesellschaftsanteile liege wegen der drohenden Kündigung ein Anordnungsgrund, aber auch ein Anordnungsanspruch vor. Ein Anordnungsgrund fehle allerdings bzgl. der zu übernehmenden höheren Unterkunftskosten.

Zur Begründung der dagegen zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Beschwerde hat die Ag letztendlich vorgetragen, ein Anordnungsanspruch bestehe auch bzgl. der zu finanzierenden Gesellschaftsanteile und der Aufnahmegebühr nicht, nachdem dem Umzug in diese Wohnung von ihr zu Recht nicht zugestimmt worden sei. Im Übrigen sei eine Vollstreckung aus dem Beschluss des SG nicht mehr möglich. Ein Anordnungsgrund bestehe ebenfalls nicht mehr, denn die Vermieterin habe erklärt, bzgl. der Kosten für die Gesellschaftsanteile werde der Ausgang der gerichtlichen Verfahren abgewartet.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Ag sowie Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 142, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig. Das SG hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG). Die Beschwerde ist auch begründet. Ein Anordnungsgrund liegt nicht - mehr - vor. Der Beschluss des SG ist daher aufzuheben, soweit die Ag zur vorläufigen Leistung verpflichtet worden ist.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist allein die Frage der Verpflichtung zur vorläufigen darlehensweise Übernahme der Kosten für die vom Ast zu erwerbenden Geschäftsanteile und die Aufnahmegebühr, nicht aber die Höhe der zu übernehmenden Unterkunftskosten, denn den Erlass einer einstweiligen Anordnung diesbezüglich hat das SG abgelehnt; der Ast hat hiergegen keine Beschwerde eingelegt.

Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem Ast ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74, vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2002, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4.Aufl 2005, RdNr 643).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den er sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben des Ast hierzu hat er glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessanordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8.Aufl, § 86b RdNr 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggfs. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236).

Vorliegend fehlt es bereits an einem Anordnungsgrund, denn es besteht keine Eilbedürftigkeit. Dem Ast entstehen durch ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache keine schweren und unzumutbaren, nicht anders abwendbaren Nachteile. Nachdem die Ag eine Bestätigung der Vermieterin darüber vorgelegt hat, diese werde wegen der Kosten für den Erwerb der Gesellschaftsanteile die gerichtlichen Verfahren abwarten, drohen ihm keine solchen Nachteile bis zur Entscheidung in der Hauptsache mehr. Ob auch hinsichtlich der Aufnahmegebühr in Höhe von 10,- EUR von der Vermieterin auf evtl. Vollstreckungsmaßnahmen vorläufig verzichtet wird, kann offen gelassen werden, denn hierbei handelt es sich nicht um einen Betrag, dessen Zahlung dem Ast schwere und unzumutbare Nachteile bringt. Nach alledem ist der Beschluss des SG wie geschehen abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Dabei war zu berücksichtigen, dass der Anordnungsgrund erst mit der Erklärung der Vermieterin vom 03.02.2006 entfallen ist. Dem Ast ist Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt worden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved