L 8 AL 36/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 34 AL 928/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 36/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11a AL 23/06 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10. November 2004 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 564,85 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung des Arbeitslosengeldes (Alg) und der Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 24. bis 29.01.1999 streitig.

Bei der Klägerin bzw. der Vorgängerfirma D. AG war vom 05.04.1961 bis 31.01.1997 der 1939 geborene Arbeitnehmer H. beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch einen am 23.05.1995 geschlossenen Auflösungsvertrag. Die Beklagte bewilligte dem Arbeitnehmer vom 01.02.1997 bis 31.01.1999 Alg. Ab 01.02.1999 bezog dieser Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahres.

Mit Bescheid vom 26.09.2001 forderte die Beklagte die Erstattung des Alg einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge, die für die Zeit vom 01.02.1997 bis 31.12.1997 erbracht worden waren (30.278,96 EUR). Mit weiterem Bescheid vom 26.09.2001 forderte sie hinsichtlich des Erstattungszeitraumes 01.01.1998 bis 29.01.1999 36.718,96 EUR.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, soweit Erstattung auch für den Zeitraum 24. bis 29.01.1999 gefordert wurde. Der Arbeitnehmer habe am 23.01.1999 das 60. Lebensjahr vollendet, ab diesem Zeitpunkt bestehe keine Erstattungspflicht des Arbeitgebers, da der Arbeitnehmer die Voraussetzungen für eine der in § 142 Abs.1 Nrn.2 bis 4 SGB III genannten Leistungen erfüllt habe. Hierfür genüge das objektive Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für diese Leistung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.07.2002 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer sozial gerechtfertigten Kündigung nach § 128 Abs.1 Satz 2 Nr.4 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) seien nicht erfüllt gewesen, da der Aufhebungsvertrag nicht in eine Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberkündigung umgedeutet werden könne. Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 128 Abs.1 Satz 2 Nr.5 AFG lägen nicht vor. Für das Geschäftsjahr 1997 habe auch keine unzumutbare Belastung im Sinne des § 128 Abs.2 Nr.2 AFG festgestellt werden können. Die Erstattungspflicht erstrecke sich bis einschließlich 29.01.1999, da § 128 Abs.1 Satz 2 AFG auf die Regelung des § 118 Abs.1 Satz 1 Nrn.2 bis 4 AFG Bezug nehme und ein Ruhen des Anspruches auf Alg erst ab dem tatsächlichen Beginn der Altersrente eintrete.

Zur Begründung ihrer zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage wiederholt die Klägerin ihre Auffassung, eine Erstattungspflicht entstehe nicht, wenn der Arbeitslose eine anderweitige Sozialleistung hätte in Anspruch nehmen können. Es komme nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer diese andere Sozialleistung bezogen oder beantragt habe.

Mit Urteil vom 10.11.2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Unstreitig sei nach dem Rentenbescheid vom 02.12.1998 der Beginn der Altersrente der 01.02.1999. Erst mit diesem Tag habe auch die laufende Zahlung begonnen. Unmaßgeblich sei, dass in dem Bescheid als Tag der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen der 22.01.1999 angegeben sei. § 128 Abs.1 Satz 2 AFG nehme Bezug auf die Regelung des § 118 Abs.1 Satz 1 Nrn.2 bis 4 AFG. Die Erstattungspflicht solle entfallen, wenn im Erstattungszeitraum ein anderer Leistungsträger leistungspflichtig gewesen wäre. Die Beklagte habe daher auch zu Recht bis 31.01.1999 Alg gezahlt.

Mit ihrer Berufung führt die Klägerin weiterhin aus, die Erstattungspflicht ende, wenn der Arbeitslose die Bedingungen für eine anderweitige Sozialleistung vollständig erfüllt habe, und nicht erst mit dem Tage, an dem die Sozialleistung tatsächlich das erste Mal bezogen worden sei. § 99 SGB VI diene unter anderem auch der Vereinfachung der Verwaltung, dies könne aber nicht zu Lasten des Arbeitgebers gehen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 10.11.2004 sowie den Bescheid vom 26.09.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2002 bezüglich der Zeit vom 24. bis 29.01.1999 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Im Lichte der Entscheidung des BVerfG könne erst der tatsächliche Bezug der Rentenleistung als Ausschlusstatbestand gesehen werden.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, da die Beklagte auch Anspruch auf Erstattung der an den Arbeitnehmer H. für die Zeit vom 24. bis 29.01.1999 erbrachten Leistungen hat.

Die Erstattungspflicht ergibt sich aus § 128 Abs.1 Satz 1 AFG, in Kraft bis 31.12.1997. Gemäß § 431 Abs.1 Satz 1 SGB III i.V.m. § 242 Abs.6 i.V.m. § 242x Abs.3 Satz 1 Nr.1, Abs.6 AFG, eingefügt durch das Gesetz vom 24.03.1997 (BGBl.I S.594), ist § 128 weiterhin anzuwenden auf Personen, die innerhalb der Rahmenfrist mindestens 360 Kalendertage vor dem 01.04.1997 in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden haben. Dies war bei dem Arbeitnehmer H. der Fall.

Die Beklagte hat dem Arbeitnehmer H. für die Zeit vom 24. bis 29.01.1999 Alg in Höhe von 677,16 DM gezahlt und Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von 134,64 DM, zur Pflegeversicherung in Höhe von 17,34 DM und zur Rentenversicherung von 275,60 DM entrichtet. Zu Recht hat sie deshalb die Erstattung von 564,84 EUR für diesen Zeitraum gefordert.

Die Erstattungspflicht ist nicht nach § 128 Abs.1 Satz 2 AFG ausgeschlossen. Insbesondere ist das Arbeitsverhältnis nicht im Sinne des § 128 Abs.1 Satz 2 Nr.4 durch eine sozial gerechtfertigte Kündigung, sondern durch einen Aufhebungsvertrag beendet worden. Weiterhin liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin im Sinne des § 128 Abs.1 Satz 2 Nr.5 AFG berechtigt war, das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist oder mit sozialer Auslauffrist zu kündigen; dies wird von ihr auch nicht behauptet. Sie wäre aber verpflichtet, dies darzulegen und nachzuweisen. Ebenso wenig wird geltend gemacht, dass die Erstattung eine unzumutbare Belastung im Sinne des § 128 Abs.2 AFG darstellen würde.

Es kann dahinstehen, ob im vorliegenden Fall wegen des Abschlusses des Aufhebungsvertrages eine Sperrzeit von zwölf Wochen eingetreten ist mit der Folge, dass sich die Anspruchsdauer gemäß § 110 Satz 1 Nr.2 AFG um ein Viertel verkürzt hätte. Denn der Arbeitnehmer hatte bei Beendigung der Alg-Zahlung am 31.01.1999 noch einen Restanspruch von 241 Tagen von den ursprünglichen 832 Tagen, so dass er selbst bei einer Verkürzung um ein Viertel, das heißt um 208 Tage, für den hier streitigen Zeitraum noch einen Anspruch auf Alg gehabt hätte.

Zu Recht hat die Beklagte auch die Erstattung der nach dem 23.01.1999 erbrachten Leistungen gefordert. Denn gemäß § 128 Abs.1 Satz 2 AFG tritt die Erstattungspflicht nur dann nicht ein, wenn der Arbeitslose auch die Voraussetzungen für eine der in § 118 Abs.1 Satz 1 Nrn.2 bis 4 AFG genannten Leistungen oder für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit erfüllt. Bei der Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahres handelt es sich um eine solche Leistung im Sinne des § 118 Abs.1 Nr.4 AFG. Die Vorschrift des § 128 Abs.1 Satz 2 AFG kann nicht so ausgelegt werden, dass die Erstattungspflicht bereits dann entfällt, wenn sozusagen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine anderweitige Sozialleistung erfüllt sind, ohne dass es, die Antragstellung unterstellt, auf einen Zahlungsanspruch ankäme. Die Formulierung in § 128 Abs.1 Satz 2 AFG beruht, wovon auch die Beteiligten ausgehen, auf dem Urteil des BVerfG vom 23.01.1990, SozR 3-4100 § 128 Nr.1. In diesem Urteil hat das BVerfG die Vorschrift des § 128 AFG in der früheren Fassung dem Grunde nach bestätigt, allerdings mit der Einschränkung, dass es der im Rahmen des Art.12 Abs.1 GG zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, die Erstattungspflicht nur dann eingreifen zu lassen, wenn der Arbeitgeber eine besondere Verantwortung für den Eintritt der Arbeitslosigkeit und damit für die Gewährung der zu erstattenden Leistungen (Alg oder Alhi) hat; eine solche liege nicht vor, wenn der Arbeitnehmer, um dessen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis es gehe, eine andere Sozialleistung beanspruchen könne, die einen Anspruch auf Alg oder Alhi ruhen oder entfallen ließe (so die Urteilsformel). In den Gründen heißt es dann, dass die besondere Verantwortung des Arbeitgebers nicht bestehe, wenn der Arbeitnehmer einen Anspruch auf soziale Sicherung aus einem anderen Sozialleistungssystem als dem der Arbeitslosenversicherung habe "oder jedenfalls bei entsprechender Antragstellung haben würde." In diesen Fällen trete nicht eigentlich Arbeitslosigkeit mit nachfolgender Gewährung von Arbeitslosengeld ein, sondern es realisiere sich ein Risiko, das vorrangig von anderen Systemen der Sozialen Sicherung abzudecken sei. Es hänge in den beschriebenen Fällen weitgehend von der Entscheidung des Arbeitnehmers ab, ob er Krankengeld, Übergangsgeld, EU-Rente oder ähnliche Leistungen beziehe mit der Folge, dass § 128 AFG nicht einschlägig sei, oder ob er Alg beziehe, was die Erstattungspflicht des Arbeitgebers nach sich ziehe.

Hieraus ergibt sich, dass dem Arbeitgeber die Verantwortung dafür angelastet wird, dass ein älterer Arbeitnehmer auf seine Veranlassung hin ausscheidet und ab dem 58. Lebensjahr Leistungen von der Beklagten bezieht. Andererseits liegt diese Verantwortung nicht mehr vor, wenn der Arbeitnehmer durch einen entsprechenden Antrag bei einem Sozialleistungsträger bewirken könnte, dass er eine andere Sozialleistung erhält mit der Folge, dass der Anspruch auf Alg oder Alhi ruhen würde. Ein Ruhen des Anspruches auf Alg oder Alhi tritt im Falle der vorgezogenen Altersrente jedoch erst ab dem 01.02.1999 ein, da § 99 Abs.1 Satz 1 SGB VI bestimmt, dass eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet wird, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Denn erst ab Zahlungsbeginn der Rente ruht der Anspruch auf Alg und endet die Zahlung durch die Beklagte, die der Arbeitgeber verantwortlich verursacht hat und die er sich zurechnen lassen muss. Denn gemäß § 118 Abs.1 Nr.4 AFG ruht der Anspruch auf Alg während der Zeit, für die dem Arbeitslosen die Altersrente zuerkannt ist. Zuerkannt ist die Leistung wiederum nur, wenn der Berechtigte infolge der Bewilligung Leistungen tatsächlich bezieht oder der Leistungsträger Zahlungen zu erbringen hat (BSG SozR 4100 § 118 Nr.10; SozR 3-4100 § 118 Nr.3). Der Gesetzeszweck, eine Doppelversorgung durch öffentliche Träger zu vermeiden, ist nur erfüllt, wenn dem Arbeitslosen die ruhensbegründende Leistung tatsächlich zufließt. Hieraus folgt zwingend, dass es auf den Zahlungsbeginn, der bei rechtzeitiger Antragstellung sich ergibt, ankommt, und nicht auf den Zeitpunkt, zu dem sozusagen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die alternative Sozialleistung erfüllt sind.

Somit war die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10.11.2004 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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